Die beiden bulgarischen Arbeiter Ferat und Nasko haben auf der Gewerkschaftskonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung vom 12. bis 14. Mai versucht, die Teilnehmenden für die Unterstützung ihrer Anliegen zu gewinnen. Beide sind Mitglieder des Vereins „Stolipinovo in Europa“, benannt nach einem Stadtteil der bulgarischen Stadt Plovdiv, der für seine große Diversität aber auch für kulturelle und wirtschaftliche Diskriminierung bekannt ist.
Sie wollten über ihre miserablen Arbeitsbedingungen in Leiharbeitsfirmen und insbesondere über den Fall des 26-jährigen Refat Süleyman informieren. Dieser war letztes Jahr unter bis heute ungeklärten Umständen als Leiharbeiter auf dem Werksgelände von Thyssenkrupp Stahl in Duisburg ums Leben gekommen. Konzern, Behörden, IG Metall und Betriebsrat hatten und haben kein Interesse an der Aufdeckung der Umstände und Hintergründe seines Todes.
Ferat und Nasko wurden von den Organisatoren der Konferenz schroff abgewiesen. Auch die Teilnehmenden des Workshops, in dem sie sprechen wollten, ließen sie trotz Aufforderung abblitzen. Ferat und Nasko wollten die dortigen Gewerkschaftsmitglieder bitten, sich für folgende Forderungen einzusetzen: ein „menschenwürdiges Arbeitsumfeld“ von Arbeitsmigranten in der Leiharbeit, für die Einhaltung „gesetzlich vorgeschriebener Sicherheits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen“, für eine „Untersuchung des Geflechts von Subunternehmen, in denen das industrielle Reinigungspersonal von ThyssenKrupp beschäftigt ist“, für ein Ende der Leiharbeit bei Thyssenkrupp Stahl und für „reguläre Verträge, mit sicheren Arbeitszeiten, den erforderlichen Sicherheitsschulungen und Gesundheitskontrollen sowie mit garantierten Kranken- und Sozialversicherungsbeiträgen“.
Das sind Forderungen, die noch vor einigen Jahrzehnten selbst der rechteste Gewerkschafter unterschrieben hätte. Heute sind sie für die Gewerkschaften und ihre pseudolinken Verteidiger ein rotes Tuch. Sie haben sich vollständig in Handlanger der Unternehmen und der Regierung verwandelt. Auf jedes Aufflammen des Klassenkampfs reagieren sie mit extremer Feindschaft.
Wir sprachen mit Ferat und Nasko über ihren Versuch, auf der Konferenz für Unterstützung zu werben.
WSWS: Vielen Dank, dass ihr Zeit für uns habt. Vielleicht könnt ihr euch unseren Lesern kurz vorstellen?
Ferat: Ich bin 45 Jahre alt und lebe mit meiner Frau und drei Kindern in Gelsenkirchen. Ich habe jetzt angefangen, bei Hermes als Auslieferungsfahrer zu arbeiten. Wie Nasko komme ich aus Stolipinovo. Das ist normalerweise ein sozial sehr aktiver Stadtteil auf dem Balkan, mit vielen Kulturen, darunter Angehörige der türkisch-sprachigen Muslime und der Roma. Aber wegen hoher Arbeitslosigkeit und niedriger Löhne sind die meisten von dort innerhalb Europas unterwegs, um sich und den Familien ein besseres Leben zu ermöglichen.
Nasko: Ich bin 31 Jahre alt und lebe mit vier Kindern in Duisburg. Zurzeit bin ich arbeitslos. Ich habe auch schon als Kurierfahrer gearbeitet, bei Amazon. Dort war ich wegen Arbeitsmangel entlassen worden. Nun bin ich wieder auf Arbeitssuche.
Was war der Grund, euren Verein „Stolipinovo in Europa e. V.“ zu gründen?
Ferat: Wir haben den Verein als Solidaritätsverein in Corona-Zeiten gegründet, schon in Bulgarien. Viele hatten in dieser Zeit keine Arbeit, wir haben uns daher gegenseitig unterstützt. Als wir dann hier in Deutschland waren, haben wir gemerkt, dass wir auch hier zu 95 Prozent schlecht behandelt werden. Wir hatten gedacht, wir werden nur in Bulgarien ausgegrenzt, nur dort gäbe es Ausländerfeindlichkeit. Aber hier in Deutschland ist es nicht viel anders.
Nasko: Wir haben den Verein gegründet, um uns zu schützen und zu wehren. Ganz allgemein werden uns Menschenrechte vorenthalten. Viele von uns werden auf der Arbeit schlecht behandelt. Die Situation bulgarischer, rumänischer und anderer Arbeitsmigranten ist extrem schlecht.
Ihr wolltet auf der Gewerkschaftskonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung auch auf das Schicksal von Refat Süleyman aufmerksam machen, der während der Arbeit im Duisburger Werk von Thyssenkrupp starb. Habt ihr ihn gekannt?
Nasko: Er war kein persönlicher Freund, aber wir sind alle aus dem gleichen Stadtteil und fühlen uns wie eine Familie. Alle erzählen, er war ein guter Mann, der für seine Kinder das beste wollte und daher nach Duisburg kam.
Wie geht es nun seiner Frau und seinen Kindern?
Nasko: Sie leben von Jobcenter-Leistungen. Seiner Frau geht es sehr schlecht, sie hat starke Depressionen, nach dem Tod ist sie in ein Loch gefallen. Die Kinder sind noch klein, sie verstehen nicht alles und bekommen noch nicht so viel mit. Aber sie erfahren es dann später.
Wann habt ihr bei den Veranstaltern der Konferenz angefragt, sprechen zu dürfen?
Ferat: Wir mussten uns für die Teilnahme an der Konferenz vorher anmelden, aber als einfache Teilnehmer. Am Sonntag haben wir sie gefragt, ob wir in dem Workshop sprechen können. Sie sagten uns, sie bräuchten eine halbe Stunde zur Beratung. Aber sie haben uns nicht erlaubt, eine Rede zu halten. Sie sagten zur Begründung, dass diese Konferenz ihnen gehöre, nur ihre Mitglieder könnten Reden halten. Wir könnten als Teilnehmer nur Fragen stellen. Unterstützung von den anderen Teilnehmenden haben wir keine bekommen. Nicht einmal fünf Minuten, nach denen wir gefragt hatten, wollten sie uns zugestehen.
Wir haben sie gefragt, warum helft ihr uns nicht im Fall von Refat Süleyman? Nun, sie antworteten, indem sie uns abwiesen. Ich schätze, sie haben uns deshalb nicht sprechen lassen, weil die IG Metall eng mit Thyssenkrupp zusammenarbeitet. Dabei glaube ich, dass gewerkschaftliche Funktionäre von Thyssenkrupp auf der Konferenz vertreten waren.
Das ist doch unmöglich: Ein junger Mann stirbt auf dem Werksgelände von Thyssenkrupp und niemand antwortet auf unsere Fragen. Sein Tod ist nach wie vor unaufgeklärt. Wir würden gerne erfahren, warum Thyssenkrupp und die Gewerkschaft sich damit begnügen, dass man nichts herausfinden könne. Sie sagen nicht, es war kein Arbeitsunfall, sie sagen nicht, dass es ein Tötungsdelikt war, nichts. Aber am Ende ist ein junger Mann tot.
Nasko: Es gibt überall Kameras in der Fabrik, aber trotzdem wollen sie nichts sagen können. Sie wüssten nicht, wie Refat zu Tode kam. Wenn jemand außerhalb der Arbeit stirbt, wird alles getan, um den Täter oder die Umstände zu ermitteln. Aber hier wird sich schnell damit begnügt, dass man nichts herausfinden kann. Wir glauben das nicht.
Thyssenkrupp ist ein Großbetrieb, überall gibt es Kameras. Wenn er etwas geklaut hätte, würden sie das sofort beweisen können. Wenn er stirbt, wollen sie nichts wissen.
Ferat: Es geht vor allem um die Sub-Unternehmen, Refat hat bei Eleman und OPS gearbeitet und wurde von der Firma Buchen Umweltservice ausgeliehen.
Als Refat gesucht wurde, habe ich mit dem Chef von Refats Unternehmen gesprochen. Refat sollte zum Bus Frühstückspause machen, der war nur 100 Meter weg. Auf dem Weg gab es angeblich keine gefährlichen Stellen.
Normalerweise müssen sie immer zu zweit gehen. Nun durfte er allein gehen. Wieso kann ein Arbeiter, der erst drei Tage auf dem Werksgelände arbeitet, allein unterwegs sein? Oder hat er gearbeitet, allein? Er war als Reinigungskraft eingestellt. Wir vermuten, er hat allein gearbeitet, und nicht Pause gemacht. Das wurde meines Erachtens zum Schutz so behauptet.
Seine Leiche wurde bei Tor 4 gefunden. Gearbeitet hat er bei Tor 2. Und normalerweise konnte man aus Sicherheitsgründen nicht allein zum Tor 4 gehen. Wie ist es bei ihm möglich? Sie haben doch Überwachungskameras, selbst wenn eine kaputt ist, dann gibt es andere. Wenn sie sagen, dass alle kaputt sind, dann halten wir das für gelogen. Sie müssen zeigen, wo Refat am letzten Tag gearbeitet hat. Mindestens eine Kamera muss doch gehen.
Wir haben keine Erklärungen auf unsere Fragen bekommen. Bei einem „normalem“ Todesfall, könnten sie mit Sicherheit nachweisen, was passiert ist.
Die Familie und ihr Rechtsanwalt haben bis heute noch nicht den Autopsie-Bericht bekommen. Weshalb halten sie seit sieben Monaten den Bericht geheim? Das ist doch merkwürdig.
Refat ist ermordet worden. Vielleicht nicht von einer Person, aber er ist auf jeden Fall Opfer der mörderischen Arbeitsbedingungen.