Am Freitag gaben Volkswagen-Vorstand und IG-Metall-Betriebsrat erste Informationen preis, welche Elektromodelle in welchen Volkswagen-Werken gebaut werden sollen. Mit der frühen Veröffentlichung reagieren Konzern und Betriebsrat auf die wachsende Unruhe in den Belegschaften der einzelnen VW-Standorte. Eigentlich sollten erst nach der traditionell im November stattfindenden Planungsrunde die genauen Pläne veröffentlicht werden.
Es steht jetzt fest, dass das ursprünglich geplante „Trinity“-Werk in Wolfsburg, das dort bis 2026 im Stil einer Tesla-Gigafactory für zwei Milliarden Euro neu gebaut werden sollte, nicht entstehen wird.
Das VW-Management und ihre Co-Manager vom IGM-Betriebsrat haben sich im Aufsichtsrat für eine weitgehende Neubelegung der Werke entschieden. So sollen im Stammwerk in Wolfsburg neue Elektro-Modelle, wie der Nachfolger des ID.3 oder ein neu konzipierter Elektro-Golf gebaut werden. Das verkündete die Betriebsratschefin Daniela Cavallo, die gleichzeitig auch dem Betriebsrat im Wolfsburger Stammwerk vorsteht. Der Haken: Der neue E-Golf soll erst in fünf Jahren auf den Markt kommen. Bis dahin sollen im Werk der ID.3 und der für 2026 geplante Elektro-SUV Tiguan neben den auslaufenden Verbrenner-Modellen gefertigt werden.
Es gilt als höchst fraglich, ob so bis 2029, wenn zudem die Beschäftigungssicherung ausläuft, das Werk ausgelastet sein wird. Wie viele Arbeitsplätze bis 2029 und danach bereits auf der Streichliste stehen, teilten Vorstand und Betriebsrat nicht mit.
Der „Trinity“, der als ein Vorzeigeprojekt bejubelt wurde, soll jetzt in Zwickau gebaut werden. Auch der Nachfolger des Audi Q4 e-tron soll dort entstehen. Was sich für die Zwickauer VW-Beschäftigten zunächst erfreulich anhören könnte, hat allerdings auch einen Haken: Auch diese beiden Modelle sollen erst in fünf Jahren gebaut werden können, weil die neue Elektro-Plattform SSP nicht vor Ende des Jahrzehnts einsatzbereit sei.
In diesem Zusammenhang muss die Entscheidung des Vorstands gesehen werden, in Zwickau den Drei-Schicht-Betrieb aufzukündigen. Letzte Woche hat VW die über 30 Jahre währende Betriebsvereinbarung für den Drei-Schicht-Betrieb zum Jahresende gekündigt. Ein Sprecher teilte lediglich mit, Ziel sei eine neue Vereinbarung, „die der aktuellen Marktsituation Rechnung trage und die Wirtschaftlichkeit des Standorts sicherstelle“.
VW-Arbeiter haben der WSWS berichtet, dass diese Nachricht sie wie der Blitz getroffen habe und sich viele jetzt um ihre Arbeitsplätze Sorgen machten. Zumal eine Woche davor knapp 270 Leiharbeitern mitgeteilt wurde, dass ihre auslaufenden Verträge nicht verlängert werden und auch die restlichen 2200 Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter dasselbe zu befürchten haben. Außerdem ist am Dienstag bekannt geworden, dass VW Anfang Oktober die Produktion sowohl im Zwickauer Werk als auch in der Gläsernen Manufaktur in Dresden für zwei Wochen herunterfahren wird. Eine Fertigungslinie soll sogar komplett stillstehen.
Die jetzt gekündigte Betriebsvereinbarung zum Drei-Schicht-Betrieb war 1991 mit der IG Metall geschlossen worden. Der Wegfall einer Nachtschicht nach über 30 Jahren ist ein deutliches Indiz für die Tiefe der Umbaupläne. Das VW-Werk im Zwickauer Stadtteil Mosel wurde in den vergangenen Jahren für 1,2 Milliarden Euro zur reinen Fabrik für Elektrofahrzeuge umgebaut und beschäftigt ca. 10.700 Menschen.
Zwickau gilt als eine Wiege des deutschen Automobilbaus. Dort werden seit 1904 Autos hergestellt. Gründer war Automobilpionier August Horch. Aus rechtlichen Gründen firmierte er seine „August Horch Automobilwerke“ um und nannte sie ab 1915 „Audiwerke AG Zwickau“, „Audi“ als lateinische Übersetzung von „Horch!“
Im Jahr 1932 schlossen sich dann die vier sächsischen Automobilfirmen Audi, DKW, Horch und Wanderer zusammen; unter dem Namen Auto Union AG – symbolisiert durch die vier Ringe der heutigen Audi AG. Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit Gründung der DDR verlegte Auto Union Teile in den Westen und setzte später unter der Marke Audi die Produktion am heutigen Stammsitz Ingolstadt fort. Als nach der Wiedervereinigung die Produktion des „Trabi“ gestoppt wurde, riss sich der VW-Konzern das traditionelle Zwickauer Autowerk mit seinen hochqualifizierten, aber unterbezahlten Arbeitern unter den Nagel. Auch in Chemnitz und Dresden nutzte VW nach der Wende diesen „Standortvorteil“. Mit Hilfe der IG Metall wurden zunächst Tausende von Industriearbeitsplätzen vernichtet und anschließend die Tariflöhne bis heute nicht auf Westniveau angehoben.
In einem IG Metall „Extrablatt“ empört sich nun der IGM-Betriebsrat über die Kündigung der Betriebsvereinbarung. „Dieses Vorgehen greift den geplanten Verhandlungen zu den Fahrweisen für den Rest des Jahres 2023 und für das Jahr 2024 vor“. Der Wegfall einer Schicht bedeute: „1. Der Entfall der 30-minütigen bezahlen Pause“ und „2. Entfall des Nachtschichtzuschlages“.
Die IG Metall und der Betriebsrat sind nicht empört über den drastischen Stellenabbau, den der Wegfall einer Schicht bedeutet. Vielmehr beschweren sie sich darüber, dass die Aufkündigung der Betriebsvereinbarung zu vorschnell stattfand, obwohl man sich doch einig war. Glaubt der Betriebsrat allen Ernstes mit diesen Taschenspielertricks die Belegschaft täuschen zu können?
Wir haben bereits in unserem Artikel am 19. September aufgezeigt, wie die geheime Zusammenarbeit zwischen VW-Vorstand, IG-Metall-Bürokraten und Landesregierungen einer Verschwörung gegen die VW-Belegschaften gleichkommt: „Bei VW ist die IG Metall maßgeblich an der Entwicklung und Durchsetzung der konkreten Abbaupläne beteiligt.“
Alle grundsätzlichen Entscheidungen zur Unternehmensstrategie sowie zu den Werken und Modellen werden im Aufsichtsratspräsidium getroffen. Dort sitzen die wichtigsten Vertreter der Großaktionäre und der Gewerkschaft: der Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch, die beiden Familienoberhäupter der VW-Familien-Clans Dr. Hans Michel Piëch und Dr. Wolfgang Porsche sowie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) für das Land, das 20 Prozent der VW-Aktien besitzt. Von Seiten der IG Metall und des Betriebsrates sitzen aktuell der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, die Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Audi Peter Mosch und Gerardo Scarpino, Geschäftsführer des VW-Konzernbetriebsrates.
Scarpino hatte den Posten im Aufsichtsratspräsidium im April dieses Jahres von Jens Rothe übernommen. Der war bis Februar 2023 Vorsitzender des Betriebsrates von VW in Zwickau und des Gesamtbetriebsrats in Sachsen – und ist inzwischen Personalleiter von VW in Dresden.
Die in diesem obersten Gremium getroffenen Entscheidungen werden dann von den Tausenden betrieblichen IGM-Vertretern durchgesetzt. Im aktuellen Info-Blatt der Vertrauenskörperleitung der IG Metall im Volkswagenwerk (Ausgabe 04-2023) heißt es, Betriebsräte, Beauftragte des Unternehmens und die Vertrauensleute hätten „in den vergangenen Jahren immer eng mit den Führungskräften [...] Arbeitsplatzmaßnahmen durchgesprochen“. „Genau so muss es auch bei dem nun anstehenden Effizienzprogramm weitergehen. Nur in enger Zusammenarbeit und mit einer gemeinsamen Linie kann Volkswagen gemeinsam mit dem Betriebsrat und der IG Metall die bevorstehenden Aufgaben erfolgreich abarbeiten.“
Dabei verhehlt die Vertrauenskörperleitung (VKL) der IG Metall nicht, worum es bei allen „Arbeitsplatzmaßnahmen“ ging: Um „Personalabbau“, das sei auch beim neuen Performance Programm „ACCELERATE FORWARD | Road to 6.5.“ so, wobei die 6,5 für die angestrebte Verdreifachung der Profitmarge bei der Kernmarke VW steht. Stefan Stolzenburg, Mitglied der VKL, wird ausführlich zitiert, weil er auf der letzten Betriebsversammlung „Stellung“ bezog. In Wirklichkeit hat er das VW-Management ergebenst gebeten: „Nehmen Sie uns als Belegschaft auf den Weg der Transformation mit. Binden Sie uns als Belegschaft, Vertrauensleute und Betriebsräte aktiv ein. Unsere Kolleginnen und Kollegen sind die Spezialisten vor Ort.“
Das bestätigt einmal mehr die Einschätzung der WSWS zur Rolle der IG Metall im Allgemeinen und ihrer Vertreter bei VW im Besonderen: „In keinem anderen deutschen Unternehmen ist die Zusammenarbeit zwischen Management und Gewerkschaft so ausgefeilt wie bei Volkswagen. IG Metall und Betriebsrat sorgen mit einem Heer vollamtlicher Funktionäre dafür, dass die Entscheidungen des Konzerns reibungslos umgesetzt werden und kein Widerstand dagegen aufkommt.“
Die jetzt vorgezogene Ankündigung über die Neubelegung der Werke mit den vielgepriesenen neuen „wettbewerbsfähigen“ Elektromodellen folgt dem Zweck, die VW-Arbeiter zu beruhigen und so lange wie möglich hinzuhalten. Währenddessen wollen die IGM-Vertreter im Werk für die Umsetzung des Personalabbau-Programms sorgen.
Denn die Großaktionäre und Investoren drängen darauf. Sie sind unzufrieden mit dem tendenziell fallenden VW-Aktienkurs, während er bei Tesla steil nach oben zeigt. Die brutalen Ausbeutungsmethoden in Elon Musks Gigafabriken sind für sie der Maßstab.
Um dem Personalabbau erfolgreich entgegentreten zu können, müssen von der IG Metall und ihrem Betriebsrat unabhängige Aktionskomitees aufgebaut werden. Darin müssen sich alle VW-Arbeiterinnen und Arbeiter zusammenschließen, die ernsthaft kämpfen wollen.
Sie werden sofort mit ihren internationalen Verbündeten in Kontakt treten, den Arbeiterinnen und Arbeitern, die in fast jedem Land der Welt gegen ähnliche Angriffe auf Arbeitsplätze und Löhne kämpfen. So stehen gegenwärtig 150.000 Autoarbeiter in den USA in Tarifauseinandersetzungen mit Ford, GM und Stellantis, werden aber ebenfalls von ihrer Gewerkschaft, der UAW (United Auto Workers) von einem Streik abgehalten, für den 97 Prozent der Belegschaften gestimmt haben.
Die Gründung eines Aktionskomitees bei VW wird entscheidend dazu beitragen, eine Achse des Widerstands zwischen Wolfsburg, Detroit und anderen Autometropolen aufzubauen und den Kampf gegen den Kahlschlag bei VW zum Bestandteil einer systematischen, internationalen Offensive in der Auto- und Zulieferindustrie zu machen.
Wir rufen alle VW-Beschäftigten auf: Meldet euch per Whatsapp-Nachricht unter +491633378340 oder füllt das folgende Formular aus.