Österreich: Rechtsextreme FPÖ vor dem Einzug ins Kanzleramt

Nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen und dem darauf folgenden Rücktritt von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) stehen in Österreich nun alle Zeichen auf Bildung einer Regierung unter Führung der rechtsradikalen Freiheitlichen Partei (FPÖ), die die von allen Parteien verfolgte Politik der Aufrüstung und des Sozialabbaus durchsetzen soll.

FPÖ-Chef Herbert Kickl [Photo by C.Stadler/Bwag / CC BY-SA 4.0]

Die FPÖ hatte bei der Parlamentswahl im September deutlich zugelegt und diese gewonnen. Nachdem zunächst weder die ÖVP noch die sozialdemokratische SPÖ mit der FPÖ unter ihrem Parteichef Herbert Kickl koalieren wollten, erhielt der amtierende Kanzler Nehammer den Regierungsauftrag. Mitte November trat er mit der sozialdemokratischen SPÖ und den rechtsliberalen Neos in Koalitionsverhandlungen.

Am Freitag stiegen die Neos aus den Verhandlungen aus. Am Samstag beendete Nehammer auch die zwischenzeitlich fortgeführten Gespräche zwischen ÖVP und SPÖ. Obwohl alle drei Parteien keine grundsätzlichen Differenzen haben, scheiterten die Verhandlungen letztlich an der Finanzfrage, wie und in welchen Zeitraum der geplante Sparkurs gegen die Bevölkerung durchzusetzen sei.

ÖVP und Neos forderten einen brutalen und raschen Sparkurs unter Vermeidung eines EU-Defizitverfahrens, das Österreich wegen Überschreitung der 3-Prozent-Grenze droht. Die EU-Kommission rechnet für 2025 mit einem Budgetdefizit von 3,7 Prozent, für 2026 mit 3,5 Prozent.

Die SPÖ trat dafür ein, das Defizit im Rahmen eines EU-Verfahrens über einen längeren Zeitraum auszugleichen. Im Wesentlichen würde dies dieselben Belastungen für die Bevölkerung bedeuten, die Regierung hätte lediglich mehr Spielraum, eine soziale Konfrontation zu vermeiden.

Darüber hinaus forderte die SPÖ zum Ausgleich des Defizits die Einführung einer Vermögenssteuer. Obgleich diese nie mehr als symbolischen Charakter haben sollte, stieß der Vorschlag auf vehemente Ablehnung von ÖVP und Neos.

Neos-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger begründete den Ausstieg ihrer Partei damit, dass die sozialen Angriffe nicht umfassend genug seien. Die Partei gilt als die aggressivste Verfechterin der Interessen der gehobenen Mittelschicht, die jeden sozialen Ausgleich als Beschneidung ihrer Vermögen und Interessen wertet.

Beobachter der Verhandlungen bemerkten, die Neos hätten ihr Programm – brutale Rentenkürzungen, Beschneidung der öffentlichen Gesundheitsfürsorge sowie der öffentlichen Bildung und das Ende der militärischen Neutralität des Landes – zu 100 Prozent ohne Abstriche durchsetzen wollen.

Nehammer begründete seinen Rücktritt und das Scheitern der Gespräche mit der SPÖ ähnlich. Er erklärte, es sei „augenscheinlich, dass die destruktiven Kräfte in der SPÖ die Oberhand gewonnen haben“. Seine Partei werde kein Programm unterschreiben, das „wirtschaftsfeindlich, wettbewerbsfeindlich und leistungsfeindlich“ sei.

Tatsächlich vertritt die SPÖ in keiner Weise ein solches Programm. Sie hält lediglich einen derart offenen Angriff auf die Arbeiterklasse für zu riskant, da er unweigerlich massive Opposition auslösen würde, die womöglich auch die Gewerkschaften nicht mehr kontrollieren könnten. Der SPÖ geht es darum, die arbeiterfeindliche und militaristische Politik besser zu verdecken, um den Widerstand dagegen zu ersticken.

Der Rücktritt von Nehammer macht nun den Weg frei für eine Regierung der extremen Rechten, die radikale Kürzungen im Haushalt, Aufrüstung nach Innen und nach Außen und eine Verschärfung der restriktiven Flüchtlingspolitik vorantreibt.

Am Sonntag erklärte Staatspräsident Alexander van der Bellen, der von den Grünen kommt, er werde sich am Montag mit FPÖ-Parteichef Herbert Kickl treffen. Es ist davon auszugehen, dass er diesen mit der Regierungsbildung beauftragen wird. Er habe den Eindruck, dass die Stimmen in der ÖVP, die eine Zusammenarbeit mit Kickl ausschließen, deutlich leiser geworden seien. „Das wiederum bedeutet, dass sich möglicherweise ein neuer Weg auftut,“ so van der Bellen.

Kickl steht selbst unter europäischen Rechtsradikalen am rechten Rand. Er begann seine politische Karriere als Redenschreiber für Jörg Haider, der die FPÖ in eine offen rechtsextreme Partei verwandelte. Später überwarf er sich mit Haider und griff diesen von rechts an. Vom Dezember 2017 bis Mai 2019 war er unter ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz österreichischer Innenminister und machte sich als Law-and-Order-Politiker, eine aggressive Flüchtlingspolitik sowie mehrere Affären einen Namen. Im Juni 2021 wurde er zum Vorsitzenden der FPÖ gewählt.

Kickl trat auf Demonstrationen gegen Corona-Schutzmaßnahmen auf und unterhält enge Beziehungen zu deutschen und europäischen Neonazis. So trat er 2016 in Linz als Redner auf dem Kongress „Verteidiger Europas“ auf, an dem auch bekannte Rechtsextreme wie Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer, der rechtsextreme Ideologe Götz Kubitschek, die Identitäre Bewegung und das deutsche Netzwerk „Ein Prozent für unser Land“ teilnahmen.

Die Parteispitze der ÖVP traf sich am Sonntag im Bundeskanzleramt und einigte sich rasch auf die Nachfolge Nehammers, die der bisherige Generalsekretär Christian Stocker übernehmen wird. Er gilt als loyaler Vertreter des rechten Parteiflügels.

Kurzzeitig war Ex-Kanzler Sebastian Kurz für diesen Posten im Gespräch. Laut der Nachrichtenagentur dpa steht er aber nicht zur Verfügung. Wie Pressemitteilungen zu entnehmen war, wäre Kurz nur bereit gewesen den Parteivorsitz zu übernehmen, wenn er gleichzeitig das Amt des Bundeskanzlers bekleiden würde.

Obwohl Stocker sich bisher gegen Verhandlungen mit einer von Kickl geführten FPÖ ausgesprochen hatte, erklärte er nun, zu Verhandlungen mit der FPÖ bereit zu sein. Man wolle solche Gespräche führen, wenn man dazu eingeladen werde, sagte er. Er gehe davon aus, dass Kickl mit der Regierungsbildung beauftragt werde.

Stocker bekräftigte, die Republik brauche nun rasch eine Regierung, das habe Priorität. Die ÖVP werde sich der staatspolitischen Aufgabe nicht entziehen. Ob er als Vizekanzler zur Verfügung stehe, ließ er dabei offen.

Sollte keine Koalition von ÖVP und FPÖ zustande kommen, wäre die wahrscheinliche Alternative Neuwahlen. Laut jüngsten Umfragen würde die FPÖ dabei ihren Vorsprung weiter ausbauen und etwa 35 Prozent erreichen.

Mit 29 Prozent gewann die FPÖ im September im Vergleich zur Wahl 2019 rund 13 Prozentpunkte hinzu, während die ÖVP, die zuvor mit den Grünen regiert hatte, fast ebenso viel einbüßte. Auch die SPÖ konnte aus ihrer Oppositionsrolle keinen Nutzen ziehen und verlor einen halben Prozentpunkt gegenüber der letzten Wahl.

Seither wurden die Rechtsextremen bereits stark in die Regierung eingebunden und mit wichtigen Ämtern betraut. Mit Walter Rosenkranz bekleidet ein Vertreter der Rechtsradikalen das Amt des Nationalratspräsidenten, das zweithöchste im Staat. 100 der 183 Abgeordneten hatten in geheimer Wahl für Rosenkranz gestimmt. Die FPÖ verfügt selbst nur über 57 Mandate, er erhielt also mindestens 43 Stimmen aus anderen Fraktionen.

Die Partei ist mittlerweile an fünf Landesregierungen in Österreich beteiligt, in der Steiermark stellt sie sogar den Landeshauptmann.

Die Entwicklung in Österreich ist kein Einzelfall. Der Aufstieg rechtsextremer Kräfte wurde durch die rechte und arbeiterfeindliche Politik der etablierten Parteien und ihrer pseudolinken Anhängsel in ganz Europa vorangetrieben. Ähnlich wie zuvor die Auflösung des französischen Parlaments durch Emmanuel Macron war auch die Ausrufung von Neuwahlen in Deutschland von der Erwägung geleitet, eine Regierung an die Macht zu bringen, die eine brutale Kriegs- und Kürzungspolitik gegen die Bevölkerung aggressiv durchsetzen kann.

Nach dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA rückt die gesamte herrschende Klasse in Europa weiter nach rechts. Die Rechtsextremen werden nun benötigt, um die Eskalation der Kriegspolitik, die Aufrüstung nach Außen und Innen und die Angriffe auf die sozialen und demokratischen Errungenschaften der Arbeiterklasse voranzutreiben.

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