Eine halbe Million Palästinenser mussten vor den jüngsten israelischen Militärangriffen fliehen

Im Verlauf der letzten Woche mussten laut den Vereinten Nationen mehr als eine halbe Million Palästinenser aus der Stadt Rafah im Süden von Gaza und den nördlichen Bereichen fliehen, während das israelische Militär seinen Vernichtungskrieg dramatisch eskaliert.

Nach einem israelischen Angriff auf eine Schule des UNRWA sehen sich Palästinenser die Zerstörungen an, Nuseirat, Gazastreifen, 14. Mai 2024 [AP Photo/Abdel Kareem Hana]

Laut dem UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) wurden etwa 450.000 Menschen aus Rafah vertrieben – einer Stadt, deren Bevölkerung durch den massiven Zustrom von Menschen, die vor den israelischen Militärangriffen in anderen Teilen Gazas geflohen sind, auf 1,3 Millionen angestiegen war.

Am Dienstag betonte das UNRWA in einem Post auf Twitter/X, in welcher verzweifelten Lage sich die Männer, Frauen und Kinder befinden, die von einem Kriegsgebiet ins andere gedrängt wurden. Es erklärte: „Die Menschen leiden unter ständiger Erschöpfung, Hunger und Angst. Sie sind nirgendwo sicher. Ein sofortiger #Waffenstillstand ist die einzige Hoffnung.“

Israelische Truppen haben die Kontrolle über den Grenzübergang zu Ägypten bei Rafah übernommen und den nahegelegenen Grenzübergang Kerem Shalom nach Israel blockiert, womit der Zugang für Hilfskonvois in den südlichen Gazastreifen faktisch versperrt ist. Während der letzten Woche kamen über diese Grenzübergänge keine Lebensmittel mehr, und über die neu eröffneten Grenzübergänge im Norden kommt nur noch sehr wenig.

Laut den UN leiden etwa 1,1 Millionen Palästinenser unter katastrophalem Hunger, d.h. sie leben am Rande des Hungertods. Letzte Woche bestätigte die Leiterin des Welternährungsprogramms der UN, Cindy McCain, dass im Norden des Gazastreifens bereits eine regelrechte Hungersnot herrscht, d.h. es herrscht extremer Mangel an Nahrungsmitteln, akute Unterernährung bei Kindern, und es gibt täglich Hungertote. Jetzt hat das israelische Militär Evakuierungsbefehle für den Norden Gazas ausgegeben, wo es seine Operationen in Gebieten erneuert hat, die es zuvor für gesäubert erklärt hatte. Der stellvertretende UN-Sprecher Farhan Haq erklärte am Montag gegenüber der Presse, bisher seien mindestens 100.000 Menschen vertrieben worden.

Mit anderen Worten, alleine in der letzten Woche wurden mehr als eine halbe Million Menschen vertrieben – fast ein Viertel der 2,3 Millionen Einwohner von Gaza.

UN-Generalsekretär António Guterres erklärte am Dienstag, er sei „entsetzt über die Eskalation der militärischen Aktivitäten der israelischen Verteidigungskräfte in und um Rafah“. Er fügte hinzu, diese würden die Hilfslieferungen behindern und „eine bereits katastrophale Situation“ noch weiter verschlimmern. Er forderte einen sofortigen humanitären Waffenstillstand und die Wiedereröffnung des Grenzübergangs bei Rafah.

UN-Sprecher Haq erklärte: „Die Familien, die aus Rafah vertrieben werden, kommen an Orte, an denen es keine Unterkünfte, Latrinen oder Wasserstellen gibt. Allerdings ist es unmöglich, die Lage an den Orten mit Vertriebenen zu verbessern, wenn keine Hilfsgüter in den Gazastreifen kommen können – und wenn wir keinen Treibstoff haben, um sie innerhalb des Gazastreifens zu den bedürftigen Familien zu bringen.“

Abeer Etefa, eine Sprecherin des Welternährungsprogramms, erklärte, man verteile Nahrungsmittel aus den verbliebenen Beständen in den Gebieten um Chan Yunis im Süden und in Deir al-Balah weiter nördlich, wohin viele aus Rafah geflohen sind.

In Rafah selbst konnten nur zwei Organisationen, die mit dem WEP zusammenarbeiten, weiter Nahrungsmittel verteilen. Bäckereien gibt es nicht mehr. Etefa erklärte: „Der Großteil der Verteilungen ist wegen der Evakuierungsbefehle, der Vertreibung und fehlender Lebensmittel zum Erliegen gekommen.“

Beispielhaft für die Feindseligkeit des zionistischen Regimes und seines Militärs gegenüber den Vereinten Nationen und den Mitarbeitern von Hilfsorganisationen ist die Tötung eines UN-Sicherheitsbeamten und die Verwundung eines weiteren Mitarbeiters, als ein israelischer Panzer am Montag in der Nähe von Rafah auf ein UN-Fahrzeug schoss.

Trotz der Dementis des israelischen Militärs war das weiße UN-Fahrzeug eindeutig gekennzeichnet, und die israelischen Behörden waren im Voraus über seine Route zum europäischen Krankenhaus in Rafah informiert worden. Der getötete UN-Mitarbeiter war Waibhav Anil Kale, ein ehemaliger Oberst der indischen Armee. Bei der Verletzten handelte es sich um Yara Dababneh aus Jordanien.

Bei dem Vorfall wurde erstmals seit dem 7. Oktober ein Angehöriger des internationalen UN-Personals in Israels von den USA unterstütztem Krieg in Gaza getötet. Laut dem UNRWA wurden seit Beginn des Konflikts mindestens 188 lokale Mitarbeiter getötet.

Die US-Hilfsorganisation Human Rights Watch veröffentlichte am Dienstag einen Bericht, laut dem das israelische Militär seit dem 7. Oktober mindestens acht Angriffe auf humanitäre Helfer und ihre Konvois durchgeführt hat, bei denen mindestens 15 Menschen, darunter zwei Kinder, getötet wurden. In allen Fällen hatten die Hilfsorganisationen den israelischen Behörden ihre Routen im Voraus detailliert mitgeteilt.

Der bekannteste Fall war die Tötung von sieben Mitarbeitern der Hilfsorganisation World Central Kitchen im April durch mehrere israelische Luftangriffe auf einen Konvoi aus eindeutig gekennzeichneten Fahrzeugen, dessen Route bekannt war. Angesichts der großen internationalen Empörung entließ Israel zwei Offiziere und verwarnte drei weitere mit der Begründung, sie hätten gegen militärische Einsatzregeln verstoßen.

Bei einem weiteren Vorfall am Montag sah die israelische Polizei Berichten zufolge tatenlos zu, wie israelische Siedler im besetzten Westjordanland Lastwagen mit Hilfsgütern für Gaza angriffen. UN-Sprecher Haq erklärte: „Die Siedler entluden und beschädigten die Fahrzeuge am Kontrollpunkt Tarqumiya nahe der Sperre von Beit Awwa.“ Erst später wurden mehrere Beteiligte verhaftet.

Die katastrophalen Lebensbedingungen in Gaza verschlechtern sich weiter. Oxfam warnte vor weit verbreiteten Ausbrüchen von Krankheiten in Gaza, da an der Wasser- und Sanitärinfrastruktur Schäden in Höhe von 210 Millionen Dollar entstanden sind und seit Beginn des Sommers große Menschenmassen vertrieben wurden. Die Hilfsagentur schrieb in einer Stellungnahme: „Oxfam-Mitarbeiter in Gaza berichteten, es habe in den Straßen Haufen menschlicher Ausscheidungen und Ströme aus Abwasser gefunden, zwischen denen die Menschen herumspringen müssen. Sie berichteten außerdem, Menschen müssten schmutziges Wasser trinken und Kinder würden von Insekten gestochen, die in Schwärmen um die Abwässer fliegen.“

Ärzte ohne Grenzen teilte am Dienstag mit, ein von ihnen beliefertes Feldlazarett in Rafah habe aufgrund der israelischen Militäroperationen den Betrieb einstellen müssen. Das Rafah Indonesian Field Hospital mit 60 Betten, in dem seit Dezember Verwundete behandelt wurden, hat seine 180 Mitarbeiter abgezogen. Die verbliebenen 22 Patienten wurden in andere Einrichtungen verlegt oder nach Hause geschickt.

Nach Angaben der UN haben 24 der 36 Krankenhäuser in Gaza den Betrieb eingestellt, der Rest hält ihn nur teilweise aufrecht. Neun Feldlazarette wurden eingerichtet, sechs davon in Rafah. Doch, wie Ärzte ohne Grenzen erklärte, können die Feldlazarette „den massiven Zustrom von verwundeten Zivilisten und den überwältigenden medizinischen Bedarf nicht bewältigen. Sie können in keiner Weise ein funktionierendes Gesundheitssystem ersetzen.“

Die örtlichen Gesundheitsbehörden von Gaza erklärten am Dienstag, seit dem 7. Oktober seien durch israelische Angriffe mindestens 35.173 Menschen getötet und 79.061 verwundet worden. In den vorausgehenden 24 Stunden wurden mindestens 82 Palästinenser getötet – die höchste Zahl an Toten an einem einzigen Tag seit vielen Wochen.

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