Nach ukrainischem Angriff auf Kursk häufen sich Forderungen nach einer Eskalation gegen Russland

Am Wochenende setzte die Ukraine ihre Offensive in der russischen Region Kursk fort, obwohl russische Regierungsvertreter behauptet hatten, die Offensive sei eingedämmt worden.

Kinder verlassen der Region Kursk Richtung Moskau, das Bild zeigt Angehörige mit Koffern, 9. August 2024 [AP Photo/Government of Kursk]

US-amerikanische und europäische Medien zeigten sich begeistert von der „zweiten Schlacht um Kursk“, wie es The Economist in Anspielung auf die Schlacht im Zweiten Weltkrieg formulierte. Damals hatten sowjetische Truppen, die mit den USA, Frankreich und England verbündet waren, die Armeen Hitler-Deutschlands entscheidend geschlagen. 81 Jahre später werden deutsche gepanzerte Fahrzeuge auf fast dem gleichen Gebiet im Kampf gegen Russland eingesetzt, diesmal mit amerikanischen Fahrzeugen an ihrer Seite.

Regierungsvertreter der Ukraine, der USA und der Nato schweigen über die operativen Details der Offensive, sodass allein Material aus den sozialen Medien Aufschluss über die Situation gibt.

Am Freitag wurde in den sozialen Medien Material veröffentlicht, das angeblich von US-Medien verifiziert wurde. Darin sind die Folgen eines ukrainischen Angriffs auf eine gepanzerte Infanteriekolonne russischer Verstärkungstruppen zu sehen, die an die Front verlegt wurden. Es liegen zwar keine offiziellen Zahlen vor, doch das Video zeigt etwa ein Dutzend zerstörte Fahrzeuge und zahlreiche Tote. Dies führte zu noch unbestätigten Spekulationen, dass bei dem Angriff möglicherweise Hunderte von russischen Soldaten getötet wurden.

Der Gouverneur der Region Kursk Alexej Smirnow erklärte, die russische Regierung habe den Ausnahmezustand ausgerufen und die Einwohner angewiesen „ruhig zu bleiben, Kampfgeist zu bewahren, sich gegenseitig zu unterstützen und nicht in Panik und Verzagtheit zu verfallen“. Berichten zufolge wurden bislang etwa 3.000 Personen aus der Region evakuiert.

Daneben veröffentlichten ukrainische Truppen ein Video, in dem sie behaupteten, die Stadt Sudscha, die etwa neun bis zehn Kilometer hinter der russischen Grenze liegt, vollständig eingenommen und eine wichtige Erdgasanlage erobert zu haben.

Stand der ukrainischen Offensive in Kursk am 9. August 2024 [Photo by Ecrusized / CC BY 1.0]

Die US-Medien reagieren auf den ukrainischen Vorstoß in die russische Region Kursk mit Forderungen nach einer weiteren Lockerung der Regeln für Angriffe auf Russland mit Nato-Waffen, wodurch eine direkte Konfrontation zwischen der Nato und Russland immer näher rückt.

Das Wall Street Journal drängt in einem Leitartikel: „Werden die USA Kiew helfen, in der Offensive zu bleiben?“ Darin verlangt die Zeitung von der Biden-Regierung, weitere „Rote Linien“ für eine direkte Beteiligung am Krieg gegen eine Atommacht zu überschreiten. Das Journal schreibt:

Dass die Russen überrascht wurden, zeigt, für wie sicher sie ihr Staatsgebiet gehalten haben. Das ist eines der Ziele von Putins lauten Drohungen mit einem Kampf gegen die Nato und dem Einsatz von Atomwaffen. Er will, dass die USA und die westeuropäischen Regierungen die Ukraine dazu bringen, nur auf ihrem eigenen Gebiet zu kämpfen.

Der Leitartikel schließt mit der Bemerkung: „Die beste Reaktion wäre, der Ukraine noch mehr Waffen zu liefern, darunter Langstreckenraketen, mit denen sie Stützpunkte und Versorgungslinien in Russland angreifen kann, und die Beschränkungen für den Einsatz von ATACMS-Raketen aufzuheben.“

Der Kolumnist der Washington Post Max Boot bekräftigt diese Forderungen nach einer US-Eskalation in einer Kolumne:

Die Biden-Regierung hat sich zwar nicht über den Einsatz von US-Fahrzeugen bei dieser Offensive beschwert, aber der Ukraine andererseits offensichtlich auch noch nicht die Erlaubnis erteilt, die ATACMS-Raketen für Angriffe auf russische Flugplätze und andere Ziele tief im Inneren Russlands zu benutzen. Angesichts der Tatsache, dass die Ukraine mutmaßliche russische „Rote Linien“ ungestraft überschreitet, sollte Präsident Joe Biden bereit sein, dieses Risiko einzugehen.

Beide Kommentare sind im Grunde Abwandlungen der Erklärung, die Mychailo Podoljak, ein Berater des ukrainischen Premierministers Wolodymyr Selenskyj, am vergangenen Donnerstag auf X/Twitter abgab. Darin erklärt er, aufgrund des ukrainischen Angriffs würde „ein beträchtlicher Teil der internationalen Gemeinschaft [Russland] als legitimes Ziel für jegliche Operationen und Waffentypen halten. ... Die #Ukraine hat erfolgreich gegen historisch starke pro-russische Sympathien in einigen Teilen der Welt und die Angst vor einer Eskalation im Westen gekämpft.“

Im Mai hatte der damalige britische Außenminister David Cameron gegenüber Reuters erklärt, die Ukraine dürfe die von Großbritannien gelieferten Langstreckenraketen für Angriffe auf russisches Territorium benutzen.

Im April bestätigte die US-Regierung, sie habe der Ukraine heimlich Langstreckenraketen geliefert, mit denen sie Ziele in einer Entfernung von mehr als 300 Kilometern angreifen kann. Diese Waffen hat die Ukraine im Mai für einen Angriff auf einen Luftwaffenstützpunkt auf der Krim benutzt und später auch beim Angriff auf die Hafenstadt Berdjansk am Asowschen Meer.

US-Sicherheitsberater Jake Sullivan bestätigte im März, dass die USA die Waffen heimlich geliefert haben: „Sie sind jetzt in der Ukraine und zwar schon seit einiger Zeit.“

Im Mai 2022 hatte Biden noch erklärt: „Wir ermutigen oder befähigen die Ukraine nicht dazu, Ziele jenseits ihrer Grenzen anzugreifen.“ Und im September 2022 sagte er: „Wir werden der Ukraine keine Raketensysteme schicken, mit denen sie Ziele in Russland angreifen kann.“

Im Juli erklärte US-Sicherheitsberater Jake Sullivan jedoch, die USA würden der Ukraine erlauben, von ihnen gelieferte Waffen für Angriffe „überall“ auf russischem Staatsgebiet einzusetzen.

Bislang wurden offenbar keine Langstreckenraketen aus US-Produktion für Angriffe tief im Inneren Russlands eingesetzt. Allerdings wird die derzeitige Medienkampagne über die Kursk-Offensive benutzt, um die US-Einsatzregeln erneut auszuweiten.

Der jüngste Angriff erfolgt im Anschluss an den Nato-Gipfel in Washington, bei dem die Weitergabe und die logistische Kontrolle der westlichen Unterstützung für die Ukraine unter die Verantwortung der Nato gestellt wurde. Daneben wurden umfassende Pläne für die Neuorganisation der Nato-Truppen umgesetzt, um Hunderttausende von Nato-Truppen für eine mögliche Beteiligung an einem schrankenlosen Krieg in erhöhte Alarmbereitschaft zu versetzen.

Am Freitag kündigte das US-Verteidigungsministerium die Lieferung weiterer Waffen an die Ukraine im Wert von 125 Millionen Dollar an. Dazu gehören laut dem Institute for the Study of War: „HIMARS-Systeme, 155-mm- und 105-mm-Artilleriemunition, Stinger-Raketen; Javelin- und AT-4-Panzerabwehrsysteme, TOW-Panzerabwehrraketen, Mehrzweckradare, HMMWV-Mehrzweck-Radfahrzeuge, Munition für Handfeuerwaffen, Sprengmunition sowie weiteres Gerät und Munition.“

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