Regierung und Gewerkschaft beenden rumänischen Lehrerstreik

In einem eklatanten Akt des Verrats und der Zusammenarbeit mit den Behörden hat die Gewerkschaftsbürokratie den landesweiten Streik der rumänischen Lehrkräfte am Montag, den 12. Juni, beendet. Hunderttausende Lehrkräfte hatten sich an dem Streik beteiligt, und viele von ihnen hatten über viele Wochen immer wieder an Kundgebungen und Demonstrationen im ganzen Land teilgenommen.

Ausschnitt aus einer Demonstration streikender Lehrkräfte in Bukarest

Der Lehrerstreik ist Teil einer Welle von Arbeitskämpfen im Land. Auch Beschäftigte im Gesundheitswesen, bei der Bahn, dem öffentlichen Nahverkehr und im Bergbau haben sich an unterschiedlichen Streiks und Aktionen beteiligt. In dieser Situation hat die Lehrergewerkschaft mit der Regierung eng zusammengearbeitet, um den Streik abzubrechen.

Dieser reaktionäre Schritt dient einem wichtigen Ziel: Die Gewerkschaftsbürokratie fürchtet eine breitere Bewegung der Arbeiterklasse, die ihrer Kontrolle entgleiten könnte, denn dies könnte die von ihr unterstützte kapitalistische und militaristische Regierungsagenda untergraben.

Die rumänische herrschende Klasse versucht, die Krise, die durch die Pandemie entstanden ist, und den allgemeinen Kriegskurs gegen Russland zu nutzen, um ihre Position als wichtiger Klientelstaat des Imperialismus auf dem Balkan und in der Schwarzmeerregion zu stärken.

Der Nato-Vizepräsident und rumänische Sozialdemokrat Mircea Geoana hat die Ambitionen der rumänischen Oligarchie in einer Rede deutlich gemacht. Er sprach von einer „historischen Chance“ für die rumänische Bourgeoisie und sagte:

Ich will eins sagen: Die gesamte moderne Geschichte Rumäniens ist das Resultat der Chancen, die die rumänischen Eliten in Momenten geopolitischer Erschütterungen genutzt haben. Schon Kleinrumänien (das alte Königreich) ist so entstanden. Kleinrumänien entstand nach dem Krimkrieg, Großrumänien nach dem Ersten Weltkrieg und Westrumänien nach dem Fall des Kommunismus. [...] Zum ersten Mal in der Geschichte dieses Landes, das Rumänien heißt, werden wir kein Grenzland mehr sein, sondern das neue Gravitationszentrum Europas. Das ist über diesen Krieg hinaus wichtig, denn Europa stellt sich gerade neu auf.

Eine enorme Ausweitung der Militärausgaben und -anschaffungen geht EU-weit mit Schuldenabbau und Sparmaßnahmen einher. Deshalb betrachtet die Regierung die Hauptforderungen der Lehrkräfte, nämlich die Abschaffung der Armutslöhne und die Erhöhung der Bildungsausgaben auf 6 Prozent des BIP, als unvereinbar mit ihren eigenen Zielen.

Um den Arbeitern so viel wie möglich von den Kosten des Kriegs und der Wirtschaftskrise aufzuhalsen, hat die Regierung ihre eigenen Regeln gebrochen. Sie hat das Gesetzesvorhaben, das die Bereitstellung von 6 Prozent des BIP für die Bildung vorschreibt, in den letzten 12 Jahren immer wieder „aufgeschoben“. Sie hat sich auch geweigert, das Gehaltsgesetz aus dem Jahr 2017 umzusetzen, das eine jährliche Gehaltserhöhung für Staatsbedienstete vorsah. Die Behörden haben das Gesetz von 2017 für viele Kategorien, darunter die Lehrkräfte und Beschäftigte im Gesundheitswesen, niemals angewandt. Dabei berücksichtigt dieses Gesetz noch nicht einmal den explosionsartigen Anstieg der Preise in den letzten Jahren.

Die Regierung hat in den Verhandlungen ein doppeltes Spiel getrieben. Sie hatte nie die Absicht, den Lehrkräften auch nur einen Millimeter weit entgegenzukommen, weil sie auch keine anderen Arbeitergruppen ermutigen wollte, ihrerseits Gehaltserhöhungen zu fordern. Von den ersten Tagen des Streiks an stellte die Regierung den Lehrkräften ein Ultimatum. Ihr Angebot beschränkte sich auf die Anwendung des Gesetzes von 2017 und eine Regelung für jährliche Prämien von etwa 300 Euro.

Die Lehrkräfte haben dieses Ultimatum wiederholt abgelehnt, aber die Gewerkschaftsführung versuchte, es durchzusetzen.

Am späten 10. Juni, einem Samstagabend, teilten die Gewerkschaftsführung und Regierungssprecher den Lehrern mit, sie hätten bis zum 11. Juni um 9 Uhr Zeit, das letzte Angebot anzunehmen. Die Lehrer protestierten gegen diese offensichtliche Provokation, die noch dadurch verschlimmert wurde, dass das Angebot aus verschiedenen Paketen bestand und durch undurchsichtige Formulierungen und verschiedene Indizes verschleiert wurde. Die Gewerkschaften erläuterten den Mitgliedern das Angebot in keiner Weise und nahmen nicht einmal pro-forma-Gespräche mit ihnen auf. Die Lehrkräfte waren gezwungen, eigene Rechts- und Wirtschaftsexperten zu konsultieren.

Am Morgen des 12. Juni setzten die Gewerkschaftsbosse nach einem Treffen mit der Regierung den Streik „vorübergehend“ aus, um der Regierung angeblich Zeit zu verschaffen, das „Angebot“ vom Samstagabend in ein Gesetz zu gießen. Die Lehrkräfte wurden von dieser Entscheidung überrascht und erfuhren erst aus dem Fernsehen von diesem Verrat. Im Bezirk Suceava kam es zu Protesten, bei denen Pädagogen die Büros der Bezirksgewerkschaften belagerten. Andere prangerten den Verrat in den sozialen Medien an.

Das Angebot, für das die Gewerkschaft den Streik abgebrochen hatte, wurde der Öffentlichkeit als „25%ige Lohnerhöhung, jährliche Prämien und eine 50%ige Erhöhung ab 1. Januar 2024“ präsentiert.

Dies ist ein kompletter Betrug. Die Regierung hat am 12. Juni zwei Notstandsgesetze verabschiedet. Eins davon verpflichtet sie zur Anwendung des Gehaltsgesetzes von 2017 auf dem Niveau von 2022. Hinzu kommt eine zusätzliche Erhöhung in Höhe von 50 Prozent der Differenz zwischen dem Grundgehalt und dem voraussichtlichen Grundgehalt am 1. Januar 2024. Darüber hinaus erhalten pädagogische Hilfskräfte ab diesem Juni 260 Euro brutto mehr, und das nicht-lehrende Personal bekommt 80 Euro brutto mehr.

Das zweite Notstandsgesetz bezieht sich auf eine „Lehrkräftezulage“ in Höhe von 400 Euro für Lehrkräfte und 100 Euro für nicht-lehrendes Personal, die im Oktober ausgezahlt werden soll. Diese Zahlung, die die Regierung als „nationale Maßnahme zur Unterstützung der Bildungstätigkeit“ bezeichnet, soll bis 2027 jährlich erfolgen und ist an arbeitsbezogene Ausgaben gebunden.

Die Gewerkschaften machen ein großes Wesen aus dem „Grundsatz“ der Regierung, das Gehalt der Einstiegslehrkräfte ab 2024 „auf der Grundlage des mittleren Grundgehalts im Land“ zu berechnen. Dabei wissen die Lehrkräfte seit Langem, dass die Regierung sich sehr oft nicht an ihre eigenen Gesetze hält, geschweige denn an künftige „Grundsätze“.

Die tatsächliche Lohnerhöhung für alle Beschäftigten geht gegen Null, vor allem wenn man die Lohn- und Leistungseinbußen für die Dauer des Streiks berücksichtigt. Die rumänischen Lehrer verdienen je nach Dienstalter zwischen 500 und 850 Euro.

Die Arbeiter müssen die notwendigen Lehren aus dieser bitteren Erfahrung ziehen. Der Lehrerstreik hat gezeigt, wie stark die Arbeiterklasse ist. Doch damit diese Kämpfe weitergehen können, ist es notwendig, sich von den überholten Gewerkschaften zu lösen und unabhängige Aktionskomitees zu organisieren, die Verbindungen zu Arbeitern in anderen Sektoren und Ländern in ganz Europa und auf internationaler Ebene aufnehmen.

Die Kämpfe der rumänischen Arbeiterinnen und Arbeiter sind Teil einer internationalen Wiederbelebung des Klassenkampfs. Auf der ganzen Welt erheben sich gerade Beschäftigte der verschiedensten Branchen gegen die Angriffe auf ihren Lebensstandard und auf demokratische Grundrechte, denn mehr und mehr wird jeder Aspekt der Gesellschaft den Kriegsanstrengungen untergeordnet. Objektiv existieren die Bedingungen für eine starke gemeinsame Offensive der internationalen Arbeiterklasse gegen soziale Ungleichheit und Krieg. Dies erfordert jedoch den Aufbau neuer Kampforganisationen und eine sozialistische Orientierung und Perspektive.

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