Fast 20 Prozent Reallohnsenkung bei VW

Der Abschluss bei Volkswagen, den die IG Metall kurz vor Weihnachten präsentiert hat, ist beispiellos. Mehr als jeder vierte Arbeitsplatz, insgesamt 35.000, werden vernichtet, das entspricht drei größeren Werken. Die Löhne werden real um bis zu 18 Prozent gesenkt.

Diese totale Kapitulation versucht die IG Metall mit einem Wust von Lügen und Verdrehungen zu vertuschen. Dabei verfährt sie offensichtlich nach dem Prinzip: Je größer die Lüge, desto leichter wird sie geglaubt. So lobte die IG Metall den Abschluss als „Weihnachtswunder von Hannover“ und titelte „Kahlschlag abgewendet“.

Bekanntgabe des Tarifabschlusses auf der Website der IGM Niedersachen und Sachsen-Anhalt [Photo by Screenshot]

Doch wie sieht dieses Wunder aus? Was ist tatsächlich vereinbart worden, und wie versuchen die Gewerkschaft und ihr Betriebsrat unter Daniela Cavallo den Kahlschlag schönzuschreiben?

Der Konzernvorstand hatte Anfang September die Beschäftigungssicherung bis 2029 gekündigt und die Schließung von drei Werken, den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen und Lohnsenkungen um 10 Prozent gefordert. Das war die Ausgangsposition. Gewerkschaft und Betriebsrat hatten erklärt, dass sie weder Werksschließungen noch betriebsbedingte Kündigungen akzeptieren würden. Das haben sie rein formal und sehr kurzfristig gesehen vereinbart. Die Realität sieht allerdings anders aus.

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Arbeitsplatzabbau und Werksschließungen

Anstatt der vom Konzern geforderten 30.000 werden in den nächsten Jahren 35.000 der 120.000 Arbeitsplätze in Deutschland vernichtet. Die von Thorsten Gröger geleitete Tarifkommission der IG Metall verkauft das dennoch als „Erfolg“. Sie behauptet jetzt, der Konzern habe gefordert, 55.000 Arbeitsplätze abzubauen. Die nun vereinbarte Vernichtung von 35.000 Arbeitsplätzen sei daher schmerzlich, habe aber das Schlimmste verhindert. Einen Hinweis, warum und wann der Konzern seine ursprüngliche Forderung so massiv erhöht hat, bleibt die Gewerkschaft schuldig.

Der Arbeitsplatzabbau soll „sozialverträglich“ stattfinden. Der Gewerkschaft ist allerdings egal, wie sozialverträglich er für all jene ist, die von VW abhängen – von den Zulieferern über die Logistikunternehmen bis hin zu den Einzelhändlern und Dienstleistern an den Standorten. Und was die VW-Beschäftigten selbst betrifft, so ist es nicht sozialverträglich, wenn sie gezwungen werden, Arbeitsplätze an anderen Standorten aufzunehmen, etwa von Zwickau nach Wolfsburg zu pendeln. Doch das scheint bei den Verhandlungen zweitrangig gewesen zu sein.

Was die Schließung von Werken betrifft, bleiben formal alle Standorte erhalten. Doch in der Gesamtrechnung hat sich der Konzern voll und ganz durchgesetzt. 35.000 Arbeitsplätze entsprechen der Belegschaft der drei Werke Kassel, Emden und Zwickau oder der sechs Werke Emden, Zwickau, Braunschweig, Salzgitter, Osnabrück und Chemnitz. Die technische Kapazität an den deutschen Standorten wird um über 730.000 Fahrzeuge reduziert, das ist fast die Kapazität des größten VW-Werks, des Stammwerks in Wolfsburg.

Daher konnte VW-Chef Oliver Blume in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufrieden klarstellen: „Die jetzt vereinbarte Lösung mit Abbau der Kapazitäten an verschiedenen Standorten entspricht dem Produktionsumfang von zwei bis drei großen Werken.“

Auch wenn IG Metall, Betriebsrat und Konzernvorstand nicht bekanntgegeben haben, an welchen Standorten wie viele Arbeitsplätze abgebaut werden, ist sicher, dass kein Standort verschont bleibt. Die vereinbarten Produktionskürzungen werden darüber hinaus einzelne Werke schon in den nächsten ein oder zwei Jahren zu Schließungskandidaten machen.

Das Aus der Produktion in der „Gläsernen Manufaktur“ in Dresden, wo zuletzt nur noch 300 Beschäftigte tätig waren, ist beschlossene Sache.

Danach ist das Werk in Osnabrück mit aktuell 2200 Beschäftigten am stärksten gefährdet, das noch bis Sommer 2027 das Cabrio-Modell des T-Roc produziert. Nach dem Abschluss hatte die IG Metall behauptet, eine „wirtschaftliche Zukunftsperspektive für den Standort zu entwickeln“. Den Beschäftigten wurde erzählt, ein Investor aus der Rüstungsindustrie habe Interesse angemeldet. Dieses Versprechen hat sich schon nach einer Woche in Luft aufgelöst.

Am Stammsitz in Wolfsburg werden Tausende Stellen in der Verwaltung, der Forschung und Entwicklung abgebaut. Während das Werk weiter den Tiguan und den Tayron baut, wird die Golf-Produktion ins mexikanische Puebla abgegeben. Dafür sollen – wenn alles nach Plan läuft – in vier bis fünf Jahren mehrere nicht näher benannte „SSP-Flaggschiffe rund um den ID.Golf“ in Wolfsburg in die Produktion gehen. Die Scalable Systems Platform (Skalierbare System-Plattform – SSP) ist eine modulare Fahrzeugplattform für Elektroautos, die VW für die gesamte Konzerngruppe und deren Marken entwickelt.

Bis dahin wird die Produktion des ID.3 und des Cupra born aus Zwickau abgezogen und nach Wolfsburg verlagert. Die Produktion des ID.4 ReSkin soll ab 2026 in Emden statt in Zwickau anlaufen. Das größte ostdeutsche Werk ist also besonders vom Abbau betroffen. Die E-Autofabrik in Sachsen soll nur noch den Audi Q4 e-tron bauen. Vertröstet werden die aktuell rund 8500 Beschäftigten mit dem „Einstieg in die Kreislaufwirtschaft (‚Circular Economy‘ – ein Trend zu Recycling-Themen entlang der gesamten automobilen Wertschöpfungskette)“. In Zwickau sollen demnach alte Autos zerlegt statt neue gebaut werden.

Um das durchzusetzen, hat die IG Metall der Zwickauer Belegschaft erzählt, damit habe die Schließung des Werks verhindert werden können. Zum Schluss der Verhandlungen, so die Berichte der IGM-Vertrauensleute vor Ort, habe noch ein Werk geschlossen werden sollen, und das sei Zwickau gewesen. So verklärt die Gewerkschaft selbst diesen Kahlschlag als „Erfolg“.

Lohn- und Gehaltskürzungen

Noch dreister beschönigt die Gewerkschaft die Kürzungen von Lohn und Gehalt. Der Konzern hatte vor den Tarifverhandlungen, kurz nachdem er 4,5 Milliarden Euro Dividende an die Aktionäre ausgezahlt hatte, Kürzungen bei den Personalkosten in Höhe von jährlich 4 Milliarden Euro eingefordert. Die Löhne und Gehälter sollten um 10 Prozent sinken.

Nun erklärt die Tarifkommission der IG Metall, der Konzern sei mit der Forderung nach 10-prozentigen Lohnkürzungen beim monatlichen Entgelt und zusätzlichen Kürzungen bei den Sonderzahlungen und Zulagen in die Verhandlung gestartet. Sie habe „einen tragfähigen Kompromiss“ ausgehandelt, der die zehnprozentige Kürzung der Tariflöhne und -gehälter verhindere.

Tatsächlich hat die IG Metall vereinbart, die Monatslöhne auf Jahre hinaus einzufrieren, was eine empfindliche Senkung der Realeinkommen bedeutet. Sie hat zwar, wie beim Flächentarif für die Metallindustrie, eine Erhöhung um gut 5 Prozent bei 25 Monaten Laufzeit ausgehandelt. Aber dieses Geld fließt sechs Jahre lang nicht auf die Konten der Beschäftigten, sondern in einen Fonds, mit dem der Konzern die „Transformation“ bezahlt. U.a. sollen damit Kurzarbeit und Altersregelungen finanziert werden. Außerdem hat die IG Metall der Kürzung des jährlichen Urlaubsgelds in Höhe von 1290 Euro und des im Mai ausgezahlten Jahresbonus in Höhe von durchschnittlich 2500 Euro zugestimmt.

Die IG Metall hat in ihrem Extrablatt zum Tarifabschluss eine Übersicht erstellt, die die jährlichen Kürzungen in den drei Entgeltstufen 8 (üblich in der Produktion), 13 (üblich in der Sachbearbeitung) sowie 17 (Ingenieure, Fachleute und Experten mit langjähriger Berufserfahrung) am Beispiel der Brutto-Jahreseinkommen darstellt.

Die Beispiele beginnen mit dem „Szenario/Jahr“ 2025 ohne Kürzungen – „als wäre nichts passiert“. Ein fiktiver Bandarbeiter mit Entgeltstufe 8 käme danach auf ein Jahreseinkommen von 56.898 Euro. Die Erhöhung von knapp 5,5 Prozent, die vereinbart wurde, aber sechs Jahre lang nicht ausbezahlt wird, ist in dieser Summe allerdings nicht enthalten. Dabei deckt sie noch nicht einmal die hohe Inflation seit der letzten Tariferhöhung vor zwei Jahren. Würde sie berücksichtigt, beliefe sich das Jahreseinkommen auf 59.609 Euro.

2026 erhält der Bandarbeiter nach dem von der IGM ausgehandelten Tarifabkommen nur noch 53.108 Euro, das sind fast 11 Prozent weniger als er im Vorjahr einschließlich der nicht ausbezahlten Lohnerhöhung von 5,5 Prozent erhalten hätte. Auch 2027 liegt der Nominallohn noch 10,5 und 2029 8,1 Prozent unter der Summe, auf die er 2025 bei Auszahlung der Lohnerhöhung Anrecht gehabt hätte.

Berücksichtigt man die tatsächliche Kaufkraft der vereinbarten Löhne und Gehälter, also nach Abzug der jährlichen Inflationsrate, ergeben sich reale Entgeltkürzungen von 6,5 Prozent (2025), 14,5 Prozent (2026), 15,8 Prozent (2027) und sage und schreibe 17,3 Prozent 2029. Bei dieser Berechnung haben wir eine Inflation auf Grundlage der sehr optimistischen Prognose des IWF von durchschnittlich 2 Prozent im Jahr angenommen.

Eine Sachbearbeiterin in Entgeltstufe 13 würde im Jahr 2026 nominell 9,8 Prozent weniger verdienen. 2029 läge die Kaufkraft ihres Gehalts mehr als 15 Prozent unter dem heutigen Wert.

Lohnsenkungen bei VW 2025 bis 2029

Das ist also die „Verhinderung des Kahlschlags“, das „Weihnachtswunder von Hannover“.

Die IG Metall ist sich ihrer Rolle bewusst. Sie rechnet trotz ihrer Argumentationsakrobatik mit Opposition. Nicht zuletzt zu diesem Zweck hat sie neben den Kürzungen auch einen Mitgliederbonus vereinbart, um Gewerkschaftsaustritte zu verhindern. Ab 2027 wird ein Bonus für Mitglieder der IG Metall von zunächst 254 Euro eingeführt, der sich bis 2029 auf 636 Euro steigert. Ab 2030 beträgt er dann 1.271 Euro und wird im Folgenden an die tariflichen Abschlüsse gekoppelt.

Wer solche Gewerkschaften hat, benötigt keine Feinde.

Kolleginnen und Kollegen, die gegen die Kapitulation der IG Metall kämpfen wollen, müssen unabhängige Aktionskomitees aufbauen, die für die sozialen Interessen der Belegschaft und nicht für die Profitinteressen der Aktionäre kämpfen. Nehmt über das Formular Kontakt auf oder schreibt eine Nachricht über WhatsApp an die +491633378430 .

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