Am Donnerstag streikten in England und Wales Tausende von Ambulanzfahrern, Rettungssanitätern, Technikern und Disponenten von zehn der elf regionalen Sanitäts- und Rettungsdienste.
Der Streik der Mitglieder der Gewerkschaften GMB, Unison und Unite richtet sich gegen die von der konservativen Regierung aufgezwungene Lohnerhöhung von nur vier Prozent. Er ist mit dem Kampf gegen die lähmenden Auswirkungen von Unterfinanzierung und Privatisierung verbunden, die dazu führen, dass das überlastete Personal nicht mehr in der Lage ist, die Notfallversorgung der Patienten zu gewährleisten.
Die Mitarbeiter des Rettungsdienstes erklärten sich bereit, bei allen Anrufen der Kategorie 1, d. h. allen, die eine unmittelbare Lebensgefahr bedeuten, zu helfen.
Die Tory-Regierung hat den Streik als Vorwand benutzt, um 750 Soldaten als Streikbrecher zu mobilisieren. Das letzte Mal hatte die Thatcher-Regierung dies während der Tarifverhandlungen der Rettungsdienste von 1989-1990 getan. BBC zufolge haben 170 Soldaten in den Wellington Kasernen in Westminster Schnellkurse im Krankenwagenfahren durchlaufen.
Das hat nichts mit der Rettung von Menschenleben zu tun, sondern dient der Rechtfertigung von autoritären Maßnahmen zur Unterdrückung der Streikwelle, mit der die Sunak-Regierung konfrontiert ist. Sie plant u.a. Gesetze für ein Verbot von Streiks in Schlüsselbereichen, um einen Minimalbetrieb zu gewährleisten. Schon im Juli trat ein Gesetz in Kraft, das den Einsatz von Zeitarbeitern als Ersatz für Streikende erlaubt.
Was das Leben von Patienten wirklich gefährdet, ist die Tatsache, dass die Kürzungen der Tory-Regierung beim National Health Service (NHS) die Rettungsfahrten ausdünnen und verzögern. Diese Krise wurde durch die verbrecherische Reaktion auf die Pandemie auf die Spitze getrieben.
Die Gewerkschaft GMB vertritt etwa 10.000 Streikende. Laut einer Umfrage der Sanitätergewerkschaft im Juli war ein Drittel von ihnen an Fällen beteiligt, bei denen es im Zusammenhang mit Verzögerungen zum Tod eines Patienten kam. 85 Prozent erklärten, die Verzögerungen beeinträchtigten die Gesundung von Patienten.
Im Oktober konnten Krankenwagen auf einen von vier Notrufen gar nicht reagieren, was der höchste je verzeichnete Wert war. Der Grund dafür waren Verzögerungen bei der Übergabe in den Notaufnahmen wegen Bettenmangels.
Der Geschäftsführer der Association of Ambulance Chief Executives (ACCE) Martin Flaherty, der die Leiter von zehn regionalen Ambulanzdiensten in England vertritt, erklärte: „Das lebensrettende Sicherheitsnetz, das die Rettungsdienste des NHS bieten, wird durch diese unnötigen Verzögerungen stark geschwächt. Täglich sterben dadurch Patienten oder werden geschädigt.“
Zahlreiche Mitarbeiter des Rettungsdienstes sind aufgrund der Gleichgültigkeit der Behörden an Covid-19 erkrankt. Im Gesundheits- und Sozialwesen sind nicht weniger als 1.500 Beschäftigte gestorben und viele weitere an Long-Covid schwer erkrankt.
Den Sanitätern wird eine Angleichung der Lebenshaltungskosten verweigert, während viele von ihnen durch Überarbeitung erkranken. Der ganze NHS wird finanziell ausgeblutet. Gleichzeitig kassiert die Privatwirtschaft weiterhin Millionen. Aus einem GMB-Bericht geht hervor, dass die 10 Trusts in England innerhalb von drei Jahren 235 Millionen Pfund für Notfall- und Nicht-Notfalltransporte an den privaten Sektor weitergereicht haben.
Die Gewerkschaften haben zugelassen, dass im Gesundheitswesen Armutslöhne die Norm sind. Wie schlecht bezahlt wird, zeigt die Tatsache, dass der National Health Service einigen besonders stark unterbezahlten Beschäftigten, zum Beispiel Telefonistinnen und Reinigungs- und Transportpersonal, Prämien zahlen musste, um einer Klage wegen Verstoß gegen das Mindestlohngesetz zuvorzukommen. Der Mindestlohn beträgt nur 9,50 Pfund pro Stunde und soll nächstes Jahr auf 10,42 Pfund steigen.
Erst die wachsende Wut der Mitglieder hat die Gewerkschaften zum Streik gezwungen, die jedoch gleichzeitig heimlich Sabotage betreiben, um zu verhindern, dass eine gemeinsame Offensive gegen die Regierung zustandekommt.
In Schottland haben Unison und Unite Streiks der Sanitäter abgesagt, um ein Lohnangebot der Scottish National Party-Regierung durchzusetzen, das nur eine Lohnerhöhung von durchschnittlich 7,5 Prozent vorsieht. Selbst die 11,24 Prozent für die am schlechtesten bezahlten Kräfte halten nicht mit der Inflation Schritt.
Auch die GMB sagte ihren Streik letzten Monat ab und legte das schlechte Angebot dem schottischen Ambulanzdienst zur Abstimmung vor. Es wurde letzte Woche mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit der NHS-Beschäftigten bei Unison abgelehnt. Das verdeutlicht das Ausmaß des Widerstands der 8.000 Pflegekräfte, Pförtner und Röntgentechniker sowie der 1.700 Sanitäter, die dieser Gewerkschaft angehören.
Die Doppelzüngigkeit der Gewerkschaftsführer im Rettungsdienst und im NHS wird am Beispiel der Unite-Generalsekretärin Sharon Graham deutlich. Sie lobte den Lohnabschluss in Schottland für 1.500 Beschäftigte im Rettungsdienst, die Unite vertritt, als Beweis dafür, dass die Gewerkschaft „für bessere Arbeitsplätze, Löhne und Bedingungen im Gesundheitswesen“ kämpfe.
Damit stellt Graham Angebote, die selbst nach einer Korrektur noch Reallohnsenkungen bedeuten, als „Siege“ hin. Sie spielt eine wichtige Rolle dabei, ein gemeinsames Handeln von Arbeitern, die in der größten Dienstleistungsgewerkschaftschaft des britischen Privatsektors organisiert sind, zu verhindern. Die Unite vertritt u.a. Eisenbahner, Buspersonal, städtische Müllabfuhr, Dock- und Ölraffineriearbeiter.
Graham hat verzweifelt an Premierminister Rishi Sunak appelliert, er möge sich mit den Gewerkschaftsführern zusammensetzen. In ihrer Rede auf Sky News bettelte sie: „Es müssen keine langen Verhandlungen sein; wir haben es in Schottland auch schon gemacht.“
Der Deal in Schottland, auf den Graham als Beispiel anspielt, wurde von einem Drittel der Unite-Mitglieder abgelehnt. Wilma Brown, die Vorsitzende des schottischen Gesundheitskomitees bei Unison, musste zugeben, dass wegen des Deals große Unzufriedenheit herrsche, und dass nur eine knappe Mehrheit von 57 Prozent dafür gestimmt hatte: „Es war bei weitem keine einstimmige Entscheidung, viele Fachkräfte im NHS sind schwer enttäuscht. Fast die Hälfte des Unison-Personals hat dieses jüngste Lohnangebot abgelehnt, viele andere haben nur widerwillig dafür gestimmt.“
Dass Unison, die größte Gewerkschaft in Großbritannien, die fast eine halbe Million Beschäftigte des NHS repräsentiert, einer wütenden und kampfbereiten Mitgliederbasis eine Reallohnsenkung aufzwingt, ist bezeichnend für die Rolle der Gewerkschaften im Gesundheitswesen.
Der Streik der Sanitäter folgt direkt auf den zweiten landesweiten Streiktag von bis zu 100.000 Pflegekräften, die in der Gewerkschaft Royal College of Nursing (RCN) organisiert sind. Auch sie leisten Widerstand gegen eine lächerlich niedrige Lohnerhöhung. Sie fordern eine Erhöhung von fünf Prozent über der Inflationsrate. In Schottland lehnten 82 Prozent der 30.000 Mitglieder des RCN den geplanten Deal mit der SNP-Regierung ab. Die Hebammen des Royal College of Midwives lehnten ihn mit 65 Prozent ab.
Der Streik am Donnerstag entlarvt auch, welche Spaltungen die Gewerkschaften organisieren. Betroffen sind neun Dienststellen, deren Beschäftigte von GMB vertreten werden, fünf, deren Beschäftigte von Unison vertreten werden, und drei, deren Beschäftigte von Unite vertreten werden. Selbst in den Fällen, in denen die Streiks in ein und demselben Dienst zusammenfallen, haben die Gewerkschaften unterschiedliche Anfangs- und Endzeiten für die Arbeitsniederlegungen festgelegt, um gemeinsame Aktionen zu verhindern.
Die Gewerkschaften des Gesundheitswesens verhindern einen gemeinsamen Kampf. Das liegt auf einer Linie mit der Unterdrückung der ganzen Streikbewegung durch die Gewerkschaftsbürokratie.
Der pseudolinke Socialist Worker hat von einem befreundeten Gewerkschaftsfunktionär Details über ein Treffen zwischen Führern der 20 Gewerkschaften erfahren, die bereits an Streiks beteiligt sind oder darüber abstimmen. Darin ging es um einen möglichen eintägigen Ausstand im privaten Sektor am 1.Februar.
Würde ein solcher symbolischer Protest stattfinden, würde er eine Million Arbeiter betreffen. Im Gegensatz dazu haben sich in den letzten zwei Wochen infolge des lähmenden Gewichts des Gewerkschaftsapparats nur eine Viertelmillion Arbeiter an den Streiks bei der Bahn, der Royal Mail und im NHS beteiligt.
Der Kampf der NHS-Beschäftigten kann zu einem zentralen Ausgangspunkt eines Generalstreiks gegen die Sunak-Regierung und die Unternehmer werden, doch das größte Hindernis dafür ist die Gewerkschaftsbürokratie. Um ihre Sabotage- und Unterdrückungsversuche abzuwehren, muss die Macht dorthin zurückkehren, wo sie hingehört, zu den Arbeitern selbst. Dazu müssen diese ein Netzwerk von Aktionskomitees gründen. Wir ermutigen die Sanitäter, die Erklärung der Socialist Equality Party, „Für einen Generalstreik zur Unterstützung der Pflegekräfte und zur Verteidigung des NHS gegen die Tory-Regierung: Baut Aktionskomitees auf!“ zu lesen.
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