Baltimore: Brückeneinsturz nach Kollision eines Frachters

Am Dienstagmorgen stürzte die Francis-Scot-Key-Brücke in Baltimore (Maryland) in die Chesapeake Bay, nachdem ein riesiges Containerschiff in einen der tragenden Pfeiler der Brücke gekracht war.

Ein Kutter der Küstenwache passiert das Frachtschiff, das an einem Teil der Francis Scott Key Bridge in Baltimore (Maryland) festhängt, nachdem es am 26. März 2024 mit der Brücke kollidiert war [AP Photo/Steve Helber]

Zum Zeitpunkt des Einsturzes waren acht Straßenarbeiter auf der Brücke beschäftigt. Zwei von ihnen konnten gerettet werden, einer davon mit schweren Verletzungen. Die übrigen sechs werden noch vermisst und sind vermutlich tot. Alle sechs Opfer waren Immigranten aus Mexiko und Mittelamerika, die die Fahrbahn der Brücke reparierten.

Am Dienstagabend stellten die Taucher ihre Such- und Rettungsmaßnahmen ein, da die Wassertemperatur nahe dem Gefrierpunkt lag, es nahezu keine Sicht unter Wasser gab und Gefahr durch zerstörte Metallteile oder vom beschädigten Schiff fallende Container bestand. Berichten zufolge haben Ermittler des National Transportation Safety Board (NTSB) damit begonnen, die 22 Mitglieder der Schiffscrew zu befragen.

Die Brücke ist mit 2,6 Kilometern die zweitlängste in der Metropolregion Baltimore. Sie überbrückt eine wichtige Wasserstraße, durch die der gesamte Schiffsverkehr in den und aus dem Hafen von Baltimore läuft, der jetzt bis auf weiteres geschlossen ist. Der Hafen von Baltimore ist der größte Umschlaghafen für Autos in den USA und ein wichtiger Hafen für Kohle und landwirtschaftliche Geräte. Die Brücke wird täglich von 30.000 Menschen benutzt, viele auf dem Weg zur Arbeit, darunter die Beschäftigten in dem wichtigen Industriegebiet Sparrows Point, östlich von der Brücke.

Es kommen zwar weiterhin neue Details der Katastrophe ans Licht, aber bisher weiß man, dass auf dem 95.000-Tonnen-Containerschiff MV Dali, das unter der Flagge von Singapur fährt, bei der Annäherung an die Brücke um 1:30 morgens Ortszeit, der Strom ausfiel, weniger als eine halbe Stunde nach Beginn seiner Reise von Baltimore nach Colombo, Sri Lanka.

Das Schiff befand sich zu diesem Zeitpunkt unter der Kontrolle eines örtlichen Lotsen, dessen Aufgabe es ist, Schiffe durch den Kanal zu bringen, um derartige Unfälle zu vermeiden. Es ist noch unbekannt, ob die Steuerung des Schiffs durch den Stromausfall beeinträchtigt war. Das Schiff hat irgendwann seinen Anker ausgeworfen, wobei noch nicht bekannt ist, ob dies vor oder nach der Kollision geschah.

Wie eine Livestream-Aufzeichnung des Vorfalls aus dem Hafen zeigt, scheint der Strom nur wenige Sekunden vor der Kollision wieder funktioniert zu haben. Daraufhin stieß die Dali auf die Betonsäule, den Stützpfeiler der Brücke, der unter Wasser auf dem Boden steht und Teil des Fundaments ist. Dadurch stürzte das gesamte Bauwerk ein.

Laut den Behörden wurde der Verkehr auf der Brücke nach einem Notruf des Schiffs gestoppt. Livestream-Aufnahmen zeigen jedoch, dass nur wenige Momente vor dem Einsturz noch mehrere Fahrzeuge über die Brücke fuhren. Mit Sonaruntersuchungen wurde außerdem festgestellt, dass mehrere Fahrzeuge in der Bucht liegen.

In den kommenden Tagen werden weitere Details ans Licht kommen, allerdings ist bereits klar, dass es sich um den schlimmsten Brückeneinsturz durch eine Schiffskollision in den USA in fast einem halben Jahrhundert handelt. Im Jahr 1980 stürzte die Skyway Bridge in Tampa (Florida) ein, nachdem ein 20.000-Tonnen-Frachter dagegen gefahren war. Damals kamen 35 Menschen ums Leben.

Vor allem die Rolle des globalen Reedereikonzerns Maersk, der die Dali gechartert hat, und der singapurischen Betreibergesellschaft Synergy Group wird deutlicher in den Fokus rücken. Die Synergy Group war seit 2018 an drei tödlichen Unfällen beteiligt, darunter letztes Jahr eine Kollision auf den Philippinen, bei der zwei Matrosen ums Leben kamen. Bei der Dali selbst wurden vor kurzem Probleme beim Antrieb bekannt, und sie war 2016 an einem weiteren Zusammenstoß beteiligt.

Derzeit steht fest, dass völlig unzureichende Sicherheitsmaßnahmen eine zentrale Rolle bei der Katastrophe gespielt haben, was die unweigerliche Folge von Kostensenkung und Profitstreben ist. Zusätzlich zu den Problemen mit den Systemen des Schiffs gab es nur wenige Sicherheitsmaßnahmen, um eine Kollision mit der Brücke zu verhindern. Es gab zum Beispiel keine Schlepper, die die Schiffe bei der Durchfahrt unter der Brücke begleiten und im Falle eines Steuerungsausfalls beim Manövrieren helfen könnten.

Auch die baulichen Maßnahmen zum Schutz der Brücke vor Kollisionen scheinen völlig unzureichend gewesen zu sein. Der Professor für Ingenieurwesen, Hota GangaRao, erklärte gegenüber WVUToday: „Es gibt Donut-förmige Objekte, die als Brückenpfeilerpuffer bekannt sind und die Erschütterung bei einem derartigen Zusammenstoß abmildern können... In den USA sind sie nicht üblich, aber in China sind sie weit verbreitet. Mein Labor war am Entwurf eines Stoßpuffers aus Verbundwerkstoff beteiligt, der Erschütterungen besser absorbieren kann.“ Ähnliche Objekte wurden auch beim Wiederaufbau der Skyway Bridge verbaut.

Er erklärte: „Es müsste vielleicht strengere Vorgaben zur Berücksichtigung dieser Art von Vorfällen geben. ... Es könnte an der Zeit sein, zu akzeptieren, dass mehr Vorschriften mehr Geld kosten. Wir können Unfälle wie diesen nicht gänzlich verhindern, aber wir können zumindest den Schaden minimieren, nicht nur vom Standpunkt der Brückenkonstruktion, sondern auch durch die Entwicklung neuer Puffer für die umliegenden Brückenpfeiler.“

Berichten zufolge plante der Bundesstaat Maryland umfassende Modernisierungen an der Brücke, darunter auch einen Schutz für die Pfeiler. Reuters berichtete: „Die Verkehrsbehörde von Maryland plante laut einem Behördenbericht, ab Sommer 2025 das Brückendeck zu ersetzen und ein ,Fiberglas-Mantelschutzsystem um die Pfeiler im Wasser‘ zu installieren.“

Katastrophen aufgrund von Profitstreben

Die Francis Scott Key Bridge wurde 1977 fertiggestellt, noch vor dem Aufkommen der viel größeren Hochseefrachter, die heute das Rückgrat des internationalen Welthandels bilden. Das größte Schiff, das jemals im Hafen von Baltimore anlegte, war die Ever Max mit einem Gewicht von über 163.000 Tonnen und einer Kapazität von über 15.000 TEU (Twenty-Foot Equivalents) Frachtcontainern.

Solche Katastrophen sind in einer Gesellschaft, in der alle Entscheidungen vollständig den Profitinteressen untergeordnet sind, unvermeidlich. Letzten Montag, am 18. März, brachte das 145.000 Tonnen schwere Schiff YM Witness in der türkischen Hafenstadt Evyap bei einer Kollision vier Kräne zu Fall. Am gleichen Tag wurde im Hafen von Los Angeles ein Arbeiter durch einen Gabelstapler angefahren und getötet.

Im Jahr 2021 kollidierte der 220.000 Tonnen schwere Frachter Ever Given mit einer Seite des Sueskanals und blockierte eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt für fast eine Woche. Die Katastrophe in Baltimore hat zwar weniger schwerwiegende wirtschaftliche Auswirkungen, aber dennoch beeinträchtigt sie stark den US-Schiffsverkehr an der Ostküste.

Solche Katastrophen geschehen weltweit, aber besonders häufig in den USA. Im reichsten Land der Welt herrscht eine beispiellose Konzentration des Reichtums in den Händen von Milliardären und riesigen Konzernen, die eine rationale und fortschrittliche Nutzung der Ressourcen verhindert. Laut einem Bericht der World Association for Waterborne Transport Infrastructure von 2018 ereigneten sich 18 der weltweit 35 Schiffs- und Lastkahn-Kollisionen mit Brücken zwischen 1960 und 2015 in den USA.

Der Infrastrukturbericht der American Society of Civil Engineers von 2021 hat die amerikanischen Brücken mit der Note „C“ bewertet und erklärt, 42 Prozent der Brücken des Landes seien älter als 50 Jahre und 7,5 Prozent in schlechtem Zustand. Der geschätzte Reparaturstau beläuft sich auf 125 Milliarden Dollar, aber beim derzeitigen Tempo werden sämtliche derzeit notwendigen Reparaturen nicht vor 2071 abgeschlossen sein.

Vertuschung ist bereits in vollem Gange

Am Samstag unterzeichnete Präsident Biden ein Haushaltsgesetz, das 825 Milliarden Dollar an Militärausgaben für das nächste Jahr vorsieht – das Sechseinhalbfache der nötigen Reparaturkosten für Brücken. Das unterstreicht, dass unbegrenzte Mittel in die Kriegspolitik fließen.

Am Dienstagnachmittag hielt Biden eine etwas mehr als fünfminütige Rede, in der er versprach, die Bundesregierung werde die gesamten Kosten für den Wiederaufbau der Brücke und die schnellstmögliche Wiederherstellung des Hafenbetriebs tragen. Wie zu erwarten, sagte Biden nichts über die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen auf der Brücke und den ansonsten miserablen Zustand der Infrastruktur in den USA.

Zudem hat er in der Vergangenheit immer wieder dafür gesorgt, dass Konzerne nicht für die Katastrophen bezahlen müssen, die sie verursacht haben. Letzten Monat besuchte Biden die Stadt East Palestine (Ohio), mehr als ein Jahr nach einer Zugentgleisung und der vorsätzlichen und völlig unnötigen Freisetzung giftiger Chemikalien durch Norfolk Southern, die die gesamte Stadt vergiftete. Bisher wurde keine einzige Person für die Katastrophe zur Verantwortung gezogen, die durch unablässige Kostensenkungen in der gesamten Eisenbahnbranche unvermeidlich geworden war. Die Einwohner der vergifteten Stadt wurden ihrem Schicksal überlassen.

Sollte die versprochene Bundeshilfe tatsächlich eintreffen, dann hätte dies eher geopolitische als humanitäre Gründe. Die Schließung des Hafens von Baltimore über einen längeren Zeitraum würde die globalen Aktivitäten der US-Autokonzerne beeinträchtigen, die eine Schlüsselrolle im zunehmenden Handelskrieg gegen China einnehmen. Der weitere Betrieb der Häfen ist auch für das Militär sehr wichtig, da von dort aus Waffen und Ausrüstung an die Schlachtfelder der Welt transportiert werden.

Bidens Innenpolitik ist dominiert von den Vorbereitungen auf einen dritten Weltkrieg. Immer wieder beschwört er das so genannte „Arsenal der Demokratie“ und die amerikanische Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg.

Doch damals wie heute geht es dem US-Imperialismus nicht um Kampf für „Demokratie“, sondern die Vorherrschaft des amerikanischen Kapitalismus. Ein entscheidendes Element der Kriegsproduktion war damals das Versprechen der Gewerkschaften, auf Streiks zu verzichten. Biden wiederholt dies heute durch seine enge Zusammenarbeit mit der Gewerkschaftsbürokratie.

Es ist bezeichnend, dass sich die Katastrophe in Baltimore kurz vor dem Ablauf des Tarifvertrags der Hafenarbeiter an der Ostküste Ende September ereignet hat. Die Gewerkschaft International Longshoremen’s Association (ILA) behauptet zwar, sie sei zum Streik bereit, steht aber zweifellos in ebenso engem Kontakt zum Weißen Haus wie ihr Pendant an der Westküste, die International Longshore and Warehouse Union (ILWU), bevor sie letztes Jahr einen Ausverkauf durchsetzte.

Statement des Vizepräsidentschaftskandidaten der SEP Jerry White
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Der Vizepräsidentschaftskandidat der Socialist Equality Party, Jerry White, veröffentlichte eine Erklärung zu der Katastrophe am Dienstag:

Der Einsturz der Francis Scott Key Bridge in Baltimore am Dienstag und der Tod von mindestens sechs Arbeitern ist eine Katastrophe, die den wahren Zustand des amerikanischen Kapitalismus offenbart. Die Wirtschafts- und Regierungsvertreter, deren fahrlässiges Verhalten zu dieser Katastrophe geführt hat, müssen in vollem Umfang zur Rechenschaft gezogen werden, und alle Betroffenen müssen vollständig entschädigt werden. Die Angehörigen der sechs Immigranten, die auf tragische Weise ums Leben gekommen sind, müssen für den Rest ihres Lebens wirtschaftlich abgesichert werden.

Arbeiter dürfen nicht darauf vertrauen, dass die Biden-Regierung, der Gouverneur von Maryland, die zahlreichen Bundes- und bundesstaatlichen Behörden oder die Gewerkschaftsbürokratien eine echte Untersuchung der Ursachen dieser Katastrophe durchführen werden... Deshalb rufe ich die Schifffahrtsbeschäftigten, Hafen- und Bauarbeiter sowie des öffentlichen Dienstes auf, gemeinsam mit vertrauenswürdigen Ingenieuren und Sicherheitsexperten, die die Wahrheit ans Licht bringen wollen, eine unabhängige Untersuchung zu organisieren.

... In der Katastrophe vom Dienstagmorgen offenbart sich der Widerspruch zwischen den Bedürfnissen einer modernen Massengesellschaft und dem überholten kapitalistischen System. Der Hafen von Baltimore ist ein wichtiger Knotenpunkt der Weltwirtschaft, dessen Wachstum unglaubliche Fortschritte in der Produktivität, in Wissenschaft und Technologie möglich gemacht hat. Diese könnten eingesetzt werden, um derartige Katastrophen künftig zu verhindern.

Stattdessen werden die zig Billionen Dollar, die von der Arbeiterklasse weltweit erwirtschaftet werden, nur zur Bereicherung der Wirtschaftsoligarchie und der Verteidigung ihrer Interessen durch Kriege im Ausland und Unterdrückung im Inland verwendet...

Es geht hier nicht um fehlende Finanzmittel, sondern darum, wer sie kontrolliert. Die riesigen Reedereien und Konzerne müssen in öffentliche Versorgungsbetriebe in kollektivem Besitz und unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiterklasse umgewandelt werden. Die unrechtmäßig erworbenen Vermögen der Finanzoligarchie müssen enteignet und der militärisch-industrielle Komplex zerschlagen werden. Wenn die Arbeiterklasse die Macht in die eigenen Hände nimmt, wird sie in der Lage sein, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, um Brücken, Häfen, Straßen, Flughäfen und andere wichtige Infrastruktur zu errichten und zu modernisieren, die für eine florierende, sichere und nachhaltige Weltwirtschaft notwendig sind.

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