Der Bitcoin-Spekulationsrausch

Der spektakuläre Aufstieg von Bitcoin ist kein Indiz dafür, dass er und andere Kryptowährungen eine neue Form des Finanzwesens oder eine Alternative zum gegenwärtigen System darstellen. Vielmehr ist er Ausdruck des zunehmend krankhaften Charakters der gegenwärtigen Finanzordnung, eines wachsenden Geschwürs, das seinen Ursprung in den USA, dem Herzen des Systems, hat.

Display in der Lounge der Krypto-Börse Bithumb in Seoul (Südkorea), 21.11.2024 [AP Photo/Ahn Young-joon]

In der vergangenen Woche stieg der Preis von Bitcoin auf über 100.000 US-Dollar, während andere Kryptowährungen ebenfalls stark zulegten und ihren Gesamtwert laut einem Bericht der New York Times auf 2 Billionen Dollar erhöhten. Das Wall Street Journal schätzte den Gesamtwert der Anlageklasse auf 3 Billionen Dollar – „mehr als der kombinierte Wert von Mastercard, Walmart und JPMorgan Chase“.

Dies hat dazu geführt, dass die so genannten Mainstream-Medien, die den Krypto-Boom zuvor eher als eine Art Betrug dargestellt hatten, ihn nun als zukunftsträchtigen Aufschwung preisen. 

Wie es im Artikel der Times weiter heißt: „Der Aufstieg von Bitcoin auf 100.000 Dollar signalisiert seinen nunmehr unbestreitbaren Status im globalen Wirtschaftssystem. Die virtuelle Währung ist zu einem integralen Bestandteil der Finanzmärkte geworden und wird von Wall-Street-Giganten und Privatanlegern gleichermaßen akzeptiert“.

Ende 2022 erlebte Bitcoin einen rapiden Kurssturz. Grund dafür war der Zusammenbruch der stark beworbenen Kryptobörse FTX sowie die Anklage und anschließende Verurteilung ihres Besitzers Sam Bankman-Fried wegen Betrugs. Noch vor zwei Jahren lag der Wert von Bitcoin bei rund 16.000 Dollar. 

Seitdem hat er einen spektakulären Aufstieg erlebt. Er begann im vergangenen Januar, als die US-Regulierungsbehörden großen Vermögensverwaltern und Finanzinstituten erlaubten, Finanzprodukte, börsengehandelte Fonds (ETFs), aufzulegen, die an die virtuelle Währung gekoppelt sind.

Die Kryptowährung begann als vermeintliche Alternative zum bestehenden Finanzsystem, die es ermöglichte, Transaktionen außerhalb des Zuständigkeitsbereichs von Banken und Aufsichtsbehörden durchzuführen. Daher hatte sie nur eine begrenzte Verbindung zu großen Banken und Finanzinstituten. All dies hat sich inzwischen geändert.

Wie ein aktueller Artikel der Financial Times (FT) feststellt, sind Kryptowährungen seit der Genehmigung von Bitcoin-ETFs durch die Securities and Exchange Commission „viel enger mit dem Rest des Finanzsystems verbunden. Und die Zahlen sind enorm: Der kürzlich von BlackRock aufgelegte ETF hat bereits erstaunliche 48 Milliarden Dollar angezogen“.

Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und seine Ankündigung, die USA zur „Krypto-Hauptstadt des Planeten“ zu machen und sogar einen Investitionsfonds für Kryptowährungen als Teil der staatlichen Finanzreserven einzurichten, haben Bitcoin einen weiteren Schub gegeben.

Trump hat die Nutzung von Kryptowährungen während des Wahlkampfs stark beworben und seither mit einer Reihe von Ernennungen von Befürwortern und Händlern von Kryptowährungen in Schlüsselpositionen seiner Regierung fortgesetzt.

Nach der Ernennung von Howard Lutnick zum Leiter des Handelsministeriums und Elon Musk zum Co-Leiter des „department of government efficiency“ („Ministerium für Regierungseffizienz“) mit dem Akronym DOGE, das mit Musks eigenem Krypto-Token übereinstimmt, kündigte Trump die Ernennung von Paul Atkins zum Leiter der SEC an. Er will damit den scheidenden Chef Gary Gensler ersetzen, der als Dorn im Auge der Krypto-Szene gilt.

Trump beschrieb Atkins als eine Führungspersönlichkeit für „Regulierung mit gesundem Menschenverstand“ – Codewörter für die Abschaffung dessen, was von früheren Kontrollen noch übrigblieb. Atkins hat sich kritisch über das Public Company Accounting Oversight Board (PCAOB) geäußert, das Wirtschaftsprüfungsgesellschaften reguliert und von der SEC beaufsichtigt wird.

Ein Mitglied der PCAOB-Beratergruppe, Lynn Turner, sagte der FT, die Ernennung sei möglicherweise das schlimmste Ergebnis für die Organisation, „nur noch übertroffen vom Einschlag einer Atombombe in ihr Gebäude“.

Bei der Bekanntgabe der Nominierung stellte Trump Kryptowährungen in den Mittelpunkt. In einem Beitrag auf seiner Social-Media-Seite erklärte er, Atkins erkenne an, dass „digitale Vermögenswerte und andere Innovationen entscheidend sind, um Amerika großartiger als je zuvor zu machen“.

Darauf folgte die Ankündigung, dass mit Gail Slater eine Mitarbeiterin des designierten Vizepräsidenten JD Vance, einem begeisterten Befürworter von Kryptowährungen, die Kartellabteilung des Justizministeriums leiten würde – ein Schritt, der von der Wirtschaft und der Finanzwelt begrüßt wurde.

Trumps Ankündigungen und Ernennungen führten zu einem rasanten Anstieg des Bitcoin-Kurses, der seit dem Wahlsieg am 5. November um mehr als 50 Prozent gestiegen ist.

Besonders bedeutsam ist, dass dies durch eine, wie die FT schreibt, „Flut institutioneller Gelder angeheizt wird. Börsengehandelte Fonds, die in Kryptowährungen investieren und von Mainstream-Vermögensverwaltern wie BlackRock und Fidelity verwaltet werden, haben seit ihrer Zulassung im Januar Milliarden investiert.“

Berichten zufolge investieren auch andere Vermögensverwalter in Kryptowährungen, darunter auch Pensionsfonds.

Um die Bedeutung dieses Phänomens zu erfassen, ist es wichtig, sich nicht vom Aufstieg des Bitcoin und den märchenhaften Vermögen, die in einigen Fällen quasi über Nacht erworben wurden, blenden zu lassen, sondern sich auf die grundlegenden Fragen zu konzentrieren. 

Unabhängig davon, wie steil sein Aufstieg ist und ob er sich fortsetzt, bleiben die grundlegenden Fakten bestehen. Bitcoin ist ein finanzieller Vermögenswert, der keinen intrinsischen Wert hat und keinen Einkommensstrom generiert. Andere finanzielle Vermögenswerte wie gewerbliche Immobilienbestände und Unternehmensschulden tun dies und basieren letztlich auf einem realen Vermögenswert, der einen Gewinn abwirft. 

Der Gewinn aus dem Handel mit Bitcoin wird ausschließlich durch seinen Kursanstieg generiert und durch nichts anderes. Und der Kurs steigt, solange Geld in den Krypto-Markt fließt.

Viele Dinge haben sich seit den 1920er Jahren geändert, als Charles Ponzi dieser Art von Schneeballsystem seinen Namen gab. Aber der Krypto-Markt ist, per Definition, ein Ponzi-Schema, und wie bei allen solchen Schemata können beträchtliche Geldsummen erworben werden, solange sie funktionieren.

Die Bedeutung des jüngsten Aufschwungs liegt darin, dass er nicht von Betrügern, Außenseitern und einzelnen Investoren vorangetrieben wird. Heute könnte man ihn zu Recht als ein Ponzi-Schema bezeichnen, das von den mächtigsten Finanzinstitutionen der Welt und dem kapitalistischen Staat unterstützt wird. So etwas hat es in der Wirtschaftsgeschichte noch nie gegeben.

Die Befürworter von Krypto-Währungen behaupten bisweilen, dass sie eine reale Grundlage in der sogenannten Blockchain-Technologie hätten. Der Aufstieg der Kryptowährungen hat jedoch nichts mit den potenziellen Vorteilen dieser Technologie zu tun, auf der sie angeblich beruhen.

Tatsächlich hat eine Art Umkehrung stattgefunden.

Als Bitcoin zum ersten Mal von seinem pseudonymen Gründer Satoshi Nakamoto in einem 2008 veröffentlichten Papier vorgestellt wurde, wurde es als Mittel zur Abwicklung von Zahlungen außerhalb des traditionellen Bankensystems und frei von staatlicher Kontrolle vorgeschlagen. 

Heute wird der Preis von Bitcoin weiter in stratosphärische Höhen getrieben, unter anderem durch den Vorschlag von Donald Trump, eine nationale Reserve von Bitcoin-Beständen zu schaffen. Das bedeutet, dass der Staat, den er eigentlich umgehen sollte, zu einer seiner Grundlagen wird. Seine angebliche Rolle als alternative Währung hat sich, abgesehen von kriminellen Aktivitäten, im Großen und Ganzen nicht verwirklicht.

Wie das Wall Street Journal in einem kürzlich erschienenen Artikel feststellte: „Bitcoin wird heute praktisch nie als Zahlungsmittel verwendet – die ursprüngliche von Nakamoto vorgesehene Verwendung. Stattdessen argumentieren die Befürworter, dass es sich um eine Form von ‚digitalem Gold‘ handelt, eine Möglichkeit, monetären Wert zu speichern und sich gegen Inflation abzusichern“.

Aber es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen „digitalem Gold“ und echtem Gold, und nicht alles, was glänzt, ist Gold. Ja, auch der Goldpreis unterliegt spekulationsbedingten Schwankungen. Aber Gold verkörpert einen Wert. Es ist eine Ware, die durch menschliche Arbeit hergestellt wird. Der Anstieg des Bitcoin-Preises ist ausschließlich darauf zurückzuführen, dass mehr Geld in den Krypto-Markt geflossen ist – genau das Geld, das er eigentlich Umgehen sollte.

Abgesehen davon, dass Bitcoin keinen intrinsischen Wert hat, ist der Prozess, neue Bitcoins durch komplexe computergestützte Berechnungen zu „schürfen“, extrem destruktiv und verschwenderisch. Es wird geschätzt, dass die Erzeugung neuer Bitcoins durch zehntausende Computer bis zu 0,9 Prozent des weltweiten Strombedarfs verbraucht. Dies entspricht in etwa dem jährlichen Energieverbrauch Australiens.

Der jüngste Bitcoin-Preisanstieg, angetrieben durch Interventionen von Wall-Street-Finanzhäusern, hat erhebliche Auswirkungen auf die Stabilität des gesamten Finanzsystems. Der Zusammenbruch der FTX vor zwei Jahren hatte kaum Auswirkungen auf den Finanzmarkt im weiteren Sinne. In der Zwischenzeit haben sich die Bedingungen erheblich geändert.

Martin Walker, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Warwick Business School, sagte der FT: „Eine Sache, die uns die Geschichte der Finanzkrisen lehrt, ist, dass sich Risiken immer aufbauen und dann in Bereichen explodieren, mit denen die Regulierungsbehörden nicht zu rechnen scheinen. Die Bruchlinien im Finanzsystem sind nicht immer offensichtlich... Der Krypto-Finanzmarkt ist jetzt so groß, dass es sicherlich Makrorisiken gibt... die sowohl gefährlich als auch wenig erforscht sind“.

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