Frankreich: Regierungsbildung der Neuen Volksfront scheitert

Der Versuch der Nouveau Front populaire (NFP, Neue Volksfront), nach dem Sieg in den vorgezogenen Parlamentswahlen am 7. Juli einen Premierminister zu benennen und eine Regierung zu bilden, ist am Dienstagabend kläglich gescheitert. Die beiden wichtigsten Parteien der NFP, die pro-kapitalistische Parti socialiste (PS, Sozialistische Partei) und Jean-Luc Mélenchons kleinbürgerlich-populistische Partei La France insoumise (LFI, Unbeugsames Frankreich), haben die Gespräche abgebrochen, nachdem sie die von der jeweils anderen Partei vorgeschlagenen Kandidaten für das Amt des Premierministers abgelehnt hatten.

Passanten vor einem Wahlplakat für die Neue Volksfront in Paris am 22. Juni 2024, vor der ersten Runde der Parlamentswahl [AP Photo/Thibault Camus]

Dieses Scheitern der Regierungsbildung ist ein Verrat an den Hoffnungen aller Arbeiter und Jugendlichen, die in der Erwartung für die NFP gestimmt hatten, sie würde eine Regierung bilden, die sowohl gegen den „Präsidenten der Reichen“ Macron als auch gegen den rechtsextremen Rassemblement National (RN, Nationale Sammelbewegung) kämpft. Stattdessen verfiel sie in erbitterte interne Fraktionskämpfe, selbst als Macron den Rücktritt von Premierminister Gabriel Attal forderte und entgegennahm. Das eröffnet der herrschenden Klasse die Möglichkeit, noch rechtere Regierungen zu bilden, so wie es Innenminister Gérald Darmanin mit der rechten Partei Les Républicains (LR, Die Republikaner) vorschlägt.

Diese Ereignisse bestätigten in rasanter Weise die Warnungen der Parti de l’égalité socialiste (PES, Sozialistische Gleichheitspartei). Durch den Aufbau der NFP im Bündnis mit der PS, der stalinistischen Parti communiste français (PCF, Kommunistischen Partei Frankreichs) und den Grünen hat Mélenchons LFI der Arbeiterklasse eine politische Falle gestellt. Zunächst verbündete sie sich offen mit der PS, aus der Macron selbst hervorgegangen ist, und dann mit Macrons Koalition Ensemble, angeblich um Stimmen für den Rassemblement National zu verhindern.

Die Rolle der NFP entlarvt jetzt den Bankrott des parlamentarischen Kalküls, auf dem Mélenchon seine Bündnisse erst mit der PS und dann mit Macron aufgebaut hat. Große Teile der NFP fordern, dass sie ihr eigenes Wahlprogramm aufgibt und eine Position als Juniorpartner in einer von Macron geführten Regierung einnimmt, die eine Spar- und Kriegspolitik gegen den Willen der Mehrheit der französischen Bevölkerung vertritt.

Am Wochenende schlugen die PCF und dann die LFI Huguette Bello, die stalinistische Präsidentin des Regionalrats der Insel La Réunion, als Premierministerin vor. Die PS legte ihr Veto gegen Bello ein und schlug stattdessen Professorin Laurence Tubiana vor, deren Kandidatur rasch von der PCF und den Grünen unterstützt wurde. Tubiana ist ein ehemaliges Mitglied der kleinbürgerlichen pablistischen Ligue communiste révolutionnaire (LCR, Revolutionär-kommunistische Liga), war an der Ausarbeitung des Pariser Klimaabkommens 2015 beteiligt und 2018 als Macrons Umweltschutzministerin im Gespräch.

Bevor sie die Unterstützung der PS erhielt, hatte Tubiana einen in Le Monde veröffentlichten offenen Brief mitunterzeichnet, in dem die NFP zur Bildung einer Regierung mit Macron aufgefordert wird. Darin wurde die „Wiederherstellung des sozialen Friedens“ gefordert und die Befürchtung geäußert, dass „Frankreich für einige Zeit ohne echte Regierung bleiben könnte“. Weiter heißt es: „Deshalb muss die NFP unverzüglich allen anderen Akteuren der demokratischen Front die Hand reichen, um ein demokratisches Notfallprogramm zu diskutieren und eine entsprechende Regierung zu bilden.“

In dem Brief wird darauf hingewiesen, dass die große Mehrheit der Gewerkschaften, akademischen Institutionen und staatlich finanzierten Verbände, die die NFP unterstützen, ein Bündnis mit Macron wollen. Deshalb werde man sich jedem entgegenstellen, der eine enge Verbindung mit Macron verhindere. Darin heißt es:

Wir wissen, dass die Zivilgesellschaft (Verbände, Gewerkschaften, Denkfabriken, etc.) bereit ist, der NFP bei der Aufstellung eines Notprogramms zu helfen, das die Unterstützung eines Großteils des Landes gewinnen kann. Und wenn einige es vorziehen sollten, ihre engstirnigen parteipolitischen Interessen über die übergeordneten Interessen der Nation zu stellen, wüsste diese Zivilgesellschaft, wie sie mobilisiert, um sie zur Vernunft zu bringen.

In dem offenen Brief wird zynisch zugegeben, dass ein Bündnis mit Macron den sofortigen Verzicht auf die geringfügigen sozialen Versprechen im Wahlprogramm der NFP erfordern würde, die ihr im Wahlkampf mehr als sieben Millionen Stimmen gebracht haben. Allerdings wird dies rundheraus mit dem Argument abgetan, Arbeiter und Jugendliche wären nicht verärgert, wenn die NFP ihre Wahlversprechen brechen würde. Die Unterzeichner rufen zu Gesprächen zwischen NFP und Macron auf und erklären:

Der Ausgangspunkt solcher Gespräche wird seitens der NFP natürlich ihr Programm sein. Doch jeder weiß und gibt bereits im Voraus offen zu, dass wir uns nicht in jedem Punkt durchsetzen können. Und es wird in unserem Land nur wenige Menschen geben, die über die NFP verärgert sein werden, weil sie in dem einen oder anderen Punkt von diesem Programm abweicht, wenn Frankreich dafür stabil und in versöhnender Weise regiert werden kann.

Tubianas Eintreten für ein Bündnis mit dem französischen Präsidenten ist Lug und Trug. Eine Regierung unter Macron, egal ob mit oder ohne die NFP, wird kein stabiles Regime sein, das die Arbeiter versöhnt, sondern ein rechtsextremer Polizeistaat, der imperialistischen Krieg im Ausland und Klassenkrieg im Inland führt. Sie würde nicht die „übergeordneten Interessen“ der großen Mehrheit der Bevölkerung verteidigen, sondern die imperialistischen Interessen der französischen Banken und der Nato.

In dem Brief wird Macrons Forderung nach der Entsendung von Truppen in die Ukraine für den Krieg mit Russland ebenso wenig erwähnt wie seine Rentenkürzungen im letzten Jahr, mit denen die Erhöhung der Militärausgaben finanziert wurde. Und auch der israelische Völkermord in Gaza und Macrons Unterstützung für die israelische Regierung werden nicht genannt. Schweigen bedeutet Zustimmung. Tubiana und ihre Anhänger in der NFP würden diese Politik unterstützen, um sich mit Macron zu verbünden, selbst wenn sie von der überwältigenden Mehrheit der französischen Bevölkerung, vor allem der Arbeiter, abgelehnt wird.

Mehrere führende Politiker der LFI verurteilten den Vorschlag der PS, Tubiana als Premierministerin vorzuschlagen. Der nationale Organisator der LFI, Manuel Bompard, behauptete, das sei „nicht ernsthaft“.

Paul Vannier, ein Mitglied der Wahlkommission von LFI, twitterte: „Ich kann nicht glauben, dass [der erste Sekretär der PS] Olivier Faure nach dem Veto gegen die Kandidatur von Huguette Bello versucht, der Neuen Volksfront eine Macron-kompatible Kandidatin als Premierministerin aufzuzwingen. Das würde bedeuten, die Versprechen, die Millionen von Wählern gegeben wurden, zu verraten.“

Verrat ist genau das, was die PS, die PCF und die Grünen tun. Allerdings entlarvt dies auch die Rolle von Mélenchon und der LFI, die sich mit ihnen verbündet und sie fälschlich als „links“ dargestellt haben. Es war nicht schwer vorherzusehen, dass sich die PS als Verbündete der Banken und Feindin der Arbeiter offenbaren würde. Als sie zuletzt von 2012 bis 2017 unter Präsident François Hollande an der Regierung war, setzte sie ihre Kriegspolitik in Syrien und Mali um, baute im Inland den Polizeistaat aus und setzte einen umfassenden Sparkurs durch.

Doch seit der vernichtenden Wahlniederlage der PS im Jahr 2017 und der Machtübernahme durch Macron hat Mélenchon versucht, diese diskreditierten Parteien der kapitalistischen Herrschaft zu unterstützen. Im Jahr 2022 gründete er mit ihnen gemeinsam die Nouvelle union populaire écologique et sociale (Nupes, Neue Volksunion), die er angesichts der Gefahr eines Siegs der extremen Rechten bei den Wahlen im Juli 2024 in Neue Volksfront umbenannte. Auch das Programm der NFP, so muss man hinzufügen, sieht die Entsendung von Truppen in die Ukraine und die Stärkung des Militärs, der Polizei und der Geheimdienste vor. Diese Politik steht in keinerlei Widerspruch zu einer Regierung unter Macron.

Mélenchon verschenkte im Rahmen seiner Wahlabsprachen in diesem Monat derart viele Sitze an Kandidaten von Macron, der PS, den Grünen oder der PCF, dass seine LFI in der Nationalversammlung nur noch über 72 Sitze verfügt. Innerhalb der NFP befindet er sich damit nun in einer Minderheitsposition, obwohl er bei deren Aufbau die zentrale Rolle gespielt hat. Zudem verlassen bedeutende Teile der LFI selbst, nicht zuletzt François Ruffin und Clémentine Autain, die Partei, um den Grünen beizutreten. Das gesamte Vorgehen der LFI über die letzten Jahre hat systematisch rechte Parteien wie die PS gestärkt, die ihr selbst und vor allem der Arbeiterklasse und dem Sozialismus feindlich gegenüberstehen.

In Bezug auf die Rolle, die wohlhabende kleinbürgerliche Akademiker und Gewerkschaftsbürokraten spielen, ist dies eine Erfahrung mit vernichtenden Auswirkungen. Diese Gruppen haben jahrzehntelang das geprägt, was die kapitalistischen Medien als „linke“ Politik propagierten. In solchen Dokumenten wie Tubianas Brief zeigen sie ihr wahres Gesicht als politische Kraft, die Macron und den „sozialen Frieden“ gegen die explosive Wut der Arbeiterklasse verteidigt. Durch ihr Bündnis mit Macron bereiten sie Marine Le Pens faschistischem Rassemblement National politisch den Weg, der sich so auch weiterhin in betrügerischer Weise in die Pose der einzig wahren Opposition gegen Macron werfen kann.

Die Arbeiterklasse wird unweigerlich in explosive Konflikte mit der neuen Regierung geraten – unabhängig davon, wer die Wahl schließlich gewinnt. Die Streiks und Proteste für zahlreiche Forderungen – für die Beendigung des Kriegs mit Russland, des Völkermords, der Sparmaßnahmen, des Polizeistaats, der einwandererfeindlichen Hysterie und des Neofaschismus – werden weitergehen und müssen sich zu einer breiten Bewegung gegen Macron und den Neofaschismus entwickeln. Die wesentliche Voraussetzung dafür ist jedoch die Entwicklung einer revolutionären marxistischen Führung unter Arbeitern und Jugendlichen nicht nur gegen Macron, sondern auch gegen seine pseudolinken Verteidiger.

Loading