Nach dem Polizeimord an dem 17-jährigen Jugendlichen Nahel in Nanterre außerhalb von Paris kam es in Frankreich über mehrere Tage zu Massenprotesten. Die Regierung von Präsident Emmanuel Macron reagiert darauf mit einem brutalen Vorgehen, das von einer Polizei durchgesetzt wird, die mit offen faschistischen Äußerungen zur Gewalt aufruft.
Den jüngsten Protesten und Ausschreitungen in ganz Frankreich waren Massenproteste und Streiks von Millionen von Arbeitern gegen Macrons Rentenkürzungen vorausgegangen. Diese bildeten zusammen die größte Bewegung in Frankreich seit dem Generalstreik im Mai 1968. Sie wurde letztlich mit vereinten Kräften vom Gewerkschaftsapparat und den verschiedenen Parteien der sogenannten „Opposition“ erwürgt und unterdrückt.
Die Ausschreitungen und Plünderungen nach der Ermordung Nahels spiegeln die Frustration der Jugend und der Arbeiter nach diesem Ausverkauf wider, der sie ohne Perspektive für einen politischen Kampf gegen Macron zurückließ.
Macron reagiert darauf mit einem brutalen Polizeieinsatz und geht in die Offensive. Ende letzter Woche kündigten Macrons Minister Ausgangssperren und ein Verbot von Protesten für die meisten Städten an. Sie erklärten weiter, dass die Militärpolizei mit gepanzerten Fahrzeugen gegen Randalierer vorgehen werde. Ihre Mitarbeiter bestätigten, dass keine Option „vom Tisch“ sei. Das betrifft nicht zuletzt die mögliche Verhängung eines Ausnahmezustands, durch den die Grundrechte außer Kraft gesetzt werden, sodass die Polizei jeden ohne Gerichtsverfahren inhaftieren oder unter Hausarrest stellen kann.
Macron forderte zudem eine Zensur des Internets und verlangte, dass Social-Media-Dienste wie TikTok und Snapchat Maßnahmen ergreifen, um „die sensibelsten Inhalte“ zu löschen und Nutzer, die „zu Unruhen aufrufen oder die Gewalt verschärfen“, der Regierung zu melden.
Die Polizeiorganisationen wollen indessen Blut sehen. Sie fordern die Durchführung repressiver Maßnahmen in den Arbeitervierteln der französischen Städte. In einem faschistischen Aufruf drohte die Polizei am Freitag damit, „diejenigen, die wir festnehmen, außer Gefecht zu setzen“.
In dem gemeinsamen Kommuniqué heißt es: „Angesichts dieser wilden Horden reicht es nicht mehr aus, Ruhe zu fordern. Wir müssen sie durchsetzen! … Es ist nicht die Zeit für gewerkschaftliche Aktionen, sondern für den Kampf gegen diese Schädlinge.“
Dass Millionen arbeitender Menschen von Polizisten als „Ungeziefer“ beschimpft werden, offenbart nicht nur den vergifteten Geisteszustand der Polizei, der die Bedingungen mit geschaffen hat, in denen ein Polizist Nahel aus nächster Nähe und kaltblütig niederschießen und dann eine falsche Darstellung des Angriffs zu Protokoll geben konnte, die letztlich durch Kameraaufnahmen als Lüge entlarvt wurde. Sie unterstreicht zudem nachdrücklich die politische Situation, mit der die Arbeiterklasse konfrontiert ist. Der kapitalistische Staat, angeführt vom „Präsidenten der Reichen“, mobilisiert seine schwer bewaffneten Polizeisturmtruppen für einen Krieg gegen die Arbeiter.
Macron hat diese faschistischen Tendenzen bei der Polizei gefördert. Auf die ersten großen Proteste seiner Präsidentschaft – die Proteste der „Gelbwesten“ gegen soziale Ungleichheit 2018-2019 – reagierte er mit deutlichen Appellen an die Bereitschaftspolizei. Er erklärte, dass der verurteilte Verräter und Diktator Philippe Pétain, der im Zweiten Weltkrieg mit den Nazis kollaboriert hat, ein „großer Soldat“ gewesen sei. Anschließend ernannte er Gérald Darmanin, einen Sympathisanten der faschistischen Action Française, zum Innenminister. Darmanin ist inzwischen berüchtigt für seine Hetze gegen Muslime und koscher oder halal zubereitetes Essen.
Diese Krise wirft ein Schlaglicht auf die politischen Probleme, mit denen die Arbeiter auf der ganzen Welt konfrontiert sind. Die gleichen grundlegenden Prozesse sind überall am Werk. Vor drei Jahren führte die Ermordung von George Floyd durch die Polizei in den USA zu Massenprotesten im ganzen Land. Der damalige Präsident Donald Trump rief dazu auf, die US-Armee in illegaler Weise gegen die Demonstranten einzusetzen. Seine Appelle entsprachen praktisch einem versuchten Militärputsch. Seitdem in Sri Lanka im vergangenen Jahr Präsident Gotabaya Rajapaksa durch einen Generalstreik gestürzt wurde, geht die Regierung unerbittlich gegen Personen vor, die an den Protesten beteiligt waren.
Es ist dringend notwendig, dass die Arbeiterklasse gegen die Unterdrückung durch Polizei und Militär sowie für die Verteidigung der Grundrechte in Frankreich und weltweit mobil macht.
Es sei hier daran erinnert, dass der Generalstreik vom Mai-Juni 1968 ein Eingreifen der Arbeiterklasse nach dem brutalen Vorgehen der Polizei gegen Studenten an der Sorbonne darstellte. Heute ist ein unbewaffneter Jugendlicher von der Polizei ermordet worden, mit anschließenden Massenverhaftungen und Repressionen gegen die Arbeiterklasse im ganzen Land.
In ganz Frankreich sind Arbeiter empört über die von der Regierung per Dekret verordneten Rentenkürzungen, mit denen sich Macron offen über den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung hinweggesetzt hat. Drei Viertel der Franzosen lehnten die Kürzungen ab, die Macron ohne Abstimmung im Parlament durchsetzte. Unterdessen ließ er die Bereitschaftspolizei auf Streikende und Protestierende los.
Während des Kampfs erklärten zwei Drittel der Franzosen, überwiegend aus der Arbeiterklasse, ihre Zustimmung zu einer Blockade der Wirtschaft durch einen Generalstreik, um Macron zu stoppen.
Die Gewerkschaftsbürokraten und die verschiedenen pseudolinken Parteien haben alles getan, um vom zentralen Thema abzulenken: dass Macron gehen und die Macht an die Arbeiterklasse übertragen werden muss.
Der Gewerkschaftschef Laurent Berger richtete sich in seinen Äußerungen gegen ein „gefährliches politisches Klima“ und einen „Wahnsinn, der dieses Land mit Gewalt überziehen könnte“. Damit kritisierte Berger nicht etwa die Gewalt, die von Macrons Polizei ausgeht, sondern die Proteste von Arbeitern und Jugendlichen gegen Macron. Die Gewerkschaftsbürokratien sind keine Gegner, sondern Diener und Verteidiger des Polizeistaats.
Die pseudolinken Parteien, die die wohlhabende Mittelschicht vertreten, haben sich sämtlich daran angepasst, dass die Gewerkschaftsbürokratie nach dem 1. Mai alle wirksamen Streiks gegen Macron abgesagt hat. Die Neue Volksunion (NUPES) von Jean-Luc Mélenchon schickte ein paar ohnmächtige Petitionen an Macron, während Juan Chingo von der Gruppe Révolution Permanente erklärte, die gesellschaftliche Situation sei „nicht revolutionär“.
In dieser angeblich „nicht revolutionären“ Situation brechen nun im ganzen Land soziale Unruhen aus.
Die Arbeiter können die Jugend nicht alleine kämpfen lassen. Alle Maßnahmen der Regierung, die immer rücksichtsloser und autoritärer werden, richten sich gegen jede Form von Widerstand gegen das Diktat der Konzerne und der Finanzelite.
Die Hinwendung zu Polizeigewalt und diktatorischen Herrschaftsformen in Frankreich und international ist untrennbar mit der extremen sozialen Ungleichheit und den eskalierenden Kriegen des US-Nato-Imperialismus verbunden. Auf den massenhaften sozialen Unmut im eigenen Land reagieren die kapitalistischen Eliten mit Gewalt.
Die Parti de l’égalité socialiste (PES), die französische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI), ruft zum Aufbau von Aktionskomitees von Arbeitern und Jugendlichen auf, um den Widerstand gegen die neuen Polizeistaatsmaßnahmen, die Macron vorbereitet, zu mobilisieren.
Die Aktionskomitees sollen es sich zur Aufgabe machen, Streiks und Proteste gegen Macrons Maßnahmen zu koordinieren, Einzelpersonen, die Opfer des Polizeistaats geworden sind, zu verteidigen und die noch unwirksame Massenopposition gegen Macron in der Arbeiterklasse in einer Bewegung zu formieren, um ihn zu stürzen.
Eine Massenbewegung in der Arbeiterklasse kann und muss aufgebaut werden, um diese Regierung zu stürzen, die durch und durch verrottet ist. Dies erfordert einen rücksichtslosen Bruch mit den Gewerkschaftsbürokratien und ihren pseudolinken Anhängseln sowie den Aufbau von Aktionskomitees in der Arbeiterklasse, auf die die Arbeiter in Frankreich und weltweit im Kampf für Sozialismus die Staatsmacht übertragen können.