Ein Jahr nach dem reaktionären Einmarsch des Putin-Regimes in die Ukraine organisieren die imperialistischen Mächte eine massive Eskalation des Kriegs, der immer akuter die Gefahr eines atomaren Weltkriegs heraufbeschwört.
Am Montag besuchte US-Präsident Joe Biden in einem „Überraschungsbesuch“ Kiew und verkündete weitere Waffenlieferungen – darunter Raketen, die die Ukraine befähigen sollen, Ziele auf der Krim und im russischen Kernland anzugreifen. Welche anderen weitreichenden Entscheidungen hinter den Kulissen getroffen wurden, ist nicht bekannt; aber die Forderungen in den US-Medien reichen von der Lieferung von F-16 Kampfflugzeugen bis hin zu Nato-Bodentruppen.
Der Besuch verdeutlichte, wie weit die Eskalationsspirale fortgeschritten ist. Laut dem nationalen Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, hatte das Weiße Haus den Kreml einige Stunden vor Bidens Abreise über den geplanten Besuch informiert. So habe „eine Situation vermieden werden sollen, in der es zu einem Konflikt zwischen beiden Atommächten hätte kommen können“, schreibt der Spiegel.
Am Dienstag erklärte der russische Präsident Wladimir Putin in seiner Rede zur Lage der Nation, Russland schränke seine Teilnahme am „New Start“-Abkommen ein. Der Vertrag begrenzt die Nukleararsenale Russlands und der USA auf je 800 Trägersysteme und 1550 einsatzbereite Atomsprengköpfe. „Wir ziehen uns nicht daraus zurück, aber wir setzen unsere Teilnahme aus“, erklärte Putin. Er drohte zudem mit Atomtests, falls Washington seinerseits Tests vornehme.
Am Dienstagabend hielt Biden eine weitere Kriegsrede vor dem historischen Königsschloss in Warschau. Es werde weiterhin „harte und sehr bittere Tage, Siege und Tragödien“ geben, schwor er seine handverlesene Zuhörerschaft auf einen langen und verlustreichen Krieg ein. Dann drohte er: „Die Ukraine wird niemals ein Sieg für Russland sein – nie.“ Man werde „zusammen sicherstellen, dass die Ukraine sich weiter verteidigen kann“.
Bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende wurden die weitreichenden Kriegsziele der imperialistischen Mächte ganz offen formuliert: Die vollständige militärische Niederlage Russlands in der Ukraine und die Schwächung und letztlich Unterwerfung des geostrategisch wichtigen und rohstoffreichen Landes.
„Wir müssen Goliath besiegen, der uns zerstören will“, erklärte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij. David zu sein bedeute, gewinnen zu müssen. Und um zu gewinnen, bedürfe es einer „Steinschleuder“ – um den „Aggressor Russland“ zu besiegen, so wie David Goliath besiegt habe. Und diese Schleuder habe die Ukraine noch nicht erhalten.
Selenskijs Kriegsrede via Videoschalte gleich am ersten Tag der Konferenz gab den Ton vor. In ihren offiziellen Reden und Statements überboten sich dann die Regierungschefs der EU- und Nato-Mächte mit Forderungen nach mehr und schnelleren Waffenlieferungen an Kiew und einem immer höheren Kriegseinsatz.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verlangte mehr Militärhilfe, um Russland an den Verhandlungstisch zu zwingen – d.h. dem Land einen Siegfrieden aufzuoktroyieren. „Wir müssen unsere Unterstützung und unsere Anstrengungen unbedingt intensivieren“, um die Ukrainer zu einer „Gegenoffensive“ zu befähigen, sagte er. Dabei seien „die kommenden Wochen und Monate entscheidend“. Frankreich sei bereit für „einen noch längeren Konflikt. Jetzt ist nicht die Zeit für Dialog.“
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erklärte, Polen sei bereit, gemeinsam mit anderen Ländern Kampfjets an die Ukraine zu liefern. Eine Voraussetzung für einen solchen Schritt sei eine „Nato-Entscheidung“.
Vor allem die deutsche Regierung, die offiziell lange als zurückhaltend dargestellt wurde, steht mittlerweile an der Spitze der Kriegsoffensive gegen Russland. Verteidigungsminister Boris Pistorius und Kanzler Olaf Scholz prahlten in ihren Reden mit der deutschen Militärunterstützung für die Ukraine und forderten von den „Partnern“ mehr Unterstützung für die Aufstellung einer Panzerarmee gegen Russland.
„Deutschlands Hilfe für die Ukraine belief sich im vergangenen Jahr auf über 12 Milliarden Euro“, erklärte Scholz. Man liefere „hochmoderne Waffen, Munition und andere militärische Güter – mehr als jedes andere Land in Kontinentaleuropa“. Das entspreche nicht nur den „berechtigten Erwartungen unserer Partner und Verbündeten“, man übernehme „damit auch die Verantwortung, die ein Land von der Größe, Lage und Wirtschaftskraft Deutschlands in Zeiten wie diesen zu schultern hat“.
Auch Scholz stellte klar, dass die Waffenlieferungen auf einen langen und umfassenden Krieg zielen. „Und es gilt, unsere Unterstützung von Anfang an so anzulegen, dass wir sie lange durchhalten“, erklärte er. „Das war bislang unser Maßstab bei der Lieferung neuer Waffensysteme: bei den Haubitzen und Mehrfachraketenwerfern, bei den Flugabwehrwaffen, den Schützenpanzern, Patriot-Batterien und zuletzt auch bei den westlichen Kampfpanzern.“ Und so halte man „es auch in Zukunft“.
Dazu gehöre, „dass alle, die solche Kampfpanzer liefern können, dies nun auch wirklich tun“. Dafür werbe er zusammen mit Verteidigungsminister Pistorius und Außenministerin Baerbock „auch hier in München intensiv“. Deutschland werde dazu beitragen, „unseren Partnern diese Entscheidung zu erleichtern..., etwa indem wir ukrainische Soldaten hier in Deutschland ausbilden oder bei Nachschub und Logistik unterstützen.“
Im gleichen Atemzug behauptete Scholz, man trage „Sorge dafür, dass es nicht zu einem Krieg zwischen der Nato und Russland kommt“. Das ist offensichtlich absurd. Tatsächlich führt das Militärbündnis längst Krieg gegen Russland und treibt diesen immer weiter voran. Baerbock sprach das jüngst ganz offen aus. „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander“, erklärte die Außenministerin bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Ende Januar.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Dabei verfolgt die herrschende Klasse Deutschlands noch viel umfassendere Kriegsziele. Sie nutzt den Nato-Krieg gegen Russland, um ihre bereits vor neun Jahren auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 angekündigten Großmachtpläne umzusetzen und Deutschland nach zwei verlorenen Weltkriegen im 20. Jahrhundert wieder zur führenden Militär- und Kriegsmacht zu machen.
„Von diesem Podium aus war in den vergangenen Jahren oft davon die Rede, dass Deutschland seiner sicherheitspolitischen Verantwortung gerecht werden muss“, erklärte Scholz. Er „teile diesen Anspruch nicht nur, wir lösen ihn ein“. Der Kanzler prahlte u.a. damit, dass Deutschland unter seiner Führung eine „zusätzliche Brigade“ nach Litauen entsandt habe, Polen und die Slowakei bei der Flugabwehr unterstütze und aktuell die Nato-Speerspitze führe und „dafür 17.000 Soldatinnen und Soldaten in Bereitschaft“ halte.
„Um dies und künftig noch mehr leisten zu können, machen wir Schluss mit der Vernachlässigung der Bundeswehr“, so Scholz weiter. Das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr habe dafür „das Fundament“ gelegt und ermögliche „einen dauerhaften Spurwechsel beim Aufbau der Fähigkeiten“ der Bundeswehr. Doch die Militärausgaben müssten weiter anwachsen.
„Natürlich steigen mit neuen Kampfflugzeugen, Hubschraubern, Schiffen und Panzern auch die Kosten für Munition und Ausstattung, für Unterhalt, Übungen, Ausbildung und Personal“, erklärte der Kanzler. Er wolle deshalb bekräftigen, dass Deutschland „seine Verteidigungsausgaben dauerhaft auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anheben“ werde. Pistorius mahnte, den Verteidigungshaushalt bereits im nächsten Jahr um weitere zehn Milliarden anzuheben.
Der herrschenden Klasse schwebt dabei nicht nur die umfassende Militarisierung Deutschlands, sondern des gesamten Kontinents vor. „Um diese Mittel sinnvoll und nachhaltig zu investieren, brauchen wir eine leistungs- und wettbewerbsfähige Rüstungsindustrie in Deutschland und in ganz Europa“, forderte Scholz. Gigantische Rüstungsprojekte wie das Future Combat Air System, das Main Ground Combat System und der „von Deutschland initiierte“ Raketenschirm „European Sky Shield“ seien „Schritte hin zu einem Europa der Verteidigung und Rüstung“ und „zu einem geopolitisch handlungsfähigeren Europa“.
All die Phrasen von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, die von Scholz, Biden und Co. gebetsmühlenartig wiederholt werden, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die führenden Nato-Mächte und ihre Stellvertreter in der Ukraine einen schmutzigen imperialistischen Krieg führen. In München forderte der ukrainische Vizeregierungschef Olexandr Kubrakow, auch Streumunition und Phosphorbomben an Kiew zu liefern. „Warum können wir sie nicht nutzen?“, fragte er provokativ. „Es ist unser Staatsgebiet“ und die Kampfmittel könnten helfen, der russischen Armee standzuhalten.
Der Einsatz von Streumunition und Bomben mit Phosphor ist völkerrechtlich illegal. Die Auswirkungen dieser Waffen sind verheerend. Bei Streumunition handelt es sich um Raketen und Bomben, die in der Luft zerbersten und unzählige kleine Sprengkörper freisetzen. Phosphor ist eine extrem leicht entzündliche und nur schwer löschbare Chemikalie. Sie brennt das Fleisch von den Knochen und ihre giftigen Dämpfe führen zu schweren Verbrennungen der Atemwege. Beide Waffen werden großflächig eingesetzt und sind darauf ausgerichtet, wahllos Menschen zu töten und zu verstümmeln.
Auch wenn die Nato-Führer Kubrakows Forderung öffentlich zurückwiesen, wusste er, an wen er sich wandte. Die imperialistischen Mächte sind „Experten“, wenn es um den Einsatz dieser verheerenden Waffen geht. Nach einem Bericht von Human Rights Watch wurden im Zuge des völkerrechtswidrigen Überfalls auf den Irak von den Vereinigten Staaten und Großbritannien fast 13.000 Streubomben mit geschätzten 1,8 bis 2 Millionen Submunitionen abgeworfen. Auch Raketen und Granaten mit Weißem Phosphor kamen bei der Zerstörung Falludschas gegen die Zivilbevölkerung zum Einsatz.