Autoarbeiter in Deutschland unterstützen den Arbeitskampf ihrer US-Kollegen

Schichtwechsel am Stellantis-LKW-Werk Warren, 21. September 2023 (Foto: WSWS)

Der Arbeitskampf der US-Autoarbeiter der „Big Three“, der drei großen US-Konzerne Ford, GM und Stellantis, findet auch unter Autoarbeitern in Deutschland Anerkennung und Solidarität. Zwar haben die deutschen Medien beschlossen, den Konflikt so weit wie möglich totzuschweigen, aber Arbeiterinnen und Arbeiter bei Ford, Mercedes, VW oder Stellantis/Opel bringen dem Kampf ihrer amerikanischen Kollegen lebhaftes Interesse entgegen. Dies umso mehr, als sie selbst mit den gleichen oder ähnlichen Problemen konfrontiert sind.

In den letzten Tagen haben WSWS-Teams an den Werkstoren von Ford in Köln, VW in Zwickau, Mercedes-Benz in Ludwigsfelde bei Berlin und Opel/Stellantis in Rüsselsheim Tausende Flyer mit dem Aufruf Will Lehmans, eines Sozialisten und Autoarbeiters aus Pennsylvania, verteilt. Unter dem Titel, „Mobilisiert die Belegschaften für einen Vollstreik der Automobilarbeiter!“ warnt Lehman darin vor einem Ausverkauf durch die Führung der Autogewerkschaft UAW unter Shawn Fain:

„Die Autoarbeiter haben letzten Monat mit 97 Prozent für einen Streik gestimmt“, schreibt Lehman, „aber Fain und die Bürokratie zwingen fast 97 Prozent der Mitglieder dazu, weiter zu arbeiten!“ Eine solche Strategie könne nur dazu führen, „dass die Unternehmen gewinnen und die Arbeiter verlieren werden, und hunderttausende Arbeitsplätze durch den Übergang zur Produktion von elektrischen Fahrzeugen vernichtet werden“.

Lehmans Aufruf, die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees aufzubauen, um „uns mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Mexiko, Kanada und anderen Ländern (…) zusammenzuschließen“, hat in der Solidarität von Autoarbeitern in Deutschland eine starke Grundlage. An allen Werken lernen wir Arbeiterinnen und Arbeiter kennen, die ihre streikenden Kollegen in den Vereinigten Staaten unterstützen und an ihrem Kampf regen Anteil nehmen.

Viele stimmen zu, dass man vor allem verhindern müsse, dass bei einem ausgedehnten Arbeitskampf etwa Streikbruch in den europäischen Werken begangen werde.

Bernhard, Ford-Arbeiter in Köln

Auf jeden Fall dürfe man in Köln keine Arbeiten übernehmen, die in den USA durch den Streik ausfallen, bestätigt Bernard, ein Kölner Ford-Arbeiter. „Das wäre das Beispiel, bei dem ich auch dahinter stehen würde.“ In Rüsselsheim erklärt ein „Opelaner“ ebenfalls: „Streikbruch hier im Werk werden wir nicht zulassen.“ Die Solidarität mit den streikenden Stellantis-Kollegen in den USA sei „eine Selbstverständlichkeit“. Viele andere sagen im Vorbeigehen, dass sie bisher wenig von dem Streik gehört hätten, aber den Kollegen „viel Glück“ wünschten: „Sie sollen durchhalten!“

Ein Opel-Montagearbeiter sagt: „Ich wünsche denen viel Glück; es ist gut, was sie machen, sehr gut!“ Mario, ein jüngerer Opelaner, stimmt zu: „Hoffentlich haben die amerikanischen Kollegen Erfolg in ihrem Arbeitskampf! Bei uns ist es genauso beschissen. Sie dürfen nicht aufgeben.“

Bei Mercedes-Benz in Ludwigsfelde sagt ein Kollege: „Ihre Ziele sind gerechtfertigt; sie sollen daran festhalten und weitermachen.“ Ein anderer hofft, dass die US-Kollegen auch dann durchhalten, wenn es schwierig wird, wenn die Gewerkschaft und die Regierung „gerade in diesen schweren Zeiten“ ein Ergebnis durchdrücken wollen, das eher gut für die Konzerne als für die Arbeitet sei. „Sie müssen einfach durchhalten!“ sagt er.

Schnell kommen die Autoarbeiter auf die Probleme zu sprechen, die ihnen in ihrem jeweiligen Werk hier in Deutschland das Leben schwer machen. Was ihnen den Schlaf raubt, sind Probleme wie die Inflation, Kurzarbeit in der Pandemie, der Vormarsch der unsicheren, schlecht bezahlten Leiharbeit und vor allem die Transformation auf E-Mobilität unter kapitalistischen Verhältnissen.

In Ludwigsfelde stehen die über 2.000 Kollegen des Mercedes-Benz-Werks vor der Ungewissheit, dass die Produktion der Kleinlastwagen zum Ende des Jahrzehnts eingestellt werden soll. „Ich kenne auch hier bei uns viele Existenzängste“, sagt eine Daimler-Kollegin die sich dagegen wendet, dass „in den USA die Tariferrungenschaften abgeschafft werden“. Sie ergänzt: „Ich stehe zu den Kollegen in den USA.“

Auch bei VW in Zwickau droht der Verlust von mindestens 2.200 Arbeitsplätzen, wenn die Verträge der befristet Beschäftigten auslaufen. Im Übergang zur E-Mobilität will VW in Kooperation mit der IG Metall an mehreren Standorten tausende Stellen streichen. Dazu sagt Stefan, einer der Befristeten in Zwickau: „Ich bin gar nicht in der IG Metall; das Geld spare ich mir. Ich sehe im Werk auch nie jemanden von der IG Metall. Die wollen nur selbst abkassieren – und die Reichen werden immer reicher.“ Den Aufbau unabhängiger Aktionskomitee findet Stefan eine gute Idee.

Ein älterer Arbeiter bestätigt diese Aussagen mit den Worten: „Betriebsräte werden freigestellt und besser bezahlt. Damit geht die Korruption doch schon los. Zu uns Arbeitern haben sie kaum noch Bezug.“ Er rechnet grob vor, wie viele Millionen Euro sämtliche Befristeten in all den Jahren an Mitgliedsbeiträgen eingezahlt haben – „und nun rührt die IG Metall für sie keinen Finger“.

Schichtwechsel bei Opel in Rüsselsheim (Foto: WSWS)

Bei Opel in Rüsselsheim, das heute zu Stellantis gehört, sagen zwei Kollegen dem WSWS-Team: „Ihr müsstet mal mit ins Werk kommen und euch die miesen Bedingungen ansehen. Wir werden nur noch verheizt.“

„Die Arbeiter haben überall die gleichen Probleme“, sagt Pedro, nachdem er von dem „Two-Tier“-System in den USA gehört hat. Er selbst ist erst nach zwei Jahren als Leiharbeiter fest übernommen worden. Sein Kollege ergänzt: „Hier im Werk haben wir nur noch ganz wenig Stammbelegschaft. Wir sind denen ja zu teuer geworden. Stellantis macht Milliardengewinne, aber im Werk haben sie über 40 Prozent Leiharbeiter, und wir schuften auch an jedem zweiten Samstag.“ Eine junge Leiharbeiterin berichtet, sie sei seit fünf Monaten im Werk, und sagt: „Mehr und mehr wird die ganze Bandarbeit auf uns Leiharbeiter abgeladen.“

In Rüsselsheim wird seit einiger Zeit, nach mehreren Kurzarbeits-Perioden, der Astra im Zweischichtbetrieb produziert. „Die Gewinne sprudeln“, schreibt die FAZ. Stellantis-Vorstandschef Carlos Tavares hat im letzten Jahr nicht weniger als 23,5 Millionen Euro kassiert. Die ganzen „sprudelnden Gewinne“ gehen zu Lasten der Arbeiter: Mehr als 1.000 von rund 2.500 Beschäftigten sind Leiharbeiter, und der Betriebsrat hat sogar zugestimmt, dass sie für bis zu 36 Monate – statt wie bisher für 18 Monate – ohne Festanstellung im Werk beschäftigt werden können. Gegen die extensive Leiharbeit kam es am 6. Juli im Werk zu einer Protestaktion in der Endmontage.

Bei Ford in Köln befürchtet Bernard, dass womöglich „alles geschlossen wird. Das wird alles nach Rumänien verlegt. Im Moment wird hier für Craiova gepresst, wo die Teile dann verarbeitet werden.“ Schon als Ford in Genk geschlossen wurde, fährt Bernard fort, da habe man sich seinen Teil gedacht, „ob die Gewerkschaft da wirklich alles Nötige getan hat“.

Im Kölner Presswerk werden gerade Karosserieteile für das Ford-Werk im rumänischen Craiova gefertigt. Die Fiesta-Produktion wurde im Sommer eingestellt, und der geplante Start des Elektromodells Explorer, das Ford in Kooperation mit VW bauen will, ist auf Juni 2024 verschoben. Dies alles schürt die Sorge vor erneuter Kurzarbeit, Entlassungen oder der Schließung ganzer Abteilungen. Schon die Ford-Werke im belgischen Genk (2012) und im französischen Blanquefort (2019) wurden geschlossen und das Schicksal von Ford-Saarlouis ist besiegelt, wenn es nach dem Vorstand und der IG Metall geht – wogegen das Ford-Aktionskomitee sich jedoch entschieden wehrt.

„Man baut jetzt voll auf E-Autos. Wie das hier weitergeht, das weiß im Moment kein Mensch so richtig“, fährt Bernard fort. „Schließlich gilt: ‚Time is Money‘, und wenn hier von Oktober bis Juni Stillstand ist und wir hier drin Däumchen drehen, dann weiß ich nicht, wie das weiter geht. Wer soll das wissen? Alles ist möglich.“

Zu der Tatsache, dass in den USA 97 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für Streik gestimmt, aber die Autogewerkschaft UAW insgesamt nur drei kleinere Werke in den Streik gerufen hat, sagt Bernard: „Wenn man das Ganze bedenkt, weltweit, nicht nur in den USA, dann betrifft das ja auch Ford in Europa. So wie sie immer mit dem Spruch: ‚One Ford‘ werben – da seh‘ ich aber kein ‚One Ford‘. Alle Arbeiter müssten mal an einem Strang ziehen.“

Zu dem Vorschlag, dass Arbeiter sich unabhängig von der Gewerkschaft und international zusammenschließen, sagt Bernard: „Das klingt auf jeden Fall vernünftig. Es klingt sehr vernünftig: international.“ Und die amerikanischen Kollegen im Tarifkampf fordert er auf: „Macht weiter. Lasst die Köpfe nicht hängen. Kämpft einfach weiter, bis ihr euch Gehör verschafft, bis die anderen auch wach werden und mit anpacken, mit helfen und Solidarität zeigen. Und dann können wir weltweit was bewegen.“

Schichtwechsel bei Opel in Rüsselsheim (Foto: WSWS)

Viele Autoarbeiter sorgen sich auch um die angespannte Kriegslage in der Ukraine gegen Russland. In Rüsselsheim lernen wir Mohsen, einen jungen Arbeiter aus Afghanistan, kennen, der bei Opel Leiharbeit verrichtet. Er bringt das Gespräch auf die Kriegswirtschaft, die der Grund dafür ist, dass die Gewerkschaften gerade jetzt jeden Arbeitskampf vermeiden. Das sei offenbar in Deutschland nicht anders als in den USA. Dass die Regierung mit ständigen Waffenlieferungen Öl ins Feuer gieße und die Gewerkschaft das akzeptiere, sei „nicht in Ordnung“, sagt Mohsen: „Ich bin vollkommen gegen Krieg. Ich bin ja selber aus dem Krieg, aus Afghanistan, geflüchtet.“

Von der Gewerkschaft hält er nichts. „Anfangs habe ich daran gedacht, in die IG Metall einzutreten“, berichtet Mohsen. „Aber im Lauf von drei Monaten ist kein einziger von denen bei uns Leiharbeitern vorbeigekommen. Ich glaube, die kümmern sich nicht um uns.“

Der Kampf um Löhne, Arbeitsplätze und Existenzbedingungen, der vor Autoarbeitern in den USA, in Deutschland und in jedem Land steht, beweist, dass es heute darum geht, in jedem Werk unabhängige Aktionskomitees aufzubauen. Deshalb hat das Internationale Komitee die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) gegründet. Diese hat sich verpflichtet, die Kämpfe über die Ländergrenzen hinweg zusammenzuschließen und „eine globale Gegenoffensive der Arbeiterklasse einzuleiten und zu entwickeln“.

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