Tarifrunde im öffentlichen Dienst: Das Angebot von Bund und Kommunen ist eine Provokation

Das Angebot von Bund und Kommunen an die Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist eine Provokation. Es deckt nicht annähernd die Lohneinbußen durch die aktuelle Inflation, geschweige denn durch die Sparrunde des letzten Tarifvertrags ab, sondern läuft auf eine massive Reallohnsenkung hinaus.

Die Arbeitgeberseite legte das Angebot am 23. Februar in Potsdam zum Ende der zweiten Verhandlungsrunde vor. Zuvor hatten Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Karin Welge, die als Gelsenkirchner Oberbürgermeisterin die Kommunen vertritt, zwei Tage lang Gespräche mit Verdi-Chef Frank Werneke und seinem Team geführt. Werneke hat das Angebot im Namen der Dienstleistungsgewerkschaft und des Beamtenbundes zurückgewiesen und neue Warnstreiks bis zur dritten Gesprächsrunde angekündigt, die vom 27. bis 29. März stattfinden soll.

Werneke und Co. werden diese Zeit nutzen, um mit ihren SPD-Parteifreundinnen Faeser und Welge einen Deal zu vereinbaren, der nur knapp über dem Angebot liegt und den Streikenden in den Rücken fällt. Dieser Modus Operandi hat sich bei Verdi inzwischen eingebürgert. So wurde Ende November 2021 der Tarifkampf im öffentlichen Dienst der Länder in der dritten Verhandlungsrunde ausverkauft.

Es gibt daher nur einen Weg, die massivste Reallohnsenkung seit Bestehen der Bundesrepublik zu verhindern: Der Kampf muss unabhängig von Verdi organisiert und die Verhandlungsführung den hochbezahlten Gewerkschaftsbürokraten aus der Hand genommen werden. Zu diesem Zweck müssen unabhängige Aktionskomitees aufgebaut werden, die sich bundesweit und international vernetzen.

Die Verhandlungsführung: Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Verdi-Chef Frank Werneke (beide SPD) [Photo by BMI]

Das Angebot sieht eine lineare Erhöhung der Gehälter um insgesamt fünf Prozent im Lauf von mehr als zwei Jahren vor. Die Laufzeit soll 27 Monate (vom 1. Januar 2023 bis zum 31. März 2025) dauern. Die erste Lohnerhöhung um gerade mal drei Prozent soll zum 1. Oktober 2023 kommen, also nach neun Monaten des Verzichts auf jede prozentuale Lohnerhöhung. Weitere zwei Prozent soll es dann im Juni 2024 geben.

Die grassierende Inflation soll durch zwei Einmalzahlungen „ausgeglichen“ werden, deren erste in Höhe von 1.500 Euro im Mai 2023 und die zweite in Höhe von 1.000 Euro im Januar 2024 ausbezahlt werden. Diese Zahlungen wirken sich jedoch nicht nachhaltig auf die Löhne aus und sind höchstens ein Tropfen auf den heißen Stein. Mit dem Geld werden notgedrungen die schlimmsten Löcher gestopft, und anschließend sind die Löhne genau so niedrig wie zuvor, während die Preise für Benzin, Heizen, Wohnen und Lebensmittel weiter steigen.

Beim letzten Tarifabschluss im Oktober 2020 hatte Verdi eine stufenweise Lohnerhöhung von 3,2 Prozent für 28 Monate vereinbart. Seither sind die Preise aber laut offzieller Inflationsrate um rund zwölf Prozent gestiegen, um 7,9 Prozent allein im vergangenen Jahr. Selbst unter der optimistischen Annahme, dass die Inflation in diesem Jahr auf sieben und im nächsten Jahr auf fünf Prozent sinkt, läge das Preisniveau bei Auslaufen des jetzt angebotenen Vertrages um 25 Prozent höher als 2020. Die tabellenwirksamen Gehälter wären dagegen nur um 8,2 Prozent gestiegen. Das entspricht einer Reallohnsenkung von rund 17 Prozent innerhalb von fünf Jahren!

Für Auszubildende, Studierende und Praktikanten soll ebenfalls nur eine 5-prozentige Lohnerhöhung in 27 Monaten kommen; auch für sie sind Einmalzahlungen (750 Euro im Mai plus 500 Euro im Januar 2024) vorgesehen.

Das Angebot sieht besonders üble Regelungen für Pflegekräfte vor, die unter der Corona-Pandemie am meisten gelitten haben. Statt dafür entschädigt, sollen sie nun zusätzlich geschröpft werden, was mit Sicherheit verhindert, dass der schlimme Personalnotstand durch Neueinstellungen gelindert wird.

Wie die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) schreibt, enthält das Angebot „für die kommunalen Arbeitgeber wichtige Punkte, die die Bereiche der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, der Sparkassen und Versorgungsbetriebe betreffen“. Insbesondere sollen künftig den Einrichtungen, die sich „in wirtschaftlicher Schieflage“ befinden, Ausnahmen von den Gehaltstabellen beispielsweise für den Pflegedienst oder für Ärztinnen und Ärzte gestattet werden.

Den Fachkräften in höheren Gehaltsgruppen versprechen die Arbeitgeber die Aufstockung ihrer „Jahressonderzahlung“. Dies läuft darauf hinaus, dass ein Bruchteil dessen, was allen Beschäftigten seit Jahren vorenthalten wird, an die besser Bezahlten zurückerstattet wird. So war vor Jahren ein 13. und 14. Monatsgehalt als Weihnachts- und Urlaubsgeld üblich gewesen – und zwar für alle.

Solche Errungenschaften sind mit Zustimmung der Gewerkschaft über Jahre hinweg systematisch abgebaut worden. Bund, Länder und Kommunen haben privatisiert, Betriebe ausgegliedert und den öffentlichen Dienst seit 30 Jahren „liberalisiert“, d.h. kaputtgespart. Mit Hilfe von Verdi und ihren Vorgängergewerkschaften, vor allem der ÖTV, wurden die Tarifrunden in zahlreiche Einzelbereiche aufgesplittert. Im öffentlichen Dienst wurden sogar die Tarifrunden der Beschäftigten der Länder (TVL) von denjenigen im Bund und in den Kommunen (TVöD) zeitlich getrennt.

Im Endergebnis dieses Kahlschlags herrscht überall Personalmangel und wachsender Arbeitsstress. Ein großer Teil der Beschäftigten, darunter Flughafenarbeiter und Müllwerker, werden mit Löhnen abgespeist, die kaum über dem Mindestlohn liegen. In der Pandemie wurden zwar viele von ihnen als „systemrelevant“ gefeiert und beklatscht, aber ihre Reallöhne sanken in den Keller. Die Kosten für Energie und Lebensmittel, die weit über der offiziellen Inflationsrate liegen, belasten die unteren Lohngruppen in besonderem Maße.

Gleichzeitig hat die Regierung in Null-komma-Nix einen Bundeswehr-Sonderfonds über 100 Milliarden Euro aus dem Hut gezaubert und Waffen ohne Ende an die Ukraine geliefert, während für Soziales „kein Geld“ da sein soll. Dies geschieht mit Zustimmung der Verdi-Führung, die den Militarismus unterstützt. So wurden beispielsweise in München während der Sicherheitskonferenz die Flüge der offiziellen Besucher des Kriegsgipfels ausdrücklich vom Verdi-Warnstreik ausgenommen.

Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter in ganz Europa sind nicht länger bereit, ihren Lebensstandard für Krieg, Aufrüstung und Milliardenprofite an den Börsen zu opfern. Das zeigt die große Beteiligung an den Warnstreiks. In Frankreich kämpfen Millionen gegen die Verschlechterung ihrer Renten, und in Großbritannien streiken Hunderttausende seit Monaten gegen die Angriffe auf Löhne, Arbeitsplätze und das Streikrecht.

Hierzulande kommt es zu Streiks an den Flughäfen, in den Krankenhäusern, Kitas und dem gesamten öffentlichen Dienst. Während der zweiten Potsdamer Verhandlungsrunde demonstrierten Streikende aus den städtischen Kliniken, der Stadtreinigung, der Verwaltung und den Wasserwerken. An diesem Mittwoch streiken die Azubis, Studierenden und Praktikanten im öffentlichen Dienst, die von einem Hungerlohn leben müssen. Parallel dazu gibt es Streiks bei der Post, bei der Bahn und in der Privatindustrie.

Die Gewerkschaften versuchen verzweifelt, die angestaute Wut unter Kontrolle zu halten. Bei der Post musste Verdi gegen ihre ursprüngliche Absicht eine Forderung von 15 Prozent aufstellen, im öffentlichen Dienst musste sie ein monatliches Plus von mindestens 500 Euro fordern, was für die unteren Lohngruppen mehr als 10,5 Prozent bedeutet.

Gerade das hat den Zorn der Wirtschaft und Banken und ihrer Handlanger in der Politik erregt. Die Verhandlungsführer auf Arbeitgeberseite haben klargemacht, dass mit ihnen eine Mindestlohnerhöhung von 500 Euro pro Monat nicht zu machen sei.

Dies übersteige die Haushalte der Kommunen bei weitem, so die Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin. Eine weitere VKA-Sprecherin wird im Handelsblatt mit den Worten zitiert, der hohe Mindestbetrag von 500 Euro wäre „das völlig falsche Signal in einer Zeit, in der die Kommunen händeringend nach Führungskräften und Verantwortungsträgern suchen“.

Auch die Bundesinnenministerin wies die Forderungen mit den Worten zurück: „Ihnen stehen eben schwierige Haushaltsberatungen sowohl auf der Bundesebene als auch insbesondere in den Kommunen entgegen.“ Das provokante Angebot bezeichnete Faeser als „sehr gut und sehr fair“ und als „Ausdruck des Respekts“ vor den Beschäftigten.

Die Kommunen mauern systematisch. Die Bundesregierung erklärt, die aktuellen Forderungen seien wirtschaftlich nicht tragbar. Der Unternehmerverband BDA hat nach den Flughafenstreiks sogar eine Art gesetzliches Streikverbot gefordert. Politik und Wirtschaft sind entschlossen, die Kosten von Krieg und Militarismus auf die Arbeiterklasse abzuwälzen und den Börsenboom auf ihre Kosten am Laufen zu halten.

Dabei arbeiten sie eng mit den Gewerkschaften zusammen. Diesem Zweck dient die Konzertierte Aktion, die sich mehrmals getroffen hat, um die Angriffe auf Löhne, Arbeitsplätze und Sozialausgaben abzustimmen.

Verdi-Chef Frank Werneke hat das jüngste Angebot nur deshalb zurückgewiesen und von einem „absoluten Dissens“ in den Verhandlungen gesprochen, weil er fürchtet, die Kontrolle zu verlieren. Die Gewerkschaftsführung weiß, dass sie auf einem Pulverfass sitzt. Sorgsam trennt sie deshalb die Warnstreiks voneinander. Sie führt sie getrennt nach Regionen und als „Nadelstiche“, um keinen Flächenbrand zu entzünden. Die Verdi-Führung wird alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Kampf so rasch als möglich abzubrechen.

Dies alles zeigt, dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst vor einem politischen Kampf stehen. Sie können ihre Interessen nur verteidigen, indem sie von Verdi unabhängige Aktionskomitees aufbauen. Solche Komitees wurden bisher schon bei den Ford-Werken, in der Bildung, der Pflege und jüngst auch bei der Post gegründet. Das Post-Aktionskomitee spricht die Beschäftigten im öffentlichen Dienst ausdrücklich an: „Unsere Verbündeten sind auch die 2,5 Millionen Beschäftigten, die sich gerade im öffentlichen Dienst im Tarifkampf befinden“, heißt es in seinem Aufruf.

Auch in den Kitas, an den Flughäfen, in der Pflege, bei der Stadtreinigung, den Verkehrsbetrieben, den Wasserwerken und den Bürgerämtern ist es notwendig, solche Komitees aufzubauen. Kontaktiert uns dazu und schickt eine Whatsapp-Nachricht an folgende Nummer: +491633378340

Es geht nicht nur darum, die Existenzbedingungen der Arbeiterklasse zu verteidigen, sondern auch, die verheerende Entwicklung zu einem dritten Weltkrieg zu stoppen. Dies ist nur auf der Grundlage des Internationalismus und eines sozialistischen Programms möglich, das das Leben grundsätzlich höher bewertet als den Profit.

Loading