Der Spiegel fragt: „Jagt die CIA Assanges Unterstützer?“

In einem Artikel, der am 23. Februar veröffentlicht wurde, warf das bekannte deutsche Wochenmagazin Der Spiegel die Frage auf, ob die amerikanische Central Intelligence Agency (CIA) „Jagd“ auf Julian Assanges Mitarbeiter und Unterstützer mache.

Vor der ecuadorianischen Botschaft in London: WikiLeaks-Gründer Julian Assange (Mitte) spricht vom Balkon aus zu Medien und Unterstützern, 19. August 2012 [AP Photo]

Der verfolgte WikiLeaks-Herausgeber bleibt nach wie vor im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh gefangen, während die britischen Behörden sich anschicken, ihn in die USA auszuliefern. Dort drohen Assange 175 Jahre Haft, weil er die Kriegsverbrechen des US-Imperialismus und seiner Verbündeten im Irak, in Afghanistan und anderswo aufgedeckt hat.

In den letzten Jahren wurde eine Fülle von Material veröffentlicht, welches das Ausmaß der US-Kampagne gegen Assange und ihre grobe Rechtswidrigkeit offenlegt. Im Oktober 2021 veröffentlichte Yahoo! News einen Artikel, der sich auf die Aussagen von 30 ehemaligen und aktuellen US-Beamten stützte. Darin hieß es, dass die CIA und die Trump-Administration wohl geplant hätten, Assange zu entführen oder zu ermorden, während er als international anerkannter politischer Flüchtling in der Londoner Botschaft Ecuadors lebte.

Es gibt gut dokumentierte Hinweise darauf, dass UC Global, das Sicherheitsunternehmen, das die ecuadorianischen Behörden mit der Bewachung der Botschaft beauftragt hatten, heimlich mit den US-Behörden zusammengearbeitet hat. Whistleblower von UC Global haben dies bestätigt, und das illegal beschaffte Überwachungsmaterial, einschließlich Videos von Assanges vertraulichen Gesprächen mit seinen Anwälten, ist öffentlich zugänglich gemacht worden.

Der Spiegel-Artikel liefert nun zusätzliche Informationen. Er zeichnet das Bild einer globalen Rasterfahndung der US-Regierung und ihrer Behörden, um nicht nur Assange, sondern jeden seiner Mitarbeiter ins Visier zu nehmen. Vieles von dem Material ist anekdotisch, aber das Ansehen, das diejenigen genießen, die es zur Verfügung stellen, und der ganze Kontext der etablierten staatlichen US-Operationen gegen WikiLeaks ergeben zusammen einen überzeugenden Fall.

Der Spiegel fasst zusammen:

Mal kam einer Anwältin in London der Laptop abhanden, mal wurden einer Journalistin, die über Assanges Fall recherchierte, medizinische Daten gestohlen. In die Kanzlei von Assanges spanischen Verteidigern wurde auf bizarre Weise eingebrochen. In Ecuador wird ein schwedischer Softwareentwickler seit fast vier Jahren unter fadenscheinigen Gründen im Land festgehalten. Anderswo berichteten Assange-Unterstützer, die lieber anonym bleiben wollen, von ähnlichen gespenstischen Vorfällen.

Dass sie im Zusammenhang miteinander stehen, lässt sich nicht belegen. Auch konnten bislang in keinem Fall zweifelsfrei die Urheber ermittelt werden. Es könnte sich um Zufälle handeln. »Aber wer soll das glauben?«, fragt Assanges Anwalt Aitor Martínez, der sich sicher ist, dass es sich um eine konzertierte Kampagne von US-Behörden handelt, deren oft zweifelhafte Methoden WikiLeaks etliche Male offengelegt hat. »Es ist eine Vendetta gegen Julian Assange«, sagt der Spanier. Und im Fokus stünden nicht nur Weggefährten und Familienmitglieder von Assange, sondern auch Anwälte und Journalisten, die von Gesetzes wegen besonders vor Abhörmaßnahmen geschützt sein sollten.

Der Spiegel führt mehrere Beispiele an.

Eins betrifft Andy Müller-Maguhn, einen deutschen Mitarbeiter von Assange und Computerexperten. Müller-Maguhn hat sich nicht nur häufig mit Assange in der ecuadorianischen Botschaft getroffen, sondern spielt auch eine zentrale Rolle bei der Arbeit von WikiLeaks, indem er Gelder für die Organisation verwaltet, die über die deutsche Wau Holland Stiftung gespendet wurden.

Andy Müller-Maguhn im Jahr 2009 [Photo by Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0]

Wie Der Spiegel berichtet, entdeckte Müller-Maguhn im März 2018 in einer südostasiatischen Wohnung, in der er sich gelegentlich aufhält, ein hochleistungsfähiges Spionagegerät. Das kleine Überwachungsimplantat war fachmännisch in eins von Müller-Maguhns gesicherten Mobiltelefonen eingelötet worden. Der Spiegel gibt Müller-Maguhns Einschätzung wider: „Es sei ausgestattet mit Chips aus US-Produktion und mit einem normalen Frequenzortungsgerät nicht aufzuspüren.“

Weitere Vorfälle folgten, und Müller-Maguhn bezeichnete die Situation als „am Rand der Surrealität“. In einem Fall im Juni 2019 „wartet er in Mailand auf seine Frau, da entdeckt er auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen ‚ungepflegten Typen‘, der durch eine Plastiktüte ein Teleobjektiv auf ihn richtet. ‚Als er sieht, dass ich ihn sehe, haut er ab‘.“

In einem anderen Fall stellte die Telekom fest, dass eins von Müller-Maguhns Krypto-Handys ungewöhnlich viele Daten verbraucht habe. Dabei handelte es jedoch um ein Gerät, das er fast nie benutzte. Bei der Überprüfung stellte sich heraus, dass das Handy Verbindungen zu unbekannten IP-Adressen hergestellt hatte. Es gab auch Anzeichen dafür, dass seine Mails manipuliert worden waren.

Besonders unheimlich ist ein Vorfall, der sich in Berlin ereignete. Müller-Maguhn kehrte vom Einkaufen in seine Wohnung zurück, und ein Gegenstand steckte in seinem Türschloss, das sich nicht mehr öffnen ließ. „Die Polizei vermutet einen Einbruchversuch. Es ist der 3. November 2020, der Tag der US-Präsidentschaftswahl. ‚Lustiger Zufall‘, sagt Müller-Maguhn.“

Als deutscher Staatsbürger hat Müller-Maguhn schließlich beim Gericht Anzeige gegen die Ausspähung erstattet. Die Tatsache, dass die US-Regierung offen zugibt, ihn ins Visier genommen zu haben, verleiht seiner Darstellung Glaubwürdigkeit.

Das US Federal Bureau of Investigations (FBI) hat Müller-Maguhn im Mueller-Bericht 2016 als potenziellen WikiLeaks-Kurier aufgeführt. Das Dokument liefert keine Beweise dafür außer Müller-Maguhns Besuche in der ecuadorianischen Botschaft. Ebenso wenig kann das FBI seine allgemeinen, unbegründeten Anschuldigungen beweisen, dass die WikiLeaks-Veröffentlichungen aus dem Jahr 2016 Teil einer „russischen Einmischungskampagne“ bei den amerikanischen Wahlen jenes Jahres gewesen seien. Durchgesickertes Material hat auch gezeigt, dass UC Global ein besonderes Interesse an Müller-Maguhn hatte, während die Firma offenbar mit der CIA zusammenarbeitete.

Anwalt im Visier

Aitor Martínez, einen von Assanges spanischen Anwälten, scheint man ebenfalls ins Visier genommen zu haben. Der Spiegel bemerkt pointiert: „Auch bei ihm begann die Serie von Seltsamkeiten offenbar im Frühjahr 2017, als CIA-Chef Pompeo WikiLeaks zum feindlichen Geheimdienst erklärte.“

Pompeo machte diese Aussage als Reaktion auf die Veröffentlichung von Vault 7 durch WikiLeaks, einer Sammlung von CIA-Dokumenten, die beweisen, dass die Agentur eine globale Hacker-Operation durchgeführt hatte mit dem Ziel, Zugang zu Smartphones, Fernsehern und sogar Elektrofahrzeugen zu erlangen. Die Behörde entwickelte auch Technologien, um ihre eigenen illegalen Handlungen fälschlicherweise anderen Nationen wie Russland und dem Iran zuzuschreiben. Pompeos Behauptung impliziert eindeutig, dass WikiLeaks als feindlicher Staat oder terroristische Organisation behandelt wird.

Der Spiegel berichtet, was im Anschluss an Pompeos Rede geschah:

Martínez und seine Frau waren seinerzeit beruflich in Paraguay. Auf einer Straße in Asunción habe ein Fremder den Arm seiner Frau ergriffen und ihr auf Englisch zugeraunt: „Passen Sie auf Ihr Mobiltelefon auf!“ Im Hotel seien auf ihrem Handy plötzlich 230 Screenshots mit privaten E-Mails, SMS und Bildern aufgeploppt, angeblich gesendet von Martínez’ Telefon, das er nach eigenen Angaben nicht mal berührt hatte. „Als wir dann überstürzt abreisten, folgte uns am Flughafen ein Mann mit Stöpsel im Ohr, der zum Abschied freundlich winkte.“

Beim schwersten Angriff brachen maskierte Männer in der Nacht des 16. Dezember 2017 in Martínez' spanische Anwaltskanzlei ein. Sie schienen auf der Suche nach etwas zu sein, von dem der Anwalt vermutet, dass es sich um einen Computerserver handelte, den sie jedoch nicht fanden.

Der Zeitpunkt deutet darauf hin, dass es mit UC Globals Aktivitäten für die US-Behörden zu tun haben könnte. In den Tagen vor dem Einbruch hatte Assange ausführliche Gespräche mit ecuadorianischen Beamten über einen Plan geführt, wie er aus der Botschaft fliehen und in einem Drittstaat Asyl beantragen könnte. Die Gespräche wurden offenbar von UC Global abgehört und an US-Behörden weitergeleitet. Wenige Tage nach dem Einbruch in Martínez' Anwaltskanzlei stellte die US-Regierung am 21. Dezember einen internationalen Haftbefehl gegen Assange aus, der eindeutig darauf abzielte, die Pläne für seine Befreiung zu vereiteln.

Dieser Haftbefehl wurde vom US-Justizministerium ausgestellt. Wenn der Einbruch mit den Aktivitäten der US-Regierung zusammenhängt, was fast sicher scheint, dann hat die CIA oder einer ihrer Vertreter ihn koordiniert. Mit anderen Worten: Das Justizministerium, das heute die Auslieferung Assanges betreibt, hat vermutlich bei kriminellen Operationen wie versuchtem Einbruch mit einer Spionageagentur zusammengearbeitet.

Bezeichnenderweise gab Martinez an, dass noch letztes Jahr in seine Wohnung eingebrochen, aber nichts gestohlen wurde. Das deutet darauf hin, dass diese Gangstermethoden gegen Assanges Mitarbeiter andauern, obwohl er längst inhaftiert ist und sein Auslieferungsverfahren läuft.

Eine weitere Person, über die Der Spiegel berichtet, ist Ola Bini, ein schwedischer Computerexperte. Er wurde in Ecuador, wo er arbeitete, fast zeitgleich mit der Ausweisung Assanges aus der Londoner Botschaft, am 11. April 2019 von der ecuadorianischen Regierung verhaftet. Bini, der angibt, nie für WikiLeaks gearbeitet, sich jedoch mit Assange in der Botschaft getroffen zu haben, wurde beschuldigt, er habe sich in die Kommunikation der ecuadorianischen Regierung eingehackt und versucht, die Regierung zu destabilisieren.

Ola Bini [Photo: Twitter]

Bini hat eine jahrelange Justiz-Tortur hinter sich. Zwar hat ihn ein ecuadorianisches Gericht im Januar 2023 freigesprochen, aber weil die Staatsanwaltschaft Berufung einlegte, darf er das Land nicht verlassen.

Der Spiegel berichtete über Binis Erfahrungen mit der Überwachung:

Ola Bini erzählt, dass er im Park oft beim Joggen diese Männer sah, angezogen wie normale Spaziergänger, aber mit durchtrainierten Körpern und Sprechfunkgeräten. Vor seiner Haustür habe oft ein Polizeiauto geparkt; einmal fotografierte er einen Wagen, aus dessen Hinterfenster eine Antenne ragte, die auf seine Wohnung gerichtet gewesen sei.

„Ich weiß nicht, wozu meine Gegner fähig sind“, sagt Bini, als er an einem Sonntagmorgen mit dem Fahrrad zum Gespräch in ein Café in Quito kommt. Leibwächter begleiten ihn, sie seien ihm von einer Menschenrechtsorganisation gestellt worden. Ola Bini ist vermutlich einer der bestüberwachten Menschen in Ecuador. Drei oder vier Sicherheitsdienste seien ihm auf den Fersen, sagt der 40-Jährige. Dabei hätte er auch ohne die ständige Überwachung kaum eine Chance, zu entkommen: Jeden Freitag muss er sich bei der Staatsanwaltschaft melden, darf das Land nicht verlassen. „Diese Situation macht mich psychisch kaputt“, sagt er.

Berichte seit 2019 deuten darauf hin, dass die ecuadorianische Kampagne gegen Bini mit US-Behörden abgesprochen war.

Die Bespitzelung und die schmutzigen Tricks, die gegen die Mitarbeiter von WikiLeaks, einschließlich der Anwälte, angewandt werden, unterstreichen die Tatsache, dass die Verfolgung von Assange die Speerspitze eines umfassenderen Angriffs auf die demokratischen Rechte ist, und dass er sich weltweit auswirkt.

Diese Kampagne ist nicht von Krieg zu trennen. Assange wird verfolgt, weil er Kriegsverbrechen aufgedeckt hat, und zwar in einer Situation, da die USA und ihre Verbündeten mit ihrem Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine und ihrer Konfrontation mit China noch größere Scheußlichkeiten vorbereiten. Wie schon im 20. Jahrhundert, ist der Krieg auch heute unvereinbar mit den elementaren bürgerlichen Freiheiten. Die Regierungen untergraben sie, um den weit verbreitete Widerstand gegen Militarismus unter Arbeitern und Jugendlichen zu unterdrücken.

Der illegale Feldzug gegen WikiLeaks ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Behauptungen der Washingtoner Regierung, in der Ukraine oder anderswo „Demokratie“ und „Menschenrechte“ zu verteidigen, Betrug sind. Wie sich zeigt, ist es ein imperialistisches Regime, das sich aller Methoden, auch der kriminellen, bedient, wenn es darum geht, Widerstand gegen seine illegitimen Kriege und Interventionen zu unterdrücken.

Der vollständige Spiegel-Artikel (leider hinter Paywall) ist hier zu finden. Der Enthüllungsjournalist Tareq Haddad hat hier eine englische Übersetzung zur Verfügung gestellt.

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