Iran: Proteste gegen die Regierung gehen trotz zunehmender Unterdrückung weiter

Letzte Woche fand im Iran von Montag bis Mittwoch ein dreitägiger landesweiter Streik gegen das bürgerlich-klerikale Regime unter Führung des konservativ-religiösen Präsidenten Ebrahim Raisi und des Obersten Führers Ajatollah Chamenei statt.

Aufgrund der staatlichen Zensur im Iran und der erbitterten Feindschaft der westlichen Medien gegenüber dem iranischen Regime, das von den imperialistischen Mächten als Hindernis für ihre uneingeschränkte Herrschaft über den Nahen Osten angesehen wird, ist es schwierig, das tatsächliche Ausmaß der Proteste und ihre soziale Zusammensetzung einzuschätzen.

Trotz der Dementis des Regimes ist jedoch klar, dass der „Streik“ beträchtliche, wenn auch unterschiedliche Auswirkungen auf den gesamten oder zumindest den größten Teil des Irans hatte.

Die bedeutendste wirtschaftliche Folge der Proteste war die weit verbreitete Schließung von Geschäften. Allerdings gab es auch bedeutende Streiks von Arbeitern und die vermutlich größte direkte Beteiligung von Arbeitern an den Protesten gegen die Regierung, die seit nunmehr fast drei Monaten anhalten.

Passanten und Bereitschaftspolizei vor geschlossenen Läden auf dem Großen Basar in Teheran am 15. November 2022 (AP Photo/Vahid Salemi) [AP Photo/Vahid Salemi]

Auch die Spaltungen innerhalb der herrschenden Elite der Islamischen Republik scheinen sich zu vertiefen. Einige Teile des Regimes erklären, die verhasste Sittenpolizei sollte oder sei bereits aufgelöst worden; andere fordern die noch rücksichtslosere Unterdrückung der Proteste gegen die Regierung.

Der „Streik“ war zeitlich so abgestimmt, dass dessen Höhepunkt am Mittwoch auf den Studententag fiel. Hierbei handelt es sich um einen jährlichen Gedenktag für drei Studenten, die 1953 vom Schah-Regime getötet wurden, der kurz zuvor durch einen von der CIA unterstützten Putsch gegen die nationalistische Regierung von Mohammed Mossadegh wieder an die Macht gebracht worden war.

Industriearbeiter, darunter mehrere tausende in den Werken der Isfahan Steel Company, von Sanandaj Petrochemical und Sepahan Cement sowie Busfahrer in Mashhad, beteiligten sich ganz oder teilweise an den dreitägigen Protesten. Arbeiter der pharmazeutischen Fabrik Darugar protestierten, weil seit vier Monaten ihre Löhne nicht gezahlt wurden.

In den iranischen Kurdengebieten war die Beteiligung an den Protesten nicht nur am stärksten, sondern hier wurden sie auch am brutalsten von der Regierung niedergeschlagen. Die Proteste begannen Mitte September, nachdem die 22-jährige Kurdin Mahsa Amini von der Sittenpolizei verhaftet wurde, weil sie ihren Hidschab „unangemessen“ getragen hatte, und in Polizeigewahrsam starb.

Außerhalb der Kurden-Gebiete konzentrierten sich die Proteste gegen die Regierung auf Universitäten, allerdings wurden in letzter Zeit während mehrerer Protestaktionen Läden in den Basaren geschlossen, die bisher eine Stütze des Regimes waren.

Ajatollah Chamenei warnte letzten Monat vor der seiner Meinung nach bestehenden Gefahr, dass die imperialistischen Mächte und ihre Verbündeten im Nahen Osten versuchen könnten, Unruhen unter den Arbeitern zu schüren. In seinen Äußerungen spiegelt sich die extreme Nervosität des Regimes. Es befürchtet, dass die Proteste und die zunehmenden Spaltungen innerhalb der herrschenden Elite zu einem Ausbruch von massivem Widerstand der Arbeiterklasse führen könnten.

Letzte Woche kam es offenbar an den Universitäten im ganzen Land zu beträchtlichen Protesten. An einer Universität in Qom, wo sich die angesehensten religiösen Seminare des Irans befinden, sollen einige Studenten skandiert haben: „Wir wollen kein korruptes System, wir wollen keinen Mörder zu Gast haben.“ Sie unterbrachen eine Rede von Amir-Hossein Ghazizadeh Hashemi, einem engen Verbündeten und Stellvertreter von Präsident Ebrahim Raisi und riefen: „Dieses Jahr ist das Jahr des Blutes, der Oberste Führer wird gestürzt werden.“

Die staatlichen Medien versuchten, die Streiks und Ladenschließungen herunterzuspielen und behaupteten, die meisten Ladenbesitzer hätten die Streikaufrufe und die „Einschüchterung“ der Protestanhänger „ignoriert“. Der iranische Polizeichef Hossein Ashtari erklärte, die Polizei habe verhindert, dass die Demonstranten ihre „bösen und leeren“ Ziele erreichen. Er drohte den Demonstranten, die „Sicherheitskräfte werden sich nicht mehr zurückhalten“, und lobte seine Beamten für ihren Einsatz gegen „Aufwiegler“.

Dass sich die Proteste, die im letzten September nach Aminis Tod in Polizeigewahrsam begannen, schnell zu größeren Kundgebungen im ganzen Land gegen die Regierung entwickelten, zeugt von der weit verbreiteten Wut über Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit und die steigenden Lebenshaltungskosten. Die schreckliche Lage der Arbeiter und der armen Landbevölkerung im Iran geht hauptsächlich auf die brutalen Sanktionen zurück, die Washington verhängt hat, nachdem die Trump-Regierung einseitig vom Atomabkommen von 2015 zurückgetreten war. Doch die systemische Korruption und die Monopolisierung der wirtschaftlichen Ressourcen des Landes durch das klerikale schiitische Establishment und seine Unterstützer aus dem Großkapital haben die weit verbreitete Armut noch verschärft.

Daneben herrscht große Wut über den katastrophalen Umgang mit der Corona-Pandemie. Die Entscheidung gegen den Import von Impfstoffen aus dem Westen hat zu besonders hohen Sterblichkeitsraten geführt, und dies unter Bedingungen, in denen durch das Sanktionsregime kaum Medikamente und andere pharmazeutische Produkte zur Verfügung standen.

Die Entscheidung der Regierung, die Subventionierung des Wechselkurses aufzugeben und weitere Subventionen zu kürzen, hat zu einem beispiellosen Anstieg der Lebensmittelpreise geführt. Armen Arbeitern ist es so gut wie unmöglich, sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Gleichzeitig hat der Anstieg der Preise für landwirtschaftliche Produkte wie Düngemittel, der hauptsächlich auf den Nato-Krieg gegen Russland zurückgeht, in Verbindung mit einer schweren Dürre sowie der schlechten Organisation der Wasserressourcen durch die iranische Regierung verheerende Auswirkungen auf die Landbevölkerung.

Der zunehmende wirtschaftliche Druck wirkt sich auch auf breite Teile der Mittelschicht aus. Einige der privilegierteren kleinbürgerlichen Schichten unterstützen Elemente innerhalb der Bourgeoisie und des klerikalen politischen Establishments, die eine Annäherung an die imperialistischen Mächte und/oder oppositionelle, von den imperialistischen Mächten unterstützte Emigrantengruppen befürworten.

Viele Demonstranten riefen „Frauen, Leben, Freiheit!“ und forderten Reformen, vor allem in Bezug auf die strenge Kleiderordnung für Frauen. Andere riefen jedoch „Tod dem Diktator“ und forderten ein Ende des klerikalen iranischen Regimes. Die Proteste und Kundgebungen gehören zwar nicht zu den größten, dauern aber länger als diejenigen Ende Dezember 2018 bis Januar 2019 und im November 2019.

Die landesweite Arbeitsniederlegung letzte Woche war eine Reaktion auf das brutale Vorgehen der Polizei und der Sicherheitskräfte, in dessen Verlauf u.a. die Familien von Demonstranten eingeschüchtert und Friedhöfe geschlossen wurden, damit Familien nicht der Todesopfer der Proteste gedenken konnten.

Ende Oktober kündigten die Behörden öffentliche Prozesse in der Hauptstadt Teheran gegen 1.000 Teilnehmer der Proteste an. Dies wäre die erste große Aktion der Justiz zur Unterdrückung abweichender Meinungen. Die staatliche Nachrichtenagentur IRNA warf den Angeklagten „subversive Tätigkeiten“ vor, darunter Angriffe auf Sicherheitspersonal und das Inbrandsetzen von öffentlichem Eigentum. Einige würden auch der Kollaboration mit ausländischen Regierungen angeklagt, da die Regierung häufig den Vorwurf erhebt, die Protestbewegung werde von den USA und Israel geschürt.

Die Polizei wurde von der Justiz angewiesen, diejenigen zu „identifizieren und vor Gericht zu stellen“, die zu „Streiks“ der Ladenbesitzer aufrufen. Den Teilnehmern drohen sie, streikende Läden zu „versiegeln“, den Besitzern die Geschäftslizenz zu entziehen und ihr Eigentum zu beschlagnahmen. Masud Setayeshi. Sprecher der Justiz, erklärte, man werde „angesichts von 200 Todesopfern“ aufgrund der „Provokationen“ der Opposition keine Zugeständnisse machen. ... „Die Prozesse gegen die Angeklagten werden schnell, sorgfältig und ernsthaft durchgeführt werden. Wer Verbrechen begangen hat, wird bestraft werden.“

Die iranischen Behörden haben eingeräumt, dass bei den Protesten bisher etwa 200 Menschen getötet wurden, darunter 50 bis 60 Angehörige der Sicherheitskräfte sowie „Randalierer“, einige „unschuldige“ Zivilisten und Personen, die Opfer von „Verschwörungen“ der Dissidentengruppen gewesen seien. Laut Amnesty International wurden 305 Menschen getötet, darunter 41 Kinder. Laut der US-Organisation Human Rights Activists News Agency (HRANA) gab es mindestens 475 Todesopfer, darunter 65 Minderjährige, und etwa 18.000 Verhaftete.

Am letzten Montag wurde der erste Demonstrant hingerichtet. Es handelte sich um den 23-jährigen Mohsen Shekari, der erhängt wurde. Ihm wurde vorgeworfen, ein Mitglied der Freiwilligenorganisation Basidsch, die von der Islamischen Revolutionsgarde (IRGC) geleitet wird, niedergestochen und Passanten verängstigt zu haben, als er während der Proteste am 25. September eine Straße blockierte. Die Behörden behaupten, er habe ein Geständnis abgelegt, doch laut engen Angehörigen wurde ihm während seines Verhörs und des Prozesses kein Rechtsbeistand gewährt. Zudem soll sein Gesicht während des Verhörs und des Prozesses, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, Anzeichen von Blutergüssen gezeigt haben. Seine Leiche wurde noch nicht freigegeben.

In einem anderen Fall wurden fünf Männer wegen der Tötung eines Angehörigen der Basidsch in der Stadt Karadsch, westlich von Teheran, zum Tode verurteilt. Elf weitere, darunter drei Minderjährige, wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Gegen 21 Personen wurde Anklage wegen Verbrechen erhoben, die mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Tode bestraft werden.

Die Revolutionsgarde lobte die Justiz für ihre harte Haltung und drängte sie dazu, bei der Verhängung von Urteilen gegen Angeklagte, denen „Verbrechen gegen die Sicherheit der Nation und den Islam“ vorgeworfen werden, schnell und entschlossen zu handeln.

Dabei hat der Iran in diesem Jahr laut der norwegischen Organisation Iran Human Rights bereits mehr als 500 Menschen hingerichtet – so viele wie seit fünf Jahren nicht mehr. Letztes Jahr waren es bereits 333. Letzten Montag erklärte Iran Human Rights, im Gefängnis Rajai Shahr seien vier Männer gehängt worden, denen Zusammenarbeit mit dem israelischen Geheimdienst Mossad vorgeworfen wurde. Weltweit liegt der Iran bei der Zahl der jährlichen Hinrichtungen auf Platz zwei hinter China.

Die Proteste haben die politische Elite des Iran in Aufruhr versetzt. Der ehemalige Präsident Mohammed Chatami, ein Angehöriger der so genannten Reformer-Fraktion, rief die Regierung im Vorfeld des Studententags auf, nachsichtiger mit den Demonstranten umzugehen und auf ihre Forderungen zu hören, bevor es „zu spät“ sei. Zuvor hatte er getwittert, die „bitteren Ereignisse“ im Iran würden durch „fehlerhafte und falsche Mechanismen und Methoden der Regierung“ verursacht.

Generalstaatsanwalt Mohammad Jafar Montazeri kündigte die Auflösung der Sittenpolizei an, was später von Ali Khan-Mohammadi, dem Sprecher der Behörde zur Förderung von Tugend und Verbot des Lasters, einer der religiösen Behörden der Regierung, bestätigt wurde. Allerdings ist unklar, ob dies in irgendeiner Form von Bedeutung ist, da die Sittenpolizei in den letzten Monaten kaum in Erscheinung getreten ist und die Durchsetzung der Kleiderordnung größtenteils von der Basidsch durchgeführt wurde.

Einen Tag zuvor hatte Montazeri angekündigt, ein Ausschuss würde die Gesetze über das Tragen des Hidschabs überprüfen. Er gab keinen Hinweis darauf, ob die Regierung das Gesetz aufheben würde.

Ahmad Rastineh, der Vorsitzende des Kulturausschusses des Parlaments, das für das Erlassen der Sittengesetze des Landes verantwortlich ist, warf den für die „Erklärung zur Frage des Hidschab“ verantwortlichen Institutionen Schwäche und sogar Versagen vor und forderte sie auf, die Öffentlichkeit zu „erziehen“ und Reformen durchzuführen. Da Rastineh dem konservativen Flügel angehört, verdeutlichen seine Äußerungen die tiefe Besorgnis über den Verlust von Rückhalt, das Versagen der Sicherheitskräfte bei der Unterdrückung der Proteste und die dringende Notwendigkeit für die Regierung, die Stabilität des Regimes zu schützen.

Die Biden-Regierung erhöht derweil den Druck auf den Iran, um die Spaltungen innerhalb der herrschenden Elite auszunutzen und eine politische Umgestaltung durchzusetzen, die Washingtons räuberischen Interessen dienlich ist, wenn nicht gar einen vollständigen Regimewechsel.

Washington hat signalisiert, dass eine Wiederbelebung der Atomabkommen mit dem Iran für die USA keine Priorität mehr darstellt. Stattdessen konzentrieren sich die USA auf die Lieferungen von Drohnen und Raketen des Iran an Russland, die im Vergleich zu den Waffen- und Hilfslieferungen Washingtons an die Ukraine in zweistelliger Milliardenhöhe nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsratsrats, John Kirby, erklärte letzte Woche, der Iran würde Russland weiterhin Waffen liefern. Am 3. Dezember erklärte der US-Sondergesandte für den Iran, Robert Malley: „Der Iran ist nicht an einem Abkommen interessiert, und wir kümmern uns um andere Dinge... Momentan können wir etwas bewirken, wenn wir versuchen, die Lieferung von Waffen an Russland zu erschweren und zu unterbrechen, und versuchen, die grundlegenden Bestrebungen des iranischen Volks zu unterstützen.“

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