Perspektive

Neue Korruptionsermittlungen gegen US-Autoarbeitergewerkschaft

„Reform“ der UAW unter Fain entpuppt sich als Mogelpackung

Der UAW-Präsident Shawn Fain und der UAW-Vizepräsident für Stellantis Rich Boyer während eines Livestreams am 2. November 2023 [Photo: UAW]

Am Montag wurde bekannt, dass gegen die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) erneut Ermittlungen laufen. Die Krise im UAW-Apparat spitzt sich deutlich zu.

Der UAW-Präsident Shawn Fain und die Schatzmeisterin Margaret Mock – die beiden ranghöchsten Funktionäre der UAW – werden des finanziellen Fehlverhaltens verdächtigt. Dies geht aus einem Bericht hervor, der am Montag beim zuständigen Bundesgericht eingereicht wurde. Verfasser ist der Aufseher über die UAW, der nach dem Korruptionsskandal im Mai 2021 gerichtlich eingesetzt worden war. Gegen ein weiteres Mitglied des UAW-Vorstands, einen im Bericht nicht genannten Regionalleiter, wird ebenfalls ermittelt, und zwar wegen des Verdachts der Veruntreuung.

Anfang dieses Jahres hatte Shawn Fain, seit März 2023 Präsident der UAW, Schritte in die Wege geleitet, um zunächst Mock und dann auch den UAW-Vizepräsidenten Rich Boyer von ihren Posten abzusetzen. Zur Begründung führte er an, die beiden hätten ihre Pflichten nicht erfüllt. Mock und Boyer hielten dem entgegen, dass Fain sich an ihnen rächen wolle, weil sie sich gegen finanzielle Verfehlungen gesperrt und sich geweigert hätten, Gewerkschaftsgelder zu veruntreuen.

Alle drei – Fain, Mock und Boyer – hatten bei den Wahlen des UAW-Präsidenten 2022-2023 auf derselben Liste namens „Members United/Unite All Workers for Democracy (UAWD)“ kandidiert. Sie hatten versprochen, die UAW zu reformieren, die Korruption auszumerzen und „Transparenz“ und „Gewerkschaftsdemokratie“ wiederherzustellen.

Aber nun erklärte der gerichtlich bestellte Aufseher unverblümt, dass Fains Büro seine diesbezüglichen Ermittlungen „behindert und stört“ und sich weigert, Zehntausende von Dokumenten herauszugeben, die im Rahmen der Ermittlungen angefordert wurden.

Der Bericht des Aufsehers wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet, und enthält keine detaillierten Informationen über das mutmaßliche Fehlverhalten. Der angeblich „unabhängige Aufseher“, der in Wirklichkeit von zwei Anwaltskanzleien mit engen Verbindungen zu den Autokonzernen ausgewählt wurde, macht in seinem Bericht deutlich, dass er sich intensiv um eine Vereinbarung mit dem UAW-Apparat bemüht hat, um die betreffenden Dokumente vor den UAW-Mitgliedern und der breiten Öffentlichkeit geheim zu halten.

Die Arbeiter haben jedoch ein Recht darauf, darüber informiert zu werden, wohin ihre Beiträge fließen und ob die UAW-Führung sie möglicherweise veruntreut. Sie sollten sich der Forderung von Will Lehman, einem Arbeiter bei Mack Trucks, nach der Freigabe aller Dokumente im Zusammenhang mit den Ermittlungen anschließen.

Selbst aus den spärlichen Informationen, die der Aufseher zur Verfügung gestellt hat, geht hervor, dass die UAW nach wie vor von einer korrupten Bürokratie beherrscht wird, die hinter dem Rücken der Mitglieder agiert.

Auch unter ihrem neuen Präsidenten Fain ist die UAW-Bürokratie eine unternehmerfreundliche Institution geblieben, die ganz andere soziale und materielle Interessen verfolgt als die Arbeiter, die sie zu vertreten vorgibt. Hunderte Bürokraten in der UAW-Zentrale „Solidarity House“ kassieren weiterhin sechsstellige Gehälter und genießen besondere Privilegien, und die „UAW, Inc.“ hat ein Aktien- und Investmentportfolio von mehr als 1 Milliarde Dollar angehäuft.

Unterdessen wurden seit Anfang des Jahres Tausende von Automobilarbeitern im Rahmen von Fains angeblich „historischen“ Tarifverträgen bei den drei großen US-Autoherstellern vorübergehend oder endgültig entlassen. Die Löhne liegen inflationsbereinigt unter dem Niveau von vor 20 Jahren, und die Arbeitswoche ist länger und anstrengender geworden. Zudem herrschen in den Fabriken weiterhin lebensgefährliche Bedingungen, wie erst vor kurzem der grausame Tod des 28-jährigen Daulton Simmers in einer Gießerei von Caterpillar gezeigt hat.

Die Korruptionsermittlungen gegen die UAW begannen vor fast zehn Jahren. Vorausgegangen war eine Rebellion der Beschäftigten von Fiat-Chrysler gegen einen Tarifvertrag von 2015, in dem die UAW große Zugeständnisse an das Unternehmen gemacht hatte. Die Rebellion gegen diesen Ausverkauf rief offenbar in Teilen des Staates die Befürchtung hervor, dass die offene Kriminalität der Spitzenfunktionäre die Fähigkeit der UAW, die Basis unter Kontrolle zu halten, endgültig untergrub.

Bei den anschließenden Ermittlungen wurde eine weitreichende Verschwörung der UAW-Führung aufgedeckt. Es kam heraus, dass sie Mitgliedsbeiträge veruntreut hatte und sich von den Autokonzernen bestechen ließ, um Tarifverträge in deren Sinne abzuschließen. Zwei ehemalige UAW-Präsidenten, die zuvor behauptet hatten, mit der Korruption in der Gewerkschaft „aufzuräumen“, wurden gerichtlich angeklagt und bekannten sich schuldig.

Im Jahr 2022 wurde die nationale Führung der Gewerkschaft erstmals direkt gewählt, nachdem sich die UAW-Mitglieder 2021 mit überwältigender Mehrheit für ein solches Verfahren ausgesprochen hatten – gegen den Widerstand der langjährigen UAW-Führungsriege.

Die alteingesessene UAW-Bürokratie setzte alles daran, die Arbeiterinnen und Arbeiter über die Wahlen im Unklaren zu lassen und sie an der Stimmabgabe zu hindern. In der ersten Runde lag die Wahlbeteiligung bei nur 9 Prozent, dem niedrigsten Wert bei einer nationalen Gewerkschaftswahl in der Geschichte der USA. In der Stichwahl um das Amt des UAW-Präsidenten im Jahr 2023 setzte sich Fain mit einem Vorsprung von nur 500 Stimmen durch und wurde schließlich mit den Stimmen von nur 3 Prozent der UAW-Mitglieder gewählt.

Der UAW-Apparat war besonders erpicht darauf, zu verhindern, dass die Kandidatur des Sozialisten und Mack-Trucks-Arbeiters Will Lehman für das Amt des UAW-Präsidenten bekannt wurde. Lehman war der einzige Kandidat, der die Abschaffung – und nicht die Reform – der UAW-Bürokratie forderte. Lehman trat dafür ein, dass alle Entscheidungen direkt von der Basis getroffen werden, die sich dazu in einem Netz aus Aktionskomitees organisiert. Obwohl die Bürokratie für eine extrem niedrige Wahlbeteiligung sorgte, erhielt Lehman im ersten Wahlgang fast 5.000 Stimmen.

In einer Reihe von offiziellen Anfechtungen und Prozessen dokumentierte und bekämpfte Lehman die Sabotage des Wahlrechts durch den UAW-Apparat. Im November letzten Jahres forderte Lehman, dass die Frist für die Stimmabgabe verlängert und alle UAW-Mitglieder ordnungsgemäß über die Wahlen informiert werden.

Der gerichtlich bestellte Aufseher und das Arbeitsministerium der Regierung Biden stellten sich jedoch auf die Seite des UAW-Apparats und wiesen die Klage Lehmans ab, um die Wahlen als legitim und den Vorsitz Fains als stabil erscheinen zu lassen.

Doch heute beginnt die Glaubwürdigkeit der Fain-Führung, die nie besonders stark war, ernsthaft zu bröckeln.

Die genauen Ursachen für die Konflikte innerhalb der UAW-Führung sind nicht klar. Fest steht, dass sie mit der wachsenden Wut der einfachen Mitglieder zusammenhängen. Es gibt viel Empörung über den Ausverkauf des Tarifkampfs bei den drei großen US-Autoherstellern im Herbst 2023. Außerdem sind viele Arbeiter wütend darüber, dass die UAW „Genocide Joe“, den Völkermörder im Weißen Haus unterstützt. Nur wenige Tage, bevor der Bericht des Aufsehers vorgelegt wurde, beendete die UAW den Streik Zehntausender Beschäftigter an der University of California, die die Arbeit niedergelegt hatten, um gegen die polizeiliche Unterdrückung der Proteste gegen den Gazakrieg zu protestieren.

Nach kaum mehr als einem Jahr haben sich die Reformversprechen des neuen UAW-Präsidenten Fain als Lügen herausgestellt, mit denen der arbeiterfeindlichen Politik der Gewerkschaftsbürokratie ein neuer Anstrich verpasst werden sollte. Sowohl Fain als auch seine ehemaligen Mitstreiter, die ihn heute kritisieren, sind in den Reihen des Apparats aufgestiegen. Alle haben sie sich an zahlreichen Ausverkäufen der Arbeiterinteressen beteiligt.

Der jüngste UAW-Skandal stellt auch eine Krise für das Weiße Haus dar. Biden, der wegen seiner Rolle beim Völkermord in Gaza und seiner konzernfreundlichen Politik zunehmend in Verruf gerät, hat auf den UAW-Präsidenten Fain gesetzt, um die wachsende Militanz der Autoarbeiter einzudämmen. Anfang des Jahres pries Biden ihn in seiner Rede zur Lage der Nation als großen „Arbeiterführer“. Und Fain, der mit radikalen Phrasen um sich wirft, ist mittlerweile einer der wichtigsten Werber für Bidens Wiederwahl.

Biden verfolgt eine Politik des Korporatismus, d. h. er integriert den Gewerkschaftsapparat in den Staat und die Unternehmensführungen, um die Arbeiterklasse dem Krieg unterzuordnen. Wenn Fain und Biden vom „Arsenal der Demokratie“ faseln, dann meinen sie die Vorbereitung der Wirtschaft auf die Eskalation des Kriegs gegen Russland und einen Krieg gegen China.

Die jüngsten Enthüllungen sind zudem eine vernichtende Entlarvung all jener, die – wie die pseudolinken Democratic Socialists of America (DSA) – behauptet haben, der UAW-Apparat könne „reformiert“ und in den Dienst der Arbeiter gestellt werden. In Wirklichkeit dient Fains Führung dazu, die DSA-Aktivisten, die Mitglieder der Demokratischen Partei sind, in führende Positionen innerhalb des UAW-Apparats zu hieven, wo sie als Strategen, Sprecher und Vermittler zum Weißen Haus dienen sollen.

Es ist bezeichnend, dass die DSA und ihr Sprachrohr Jacobin, ebenso wie Labor Notes und UAWD, sich seit Bekanntwerden der Ermittlungen in schuldbewusstes Schweigen hüllen.

Aus dieser Erfahrung gilt es wichtige Lehren zu ziehen. Die Umbesetzungen an der Spitze der UAW-Bürokratie haben keines der brennenden Probleme der Arbeiter gelöst. Der UAW-Apparat ist der vielleicht deutlichste Ausdruck der reaktionären, unternehmerfreundlichen und imperialistischen Rolle der Gewerkschaftsbürokratien allgemein, von den Teamsters bis zur American Federation of Teachers und ihren zahlreichen Ablegern in den USA und international.

In einer Resolution, die im März 2023 von einer Konferenz der Aktionskomitees verabschiedet wurde, heißt es: „Die Zusammenarbeit der UAW mit der Regierung und den Konzernen, der Verrat an den Interessen der Arbeiter und die Unterdrückung ihrer demokratischen Rechte werden auch weitergehen, wenn [der frühere UAW-Präsident] Curry durch Fain abgelöst wird. Was wir brauchen, ist die Übertragung der Macht an die Basis und die Abschaffung des gesamten UAW-Apparats.“

Es ist dringend notwendig, als Teil der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees das Netzwerk der Aktionskomitees aufzubauen und den Kampf für die Interessen der Arbeiter mit dem Kampf gegen Völkermord und imperialistischen Krieg zu verbinden.

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