Gründet Sahra Wagenknecht eine neue Partei?

Gründet Sahra Wagenknecht eine neue Partei? Diese Frage geistert seit Wochen durch die Medien. Die Linken-Politikerin selbst hat sich bisher nicht festgelegt. Doch es ist bekannt, dass ihr Verhältnis zur Parteiführung zerrüttet ist. Führende Medien, darunter das rechte Boulevard-Blatt Bild, bieten Wagenknecht eine Plattform und ermutigen sie zu diesem Schritt.

Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht im Sommer 2021 auf einer Wahlkampfveranstaltung der Linken [Photo by Martin Heinlein / Die Linke / CC BY 2.0]

Was wäre die Rolle einer Wagenknecht-Partei?

Sie würde sich bemühen, die verbreitete Opposition gegen den Ukrainekrieg in eine nationalistische Sackgasse zu lenken. Laut Umfragen lehnen 30 bis 60 Prozent der deutschen Bevölkerung das Vorgehen der Nato gegen Russland und die damit verbundenen Sanktionen ab. Doch diese Opposition findet im Bundestag keinen Ausdruck. Alle Fraktionen – von der Linken über die Ampel bis zur Union – stehen geschlossen hinter dem Kriegskurs der Nato.

Wagenknecht und ihr Ehemann Oskar Lafontaine, der die Linkspartei im März verlassen hat, lehnen die Russlandsanktionen ab und weisen der Nato eine Mitverantwortung für den Krieg zu. Aber sie vertreten keine Friedenspolitik. Die Grundlage ihrer Haltung ist Antiamerikanismus. Sie lehnen den Krieg nicht vom Standpunkt der internationalen Arbeiterklasse, sondern vom Standpunkt des deutschen Imperialismus ab, dessen Interessen nicht mit denen des amerikanischen Imperialismus kompatibel sind. Eine Wagenknecht-Partei wäre keine Friedens-, sondern eine deutschnationale Kriegspartei.

Lafontaine vertritt diese Haltung seit langem und hat sie in seinem jüngsten Buch „Ami, it’s time to go: Plädoyer für die Selbstbehauptung Europas“ bekräftigt. Er bezeichnet Deutschland, die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, als Vasallen der USA. Die USA bräuchten „Vasallen, die ihre aggressive Außenpolitik mittragen,“ schreibt er. „Zu den treuesten Vasallen gehören die Europäer, allen voran Deutschland. Deswegen haben wir die Lage, in die wir jetzt geraten sind.“

Das ist nicht die Sprache des Sozialismus, sondern die Sprache der AfD. Der Führer des völkischen Flügels der AfD, Björn Höcke, erklärte am Tag der Deutschen Einheit in Gera vor 8000 Zuhörern: „Wir werden von einer raumfremden Macht [den USA] und einer fremdbestimmten Bundesregierung in einen Krieg hineingetrieben, der nicht der unsere ist.“

Wie Höcke tritt auch Lafontaine für die militärische Aufrüstung Deutschlands ein. Er fordert „die Befreiung Europas von der militärischen Vormundschaft der USA durch eine eigenständige europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ und „ein gemeinsames Verteidigungsbündnis zwischen Deutschland und Frankreich“. Das ist nicht „Friedenspolitik“, sondern deutsche Großmachtpolitik.

Die Auffassung, dass die Nato ein Bündnis auf Zeit und die USA ein Gegner deutscher Interessen seien, ist in den herrschenden Kreisen weit verbreitet.

Der außenpolitische Experte Josef Braml veröffentlichte Anfang dieses Jahres ein Buch mit dem programmatischen Titel „Die transatlantische Illusion“, das allseits gelobt wurde. „Wenn die Europäische Union ein ‚Global Player‘ und nicht Spielball anderer Mächte sein soll, muss allen voran Deutschland seine Außenpolitik auch gegenüber den USA entscheidend korrigieren,“ heißt es darin. Die Interessen Deutschlands seien „nicht immer identisch oder kompatibel mit denen anderer Staaten, auch nicht mit jenen der vermeintlichen Schutzmacht USA“.

Die meisten Vertreter der herrschenden Klasse halten aber einen offenen Bruch mit den USA für verfrüht. Sie haben Angst, die militärisch und wirtschaftlich überlegene Großmacht vorzeitig zu reizen, und wollen Zeit gewinnen, um militärisch aufzurüsten. Sie nutzen den Ukrainekrieg als willkommenen Vorwand, den Rüstungsetat zu erhöhen, den deutschen Einfluss in Osteuropa zu stärken und Russland mit seinen gewaltigen Bodenschätzen zu unterwerfen – ein Ziel, das schon der Kaiser und Hitler erfolglos verfolgten.

Um diese Fragen dreht sich auch der Konflikt innerhalb der Linkspartei. Es ist keine Auseinandersetzung zwischen einem linken und einem rechten Flügel oder zwischen einer Kriegs- und einer Friedensfraktion, sondern zwischen rechten, proimperialistischen Strömungen.

Die Parteimehrheit unter den Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan unterstützt die Kriegspolitik der Nato. Sie erklärt Russland zum alleinigen Aggressor und verlangt seinen militärischen Rückzug als Voraussetzung für Verhandlungen. Bodo Ramelow, der einzige Ministerpräsident der Linken, ruft sogar zu Waffenlieferungen an die Ukraine auf.

Als Wagenknecht im Bundestag ein Ende der Sanktionen gegen Russland forderte und der Regierung vorwarf, sie habe „einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten“ vom Zaun gebrochen, tobte die Parteimehrheit. Dasselbe geschah, als sie in ihrer wöchentlichen Youtube-Sendung die Grünen wegen ihrer Kriegslüsternheit angriff: „Für mich sind die Grünen die heuchlerischste, abgehobenste, verlogenste, inkompetenteste, und – gemessen an dem Schaden, den sie verursachen – derzeit auch die gefährlichste Partei, die wir aktuell im Bundestag haben.“

Anfang Dezember versammelten sich in Berlin rund hundert Parteifunktionäre der Linkspartei und verlangten den Ausschluss von Wagenknecht und ihren Anhängern. „Wir wollen eine Partei“, heißt es in ihrer Erklärung, die „den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands und die von Russland begangenen Kriegsverbrechen aufs Schärfste verurteilt und sich für eine Bestrafung der Verantwortlichen einsetzt.“

Einige Funktionäre, angeführt von Parteigründer Gregor Gysi, versuchen, die Partei zusammenzuhalten. Sie fürchten das Ende der Linken, falls Wagenknecht gemeinsam mit ihren fünf bis acht Anhängern die 39-köpfige Bundestagfraktion verlässt. Diese würde ihren Fraktionsstatus und damit erhebliche Gelder verlieren. Etwa 150 Fraktionsmitarbeiter müssten ihren Schreibtisch räumen. Die Partei, die Wahl um Wahl verliert und unter akutem Mitgliederschwund leidet, würde den Einzug in den Bundestag nicht wieder schaffen.

Gründet Wagenknecht eine neue Partei, wäre dies bereits die vierte in ihrer politischen Karriere, von denen eine reaktionärer war als die vorangegangene.

Im Sommer 1989 trat Wagenknecht im Alter von zwanzig Jahren der stalinistischen Staatspartei der DDR bei, als ihr Hunderttausende den Rücken kehrten. Kurz danach fiel die Mauer. In der SED-Nachfolgepartei PDS wurde Wagenknecht dann Galionsfigur der Kommunistischen Plattform, eines Zusammenschlusses alter stalinistischer Funktionäre.

Nach dem Zusammenschluss der PDS mit der westdeutschen WASG zur Partei Die Linke verabschiedete sich Wagenknecht von der pseudomarxistischen Phraseologie der Kommunistischen Plattform. Sie promovierte in Ökonomie und bekannte sich zur liberalen Wirtschaftspolitik der Adenauer-Ära. In dieser Zeit wurde sie zum prominentesten Gesicht der Partei, die in Ostdeutschland fest in die Regierungsarbeit eingebunden war.

Damals fand Wagenknecht auch – politisch und persönlich – mit Oskar Lafontaine zusammen, der vierzig Jahre lang höchste Partei- und Staatsämter in der SPD ausgeübt und dann die Linkspartei mit gegründet hatte. 2014 heiratete sie ihn.

In den folgenden Jahren trat der rechte Kurs des Duos Lafontaine-Wagenknecht immer deutlicher zutage. Sie hetzten gegen Flüchtlinge und biederten sich an Corona-Leugner an. Im vergangenen Jahr veröffentlichte Wagenknecht das Buch „Die Selbstgerechten“, das die Orientierung der Parteiführung auf die kleinbürgerliche Gender- und Identitätspolitik vom Standpunkt eines dumpfen völkischen Nationalismus angreift.

Eine Wagenknecht-Partei würde alle diese reaktionären Elemente zusammenbringen. Das ist der Grund, weshalb sie von einigen Medien gehypt wird –bis hin zu offen rechtsextremen. Bezeichnenderweise bewirbt die aktuelle Ausgabe des Compact-Magazins Wagenknecht auf dem Titel als „die beste Kanzlerin“ und eine „Kandidatin für Links und Rechts“.

Zweifelhafte Umfragen sagen ihr zweistellige Wahlergebnisse voraus. Die Befragten müssen in der Regel beantworten, ob sie sich „vorstellen könnten“, eine Wagenknecht-Partei zu wählen, und nicht, ob sie diese tatsächlich wählen würden.

Tatsächlich gibt es keinen Grund anzunehmen, dass eine Neuauflage der diskreditierten Linkspartei unter der Regie Sahra Wagenknechts Erfolg haben wird. Ein früherer Vorstoß Wagenknechts in dieser Richtung, die Bewegung „Aufstehen“, war 2018 krachend gescheitert.

Die Arbeiterklasse, die große Mehrheit der Bevölkerung, bewegt sich nicht in Richtung Nationalismus und Krieg, sondern in Richtung Internationalismus und Klassenkampf. Die Perspektive der Sozialistischen Gleichheitspartei und der Vierten Internationale, die für eine internationale Bewegung der Arbeiterklasse gegen Krieg, soziale Ungleichheit und Kapitalismus kämpfen, gewinnt wachsende Unterstützung.

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