Am Dienstag hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seinen Verteidigungsminister Yoav Gallant entlassen. Als Grund nannte er erhebliche Unstimmigkeiten zwischen ihnen über die Führung von Israels Kriegen im Gazastreifen und dem Libanon.
Netanjahu erklärte: „Mitten in einem Krieg müssen sich der Ministerpräsident und der Verteidigungsminister uneingeschränkt vertrauen können. Zwar bestand in den ersten Monaten des Feldzugs ein solches Vertrauen und hat zu großen Erfolgen geführt, doch in den letzten Monaten ist das Vertrauen zwischen mir und dem Verteidigungsminister zerbrochen.“
Der faschistische Minister für Nationale Sicherheit und Vorsitzende der Partei Jüdische Stärke, Itamar Ben-Gvir, erklärte, Netanjahu habe „die richtige Entscheidung getroffen“. Mit Gallant als Verteidigungsminister sei ein „totaler Sieg unmöglich“ gewesen. Seine Äußerungen drücken die Absicht der Regierung aus, Israels Kriege gegen die Palästinenser im Gazastreifen und dem Westjordanland sowie gegen den Iran und dessen Verbündete im Libanon, Syrien und dem Jemen noch aggressiver zu führen.
Gallants Nachfolger soll Außenminister Israel Katz aus Netanjahus Likud-Partei werden, der sich öffentlich gegen jede Form eines palästinensischen Staates ausspricht. Gideon Sa'ar, ein ehemaliges Likud-Mitglied, wird neuer Außenminister. Sa'ar hatte mit Netanjahu gebrochen und seine eigene Partei Neue Hoffnung gegründet, war aber letzten September dessen Koalition beigetreten.
Einem Aufruf von Netanjahu-Gegnern und der Familien von Geiseln folgend, beteiligten sich Tausende von Israelis an Protesten. In Tel Aviv zogen die Demonstranten zum Ayalon Highway, wo ihnen die Polizei den Weg versperrte. In Jerusalem versammelten sich etwa 1.000 Demonstranten in der Nähe von Netanjahus Anwesen. Weitere Proteste fanden in Haifa und Be'er Sheva statt.
Es war allgemein bekannt, dass Netanjahu und Gallant kaum miteinander sprachen. Netanjahu hatte bereits im März 2023 versucht, Gallant wegen seines Widerstands gegen die Pläne zu entlassen, die Justiz zu kastrieren und ein autoritäres Regime zu errichten. Erst angesichts von massivem Widerstand gegen diesen Schritt war Netanjahu davon abgerückt.
Gallant ist ein erbitterter Kriegstreiber, dessen Unstimmigkeiten mit Netanjahu sich nur um die Frage drehen, wie sich die Interessen des Zionismus am besten mit militärischen Mitteln durchsetzen lassen. Unmittelbar nach dem 7. Oktober 2023 hatte er eine „vollständige Belagerung des Gazastreifens“ angeordnet, „kein Strom, keine Nahrungsmittel, kein Treibstoff, alles wird abgesperrt. ... Wir kämpfen gegen menschliche Tiere.“ Zuvor hatte er im August 2023 an die Adresse des Libanon gedroht, Israel werde nicht zögern, die Hisbollah anzugreifen und „den Libanon in die Steinzeit zurück zu befördern“, wenn Israel angegriffen würde. Nur wenige Tage nach Beginn von Israels offenem Krieg im Gazastreifen drohte er: „Was wir im Gazastreifen können, das können wir auch in Beirut.“
Nach seiner Entlassung erklärte Gallant in einer Rede: „Die Entscheidung, mich zu entlassen, folgt einer Reihe von eindrucksvollen Errungenschaften, wie sie in der Geschichte des Staates Israel ohne Beispiel sind. Errungenschaften der IDF, des [Inlandsgeheimdienstes] Schin Bet, des Mossad und des gesamten Sicherheitssystems. Wir haben im Gazastreifen, im Libanon, in Judäa und in Samaria zugeschlagen. Wir haben u.a. Terroristenführer im ganzen Nahen Osten eliminiert und erstmals einen präzisen und tödlichen Schlag gegen den Iran durchgeführt. Ich bin stolz auf die Errungenschaften des Sicherheitsapparats. Ich vertraue den Kommandanten und den Soldaten. Israels Sicherheit war und ist die Aufgabe meines Lebens, der ich mich widme. Seit dem 7. Oktober habe ich mich nur auf ein einziges Thema konzentriert: den Sieg im Krieg.“
Weiter erklärte er, bei seiner Entlassung gehe es um drei Themen: die Notwendigkeit, die Befreiung fast aller ultra-orthodoxen Juden vom Wehrdienst abzuschaffen; die Bedeutung eines Deals zur Freilassung der noch immer von der Hamas im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln; und die Notwendigkeit einer sofortigen, umfassenden Untersuchung des Versagens der Israelischen Verteidigungskräfte, der Geheimdienste und der Regierung, einschließlich Netanjahus, die das Eindringen von Gruppen aufständischer Palästinenser am 7. Oktober 2023 möglich gemacht haben.
Gallant stellte den Streit um die Beendigung der Freistellung von ultra-orthodoxen Juden vom Militärdienst (auch als Haredim bekannt) während ihres Studiums in religiösen Schulen (Jeschiwas) in den Mittelpunkt. Die Frage hat Netanjahus Koalition erschüttert, vor allem angesichts zunehmender Bedenken, dass die IDF nicht genug Soldaten haben könnte, um gleichzeitig gegen die Palästinenser im Gazastreifen und dem Westjordanland, gegen die Hisbollah im Libanon, den Iran und dessen Verbündete in Syrien und dem Jemen Krieg führen zu können.
Gallant betonte: „Jeder im wehrfähigen Alter muss in den IDF dienen und den Staat Israel verteidigen. Es geht nicht mehr nur um eine soziale Frage, sondern um die für unsere Existenz wichtigste Angelegenheit: die Sicherheit des Staates Israel und der Menschen, die in Zion leben. In diesem Kampf haben wir hunderte Soldaten verloren, tausende wurden verwundet und versehrt, und der Krieg dauert noch immer an. Die kommenden Jahre werden für uns komplexe Herausforderungen bergen; die Kriege sind noch nicht vorbei und der Schlachtenlärm noch nicht verklungen. Unter diesen Umständen gibt es keine Wahl: Alle müssen in den IDF dienen und sich an der Aufgabe beteiligen, den Staat Israel zu verteidigen.“
Im Verlauf des völkermörderischen Angriffs auf den Gazastreifen wurden mindestens 772 Soldaten und Angehörige der Sicherheitskräfte getötet, mindestens 12.000 wurden verwundet. Zudem mussten zehntausende Reservisten monatelang dienen, was unter säkularen Israelis die Wut über die zunehmende Dominanz der religiösen Behörden über das tägliche Leben verstärkt.
Letzten Juni ordnete das Oberste Gericht an, die Freistellung von Haredim bis November dieses Jahres zu beenden; Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara erklärte später, Wehrdienstverweigerer würden keine staatliche Unterstützung oder Subventionen für Kindertagesstätten mehr erhalten. Knapp die Hälfte der ultra-orthodoxen Männer arbeitet nicht und ist auf die von den ultra-religiösen Parteien ausgehandelten Zulagen angewiesen, die der Preis für ihre Unterstützung des Machterhalts von Netanjahu sind.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Ein von der Regierung unterstützter Gesetzesentwurf, der das Urteil der Generalstaatsanwältin aufheben und die Versorgung von Kindern für Vollzeitstudenten der Jeschiwa, die sich dem Wehrdienst entziehen, mit 54 Millionen Dollar subventionieren sollte, sorgte für Empörung. Er galt als Gegenleistung für die Unterstützung der religiösen Parteien für den Haushalt 2025. Als mindestens neun Mitglieder seiner eigenen Koalition, darunter Gallant, damit drohten, den Gesetzentwurf abzulehnen, sah sich Netanjahu gezwungen, ihn zurückzuziehen.
Netanjahu weigert sich, einen Deal zur Freilassung der verbliebenen etwa einhundert Geiseln im Gazastreifen auch nur in Erwägung zu ziehen. Letzte Woche hatte ein Gericht eine Nachrichtensperre teilweise aufgehoben, die für eine Untersuchung der Leaks aus Diskussionen mit der Hamas über die Freilassung der Geiseln galt. Die Leaks waren letzten August von einem angeblichen Journalisten in der britischen Jewish Chronicle und der deutschen Bild-Zeitung veröffentlicht worden, um die Verhandlungen zu untergraben. Fünf Personen, darunter einer von Netanjahus Medienberatern, wurden verhaftet. Das Forum für Geiseln und vermisste Familien äußerte „Empörung und große Besorgnis“ darüber, dass Regierungsvertreter „die Unterstützung der Öffentlichkeit für einen Geiseldeal untergraben haben.“
Gallants Entlassung ereignete sich vor dem Hintergrund zunehmender Besorgnis des militärischen Establishments, dass sich das Militär im Krieg im Libanon und dem Gazastreifen erschöpft habe und hohe Verluste an Menschenleben drohten, wenn die IDF dort bleiben müssten. Teile des Militärs würden einen Deal vorziehen, um einen Waffenstillstand auszuhandeln und sich auf den Konflikt mit dem Libanon und dem Iran zu konzentrieren.
Gallant hat eine wichtige Rolle bei den Diskussionen mit der Biden-Regierung gespielt, die Israels Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser im Gazastreifen finanziert und gesteuert hat, und im Krieg gegen den Iran und seine Verbündeten im Libanon, Syrien und dem Jemen. Er wurde am gleichen Tag entlassen, an dem klar wurde, dass Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl gewonnen hat. Netanjahu gratulierte Trump überschwänglich zu dem „größten Comeback in der Geschichte“ und bezeichnete seinen Erfolg als „riesigen Sieg“ und „Neuanfang für Amerika und ein mächtiges neues Bekenntnis zum großen Bündnis zwischen Israel und Amerika.“
Trump, der in beträchtlichem Ausmaß von der evangelikalen christlichen Bewegung in den USA unterstützt wird, die wiederum seit langem das zionistische Projekt unterstützt, hat sich im Wahlkampf widersprüchlich über den Krieg im Gazastreifen geäußert. Er hat abwechselnd die Proteste gegen Israel verurteilt und den arabischstämmigen US-Bürgern Frieden im Gazastreifen und dem Libanon versprochen. Doch Netanjahu rechnet damit, dass Trump ihn nach seiner Amtsübernahme unterstützen wird.
In seiner Amtszeit von 2017-2021 hatte Trump Netanjahu uneingeschränkt unterstützt; die Büros der Palästinensischen Befreiungsorganisation in Washington geschlossen; Jerusalem als israelische Hauptstadt anerkannt und die US-Botschaft dorthin verlegt; Israels Souveränität über die besetzten syrischen Golanhöhen anerkannt; sich aus dem UN-Menschenrechtsrat zurückgezogen; der Palästinenserbehörde im Westjordanland die Mittel um 200 Millionen Dollar gekürzt; einseitig das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt; das Abraham-Abkommen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Sudan und Marokko ausgehandelt; die Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) als Terrororganisation eingestuft; ihren General Qassem Soleimani ermordet und die Beziehungen der USA mit den Diktatoren in Saudi-Arabien und Ägypten gestärkt.
Netanjahu erkennt die Gefahr, die von Trumps Aufruf an Israel ausgeht, seine Kriege im Gazastreifen und dem Libanon zu beenden, bevor er im Januar sein Amt übernimmt. Daher folgt er mit der Entlassung Gallants Israels altbewährter Politik „vollendete Tatsachen zu schaffen“ und bereitet sich auf eine noch aggressivere Militärpolitik vor, damit die neue Trump-Regierung ihn unterstützen muss.