Die Gedenkveranstaltungen zum 78. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz fanden am 27. Januar unter unwürdigen Bedingungen statt. Inmitten der Eskalation des Kriegs gegen Russland in der Ukraine wurde das Gedenken an die Befreiung völlig von imperialistischer Kriegspropaganda und rechter Geschichtsfälschung überschattet.
Auschwitz ist in den Augen von Millionen Menschen auf der ganzen Welt das wichtigste Symbol der Verbrechen, die der Faschismus im 20. Jahrhundert begangen hat. Das Lager Auschwitz-Birkenau wurde am 27. Januar 1945 von der Roten Armee der Sowjetunion befreit. Bei ihrer Ankunft fanden die Soldaten einen riesigen Komplex von Vernichtungs- und Arbeitslagern vor. Hier waren mehr als eine Million Menschen ermordet worden, darunter 900.000 europäische Juden.
Insgesamt wurden während des Zweiten Weltkriegs zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen nach Auschwitz deportiert, darunter mindestens 140.000 Polen, 20.000 Sinti und Roma (von denen fast alle ermordet wurden) und 10.000 sowjetische Kriegsgefangene. Viele Tausende mussten in den Arbeitslagern für den deutschen Chemie- und Pharmakonzern IG Farben schuften. Das war der Vorgänger von BASF und Bayer, die heute zu den größten und einflussreichsten Konzernen der Welt zählen.
Aber diese historischen Fakten wurden bei den offiziellen Gedenkzeremonien systematisch in den Hintergrund gedrängt, und die Veranstaltungen wurden gänzlich in den Dienst der imperialistischen Kriegspropaganda gegen Russland gestellt. Es ging nicht mehr darum, das Andenken an die Ermordeten und die wenigen heute noch verbliebenen Überlebenden des Holocaust zu ehren. Stattdessen wurde Kriegspropaganda betrieben, um neue Verbrechen des Imperialismus zu rechtfertigen.
Von vorneherein war klar, dass Russland von allen Zeremonien ausgeladen würde, obwohl die Rote Armee vor 78 Jahren das Lager und einen Großteil Osteuropas befreit hatte.
Der Direktor der Gedenkstätte Auschwitz, Piotr Cywiński, stellte nicht die Verurteilung der Verbrechen des Faschismus und des Nationalsozialismus in den Mittelpunkt seiner Rede, sondern er verharmloste bewusst die Verbrechen der Nazis, indem er den russischen Einmarsch in die Ukraine mit den Kriegen Hitlers und dem Holocaust gleichsetzte: „Auschwitz ist aus Machtgier und Größenwahn hervorgegangen“, sagte Cywiński. „[Heute] existiert ein ähnlicher Größenwahn, eine ähnliche Machtgier und ähnliche Mythen über Einzigartigkeit, Größe, Überlegenheit ... bloß in Russland geschrieben. Einmal mehr sterben in Europa massenhaft unschuldige Menschen.“
Nach wie vor ist Auschwitz vorwiegend als wichtiger Schauplatz des Holocaust bekannt: In den dortigen Gaskammern wurde ein Sechstel der sechs Millionen Opfer des Holocaust ermordet. Aber Cywiński ignorierte in seiner Rede weitgehend den Holocaust und die Vernichtungslager der Nazis. Er erwähnte Schauplätze von Nazi-Massakern an polnischen, französischen und tschechischen Zivilisten, nicht jedoch den Massenmord an Juden, als er sagte: „Der Wola-Bezirk in Warschau, Zamojszczyzna, Oradour und Lidice heißen heute: Butscha, Irpin, Hostomel, Mariupol und Donezk.“
Was die von Cywiński aufgezählten ukrainischen Städte betrifft, so haben die imperialistischen Mächte bisher für die angeblich dort begangenen russischen Kriegsverbrechen keine überzeugenden Beweise geliefert. Ganz anders die erwähnten Verbrechen der Nationalsozialisten: Zweifelsfrei ist erwiesen, dass die Nazis bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands 1944 im Bezirk Wola zwischen 40.000 und 50.000 Polen ermordet haben. Im Massaker von Lidice waren es 340 tschechische Zivilisten, und im französischen Oradour-sur-Glane 643 französische Zivilisten, die ermordet wurden. Die Deportation von mehr als 100.000 Polen aus der Region Zamojszczyzna war Teil der ethnischen Säuberungen des Generalplans Ost der Nazis, der die Vertreibung der slawischen Bevölkerung und die Ansiedlung von Deutschen in Osteuropa vorsah.
Für die Tatsache, dass der Leiter der Gedenkstätte Auschwitz die erwähnten Orte stärker betonte als die Stätten des Holocaust, gibt es keine harmlose Erklärung. Diese Massaker werden seit langem instrumentalisiert – besonders von polnischen, aber auch von anderen europäischen Rechtsextremisten – um die Verbrechen der Nazis an der jüdischen Bevölkerungen zu relativieren. Denn bei letzteren unterstützten nationalistische und rechtsextreme Kräfte die Nazis stillschweigend, wenn sie nicht sogar direkt daran beteiligt waren.
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ging auf Facebook sogar noch weiter: „Wir sollten uns am Jahrestag der Befreiung des Nazi-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau daran erinnern, dass Putin im Osten neue Lager baut.“ Für diese außergewöhnliche Behauptung nannte er keinerlei Beweise. Nur wenig später prahlte er auf Facebook mit der Rolle, die Polen dabei gespielt habe, Deutschland dazu zu bringen, Leopard-2-Panzer an die Ukraine für den Krieg gegen Russland zu liefern.
Die Partei, der Morawiecki angehört, hat eine Schlüsselrolle bei den Kriegsvorbereitungen der Nato gegen Russland gespielt. Sie ist von rechtsextremen und antisemitischen Kräften durchsetzt. Im Jahr 2018 verbot die polnische Regierung die Erforschung und öffentliche Erwähnung der Verbrechen polnischer Antisemiten während des Holocaust. Seitdem hat sie eine große Säuberungsaktion in akademischen Institutionen und Museen durchgeführt und Personen entlassen, die sich gegen den rechtsextremen Geschichtsrevisionismus der Regierung stellten. Im Jahr 2019 ließ die PiS-Regierung tatsächlich zu, dass eine Bande Faschisten am 74. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz im Lager aufmarschieren konnte.
Die beispiellose Verbreitung von Kriegspropaganda und die bewusste Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus, die den Auschwitz-Gedenktag überschatteten, sind untrennbar mit der erneuten Explosion des imperialistischen Militarismus verbunden.
Die Verbrechen von Auschwitz und des deutschen Faschismus im weiteren Sinn beruhten letzten Endes auf dem Zusammenbruch des kapitalistischen Systems. Die Nazi-Bewegung wurde von der deutschen herrschenden Klasse an die Macht gebracht, um die Arbeiterbewegung zu zerschlagen und die Hegemonie des deutschen Imperialismus in Europa zu etablieren. Der giftige Antisemitismus des Nationalsozialismus beruhte hauptsächlich auf der politischen und ideologischen Reaktion gegen die Arbeiterbewegung, die dem Internationalismus und Sozialismus verpflichtet war. Die Zerstörung der Sowjetunion wurde zum strategischen Ziel des deutschen Imperialismus.
Zum einen wollte Deutschland den deformierten Arbeiterstaat zerstören, der aus der Oktoberrevolution von 1917 hervorgegangen war, und der internationalen Arbeiterklasse damit einen schweren Schlag versetzen. Zum anderen strebte der deutsche Imperialismus danach, die immensen Rohstoffquellen der Region unter seine Kontrolle zu nehmen, um seine Position gegenüber seinen wichtigsten imperialistischen Rivalen, vor allem den USA, zu stärken.
Diese Ziele bildeten die Grundlage für einen Krieg, der bis heute der blutigste in der Geschichte der Menschheit ist. Er basierte von Anfang an auf verbrecherischen Befehlen, die Deutschland außerhalb aller etablierten Normen der Kriegsführung stellten. In einem solchen kriminellen Befehl von Erich Höpner, dem Kommandanten der 4. Panzergruppe, vom 2. Mai 1941 hieß es:
Der Krieg gegen Russland ist ein wesentlicher Abschnitt im Daseinskampf des deutschen Volkes. Es ist der alte Kampf der Germanen gegen das Slawentum, die Verteidigung europäischer Kultur gegen moskowitisch-asiatische Überschwemmung, die Abwehr des jüdischen Bolschewismus. Dieser Kampf muss die Zertrümmerung des heutigen Russland zum Ziele haben und deshalb mit unerhörter Härte geführt werden. Jede Kampfhandlung muss in Anlage und Durchführung von dem eisernen Willen zur erbarmungslosen, völligen Vernichtung des Feindes geleitet sein. Insbesondere gibt es keine Schonung für die Träger des heutigen russisch-bolschewistischen Systems.
Der Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 stellte nicht nur einen entscheidenden Wendepunkt im Krieg dar, sondern auch in der Entwicklung des Holocaust. Die Gaskammern von Auschwitz wurden nur wenige Monate später in Betrieb genommen, während derer die nationalsozialistische Wehrmacht die jüdische Bevölkerung der besetzten Sowjetunion mit Massenerschießungen auslöschte. Die große Mehrheit der Holocaust-Opfer wurde zwischen Sommer 1941 und Ende 1943 ermordet.
Die Rote Armee kämpfte gegen den Einmarsch der Nazis und spielte die zentrale Rolle im Sieg über Hitler-Deutschland. Sie bestand aus Soldaten aller Nationalitäten der Sowjetunion. Leo Trotzki hatte sie 1918 gegründet, um die Errungenschaften der Oktoberrevolution von 1917 gegen die imperialistischen Invasionsarmeen zu verteidigen. Trotz der schrecklichen Verbrechen des Stalinismus trug die Rote Armee auch in den 1940er Jahren noch immer den Geist der sozialistischen Revolution und des sozialen Fortschritts in sich.
Die Tatsache, dass die westlichen Regierungen Russland von den offiziellen Feierlichkeiten ausluden, war daher nicht nur eine schwere politische Provokation, sondern auch Teil der systematischen Bestrebungen, Antikommunismus zu verbreiten und die Geschichte zu fälschen.
Allerdings stellte Russlands Präsident Wladimir Putin der imperialistischen Kriegspropaganda seine eigenen Geschichtsfälschungen und politischen Lügen entgegen. Als Reaktion auf die Ausladung Russlands von der offiziellen Gedenkveranstaltung stellte Putin eine falsche Analogie zwischen dem russischen Einmarsch in die Ukraine und der Rolle der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg her. Er behauptete, das Ziel seines Kriegs in der Ukraine sei die „Entnazifizierung“ des Landes.
In Wirklichkeit sind sowohl der Ukraine-Krieg und das Wiederaufleben rechtsextremer Kräfte als auch der imperialistische Krieg gegen Russland letzten Endes das Ergebnis der jahrzehntelangen stalinistischen Konterrevolution. Diese richtete sich gegen die sozialistische Oktoberrevolution von 1917 und gipfelte 1991 in der Zerstörung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie. Das Putin-Regime, das für die Interessen einer winzigen Oligarchie spricht, hat sich in den letzten 30 Jahren auf Kosten der Massen bereichert. Es ist der Erbe dieser Konterrevolution.
Die russische Armee, die sich größtenteils aus verzweifelten armen Menschen rekrutiert, ist nicht die Wiedergeburt der Roten Armee. Ihre Soldaten werden auf tragische Weise in dem Krieg verheizt. Das Oligarchen-Regime führt ihn im verzweifelten Bemühen, einen Krieg zur „nationalen Verteidigung“ zu inszenieren. Sein Hauptziel besteht darin, die Privilegien der Oligarchie zu schützen und einen Weg zu finden, um mit den imperialistischen Mächten in Verhandlung zu treten. Die reaktionäre Invasion der Ukraine durch das russische Oligarchen-Regime und die damit einhergehende Propagierung von russischem Chauvinismus – ebenfalls Geschichtsfälschung – sind Wasser auf die Mühlen der imperialistischen Kriegsmaschinerie und ihrer Propaganda. Sie dienen lediglich dazu, die Arbeiterklasse weiter zu spalten und die allgemeine Verwirrung zu vergrößern.
Die Aufgabe, dem jetzigen imperialistischen Krieg ein Ende zu setzen und einen neuen Faschismus in Europa zu verhindern, fällt der internationalen Arbeiterklasse zu. Sie muss die Lehren aus dem Verrat der stalinistischen Bürokratie an der Oktoberrevolution ziehen und den imperialistischen Kriegstreibern, sowie dem Nationalismus des Putin-Regimes, die Strategie eines vereinten Kampfs der Arbeiterklasse für Sozialismus in ganz Europa und auf der ganzen Welt entgegenstellen.