Der faschistische Kandidat Javier Milei hat die Präsidentschaftswahlen in Argentinien am Sonntag gewonnen. Er besiegte den Peronisten Sergio Massa in einer Stichwahl mit deutlichem Vorsprung von 55,69 gegen 44,30 Prozent bzw. drei Millionen Stimmen.
Milei ist eine Fernsehpersönlichkeit, die von den Mainstreammedien gefördert wird. Seine cholerischen Ausbrüche gegen die „Linke“ und die Arbeiterklasse zielen seit Jahren darauf ab, eine soziale Basis für massive Austerität und faschistische Reaktion zu schaffen.
Die Wahlen bedeuteten eine massive Zurückweisung der peronistischen Regierung von Präsident Alberto Fernandez und des peronistischen Kandidaten, Wirtschaftsminister Massa. Dieser trat für soziale Sparmaßnahmen und die Abwertung des Pesos im Auftrag des IWF und der Wirtschafts- und Finanzoligarchie ein.
Milei konnte den Hass auf die Peronisten ausnutzen, die Argentinien fast 40 Jahre lang seit dem Sturz der Diktatur regiert haben und von den Medien fälschlich als „links“ dargestellt werden. Er präsentierte sich als die einzig authentische Opposition. In seinen Reden warf Milei die Regierung, die Gewerkschaftsbürokratie, die Arbeiterklasse und die 40 Prozent der Bevölkerung, die Sozialhilfe erhalten, betrügerischer Weise in einen Topf und bezeichnete sie als „Parasiten“ und Diebe.
Beispielhaft für die pessimistische Stimmung vieler Wahlteilnehmer war die Aussage eines Milei-Wählers, der einem Journalisten sagte: „Besser ein Verrückter als ein Dieb.“
Milei hat gewonnen, weil 6,5 Millionen Wähler, vor allem aus den Arbeitervierteln der größten Städte, im zweiten Wahlgang für ihn stimmten. Gleichzeitig blieben 8,3 Millionen Wähler, von denen viele traditionell die Peronisten gewählt hätten, zuhause und zahlten in dem Land, in dem Wahlpflicht herrscht, lieber die für Enthaltung vorgesehene Geldstrafe.
Massa setzte sich in 24 oder etwas mehr als der Hälfte der Arbeitervororte im Großraum Buenos Aires durch. Hier ist der peronistische Apparat am stärksten und repräsentiert fast ein Drittel der landesweiten Wähler. Dennoch setzte sich auch dort Milei in 16 Wahlkreisen durch, während er in den Vorwahlen in keinem einzigen gewonnen hatte. Noch größere Wählerbewegungen fanden in den anderen Großstädten des Landes statt: In Cordoba stimmten 75 Prozent für Milei, in Rosario 57,9 Prozent, in Mar del Plata 56,7 Prozent, in Tucumán 60,3 Prozent und in Mendoza 73 Prozent.
Nur in der Provinz Buenos Aires und den verarmten nördlichen Provinzen Formosa und Santiago del Estero erhielt Massa die meisten Stimmen; der Rest des Landes stellte sich gegen den Peronismus.
Die Pseudolinke versucht, die Arbeiter einzulullen
Die meisten Arbeiter, die für Milei gestimmt haben, taten dies aus Protest gegen die Politik der Peronisten und nicht, um seine faschistische Politik zu unterstützen. Allerdings wäre es ein sträflicher Fehler, die Gefahr herunterzuspielen, die eine aufkommende faschistische Bewegung der verarmten Schichten des argentinischen Kleinbürgertums, des historisch größten in Lateinamerika, für die Arbeiterklasse bedeutet.
Das ist jedoch, was die pseudolinken Vertreter des selbstgefälligen gehobenen Kleinbürgertums tun. Sie wiederholen die Verbrechen ihrer Vorgänger, Nahuel Moreno und anderer Renegaten vom Trotzkismus, welche die Arbeiterklasse im Vorfeld der faschistischen Militärdiktatur politisch entwaffnet haben, vor allem indem sie Illusionen in die peronistische Regierung und die Gewerkschaftsbürokratie schürten.
Diese Kräfte haben sich um die so genannte Links- und Arbeiterfront (FIT-U) gruppiert, ein prinzipienloses Wahlbündnis, das seit langem von der Pseudolinken in ganz Lateinamerika und Europa als Modell propagiert wird. Sie haben jahrelang die Kämpfe der Arbeiterklasse durch Appelle an die Gewerkschaftsbürokratie und die peronistischen Politiker systematisch der kapitalistischen Politik untergeordnet und werden von Millionen von Arbeitern, die mit dem Peronismus brechen, eindeutig nicht als Alternative angesehen. Die FIT-U gewann im ersten Wahlgang 722.061 Stimmen, etwa 500.000 weniger als 2021.
Sämtliche Parteien der FIT-U unterstützten entweder Massa, erklärten, dass sie nicht gegen die Wahl von Massa seien, oder hatten sich zuvor an einer „Einheitsfront“ mit einer Fraktion der regierenden peronistischen Koalition beteiligt.
Jetzt schreiben sie, Milei sei „schwach“ und müsse die „bürgerliche Demokratie“ respektieren. Sie haben aufgehört, ihn als „faschistoid“ oder direkt als „Faschisten“ zu bezeichnen.
Nicolas del Caño von der morenistischen Socialist Workers Party (PTS) schreibt auf Twitter: „Die Milei-Regierung wird von Widersprüchen und vielen Schwächen geprägt sein.“ La Izquierda Diario, das Sprachrohr der PTS, schürt bereits Illusionen und behauptet, dass die peronistische Gewerkschaftsbürokratie Massa bekämpfen wird: „Was werdet ihr jetzt tun? Werdet ihr einen Ausnahmezustand ausrufen und Versammlungen einberufen? Ja oder nein, meine Herren.“ Die PTS verspricht dann, „von den Gewerkschaftsführungen ein Ende ihrer Passivität und einen Verzicht auf Deals mit Milei zu verlangen“.
Jorge Altamira seinerseits, der heute eine externe Fraktion anführt, die aus der 1964 von ihm gegründeten Arbeiterpartei PO ausgeschlossen wurde, erklärte kurz vor dem zweiten Wahlgang: „Man behauptet jetzt, die Demokratie sei bedroht. Wir aber bestreiten dies, weil die Demokratie den kapitalistischen Interessen dient. Die Debatte wird woanders geführt.“ Die herrschenden Eliten, fügt er hinzu, „wollen einerseits diesen Schlamassel mit einem wirtschaftlichen Schlag nach den Wahlen beseitigen und die Autorität eines gewählten Präsidenten und eines gewählten Kongresses dafür benutzen. Es steht nichts anderes zur Diskussion.“
Dieses Gerede ist kurzsichtig und nationalistisch und ignoriert den weltweiten Aufstieg faschistischer Kräfte. Darin äußert sich die soziale Position von Schichten aufstrebender pro-kapitalistischer Politiker und Gewerkschaftsbürokraten, die sich selbst leicht davon überzeugen, dass sie die Arbeiter unbegrenzt weiter verraten können, ohne dass ihr Handeln unweigerlich die Bedingungen für den Aufstieg des Faschismus schafft.
Die herrschende Klasse verlässt sich auf Mileis reaktionäres faschistisches Programm
Ein explosiver Zusammenstoß wird sich eher früher als später entwickeln, sobald Milei am 10. Dezember – dem 40. Jahrestag des Endes der Militärdiktatur – vereidigt wird. Seine Politik stellt eine existenzielle Bedrohung für die Arbeiterklasse dar, vor allem für die Teile, die von der mageren Sozialhilfe abhängig sind, die Milei ganz abschaffen will.
Milei trat bei Wahlkampfveranstaltungen mit einer Kettensäge auf und kündigte an, Demonstranten zu verhaften und den Sicherheitskräften „die Autorität zurückzugeben“. Gleichzeitig rechtfertigte und verharmloste er wiederholt die Ermordungen und Folterungen der faschistischen Militärdiktatur, die Argentinien von 1976 bis 1983 regierte. Im Wahlkampf versprach er eine Erhöhung der Militärausgaben um 0,6 Prozent auf zwei Prozent des BIP und den Einsatz des Militärs im Inland.
In seiner Dankesrede erklärte Milei, er werde schnell handeln, und drohte mit einem Krieg gegen die Arbeiterklasse: „Wir wissen, dass es einige gibt, die Widerstand leisten werden: alles gemäß dem Gesetz, nichts außerhalb.“
Seine Vizepräsidentschaftskandidatin Victoria Villaruel hat Karriere damit gemacht, die Ermordung von Zehntausenden von Linken während der Diktatur zu verharmlosen und zu rechtfertigen – so bezeichnet sie die Opfer der Diktatur als Terroristen. Als Reaktion auf Protestierende vor ihrem Wahllokal am Sonntag erklärte sie: „Jetzt wird zum ersten Mal die Tochter eines Offiziers Vizepräsidentin. [Die Demonstranten] waren es, die Terroristen und Kinder von Terroristen in Regierungspositionen gewählt haben.“
Milei hat außerdem klar gemacht, dass er als Marionette des US-Imperialismus agiert. Er schwenkte die israelische Flagge, um seine Unterstützung für den zionistischen Völkermord im Gazastreifen zu zeigen; zudem unterstützt er den Kriegskurs der Nato-Mächte gegen Russland, China und den Iran. Er lehnt alle Bestrebungen für eine „multipolare Welt“ ab, die die Hegemonie der USA gefährden würde und hat sogar vorgeschlagen, die Beziehungen zu Argentiniens wichtigsten Handelspartnern Brasilien und China abzubrechen und den BRICS-Staatenbund zu verlassen, dem Argentinien erst dieses Jahr beigetreten ist. Er erklärte außerdem, er werde den südamerikanischen Wirtschaftsblock Mercosur verlassen, der gerade dabei ist, ein Handelsabkommen mit der Europäischen Union abzuschließen.
Die Londoner Financial Times hat mehrfach gewarnt, u.a. mit Schlagzeilen wie „Argentinien taumelt von einer Dummheit in die nächste“, „Argentiniens Milei steht vor enormen Hürden, um regieren zu können“ und „Dollarisierender Störenfried bringt Instabilität“. Allerdings macht sie deutlich, was die City of London von Milei will. Der letztgenannte Artikel stellt sich hinter die Dollarisierung und betont, die Investoren würden nur bleiben, wenn „auf Radikalismus rasch Stabilität folgt“.
In einem Artikel mit dem Titel „Weint nicht um Mileis Argentinien“ begrüßte Bloomberg-Chefredakteur John Authers, Mileis Erklärung vom Sonntag, dass es „keinen Spielraum für schrittweise Maßnahmen gibt“, äußerte sich aber skeptisch über das Ergebnis von Mileis „großem Experiment in libertärer Ökonomie“.
Der Kolumnist schreibt: „Die bevorstehende Geldentwertung und die damit einhergehende Austerität würde jedem sehr viel abverlangen.“
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine dollarisierte Wirtschaft, in der die amerikanische Federal Reserve die Kontrolle über die Finanzpolitik hat, von der Finanzaristokratie radikale Maßnahmen erfordert, um die massiven Profite durch hohe Zinssätze und einen billigen Peso, wie sie die letzten Jahre vorherrschten, zu erhalten. Investoren wäre es lieber, wenn der Peso noch billiger wäre, aber eine dollarisierte Wirtschaft erfordert ebenfalls massive Kürzungen der Reallöhne und der Sozialausgaben oder die Aussicht auf Kapitalflucht.
Die herrschende Klasse weiß, dass selbst mildere soziale Einschnitte als die, die sie jetzt fordert, der Grund dafür waren, dass die argentinischen Arbeiter die Peronisten ablehnten und dass die Wall Street ein politisches Regime „verlangt“, das dem massiven Widerstand gewachsen ist, den seine Wirtschaftspolitik provozieren wird.
Leo Trotzki wies in „Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats“ darauf hin, dass der Kapitalismus das Risiko eingeht, die „Massen des verdummten Kleinbürgertums in Bewegung, die Banden deklassierter, demoralisierter Lumpenproletarier“ als Stoßtruppen gegen die Arbeiterklasse einzusetzen: „Vom Faschismus fordert die Bourgeoisie ganze Arbeit: hat sie einmal die Methoden des Bürgerkriegs zugelassen, will sie für lange Jahre Ruhe haben.“ Mit andern Worten, die Wall Street und dominante Teile der herrschenden Klasse, welche Milei unterstützen, erwarten von ihm „Stabilität“ und „Regierungsfähigkeit“, was unweigerlich auf den Weg des Bürgerkriegs führt.
Seine Regierung wird zunächst den Unterdrückungsapparat aufbauen und sich darauf verlassen müssen, dass die peronistische Gewerkschaftsbürokratie und die Pseudolinken den Klassenkampf eindämmen und die Arbeiter noch weiter zermürben und politisch entwaffnen.
Lateinamerika hat bereits mit Augusto Pinochets blutiger Diktatur in Chile (1973–1990) ein berühmtes libertär-faschistisches Experiment hinter sich, dessen Politik von dem Ökonomen Milton Friedman und seinen Jüngern, den „Chicago Boys“, zusammen mit Friedrich Hayek angeleitet wurde. Diese Quellen führt Milei am häufigsten als Inspiration an. Insbesondere bezieht sich Milei auf Friedmans Aussagen aus Briefen an Pinochet, auf Inflation müsse man mit einer „Schocktherapie“ reagieren, welche die Staatsausgaben drastisch kürzt und zu Massenarbeitslosigkeit führt, während gleichzeitig jegliche Kontrolle über Preise und Löhne aufgehoben wird.
Der argentinische faschistische Diktator von 1976 bis 1981, General Jorge Rafael Videla, ging ähnlich vor. Er schaffte Preiskontrollen ab, senkte die Exportsteuern und organisierte eine massive Geldentwertung, während er Löhne einfror, Streiks verbot und eine massive De-industrialisierung und Finanzialisierung der Wirtschaft vorantrieb. Das Ergebnis war Massenarbeitslosigkeit und die Senkung des Anteils der Arbeiter am Volkseinkommen von 43 Prozent auf 25 Prozent in zwei Jahren.
Heute ist der Imperialismus mit einer wachsenden Welle von Streiks und Protesten von unten konfrontiert, die den starken Anstieg von 1968 bis 1975, den diese Diktaturen zu unterdrücken halfen, noch weit übertreffen wird. Die Großmächte bereiten sich außerdem auf einen dritten Weltkrieg vor, indem sie versuchen, durch eine Neuaufteilung und Rekolonisierung der Welt die Kontrolle über wichtige strategische Bereiche und Ressourcen zu erlangen. In Argentinien muss sich der Imperialismus die Kontrolle über Lithium, Erdgas, Soja, Mais und andere Landwirtschaftsgüter sichern, die Ausbeutung der Arbeiter verschärfen und gleichzeitig Renten und andere Vermögenswerte plündern.
Die entscheidende Aufgabe, um diesem Angriff zu begegnen, ist der Aufbau von Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) als neue internationalistische und revolutionäre Führung der Arbeiterklasse in Argentinien, Lateinamerika und der Welt, um der Quelle von Faschismus, Völkermord und Krieg – dem kapitalistischen Profitsystem – ein Ende zu setzen.