Rechtsextreme polnische Regierung droht mit Einstellung neuer Waffenlieferungen an die Ukraine

Am 20. September kündigte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen der polnischen und der ukrainischen Regierung an, Warschau werde „der Ukraine keine weiteren Waffen schicken“. Die Erklärung, die in direktem Widerspruch zur Politik der Nato zu stehen schien, die Ukraine für den Krieg gegen Russland aufzurüsten, wurde von führenden Kreisen in ganz Europa verurteilt.

Polens Premierminister Mateusz Morawiecki und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am 5. April in Warschau [AP Photo/Michal Dyjuk]

Am Freitag versuchte der polnische Präsident Andrzej Duda, Morawieckis Äußerungen herunterzuspielen. Er verwies auf Polens massives Aufrüstungsprogramm, das die Bereitstellung von vier Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigungsausgaben sowie den Aufbau einer Panzerflotte mit 1.500 Panzern vorsieht, und erklärte: „Der Ministerpräsident meinte lediglich, dass die neuen Waffen, die wir zur Modernisierung der polnischen Armee anschaffen, nicht an die Ukraine weitergeben werden.“ Duda beschwerte sich, Morawieckis Äußerungen seien „auf die schlimmste Art und Weise interpretiert worden“.

In Wirklichkeit war Morawieckis Drohung zweifellos ein Ausdruck der tief verwurzelten Konflikte zwischen der rechtsextremen polnischen Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und dem von der Nato unterstützten Regime des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die sich angesichts des US/Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine weiter verschärfen.

Kurz zuvor hatte das Kiewer Selenskyj-Regime die polnische Regierung bei der Welthandelsorganisation (WTO) verklagt, weil sie einseitig Zölle gegen ukrainische Getreideexporte verhängt hatte. Nachdem die Europäische Union (EU) wegen des Kriegs die Zölle für ukrainisches Getreide aufgehoben hatte, führten Polen genauso wie die Slowakei und Ungarn letzte Woche einseitig Zölle ein, um den Verfall der Getreidepreise für ihre Bauern zu verhindern. Angesichts der Parlamentswahl in Polen im nächsten Monat hoffte die PiS, sich durch diesen Schritt den Rückhalt der Kleinbauern zu erhalten, die etwa 10-13 Prozent der polnischen Bevölkerung ausmachen.

Nachdem er die Klage gegen Polen bei der WTO eingebracht hatte, attackierte Selenskyj Warschau zusätzlich am Dienstag bei der UN-Generalversammlung in New York.

Um zu erklären, warum die Nato ihren Krieg gegen Russland weiter verschärfen sollte, prangerte Selenskyj nicht nur Russland, sondern auch Nato-Staaten an, die die Ukraine angeblich nicht ausreichend unterstützen: „Es ist unmöglich, diesen Krieg zu beenden, weil alle Bemühungen an einem Veto des Aggressors oder seiner Unterstützer scheitern.“ Er warf mehreren nicht genannten europäischen Staaten vor, Russland „indirekt zu unterstützen“.

Selenskyjs Äußerungen lösten sofort eine diplomatische Krise mit dem erbittert antirussischen, rechtsextremen Regime in Warschau aus. Die PiS-Regierung bestellte den ukrainischen Botschafter Wasyl Swarytsch ein, um Selenskyjs Unterstellungen zu verurteilen, die PiS-Regierung hege irgendwelche Sympathien gegenüber Russland. In der Erklärung des polnischen Außenministeriums hieß es, der stellvertretende Außenminister Pawel Jablonski habe „scharfen Protest“ gegen Selenskyjs Äußerung vorgebracht, einige EU-Staaten würden „Solidarität [mit der Ukraine] vortäuschen, aber indirekt Russland unterstützen“.

Weiter hieß es: „In multilateralen Foren Druck auf Polen auszuüben oder sich bei internationalen Gerichten zu beschweren, sind keine angemessenen Methoden, Streitigkeiten zwischen unseren Ländern zu lösen.“

Polnische Regierungsvertreter übten jedoch weiterhin Kritik an der katastrophalen „Gegenoffensive“ der Ukraine im Sommer, die schätzungsweise 400.000 ukrainischen Todesopfer in Folge des Kriegs gekostet hat. Duda erklärte: „Die Ukraine benimmt sich wie ein Ertrinkender, der sich an alles klammert, was er zu fassen bekommt. Ein Ertrinkender ist äußerst gefährlich, er kann einen mit in die Tiefe ziehen... und den Retter einfach ertränken.“

Morawiecki rief seinerseits dazu auf, keine weiteren neuen Waffen an die Ukraine zu liefern. Er fügte hinzu, die PiS-Regierung würde sich „hauptsächlich darauf konzentrieren, die polnische Armee schnell zu modernisieren und zu bewaffnen, sodass sie in Kürze eine der stärksten Landstreitkräfte Europas wird“. Gleichzeitig machte er deutlich, dass die PiS-Regierung weiterhin hinter dem Nato-Krieg gegen Russland steht. Er kündigte an, Warschau werde weiterhin Nato-Waffenlieferungen an die Ukraine über den polnischen Militärstützpunkt Rzeszow nahe der Grenze zur Ukraine zulassen.

Die wichtigsten Regierungen der Europäischen Union (EU) und die Medien verurteilten die PiS für ihre – wenn auch begrenzte – Kritik am Nato-Krieg gegen Russland. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung gab dabei den Ton vor, indem sie einen „Dammbruch in Polen“ beklagte: „Es ist atemberaubend, wie die PiS-Regierung die Ukraine zum Spielball wahltaktischer Manöver macht. Sie offenbart ein engstirniges Verständnis polnischer Interessen und entwertet ihre bisherige Haltung zum Krieg.“

Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna kritisierte die polnischen Äußerungen als „bedauerlich“ und von „internen politischen Erwägungen“ diktiert. Die Medien taten sie ebenfalls als Wahlpropaganda ab. Die Tageszeitung Le Monde klagte in ihrem Leitartikel: „Polen hat die Orientierung verloren... Die polnische Regierung, bisher der solideste Verbündete der Ukraine, wendet sich aus wahlkampftaktischen Erwägungen gegen Kiew. Diese Taktik ist gefährlich für die Ukraine und Europa.“

Die wichtigste bürgerliche Oppositionspartei Polens, die EU-freundliche Bürgerplattform des ehemaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk, äußerte sich ähnlich. Tusk warf der PiS vor, sie habe „einen moralischen und geopolitischen Skandal [ausgelöst], indem sie der Ukraine politisch in den Rücken fällt... nur weil es ihr im Wahlkampf dient.“

Zweifellos verfolgt die PiS einen rechtsextremen und nationalistischen Kurs, der feindlich gegenüber der Arbeiterklasse ist. Ihr Aufrüstungsprogramm und ihre Waffenlieferungen an das Selenskyj-Regime gingen Hand in Hand mit der Verarmung der polnischen Arbeiter, während die Inflation 18 Prozent erreichte, und mit der Einrichtung von Scheingerichten zur Verurteilung von Staatsfeinden wie etwa diejenigen, die der Sympathie für Russland beschuldigt werden. Doch der Versuch der EU-freundlichen Kräfte, den polnisch-ukrainischen Konflikt als Wahlkampfmanöver der PiS abzutun, ist eine politische Lüge.

Durch ihre Erklärungen vor den Vereinten Nationen haben Biden und Selenskyj deutlich gemacht, dass die Nato trotz des blutigen Scheiterns der ukrainischen „Gegenoffensive“ entschlossen ist, den Krieg mit Russland weiter zu eskalieren. Polen, das an die russische Enklave Kaliningrad und an die mit Russland verbündete ehemalige Sowjetrepublik Belarus angrenzt, steht bei dieser Eskalation an vorderster Front. Unabhängig von den Absichten der PiS-Regierung werfen diese Pläne für einen dritten, gesamteuropäischen Weltkrieg brisante politische Fragen auf.

Polen hat im Zweiten Weltkrieg mehr als fünf Millionen Einwohner, etwa ein Sechstel seiner Vorkriegsbevölkerung, verloren, überwiegend durch die Nazi-Besatzungsmacht, bevor es 1944 durch die Rote Armee von der Naziherrschaft befreit wurde. Doch zu Beginn des Kriegs wurde Polen zwischen Deutschland und der Sowjetunion unter den reaktionären Bedingungen des Nichtangriffspakts zwischen Stalin und Hitler von 1939 aufgeteilt. In dieser ersten Phase des Kriegs verübte die sowjetische Geheimpolizei NKWD, die Stalin loyal ergeben war, in Ostpolen Massenmorde, wie das Massaker im Wald von Katyn.

Nachdem Hitler 1941 seinen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion begonnen hatte, arbeiteten Einheiten der SS mit ukrainischen Nazi-Kollaborateuren unter der Führung von Stepan Bandera zusammen und verübten einen Völkermord an Juden und Polen.

Die PiS, in der sich selbst neofaschistische und antisemitische Elemente befinden, sah sie sich gezwungen, in begrenztem Umfang gegen die Verherrlichung Banderas durch das von der Nato unterstützte ukrainische Regime zu protestieren. Als das ukrainische Parlament und General Walerij Saluschnnyj im Januar das Andenken Banderas würdigten, erklärte die PiS euphemistisch, die Gedenkveranstaltung für Bandera „muss Einwände hervorrufen“.

Diese Konflikte und die Möglichkeit, dass Polen in die Ukraine einmarschieren könnte, um die ehemals polnisch kontrollierten Gebiete um Lwiw in der Westukraine zurückzuerobern, bilden die Grundlage für die derzeitigen Streitigkeiten zwischen Warschau und Kiew.

Sie verdeutlichen den historischen Bankrott des Imperialismus und des Stalinismus. Die Wiedereinführung des Kapitalismus durch die stalinistischen Regime in den Jahren 1989–91 hat unbestreitbar zur Katastrophe geführt. Die ehemaligen Sowjetrepubliken Russland und Ukraine führen einen brudermörderischen Krieg, der von den imperialistischen Nato-Mächten geschürt wurde. Die Parteien, die aus der Wiedereinführung des Kapitalismus in Polen 1989 hervorgegangen sind, sind entweder offene Befürworter des Kriegs gegen Russland oder rechtsextreme Befürworter einer polnischen Aufrüstung. Dies schafft jedoch nur die Bedingungen für einen noch blutigeren Zusammenstoß zwischen der Nato und Russland.

Dass der Kapitalismus die Welt in einen neuen Weltkrieg stürzt, verweist umso nachdrücklicher auf die marxistische Alternative zum Stalinismus, die Leo Trotzki mit seiner Perspektive darstellt. Sie besteht darin, die europäische und internationale Arbeiterklasse im revolutionären Kampf gegen den Kapitalismus und die stalinistische Bürokratie zu vereinen.

Es gibt, auch in Polen selbst, eine starke Opposition gegen den Krieg und die Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter, mit denen der Krieg finanziert wird. In der jüngeren Vergangenheit kam es in Polen zu einem landesweiten Streik der Lehrkräfte und zu Massenprotesten gegen das undemokratische Vorhaben des PiS-Regimes, Gerichte für Prozesse gegen mutmaßliche russische Sympathisanten einzurichten. Um jedoch eine verheerende militärische Eskalation zwischen Atommächten zu verhindern, muss diese Opposition der Arbeiterklasse über nationale Grenzen hinweg in einer internationalen Bewegung gegen Imperialismus, Krieg und Kapitalismus vereint werden.

Loading