Samstag war der Tag mit den meisten Todesopfern seit Beginn der israelischen Luftangriffe auf den Gazastreifen. Wie die Menschenrechtsorganisation Euro-Med am Sonntag erklärte, wurden am Wochenende mehr als 1.000 Menschen getötet.
Die Organisation dokumentierte „eine Reihe von israelischen Luftangriffen mit starken Feuergürteln am Samstag. Die Angriffe zielten ohne Vorankündigung auf Gebäude und bewohnte Wohnblöcke in Shuja'iya, Dschabaliya und Beit Lahia, die über den Köpfen der Bewohner einstürzten und Dutzende Menschen unter den Trümmern begruben.“
Nachdem Israel bereits mehr als eine Million Menschen aus dem Norden gewaltsam in den Süden des Gazastreifens vertrieben hat, führt es jetzt eine brutale Boden- und Luftoffensive durch, um die Bevölkerung des Gazastreifens in die Wüste Sinai zu treiben. Bereits jetzt sind 1,8 Millionen Einwohner in Gaza, d.h. etwa 80 Prozent der Gesamtbevölkerung, Binnenvertriebene.
Die palästinensische Filmemacherin Bisan Owda, die durch die Dokumentation ihres Lebens als Flüchtling im Gazastreifen Millionen Menschen auf der ganzen Welt erreicht, erklärte in einem Social-Media-Post, was momentan stattfindet:
Der Gazastreifen wird geräumt. Hier werden 2,25 Millionen Menschen vertrieben und in die Obdachlosigkeit gezwungen. Sie sollen in die Wüste Sinai vertrieben werden, damit Gazastreifen der leer ist. Sie bezeichnen den Süden als Kampfzone und den Norden auch. Wo sollen wir hingehen? Das haben sie uns noch nie gesagt und werden es auch nie sagen. Sie haben uns gesagt, wir sollen in den Süden. Jetzt sind wir dort, und sie sagen uns, wir sollen irgendwo anders hin.
Am Samstag zitierte die in London erscheinende panarabische Zeitung The New Arab Quellen aus dem Umfeld ägyptischer Unterhändler, nach deren Ansicht Israels Plan, die Palästinenser in die Wüste Sinai zu vertreiben, immer deutlicher hervortritt.
Der Informant erklärte der Zeitung:
Die Besatzungsarmee hat [am Freitag] eine Karte veröffentlicht, auf welcher der Gazastreifen und der Süden in Quadrate unterteilt sind. Sie zeigt, dass innerhalb des Südens Angriffe nach Westen und Osten abwechseln. Wenn man sich das anschaut, wird deutlich, dass das Ziel darin besteht, die Bevölkerung langsam zu vertreiben oder in Richtung ägyptischer Grenze zu bewegen.
Die Zeitung zitiert Mohamed Mahmud Mahran, Professor für öffentliches Völkerrecht, der erklärte: „Was Israel getan hat, ist ein eklatanter Verstoß gegen die Prinzipien des internationalen humanitären Völkerrechts und der Genfer Konventionen … Die israelische Besatzungsbehörde hat kein Recht, palästinensische Zivilisten gewaltsam zu vertreiben oder sie von ihren ursprünglichen Wohnsitzen umzusiedeln, selbst wenn sie Flugblätter verteilt oder Warnungen herausgibt, dass sie in andere Gebiete umziehen müssen.“
Nach aktuellen Angaben des Gesundheitsministeriums von Gaza wurden im Gazastreifen mehr als 15.523 Palästinenser getötet, 70 Prozent davon Frauen und Kinder.
Unter den Toten befinden sich 198 Ärzte und Sanitäter, 112 Beschäftigte der Vereinten Nationen und 77 Journalisten.
Am Wochenende wies Israel etwa 28 Prozent des Gazastreifens als zu evakuierendes Gebiet aus, obwohl die bereits Evakuierten nicht in ihre Häuser zurückkehren dürfen.
Am Sonntag berichtete das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen: „Für die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens besteht das hohe Risiko einer Hungersnot … Die Nahrungsversorgung des Gazastreifens steht am Rande des Zusammenbruchs. Die meisten Läden sind entweder geschlossen oder so gut wie leergekauft. Die Inflation ist hoch, da die Preise für Grundnahrungsmittel in die Höhe geschossen sind, während die Lieferung von Hilfsgütern während der humanitären Pause nicht ausgereicht hat, um die Bedürfnisse der Bevölkerung nach Nahrungsmitteln zu decken.“
Vor diesem Hintergrund haben die USA Israels Völkermord unmissverständlich gebilligt und angekündigt, ihn bedingungslos zu unterstützen.
Pentagon-Sprecher John Kirby wurde am Sonntag in der Talkshow „Meet the Press“ gefragt, ob es „Konsequenzen geben würde ... wenn die USA den Eindruck gewinnen, Israel halte sich nicht an einen bestimmten Plan zum Schutz der Zivilbevölkerung.“
Darauf antwortete Kirby: „Wir werden Israel weiterhin unterstützen, wenn es gegen die Hamas vorgeht. Die Sicherheitsunterstützung fließt weiter. Daran wird sich nichts ändern.“
Kirby verteidigte Israels Angriffe auf die Zivilbevölkerung mit der Behauptung: „Sie haben den Zivilisten im Gazastreifen eine Liste, eine Karte, gegeben – sie ist im Internet –mit einer Liste von Gebieten, in die sie gehen können, wo es sicherer ist. Es gibt nicht viele moderne Militärs, die so etwas im Vorfeld von Operationen tun. Sie machen sich also die Mühe, die Zivilbevölkerung zumindest darüber zu informieren, wohin sie gehen und welche Orte sie meiden sollte.“
In Wirklichkeit dient die Vertreibung der Zivilbevölkerung einzig und allein dem Zweck, die ethnische Säuberung des Gazastreifens zu erleichtern, die mit der vollständigen Zerstörung der sozialen Infrastruktur einhergeht – von Wohnraum über Schulen bis hin zu Krankenhäusern.
Die wirkliche Haltung der herrschenden Klasse der USA zum Völkermord an den Menschen in Gaza wurde von US-Senator Lindsey Graham zusammengefasst. Er rechtfertigte die Angriffe auf die Zivilbevölkerung mit der Behauptung, sie sei „radikalisiert“, d. h. setze sich gegen Israel und die USA zur Wehr.
Er erklärte: „Wir haben es mit einer radikalisierten Bevölkerung zu tun. Ich will keine Unschuldigen töten, aber Israel bekämpft nicht nur die Hamas, sondern auch die Infrastruktur rund um die Hamas.“
Auf die Frage, ob seiner Meinung nach „zu viele palästinensische Zivilisten getötet wurden“, antwortete Graham: „Waren es zu viele Menschen, die im Zweiten Weltkrieg nach Pearl Harbor starben? Hat sich die amerikanische Öffentlichkeit Gedanken darüber gemacht, wie viele Menschen bei der Zerstörung von Tokio und Berlin gestorben sind?“
Das Vereinigte Königreich hat derweil Pläne für eine direktere Intervention angekündigt und erklärte, es werde Überwachungsdrohnen über dem Gazastreifen einsetzen, um Israels Militärangriff zu unterstützen.