Am Montag beteiligten sich zehntausende von Pflegekräften am ersten von zwei eintägigen Streiks. Es war der erste Massenstreik von Pflegekräften in Großbritannien seit über 100 Jahren, und der erste seit der Gründung des National Health Service (NHS).
Insgesamt legten in 76 Krankenhäusern und Gesundheitszentren des NHS in England, Wales und Nordirland die Pflegekräfte für zwölf Stunden, von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends, die Arbeit nieder. Der zweite Streik ist für den 20. Dezember geplant. In vielen Teilen des Landes überboten sich die Pflegekräfte und ihre Unterstützer mit der Bereitschaft zu Streikposten. Am Royal Victoria Infirmary in Newcastle standen mehr als 100 Menschen auf Streikposten.
Am Donnerstag legten die Pflegekräfte des NHS in ganz Großbritannien die Arbeit nieder, ein weiterer Streiktag ist für den 20. Dezember geplant. Sie fordern auf diese Weise eine Lohnerhöhung um neunzehn Prozent. Reporter der WSWS sprachen mit einigen der Pflegekräfte auf Streikposten über die Fragen in dem Disput.
Die Mitglieder der Gewerkschaft Royal College of Nursing (RCN) fordern eine Lohnerhöhung von fast 20 Prozent, d.h. fünf Prozent höher als die derzeitige Inflation gemäß dem Einzelhandelspreisindex (RPI) von 14,2 Prozent. Die Regierung hat einer Million Beschäftigten des NHS im Rahmen ihrer Agenda for Change eine Erhöhung von 1.400 Pfund rückwirkend ab April bewilligt, bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen ist das eine Erhöhung von durchschnittlich nur vier Prozent. In Großbritannien werden Pflegekräfte schlechter bezahlt als in den meisten Staaten der Europäischen Union, den USA und Australien.
Der Streik der Pflegekräfte ist der politisch bedeutendste einer ganzen Welle von Streik im öffentlichen und privaten Sektor, die im Sommer begann.
Der Streik wurde von der Tory-Regierung heraufprovoziert, die den Pflegekräften eine Niederlage beibringen will, um ihre Pläne zu forcieren, einen Großteil des NHS zu zerstören und die profitabelsten Teile an die Privatwirtschaft auszuliefern, womit Millionen von Arbeitern eines lebensrettenden Systems beraubt würden, das über 70 Jahre aufgebaut wurde. Ihre Pläne zur Niederschlagung der NHS-Beschäftigten, der zahlenmäßig größten Sektion der Arbeiterklasse, die massive Unterstützung in der Bevölkerung genießt, umfasst die Mobilisierung von hunderten von Soldaten als Ambulanzkräfte.
Die jahrelange systematische Unterfinanzierung, durch die 400 Milliarden Pfund fehlen, um auch nur die Kürzungen der letzten zehn Jahre auszugleichen, mangelt es beim NHS chronisch an Mitteln und Personal. Die Durchseuchungspolitik der Regierung gegenüber Covid-19 hat mehr als 212.000 Menschen das Leben gekostet, darunter mehr als 1.500 Beschäftigte im Gesundheitswesen und im Sozialdienst.
- Noch immer sterben jede Woche hunderte an Covid-19, in der Woche ab dem 21. November ist die Zahl der Infizierten erneut auf über eine Million angestiegen. Hierdurch und den Anstieg der Grippe- und RSV-Fälle droht im Winter eine Dreifach-Pandemie, zudem steigt die Zahl der toten Kinder durch Strep A-Bakterien deutlich an.
- Die Wartelisten des NHS sind von fünf Millionen Personen zu Beginn der Pandemie auf heute 7,2 Millionen angestiegen.
- Laut einer Studie des Guardian liegt alleine in England die Zahl der freien Stellen beim NHS „auf einem neuen Rekordwert von 133.000 unbesetzten Vollzeitstellen.“
Im Vorfeld des Streiks hatte sich der konservative Gesundheitsminister Steve Barclay bei den Verhandlungen mit RCN-Chef Pat Cullen am Montag geweigert, auch nur über die Lohnforderung zu diskutieren. Cullen hatte erklärt, die Streiks könnten noch abgewandt werden und signalisiert, dass das RCN auch eine Lohnerhöhung unterhalb der Inflation akzeptieren könnte. Am Freitag lehnte die Regierung die Forderung ab, die Lohnkommission des NHS solle angesichts der seit Februar steigenden Inflation ihre Empfehlungen für Pflegekräfte aktualisieren.
Die Arbeiter im öffentlichen und privaten Sektor führen bereits durch die anhaltenden landesweiten Streiks bei der Bahn, der Post und an den Universitäten einen entschlossenen Kampf gegen die Regierung und die Arbeitgeber. Hunderttausende werden vermutlich für Streiks stimmen. Die massive Unterstützung der Bevölkerung für die Pflegekräfte bedeutet, dass ihr Arbeitskampf das Potenzial hat, die vielen getrennten Kämpfe der Arbeiter zu mobilisieren und zu vereinen. Die Gewerkschaftsbürokratie hingegen isoliert diese Kämpfe und setzt alles daran, die Streikwelle in Großbritannien zu beenden.
In diesem Kampf sind die Arbeiter nicht nur mit den Tories konfrontiert, sondern mit allen Institutionen des kapitalistischen Staates. Die oppositionelle Labour Party ist ein ebenso erbitterter Feind wie die Tory-Regierung. Labour-Parteichef Sir Keir Starmer, der sich wiederholt gegen Streiks ausgesprochen und seinen Ministern jeden Auftritt auf Streikposten verboten hat, bezeichnete die Lohnforderungen der Pflegekräfte diese Woche als „unbezahlbar“. Sein Schatten-Gesundheitsminister Wes Streeting tobte im Tory-nahen Sunday Telegraph, Labour würde in der Regierungsverantwortung gegen das kämpfen, was er als „Leistung-ohne-Gegenleistung-Kultur im NHS“ bezeichnete.
Einen Tag später gab Streeting im Parlament zu, dass RCN und Unison angeboten haben, die Streiks diese Woche abzusagen, sofern die Regierung „bereit ist, mit [ihnen] ernsthaft über Löhne zu verhandeln“. Er fragte: „Worauf um Himmels willen will [die Regierung] hinaus?“
Die Gewerkschaftsbürokratie versucht verzweifelt, die Arbeiter in die Sackgasse der Unterstützung für Starmers Partei zu treiben, die so stolz auf ihre wirtschaftsfreundliche Orientierung ist. Diese Woche veranstaltete der Labour-nahe Mirror ein Treffen von sieben Gewerkschaftsvorsitzenden, die an Tarifverhandlungen beteiligt sind, darunter auch Cullen. Er schrieb: „Das Gipfeltreffen... forderte Labour-Chef Sir Keir Starmer auf, sich häufiger zu Streiks zu äußern.“
Das ist ein leicht durchschaubarer Betrug. Labour, die von Starmer als „Partei der Nato“ bezeichnet wird, teilt die Meinung der Tories, dass Großbritanniens wichtige Rolle im Krieg gegen Russland in der Ukraine und die geplante Konfrontation mit China bedeuten, dass die herrschende Elite es nicht mehr länger tolerieren kann, dass hunderte Milliarden Pfund für das Gesundheits- und Bildungswesen, Wohnungen und Sozialleistungen ausgegeben werden. Erst vor wenigen Monaten erklärte die Denkfabrik Royal United Services Institute (RUSI), das Versprechen der Tories, in den nächsten acht Jahren mehr als 150 Milliarden Pfund für das Militär auszugeben, sei „das Ende der Friedensdividende.“
Das RUSI klagte: „Seit Mitte der 1950er hat Großbritannien den wachsenden Anteil seines Nationaleinkommens, den es für den NHS und staatliche Renten aufwendet, durch Verringerungen am Anteil des BIP für Verteidigung finanziert.“ Dies sei jetzt nicht mehr möglich.
Die gleiche Plünderung der öffentlichen Ausgaben findet in allen großen kapitalistischen Ländern statt und sorgt für eine Eskalation des Klassenkampfes.
Der Eintritt der NHS-Beschäftigten in die zunehmende Streikwelle erfordert die Übernahme einer sozialistischen Perspektive auf der Grundlage des Kampfes für garantierte qualitativ hochwertige kostenlose Gesundheitsversorgung für alle und ein Ende der zunehmenden Privatisierungen. Dies ist nur möglich durch die Mobilisierung einer vereinten Bewegung der Arbeiter in ganz Großbritannien und der Welt, die jetzt den Kampf gegen zunehmende Austerität aufnehmen, und durch die Entwicklung einer Massenbewegung gegen Krieg und Militarismus.
Die Socialist Equality Party verteilte an den Streikposten der Pflegekräfte, Eisenbahner und Postbeschäftigten eine Erklärung mit dem Titel „Für einen Generalstreik zur Unterstützung der Pflegekräfte und zur Verteidigung des NHS gegen die Tory-Regierung: Baut Aktionskomitees auf!“. Darin hieß es: „In allen Betrieben müssen demokratisch gewählte Aktionskomitees gegründet werden, um die wachsende Welle von Kämpfen auf der Grundlage der Forderung nach einem Generalstreik zum Sturz der Tories zu vereinen. Dieser Kampf muss als Teil einer globalen Offensive der Arbeiterklasse durch den Aufbau der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) geführt werden.“