Bernie Sanders: das linke Gesicht des Völkermords

Während die Zahl der Toten im Gazastreifen die Marke von 15.000 überschritten hat, Berichte von dort während der Feuerpause der Welt das Grauen von Israels Vernichtungskrieg immer deutlicher vor Augen führen und die weltweiten Proteste gegen den Völkermord weitergehen, versucht Senator Bernie Sanders, sich als unparteiischer Fürsprecher des israelischen Staates und der Palästinenser gleichermaßen zu inszenieren.

Von diesem pro-imperialistischen und pro-zionistischen politischen Betrüger war auch nichts anderes zu erwarten. Am 22. November verfasste er eine Kolumne in der New York Times mit dem Titel „Gerechtigkeit für die Palästinenser und Sicherheit für Israel“.

Es lohnt sich, diese politische Spitzfindigkeit etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, allerdings sollte man sie zunächst in den angemessenen Zusammenhang stellen.

Die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten Joe Biden (links) und Bernie Sanders (rechts) vor einer Vorwahldebatte am 15. März 2020. [AP Photo/Evan Vucci]

Am Sonntag, dem 5. November, wandte sich der Senator auf CNN gegen die zunehmenden Forderungen nach einem Waffenstillstand. Er wiederholte die Behauptungen der Netanjahu- und der Biden-Regierung, Israels ethnische Säuberung sei eine notwendige Selbstverteidigung nach dem bewaffneten Ausbruch der Hamas und ihrem Eindringen nach Südisrael am 7. Oktober.

Er erklärte Dana Bash, der Moderatorin der Sendung „State of the Union“: „Ich weiß nicht, wie es mit einer Organisation wie der Hamas, die für Chaos, Unruhe und die Zerstörung des Staates Israel steht, einen Waffenstillstand, einen dauerhaften Waffenstillstand, geben soll … Ich glaube, die arabischen Staaten in der Region verstehen, dass die Hamas verschwinden muss.“

Die Kriegsverbrecher und ihre Komplizen begrüßten diese Verteidigung des israelischen Angriffs. Der Kommunikationsdirektor des Weißen Hauses Herbie Ziskind twitterte Zitate aus Sanders’ Interview. Das American Israel Public Affairs Committee veröffentlichte eine Stunde nach Sanders’ Auftritt einen Ausschnitt daraus auf X/Twitter. In einem späteren Tweet erklärte die zionistische Lobby: „Danke, @SenSanders, für Ihre klare und prinzipientreue Ablehnung der Forderungen nach einem Waffenstillstand mit der Hamas.“

Israelische Regierungsvertreter lobten Sanders’ Äußerungen; der Sprecher der israelischen Regierung Eylon Levy teilte auf X/Twitter einen Ausschnitt des Interviews.

Zu dem Zeitpunkt, an dem sich Sanders öffentlich gegen eine Unterbrechung der Massenbombardierungen Israels aussprach, lag die offizielle Zahl der Toten im Gazastreifen bereits bei 9.770, von denen die Mehrheit Kinder und Frauen waren. Israel attackierte systematisch Krankenhäuser, Schulen, UN-Einrichtungen und andere Gebäude, in denen Palästinenser nach der Zerstörung ihrer Häuser Zuflucht gesucht hatten. Dazu gehörte der Angriff auf das Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza am 17. Oktober, bei dem laut den dortigen Behörden mindestens 471 Menschen getötet und mehr als 300 verwundet wurden.

Als Sanders’ Kolumne in der New York Times erschien – zwei Tage vor der aktuellen Feuerpause und dem Beginn des Geiselaustauschs – lag die offizielle Zahl der Toten bei über 14.500. Dazu kommen etwa 7.000 Einwohner des Gazastreifens, die als „vermisst“ gelten und vermutlich unter Trümmern begraben sind. Sanders hat sich damit persönlich mitschuldig am Tod von mindestens 4.730 Palästinensern gemacht.

Sanders lehnt einen dauerhaften Waffenstillstand ab

Auch in seiner Kolumne vom 22. November lehnt Sanders einen dauerhaften Waffenstillstand ab. Stattdessen lobt er die kurzzeitige Pause und fordert ihre Ausweitung zu einer „längeren humanitären Pause, damit dringend benötigte Hilfsgüter in den Gazastreifen gelangen und Menschenleben gerettet werden können“. Neben „Waffenstillstand“ fehlen in seinem Artikel auch die Worte „Völkermord“, „Kriegsverbrechen“, „ethnische Säuberung“ und „Biden“.

Tatsächlich zielt seine gesamte Darstellung des von den USA unterstützten israelischen Massakers darauf ab, dessen beispielloses Ausmaß und völkermörderischen Charakter zu verbergen. Sanders erklärt, der derzeitige Krieg sei der „fünfte zwischen Israel und der Hamas in den letzten fünfzehn Jahren“, d.h. der jüngste in einer Reihe von immer wiederkehrenden Konflikten. Dann fasst er die zionistische Enteignung und kolonialistische Unterdrückung der palästinensischen Massen während der letzten 75 Jahre in einer Weise zusammen, welche die Rolle des Zionismus und des US-Imperialismus beschönigt:

Diplomaten, wohlmeinende Israelis und Palästinenser, und politische Führer der ganzen Welt haben 75 Jahre lang versucht, der Region Frieden zu bringen.

Laut Sanders’ Narrativ habe nur die böse Absicht von „Extremisten“ eine fortschrittliche Lösung verhindert, die der Region Frieden und Stabilität bringen und die Palästinenser mit ihrem niederen Los versöhnen würde. In dieser Fantasiewelt sind keine wirtschaftlichen, geopolitischen und Klasseninteressen am Werk. Die zionistische herrschende Elite und die amerikanische herrschende Klasse haben angeblich kein Eigeninteresse daran, die Palästinenser zu unterdrücken, um die bestehende Ordnung im Nahen Osten zu erhalten, in der Israel als militarisierter Außenposten Washingtons und der Wall Street agiert.

Weiter erklärt Sanders:

Diejenigen von uns, die nicht nur diesen Krieg beenden, sondern auch einen zukünftigen vermeiden wollen, müssen sich zuerst über die Tatsachen klar werden.

Darauf folgt eine völlig voreingenommene, verzerrte pro-israelische Darstellung der „Fakten“. Zunächst wiederholt Sanders unkritisch die offizielle israelische Darstellung der Ereignisse vom 7. Oktober:

Am 7. Oktober hat die Terrororganisation Hamas einen barbarischen Angriff auf Israel verübt, bei dem 1.200 unschuldige Männer, Frauen und Kinder getötet und mehr als 200 weitere als Geiseln genommen wurden.

Hier ignoriert Sanders Berichte, vor allem aus Israel, die die offizielle Darstellung des Hamas-Angriffs widerlegen und stark darauf hindeuten, dass (1) die israelische Regierung und das israelische Militär im Voraus von einem bevorstehenden Großangriff über die abgeriegelte Grenze zum Gazastreifen in den Süden Israels wussten und (2) viele, wenn nicht sogar die meisten der bei dem Angriff am 7. Oktober getöteten Israelis von den Truppen und Panzern der israelischen Verteidigungskräfte getötet wurden, die massive Feuerkraft einsetzten, um die Kontrolle über die Gebiete wiederzuerlangen, die die Hamas nach dem ersten Angriff eingenommen hatte.

Sanders ignoriert die kolonialistische Vergangenheit des Zionismus

Noch unaufrichtiger ist, dass er die historischen Hintergründe des Einbruchs vom 7. Oktober ebenso ausklammert wie die Tatsache, dass Israel sie als Vorwand nutzt, um seit langem vorbereitete Pläne zur gewaltsamen Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem Gazastreifen durchzusetzen mit dem Ziel, den Gazastreifen und das Westjordanland zu annektieren. Er verliert kein Wort über die Nakba von 1948, bei der mehr als 700.000 Palästinenser aus ihren Dörfern und Höfen vertrieben wurden, über die Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlandes im Jahr 1967 oder über das Apartheids- und Unterdrückungssystem, das seither in Kraft ist.

Einwohner von Qibya kehren nach dem Angriff durch israelische Truppen in ihr zerstörtes Dorf zurück, Oktober 1953

Sanders stellt die Hamas als nichts anderes als eine kriminelle Terrororganisation dar und ignoriert dabei die Tatsache, dass sie im Jahr 2006 eine Wahl gegen die diskreditierte und korrupte Palästinenserbehörde im Gazastreifen gewonnen hatte. Um die israelische Behauptung zu bekräftigen, die Hamas müsse eliminiert werden, zitiert er einen Sprecher der Hamas mit den Worten: „Ich hoffe, dass der Kriegszustand mit Israel an allen Grenzen andauern und dass die arabische Welt uns beistehen wird.“ Allerdings erwähnt er nichts von den Äußerungen israelischer Regierungsvertreter, die ihre Absicht zum Völkermord kundgetan haben.

So verglich der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Palästinenser vor kurzem während einer Pressekonferenz mit dem Stamm Amalek, der in der hebräischen Heiligen Schrift erwähnt wird. Im entsprechenden Abschnitt werden die Israeliten aufgerufen, sämtliche Männer, Frauen, Kinder und sogar das Vieh der Amalekiten zu erschlagen.

Der nationale Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir forderte die Auslöschung aller Unterstützer und Sympathisanten der Hamas.

Letzten Endes bietet Sanders eine Liste von Vorschlägen an, die im Grunde den öffentlichen Positionen von Präsident Biden und Außenminister Blinken ähneln. Sie beinhalten kein dauerhaftes Ende der israelischen Luftangriffe, keinen sofortigen Abzug aller israelischen Truppen aus dem Gazastreifen oder die Absetzung der Netanjahu-Regierung.

Sanders fordert ein Ende der „willkürlichen“ Luftangriffe, was heißt. die „zielgerichteten“ Angriffe sind fortzusetzen. Er lehnt eine „langfristige“ erneute Besetzung und Blockade der Enklave durch Israel ab, deutet aber seine Zustimmung zu einer „kurzfristigen“ an – was auch immer das bedeuten soll.

Er fordert Israel auf, neben der Zulassung von verstärkter humanitärer Hilfe vertriebenen Bewohnern des Gazastreifens die Rückkehr in ihre Heimat zu garantieren (wobei er verschweigt, dass ihre Häuser vermutlich zerstört wurden), und verlangt ein Ende der Siedlergewalt im Westjordanland und einen Stopp des Ausbaus der Siedlungen – all das wird Israel nicht akzeptieren. Und in jedem Fall würden die Grundlagen der Unterdrückung der Palästinenser und der Vorherrschaft der USA durch Israel intakt bleiben.

Laut Sanders’ Wunschliste würde dies zu „breiten Friedensverhandlungen für eine Zwei-Staaten-Lösung führen“. Wie er selbst deutlich macht, ist die Voraussetzung dafür jedoch die Entmachtung der Hamas. So soll der US-Imperialismus unter dem Deckmantel der „Schaffung von Gerechtigkeit“ für die Palästinenser eine neue, genehmere Regierung im Gazastreifen einrichten.

Sanders unterstützt Bidens und Blinkens Plan, die Palästinenserbehörde als Stellvertreter Israels an die Macht zu bringen

Die Palästinenserbehörde soll diese Regierung stellen, obwohl im Jahr 2006 sie von der Bevölkerung des Gazastreifens abgewählt wurde und noch immer von dem 88-jährigen Mahmud Abbas angeführt wird. Sanders schreibt:

Diese Schritte werden zeigen, dass Frieden für die Palästinenser möglich ist, und sie werden der Palästinenserbehörde hoffentlich die Legitimität verleihen, die sie braucht, um die administrative Kontrolle über den Gazastreifen zu erlangen, vermutlich nach einer Übergangsperiode zur Stabilisierung unter einer internationalen Streitmacht.

US-Außenminister Antony Blinken trifft sich am 5. November 2023 mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas [AP Photo]

Die aktuellen Kommentare der westlichen Presse verdeutlichen den schieren Zynismus und die imperialistische Arroganz dieses Projekts. Der leitende Korrespondent für Diplomatie der New York Times, Steven Erlanger, schrieb am 25. November:

Die [palästinensische] Behörde ist selbst dort, wo sie die Kontrolle über das Westjordanland hat, zutiefst unpopulär, weil sie als Handlanger der langen israelischen Besatzung angesehen wird. Die Unterstützung für sie ist so gering, dass sie ohne die Sicherheit der israelischen Armee kaum überleben könnte.

In den Augen vieler Menschen, die sie eigentlich vertreten sollte, hat sich die Behörde zu einer autoritären, korrupten und undemokratischen Verwaltung entwickelt, die auf einem von Israel errichteten eisernen Thron sitzt … Wenn heute Wahlen abgehalten würden, ist es wahrscheinlich, dass die Hamas erneut gewinnen würde, wie Experten und Umfragen zeigen.

Am 27. November bekräftigte der Guardian diese Einschätzung:

Westliche Diplomaten haben sich an die zuvor vernachlässigte Palästinenserbehörde gewandt, damit diese das Vakuum füllt, das voraussichtlich durch die geplante Zerstörung der Hamas im Gazastreifen entstehen wird. Doch sie wissen, dass ihr geplanter Retter zutiefst unpopulär und korrupt ist und dringend eine neue Generation von Führungspersönlichkeiten braucht, die noch niemand identifizieren konnte …

Laut seriösen Umfragen des palästinensischen Zentrums für Politik und Umfrageforschung betrachteten in den Tagen vor dem Hamas-Angriff auf Israel 80 Prozent der Palästinenser die Palästinensische Autonomiebehörde als korrupt. 62 Prozent hielten sie eher für ein Hindernis als für ein Werkzeug. Keine ihrer wichtigsten Institutionen wird in der Bevölkerung als legitim angesehen.

Die Hauptaufgabe der Palästinenserbehörde (PA) im Westjordanland ist es, als Israels Polizeitruppe vor Ort zu agieren und palästinensische Gegner der zionistischen Unterdrückung aufzuspüren und einzusperren. Der Guardian schreibt dazu:

Deshalb gilt die PA mittlerweile unter den Palästinensern als Sicherheitsunternehmen Israels, das im Namen der Bekämpfung von Terrorismus im Westjordanland oft mit Willkürjustiz vorgegangen ist. Laut der Gruppe Lawyers for Justice, die solche Fälle von Willkürjustiz dokumentiert, hat die PA allein im Jahr 2022 mehr als 500 Palästinenser wegen anti-israelischer Straftaten verhaftet.

Wenn also die hochgelobte „Zweistaatenlösung“, die Sanders propagiert, entgegen aller Wahrscheinlichkeit jemals wahr werden würde, so würde sie zu einem Polizeistaat führen, der von palästinensisch-bürgerlichen Marionetten des US-Imperialismus und Israels regiert würde. So viel zu den „progressiven“ und „demokratischen“ Behauptungen von Bernie Sanders, dem „linken“ Sprachrohr des imperialistischen Völkermords.

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