Saarbrücken, Essen, Bochum: Neue Antisemitismusvorwürfe im Kulturbereich

Seit Wochen werden in Deutschland und anderen Ländern zahlreiche Künstler, Künstlerinnen und Kulturschaffende als Antisemiten verleumdet und ihrer Wirkungsmöglichkeiten beraubt. Künstler, die Stellung gegen das Massaker der israelischen Armee im Gaza beziehen oder sich in der Vergangenheit kritisch über die Politik der israelischen Regierung geäußert haben, werden angeprangert und zensiert.

Die Kampagne ist nicht neu. Bereits 2019 hatte der Bundestag eine Resolution verabschiedet, der zufolge Organisationen und Personen, die in Verbindung zur israelkritischen BDS-Kampagne (Boycott, Divestment and Sanctions) stehen, öffentliche Räume und finanzielle Förderung zu verweigern sind. Die WSWS hat ausführlich über die Angriffe auf den Rock-Musiker Roger Waters, die Kasseler Documenta und das Kulturzentrum Oyoun berichtet, dem der Berliner Senat die Förderung streichen will.

Moderne Galerie des Saarlandmuseums [Photo by Stefan Oemisch / wikimedia / CC BY-SA 4.0]

Doch seit die israelische Armee vor den Augen einer entsetzten Weltöffentlichkeit mit völkermörderischer Brutalität gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen vorgeht, häufen sich die Angriffe auf die Kunst- und Meinungsfreiheit. Alle Schleusen einer antidemokratischen Schmutz- und Verleumdungskampagne, an der sich alle Bundestagsparteien und Medien beteiligen, sind geöffnet. Oft reicht es, dass die Betroffenen den „Terror der Hamas“ nicht erwähnen, damit sie sanktioniert werden.

Die Kampagne nimmt immer mehr den Charakter einer Gleichschaltung des gesamten Kulturbetriebs an, wie sie unter dem Nationalsozialismus in Deutschland rigoros verfolgt wurde. Sie erfolgt zu einer Zeit, in der die herrschende Klasse Deutschlands in der Ukraine wieder Krieg gegen Russland führt, den Völkermord im Gaza uneingeschränkt unterstützt und in weiten Politikbereichen das Programm der rechtsextremen AfD übernimmt.

Saarbrücken: Ausstellung jüdischer Künstlerin abgesagt

Das Saarlandmuseum in Saarbrücken hat eine für 2024 geplante Ausstellung der in Südafrika geborenen jüdischen Künstlerin Candice Breitz abgesagt, weil ihr „kontroverse Aussagen im Kontext des Angriffskrieges der Hamas auf den Staat Israel“ nachgesagt werden. In Saarbrücken sollte Breitz Videoinstallation „TDLR“ (2017) zum Thema Sexarbeit in Johannesburg gezeigt werden.

Vor der Absage wurde die Künstlerin von der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz (SSK), zu der das Saarlandmuseum gehört, nicht einmal kontaktiert. Die Stiftung bezog sich ausschließlich auf die mediale Berichterstattung über die Künstlerin, offenbar insbesondere auf einen Artikel der taz. Laut Presseerklärung wollte die SSK mit der Absage der Ausstellung zum Ausdruck bringen, dass sie nicht bereit sei, „Künstler*innen ein Podium zu bieten, die sich nicht klar gegen den Terror der Hamas positionieren“.

Die taz hatte über eine Versammlung von rund 2000, darunter vielen jüdischen Kulturaktivisten berichtet, die am 10. November in Berlin gegen die Absage der Diskussionsveranstaltung „We Still Need to Talk“ durch die Akademie der Künste und die Bundeszentrale für politische Bildung protestierten.

Der üble Hetzartikel der taz warf den Künstlern vor, „sich selbst als Opfer von BDS-Resolution und Zensur zu begreifen“, die ihnen „von einer Phalanx aus Zionisten, der Bundesregierung und deutschen Nazis auferlegt werde“, von „Angriffen auf Synagogen, Aufrufen zur Gewalt gegen Juden, gar Drohbriefen an jüdische Privatadressen und eskalierenden Demonstrationen von Islamisten“ aber nichts wissen zu wollen.

Der Plan zur Diskussionsveranstaltung „We Still Need to Talk“ war auf der Documenta 15 aufgekommen, als diese mit völlig unberechtigten Antisemitismusvorwürfen überschwemmt wurde. Die Künstlerin Candice Breitz, die auch Professorin der HBK Braunschweig ist, gehörte zu den Initiatoren der in Berlin geplanten Veranstaltung und der Protestdemonstration gegen deren Absage, auf der sie eine Rede hielt.

Die taz warf ihr vor, sie habe in einem Video „jüdisches Privileg“ und „Apartheid“ in Israel beklagt, was sie bestreitet. In einem Brief an die Zeitung, den das Magazin Monopol zitiert, erklärt Breitz dazu: „Zu keinem Zeitpunkt des Abends habe ich das Wort ‚Apartheid‘ im Zusammenhang mit dem Staat Israel erwähnt. An einem frühen Punkt meiner Rede habe ich erwähnt, dass ich unter der Apartheid in Südafrika aufgewachsen bin, und dass ich daher weiß, wie Apartheid aussieht und wie sie funktioniert (was man tut, wenn man unter einem repressiven Regime gelebt hat). Ich stehe zu dieser Aussage.“

Auf den Vorwurf, sie wolle von Angriffen auf Synagogen nichts wissen, reagiert sie mit Empörung: Der Autor habe keine Ahnung, was sie als jüdische Person seit dem 7. Oktober durchmache. „Wie kann der Autor es wagen, anzunehmen, ohne mit mir zu sprechen oder etwas über meine persönliche Beziehung zum Judentum zu wissen, dass ich nicht tief betroffen bin von dem anhaltenden Antisemitismus und der hasserfüllten Gewalt, die Juden in diesem Land immer wieder erleben?“

Essen: Folkwang Museum entlässt Gastkuratorin

Das Museum Folkwang in Essen hat die queere amerikanische Gastkuratorin Anaïs Duplan entlassen, die an der Ausstellung „We is Future“ mitarbeitete und deren afrofuturistischen Teil kuratiert. Die Ausstellung beleuchtet alternative Formen des Zusammenlebens.

Duplan hatte auf Instagram eine Reihe von Postings gegen die israelische Bombardierung des Gazastreifens veröffentlicht, in denen sie ihre Fassungslosigkeit und ihr Mitgefühl für die palästinensische Bevölkerung ausdrückte und entsprechende Posts teilte.

Der Museumsdirektor Peter Gorschlüter erklärte, dass die von Duplan geteilten Beiträge inakzeptabel seien, da sie die Perspektive Israels auf die Situation im Gazastreifen nicht berücksichtigten. Das Museum fürchte, mit antisemitischen Tendenzen und Stimmen in Verbindung gebracht zu werden, die die Existenz Israels in Frage stellten.

Das Museum Folkwang erklärte, die Entscheidung sei getroffen worden, um „Transparenz in Bezug auf die politische Haltung der Kuratorin und ihre Unterstützung für BDS“ zu gewährleisten.

Bochum sagt Verleihung des Peter-Weiss-Preises an Sharon Otoo ab

Der Peter-Weiss-Preis, benannt nach dem Autor, Dramatiker, Maler und Filmemacher Peter Weiss, wird von der Stadt Bochum seit 1990 alle zwei Jahre an eine Persönlichkeit aus den Bereichen Literatur, Theater, bildende Kunst und Film vergeben. Der Preis ist mit 15.000 Euro dotiert.

Die achtköpfige Jury hatte sich auf ihrer Sitzung am 10. November für die in Berlin lebende deutsch-britische Schriftstellerin mit ghanaischen Wurzeln Sharon Dodua Otoo als Preisträgerin ausgesprochen. Otoo war bekannt geworden, als sie 2016 in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis erhielt. 2021 veröffentlichte sie ihren vielgelobten Roman „Adas Traum“.

Die Stadt Bochum teilte Otoos Nominierung am 27. November auf ihrer Homepage mit. Nur ein Tag später gab sie dort bekannt, dass die Verleihung ausgesetzt werde, weil die Autorin eine dem BDS zugerechnete Organisation unterstützt haben solle.

Die Anschuldigungen gegen Otoo gehen, wie schon etliche vorher, auf den Blog „Ruhrbarone“ zurück, der sich darauf spezialisiert hat, in Unterschriftenlisten zu schnüffeln und alle als Antisemiten zu denunzieren, die aus Sorge über das israelische Vorgehen gegen die Palästinenser jemals eine Resolution von BDS oder ähnlichen Gruppierungen unterschrieben haben.

Die Schriftstellervereinigung PEN Berlin kritisierte die Entscheidung der Stadt Bochum. Otoo sei vorgeworfen worden, Petitionen unterschrieben zu haben, die die Befreiung Palästinas „mit allen Mitteln“ verlangten – und somit die Massaker der Hamas in Israel befürworteten. In Wirklichkeit enthalte keine der Petitionen eine derartige Formulierung.

Die Sprecherin von PEN Berlin Eva Menasse mahnte angesichts der sich häufenden Antisemitismusvorwürfe, dass unterschieden werden müsse „zwischen dem Autor und seinen politischen Überzeugungen einerseits und einer preiswürdigen künstlerischen Leistung andererseits“. „Gesinnungsschnüffelei auf Unterschriftenlisten“ untergrüben die Rede- und Kunstfreiheit.

Otoo selbst trat sofort den Rückzug an. Sie distanzierte sich von der vor fast zehn Jahren unterschriebenen Petition. Sie hatte damals die britische Gruppierung Artists for Palestine unterstützt, die nach dem 7. Oktober den Überfall der Hamas als „palästinensischen Widerstand“ bezeichnete.

Sie schrieb, mit ihrer Unterschrift habe sie sich 2015 „als Individuum solidarisch mit dem gewaltlosen Widerstand Kulturschaffender in Palästina positionieren wollen“. Heute würde sie einen solchen Aufruf nicht mehr unterzeichnen. „Daher distanziere ich mich heute von der Petition und bemühe mich mit anwaltlicher Unterstützung, meinen Namen von der Liste zu entfernen.“

Otoo teilte mit, dass sie den Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum nicht annehmen werde. „Ich möchte weder die Jury, noch die Stadt Bochum noch den Namen von Peter Weiss mit den Vorwürfen gegen mich und die ausgelöste Debatte in Verbindung wissen“, schrieb sie. Stattdessen schlug sie vor, das Preisgeld in Höhe von 15.000 Euro an eine gemeinnützige Organisation zu stiften, zum Beispiel an die Initiative „Gesellschaft im Wandel“.

Peter Weiss hätte diesen Rückzug wohl kaum unterstützt. Er war nicht nur ein Schriftsteller von großer sprachlicher und poetischer Kraft. Für ihn musste die „Kunst die Kraft haben […], das Leben zu verändern“. Deshalb bezog er auch furchtlos politisch Stellung. In seinem großen dreibändigen Roman „Ästhetik des Widerstands“ thematisiert er die Geschichte des antifaschistischen Widerstands in seinen vielen Facetten, einschließlich den politischen Auseinandersetzungen mit dem Stalinismus.

In seinen Dokumentarstücken „Gesang von lusitanischen Popanz“ und im „Vietnam-Diskurs“ hat sich Weiss mutig und kompromisslos mit dem Kolonialismus, mit imperialistischer Unterdrückung und mit Kriegen auseinandergesetzt und die Profiteure der Wirtschafts- und Finanzeliten scharf angeprangert. Mit dem Oratorium „Die Ermittlung“ brachte er den gerade erst zu Ende gegangenen ersten großen Auschwitzprozess auf die Bühne, als noch zahlreiche Nazimörder und Schreibtischtäter frei herumliefen und unbehelligt lebten. Der Bühnentext provozierte zahlreiche anonyme Schmäh- und Drohbriefe gegen den Autor und die Regisseure der Uraufführung.

Als ihm bei Gesprächen mit DDR-Kulturfunktionären sein Theaterstück „Trotzki im Exil“ vorgeworfen wurde, verteidigte er die Aktualität des Revolutionärs und seines Kampfs gegen den Stalinismus und die Notwendigkeit, sich mit ihm zu befassen, auch wenn ihm dadurch bei den Stalinisten Aufführungsmöglichkeiten versagt wurden. Man kann sicher sein, dass sich Peter Weiss unmissverständlich gegen den Völkermord an den Palästinensern ausgesprochen hätte.

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