Das Bündnis „Soziales Wohnen“ hat am 12. Januar 2023 auf einer Pressekonferenz in Berlin die Ergebnisse der von ihm beauftragten Studie „Bauen und Wohnen in der Krise“ vorgestellt. Die Studie kommt auf der Grundlage seiner Recherchen zu dem alarmierenden Ergebnis, dass derzeit in Deutschland 700.000 Wohnungen fehlen. Im ersten Jahr der Ampel-Koalition wurden nur 20.000 statt der angekündigten 100.000 Sozialwohnungen fertiggestellt.
Die Studie „Bauen und Wohnen in der Krise – Aktuelle Entwicklungen und Rückwirkungen auf Wohnungsbau und Wohnungsmärkte“ wurde vom Pestel Institut in Hannover und der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) für zeitgemäßes Bauen in Kiel erstellt. Den Auftrag dazu erteilte das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ mit Sitz in Berlin, dem die Gewerkschaft IG BAU und der Mieterbund, sowie ein Sozialverband der Caritas und zwei im Wohnungsbau tätige Bauverbände angehören.
Die Studie stellt einen Rekordmangel an bezahlbarem Wohnraum und besonders an Sozialwohnungen fest. In ihrem ersten Regierungsjahr hat die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP statt der pro Jahr geplanten 400.000 Neubauwohnungen gerade mal erreicht, dass 250.000 bis 280.000 Wohnungen fertig wurden. Darunter waren nur 20.000 Sozialwohnungen, ein Fünftel der für 2022 angekündigten Anzahl von 100.000 (und ein Zwanzigstel des Gesamtziels von knapp 400.000 Sozialwohnungen bis 2025, zum Ende der Legislaturperiode).
Und die Lage wird sich zweifellos weiter verschärfen. Bei vielen Wohnungen läuft die Sozialbindung aus, und zu wenige neue werden gebaut. Andererseits nimmt die Bevölkerung zu: Sie ist von einem Tiefststand im Jahr 2011 von 80,5 Millionen auf etwa 84,5 Millionen im Jahr 2022 angewachsen. Zwar fielen die Geburten 2022 auf den niedrigsten Stand seit 2014, und der Sterbeüberschuss erreichte nicht zuletzt durch Corona einen Rekordwert. Aber großenteils wegen der Fluchtbewegung aus der Ukraine stieg die Nettozuwanderung mit 1,5 Millionen Personen auf einen Höchststand.
Über diese Entwicklung sprach Matthias Günther, Leiter des Pestel Instituts und Verantwortlicher der Studie, auf der Pressekonferenz vom 12. Januar. Die Lage auf dem sozialen Wohnungsmarkt, so Günther, spitze sich dramatisch zu. Dabei habe Deutschland schon heute einen „Rekord-Wohnungsmangel von mehr als 700.000 fehlenden Wohnungen“. Laut Günther ist es das „größte Wohnungsdefizit seit mehr als zwanzig Jahren“. Er fügte hinzu: „Bei den bezahlbaren Wohnungen wird das ohnehin schon massive Versorgungsloch immer größer; bei den Sozialwohnungen ist es längst ein Krater.“
Auch die Tagesschau wies am 12. Januar 2023 in einem besonderen Bericht auf die Wohnungsmisere hin. Darin heißt es: „Millionen Sozialwohnungen fehlen. Wo Wohnraum am dringendsten gebraucht wird, entsteht am wenigsten davon. Denn dort gibt es für die Baubranche am wenigsten zu verdienen.“
Wie sich zeigt, ist der Bestand an Sozialwohnungen in Wahrheit rückläufig. Während in den neunziger Jahren in Deutschland noch rund drei Millionen Sozialwohnungen vorhanden waren, gibt es heute derer nur noch 1,1 Millionen. Der Bericht stützt sich auf Zahlen des Sozialverbands VdK, demzufolge derzeit einen Bedarf von 5 Millionen Sozialwohnungen existiert. VdK-Präsidentin Verena Bentele weist darauf hin, dass heute nicht nur die Menschen, die schon lange in Armut oder von Niedriglohn leben, auf die Sozialwohnungen angewiesen sind, sondern auch sehr viele Familien, die vor einigen Jahren noch relativ gut dastanden, aber aufgrund der Mietpreiserhöhungen und der Explosion bei den Energiekosten in eine finanzielle Schieflage geraten.
Wie die Studie, weist auch der Tagesschau-Bericht auf die Diskrepanz zwischen angekündigten und gebauten Sozialwohnungen im Jahr 2022 hin: Tatsächlich war ihre Zahl zum Jahresende gegenüber dem Vorjahr 2021 um etwa 27.000 Sozialwohnungen niedriger. Und im Lauf des Jahres überstieg die Zahl der Sozialwohnungen, die nach 25 bis 30 Jahren aus der Mietbindung herausfielen, diejenige der 20.000 staatlich geförderten Neubauten.
Der Bericht „Bauen und Wohnen in der Krise“ weist nach, dass die Bauvorhaben, egal ob gefördert oder nicht, generell immer teurer werden. Ursachen sind: eine gravierende Verteuerung des Baumaterials infolge der seit Corona erschwerten Lieferketten, die mit den antirussischen Sanktionen verbundene verschärfte Inflation und Explosion der Energiepreise, sowie steigende Zinsen bei den Bankkrediten. Erzielten Investoren bisher bei staatlich geförderten Bauprojekten auch bei Kaltmieten von sechs Euro pro Quadratmeter noch eine Rendite, wird diese heute von den Kosten aufgefressen. Aus diesem Grund arbeiten viele Städte nur noch die laufenden Baustellen ab, planen aber kaum noch neue Projekte.
Auf der Pressekonferenz vom 12. Januar brachte Professor Dietmar Walberg, ARGE-Institutsleiter, die aktuellen Baukosten auf den Punkt: „Der Neubau einer Mietwohnung kostet in einer Großstadt heute im Schnitt nahezu 3.980 Euro pro Quadratmeter. Dazu kommen noch einmal umgelegte Kosten von gut 880 Euro für das Grundstück. Zusammen macht das fast 4.900 Euro für einen Quadratmeter Wohnfläche im Mietwohnungsbau. Damit haben wir uns deutlich aus dem Bereich geschossen, der den frei finanzierten Neubau überhaupt noch möglich macht.“ Seiner Prognose zufolge werden bis zur Mitte dieses Jahres die Kosten beim Neubau mit einer Steigerung von 148 Prozent nahezu zweieinhalb Mal so hoch sein wie im Jahr 2000.
Schon bisher treiben die Mieten in den größeren Städten immer mehr Menschen in eine Notlage. Mehr als 11 Millionen Mieterhaushalte haben in Deutschland einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS), und damit auf eine Sozialwohnung. Allerdings steht nur für jeden Zehnten davon eine Sozialwohnung bereit. Denn, wie das Bündnis nachweist, existieren bundesweit nur noch 1,1 Millionen Sozialwohnungen.
Dagegen habe es Ende der 1980er Jahre allein im Westen Deutschlands noch rund vier Millionen Sozialwohnungen gegeben. Während im Jahr 1987 auf 100 Mieterhaushalte 25 Sozialwohnungen kamen, sind es heute nur noch fünf. Und das Missverhältnis wird sich noch weiter verschlimmern.
Das Bündnis fordert von Regierung und Staat, dringend ein Sondervermögen „Soziales Wohnen“ zu schaffen. Für dieses Sondervermögen seien in einem ersten Schritt 50 Milliarden Euro bis zum Jahr 2025 erforderlich. Nur so sei es möglich, das von der Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag festgeschriebene Ziel von 380.000 Sozialwohnungen in dieser Legislaturperiode noch zu schaffen. Dreiviertel der Summe für das Sondervermögen „Soziales Wohnen“ – mindestens jedoch 38,5 Milliarden Euro – müsse vom Bund kommen, fordert das Bündnis. Der Rest soll von den Ländern finanziert werden.
Wie reagiert nun die Bundesregierung auf diesen alarmierenden Bericht?
Weit davon entfernt, daraus Konsequenzen zu ziehen und schleunigst die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, um neue Sozial- und bezahlbare Mietwohnungen zu bauen, antwortete die verantwortliche Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Klara Geywitz (SPD), mit der lapidaren Aussage: „Ich gehe nicht davon aus, dass die Zahl von 400.000 Wohnungen in den Jahren 2022 und 2023 erreichbar ist.“
Die Ministerin versucht, auf die Zukunft zu vertrösten: Das Neubauziel von 400.000 Wohnungen pro Jahr sei realistisch erst ab 2024 erreichbar. Zwar wird die endgültige Fertigstellungsstatistik für 2022 erst im Mai vorliegen, aber schon heute gehen weder Geywitz noch andere Mitglieder der Regierung davon aus, dass die angepeilte Zielmarke erreicht wird.
Auch die Bauunternehmer äußern starke Zweifel, dass das Ziel in absehbarer Zeit noch erreicht werden könne. Der Fernsehsender ntv zitierte am 23. Januar unter der Überschrift: „Harte Zeiten für Wohnungssuchende – Geywitz kassiert Wohnungsbauziel der Ampel“ die Einschätzung des Bundesverbands der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW): Zumindest mittelfristig sei nur der Bau von 200.000 Wohnungen jährlich realistisch.
Die Studie, die das Bündnis „Soziales Wohnen“ vorlegt, bietet eine Menge an wertvollen Informationen zur Wohnungsnot als einer der großen sozialen Fragen, mit denen die Arbeiterklasse konfrontiert ist. Die Forderungen nach massiven Investitionen in den sozialen Wohnungsbau und ganz allgemein den Bau bezahlbaren Wohnraums sind notwendig und berechtigt.
Allerdings zeigen die Ergebnisse und Analysen derselben Studie, dass von der Ampelregierung genauso wenig wie von den Vorgängerregierungen eine positive Veränderung zu erwarten ist. Sie selbst sind ja für die katastrophale Situation am Wohnungsmarkt verantwortlich.
Zuletzt konnte die Scholz-Regierung über Nacht ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus dem Hut zaubern, und der Haushalt für Militarismus und Krieg wird ständig erhöht. Gleichzeitig wurden die Ausgaben für Gesundheit und Bildung im jüngsten Bundeshaushalt massiv gesenkt. Die Regierung hat auf Kriegsführung umgeschwenkt, und in ihrem Kriegshaushalt ist für die Bekämpfung von sozialen Problemen kein Geld mehr da.
In Berlin kam es schon 2018 und 2019 zu Massenprotesten gegen die ständig steigende Wohnmisere, und die Forderung „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ gewann Massenunterstützung. Auch in vielen anderen Städten gingen Zehntausende Menschen gegen Wohnungsnot und Mietenwucher auf die Straße.
Am 27. September 2021, dem Tag der letzten Bundestagswahl, stimmten 56,4 Prozent der Berliner in einem gleichzeitig stattfindenden Volksentscheid für die Enteignung der großen Wohnungsbaukonzerne, die mit der Not von Millionen Menschen Profite machen und für die Steigerung ihrer Profite über Leichen gehen. Allerdings hat sich die Berliner Landesregierung aus SPD, Grünen und Linkspartei, die während der Wahlkampagne den Volksentscheid heuchlerisch unterstützte, über die Mehrheitsentscheidung der Wähler hinweggesetzt.
Die World Socialist Web Site schrieb dazu in ihrem Artikel „Berlin: Deutliche Mehrheit für Enteignung der Wohnungskonzerne“:
Um wirkliche Enteignungen durchzusetzen und für bezahlbaren und ausreichenden Wohnraum zu sorgen, kann man sich nicht auf die etablierten Parteien und Gewerkschaften stützen, sondern nur auf eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse, die immer stärker in Bewegung gerät.
Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) formulierte diese Strategie auch in ihrem Aufruf: „Für die entschädigungslose Enteignung der Miethaie!“ Dort heißt es:
Kein gesellschaftliches Problem kann gelöst werden, ohne die Banken und Konzerne zu enteignen und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse zu stellen. Ihre Gewinne und Vermögen müssen beschlagnahmt und die Billionen, die ihnen im letzten Jahr zur Verfügung gestellt wurden, zurückgeholt werden. Die Weltwirtschaft muss auf der Grundlage eines wissenschaftlichen und rationalen Plans neu organisiert werden.
Der Kampf für diese Perspektive ist heute dringender denn je.