Israelisches Militär tötet 10 und verwundet 20 Palästinenser bei tödlichster Razzia in Dschenin seit Jahren

Am Donnerstag verübten Israels Militär, Polizei und der Sicherheitsdienst Schin Bet im Flüchtlingslager in Dschenin im Westjordanland ein Massaker an Palästinensern, bei dem neun Menschen getötet wurden, darunter eine ältere Frau. Mindestens zwanzig weitere Menschen wurden verwundet, vier davon lebensgefährlich. Eine weitere Person starb bei Zusammenstößen, die am Donnerstagabend weitergingen. Die Aktion war damit die tödlichste seit Jahren.

Die Katastrophe wurde dadurch verschlimmert, dass das israelische Militär den palästinensischen Rettungsdiensten den Zugang zum Schauplatz versperrte. Die palästinensische Gesundheitsministerin Mai al-Kaileh erklärte, israelische Streitkräfte hätten auch „das staatliche Krankenhaus in Dschenin gestürmt und gezielt Tränengas in der Kinderabteilung eingesetzt“, wodurch die anwesenden Kinder Atemnot erlitten. Videos aus dem Krankenhaus zeigen, wie Frauen Kinder aus den Räumen auf den Flur tragen.

Trauernde mit den Leichen von acht Palästinensern, die teilweise in die Flagge der militanten Gruppe Islamischer Dschihad gehüllt sind, bei einer gemeinsamen Beerdigung in Dschenin im Westjordanland am 26. Januar 2023(AP Photo/Majdi Mohammed) [AP Photo/Majdi Mohammed]

Die palästinensischen Gesundheitsbehörden nannten als Todesopfer neben der 60-jährigen Magda Obaid: Saeb Essam Mahmoud Azriqi (24), Izzidin Yassin Salahat (26), Abduallah Marwan al-Ghoul und Moattassem Abu al-Hassan. Ihre Beerdigungen fanden am gleichen Tag während eines Generalstreiks statt.

Al-Kaileh bezeichnete die Lage in dem Lager, in dem 10.000 Menschen auf weniger als einem Quadratkilometer zusammengepfercht sind, als „katastrophal“. Die Stadt ist ein soziales Pulverfass, seit die Corona-Pandemie die Lebensgrundlage ihrer Bewohner zerstört hat; dazu kommen das gewaltsame Vorgehen und die Schikanen der Siedler, ständige Razzien und Massenverhaftungen durch die israelischen Sicherheitskräfte seit letztem März und die Unfähigkeit der Palästinenserbehörde (PA), sie in irgendeiner Form zu schützen. Der stellvertretende Gouverneur von Dschenin, Kamal Abu al-Rubsaid, erklärte gegenüber AFP, dass die Einwohner in einem „echten Kriegszustand“ leben und dass „das israelische Militär alles zerstört und auf alles schießt, was sich bewegt“.

Im Vorfeld des Massakers gab es fast jede Nacht Durchsuchungen und Verhaftungen im Westjordanland, das Israel zusammen mit dem von ihm annektierten Ost-Jerusalem, dem Gazastreifen und den syrischen Golanhöhen seit dem arabisch-israelischen Krieg von 1967 illegal besetzt hält. Im Jahr 2022 wurden bei israelischen Militärrazzien mehr als 2.500 Menschen verhaftet und mindestens 271 Palästinenser getötet, vor allem im Westjordanland.

Mit dem jüngsten Massaker steigt die Zahl der Toten seit Jahresbeginn auf 30, oder mehr als einen Toten pro Tag. Nur einen Tag zuvor wurde ein 20-jähriger Palästinenser aus dem Flüchtlingslager Dschenin erschossen, nachdem er angeblich versucht hatte, einen israelischen Soldaten nahe der Siedlung Kedumim im nördlichen Westjordanland zu erstechen.

Ein hochrangiger Vertreter der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) dementierte, dass es seit der Amtsübernahme der rechtsextremen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einen Kurswechsel gegeben hätte. Der neuen Regierung gehören faschistische und offen rassistische Kräfte an, die 100.000 Palästinenser aus dem Gebiet C vertreiben wollen, das 60 Prozent des Westjordanlands ausmacht und in dem sich die meisten israelischen Siedlungen befinden.

Der Sprecher der IDF erklärte, man rechne mit einer Reaktion des palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ) im Gazastreifen und das Militär sei „auf jedes Szenario vorbereitet; zweifellos werden auch die südlichen Bereiche betroffen sein“. Damit meinte er den Gazastreifen.

Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) von Präsident Mahmud Abbas verurteilte das Gemetzel in einer Stellungnahme als „Massaker der israelischen Besatzungsregierung im Schatten des internationalen Schweigens“ und kündigte an, die PA werde die Sicherheitskoordination mit Israel einstellen. Das Außenministerium der PA appellierte vergeblich an die „internationale Staatengemeinschaft“ und die USA, „sofort gegen die israelische Tötungsmaschinerie zu intervenieren“.

Die Netanjahu-Regierung kann ihre Agenda der Ausweitung ihres Territoriums, der jüdischen Vorherrschaft und der massiven Unterdrückung der Palästinenser nur umsetzen, weil Washington und die europäischen Großmächte sie stillschweigend unterstützen. Sie alle verfolgen den gleichen Kurs: Eroberungskriege im Ausland und Klassenkrieg im Inland, unterstützt von zunehmendem Autoritarismus zur Verteidigung ihrer eigenen Finanzoligarchen.

Die Biden-Regierung hat in einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung den Besuch von Außenminister Antony Blinken ankündigt. Weiter betont sie darin ihre bedingungslose Unterstützung für Israel und erklärt, dass Blinken „sich mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Außenminister Eli Cohen und anderen hochrangigen Politikern treffen wird, um über die anhaltende Unterstützung der USA für Israels Sicherheit, insbesondere gegen die Bedrohung durch den Iran, zu diskutieren.“

Wie die New Yorker Organisation Human Rights Watch im April 2021 dokumentierte, hat Bidens Regierung nichts unternommen, um Israel für seine Apartheidpolitik zu sanktionieren – auch nicht für die Bombardierung des Gazastreifens im Mai 2021, bei dem mehr als 250 Palästinenser getötet wurden; nicht für den Tod des 80-jährigen US-Staatsbürgers Omar Muhammad Asaad, der im Januar 2022 von der Polizei aus dem Auto gezerrt, verprügelt und sterbend liegengelassen wurde; nicht für die nahezu täglichen Razzien von Städten und Dörfern im Westjordanland; nicht für die vorsätzliche Ermordung der palästinensisch-amerikanischen Al-Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh im Mai 2022; nicht für Israels Ankündigung im gleichen Monat, im Westjordanland 4.000 Siedlerhäuser zu bauen oder für die Ermordung von mindestens 271 Palästinensern im Jahr 2022.

Die USA haben Gelder in Höhe von einer Milliarde Dollar für das israelische Raketensystem Iron Dome bereitgestellt und einen Bericht veröffentlicht, der Israels Verantwortung für Abu Aklehs Ermordung herunterspielt. Letzte Woche ist US-Sicherheitsberater Jake Sullivan nach Israel gereist, um eine Verschärfung des Kriegskurses gegen den Iran sowie die Vorbereitungen für die bisher größte gemeinsame Militärübung zu diskutieren, die in beispielloser Geschwindigkeit in nur zwei Monaten organisiert werden soll. Diese Übung soll ein Warnsignal an den Iran senden und das Engagement der Biden-Regierung für Israel unterstreichen – nur wenige Wochen nach der Amtsübernahme von Netanjahus Regierung voller Faschisten.

Blinkens Reise beginnt in Ägypten, wo er mit Präsident Abdel Fattah el-Sisi zusammentreffen wird, um die „strategische Partnerschaft zwischen Ägypten und den USA voranzutreiben und Frieden und Sicherheit in der Region zu fördern“, wie es in der Erklärung hieß.

Das von den USA vermittelte Abraham-Abkommen, in dessen Rahmen die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrain – auf Anweisung von Saudi-Arabien – der Sudan und Marokko volle diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu Israel aufgenommen haben, hat zu einem drastischen Rückgang der Finanzierung des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) durch arabische Spender geführt. Im Jahr 2018 haben arabische Staaten 25 Prozent des Etats der Behörde gestellt, im Jahr 2021 nur noch drei Prozent und vergangenes Jahr vier Prozent.

Letztes Jahr hat das UNRWA, das grundlegende Sozialleistungen für fast sechs Millionen in den palästinensischen Gebieten registrierte Palästinenser erbringt – darunter in Ost-Jerusalem, Jordanien, Libanon und Syrien – weniger als 1,2 Milliarden der beantragten 1,6 Milliarden Dollar eingenommen. Damit verzeichnete es das vierte Jahr in Folge ein Defizit von mehr als 70 Millionen Dollar.

Israels Massaker an Palästinensern in Dschenin erfolgt vor dem Hintergrund von Bestrebungen, die zivilen Behörden im Westjordanland der Zivilverwaltung des neu ernannten Finanzministers Bazalel Smotrich, dem faschistischen Führer der Partei Religiöser Zionismus, zu unterstellen. Dieses Vorhaben wird Änderungen an zwei Artikeln des israelischen Grundgesetzes erforderlich machen.

Die Zivilverwaltung, die momentan im Verteidigungsministerium angesiedelt ist, ist für die Planung und den Bau im Gebiet C des Westjordanlands zuständig. Smotrich wird faktisch die Kontrolle über den Ausbau der Siedlungen haben, einschließlich der nach israelischem Recht illegalen Außenposten der Siedler. Die Unterstellung der Zivilverwaltung unter das Finanzministerium kommt einer De-facto-Annexion des Gebiets C gleich, da die Siedlungen damit unter ziviler und nicht mehr unter militärischer Verwaltung stehen.

Das und die Provokationen des Ministers für Nationale Sicherheit und Vorsitzenden der Partei Jüdische Stärke, Itamar Ben-Gvir, in der Al-Aqsa-Moschee, die jüdische Gebete an diesem Ort ermöglichen sollten, werden mit Sicherheit die Spannungen anheizen und einen offenen Krieg mit den Palästinensern auslösen, wenn im April Ramadan und Pessach zusammenfallen.

Palästinensische Arbeiter dürfen nicht darauf vertrauen, dass ihre raubgierigen, bürgerlichen nationalen Führer, ob nun säkular oder religiös, sie gegen diese faschistischen Kräfte verteidigen. Ebenso wenig dürfen israelische Arbeiter darauf vertrauen, dass die Führer der „Alle außer Netanjahu“-Opposition einen Kampf gegen die Übernahme diktatorischer Befugnisse durch seine rechtsextreme Regierung führen werden.

Die entscheidende Aufgabe ist die Vereinigung dieser beiden Kämpfe und der Aufbau einer revolutionären Führung, um die politische Unabhängigkeit der palästinensischen und israelischen Arbeiterklasse von allen Kräften zu gewährleisten, die die Kontrolle des einen oder des anderen Flügels der herrschenden Elite aufrecht erhalten wollen. Israelische und palästinensische Arbeiter müssen ihren Kampf mit denen ihrer Brüder und Schwestern in der gesamten Region – Araber, Iraner, Kurden und Türken – und in den imperialistischen Zentren gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus vereinen. Das ist die Perspektive der permanenten Revolution, für die das Internationale Komitee der Vierten Internationale kämpft.

Mehr lesen

https://www.wsws.org/de/articles/2021/05/20/pers-m20.html' https://www.wsws.org/de/articles/2021/05/20/pers-m20.html

Loading