Am vergangenen Wochenende kam es in mehreren größeren Städten Chinas zu Protesten. Diese relativ kleinen Proteste, größtenteils von Teilnehmern aus der Mittelschicht, konzentrierten sich hauptsächlich auf Forderungen nach einem Ende der offiziellen Zero-Covid-Politik und der Abschaffung von Massentests, Quarantäne und Ausgangsbeschränkungen. Ihr Slogan „Wir wollen Freiheit“ spiegelte ihre Ablehnung notwendiger öffentlicher Gesundheitsmaßnahmen wider, die ihren Lebensstil und in einigen Fällen auch ihre Geschäftsinteressen beeinträchtigen. Die Beendigung der Zero-Covid-Politik, die die chinesische Regierung jetzt umsetzt, wird zu einer sozialen Katastrophe führen – zu Durchseuchung und Masseninfektion, Millionen von Todesfällen und vielen weiteren Fällen von Long Covid.
Die Meinungen der Arbeiterklasse sind in den chinesischen sozialen Medien und insbesondere in den Online-Diskussionen über die Zero-Covid-Politik nur selten zu hören. Zwei Beiträge von Arbeitern aus verschiedenen Teilen Chinas zeichnen ein ganz anderes Bild als die pauschale Berichterstattung in den US-amerikanischen und internationalen Medien, die die Proteste vom vergangenen Wochenende fälschlicherweise als Stimme des Volkes darstellen. Trotz der damit verbundenen Entbehrungen sind sich Arbeiter der Ansteckungsgefahren sehr bewusst und unterstützen die notwendigen Maßnahmen zur Verhinderung von Infektionen.
Arbeiter eines Lebensmittel-Lieferservices in Peking
Ein Arbeiter von Meituan, einem der beiden größten Lebensmittel-Lieferdiensten in China, veröffentlichte vor etwa zwei Wochen einen Beitrag in den sozialen Medien.
Die Wohnanlage, in der er lebte, wurde am Morgen des 20. November abgeriegelt, und niemand durfte sie betreten oder verlassen. Einige Arbeiter bei Lebensmittellieferanten beschlossen, nicht mehr dort zu wohnen und verließen die Wohnanlage, bevor die Abriegelung in Kraft trat. Sie befürchteten, ihre einzige Einkommensquelle zu verlieren, wenn sie dort blieben. Das war zuvor der Fall gewesen, als das Gelände eine Woche lang abgeriegelt wurde.
Zusammen mit 15 anderen Zustellern war er seither obdachlos. Wie der Arbeiter in seinem Beitrag beschrieb, „lebten einige von uns in Lebensmittel-Lieferstationen und einige in billigen Hotels, aber die meisten von uns schliefen auf den Fluren von Bürogebäuden oder in den Eingängen von Restaurants.“ Die Temperaturen in Peking erreichten Ende November abends Werte unter dem Gefrierpunkt. Die meisten dieser „Unterkünfte“ hatten keine Heizung.
Doch selbst diese Möglichkeiten wurden immer weniger verfügbar. Der Arbeiter fuhr fort: „Als die Restaurants in Peking dazu übergingen, die Essensausgabe einzustellen, ließen sie die Leute nicht mehr dort [schlafen]. Da die meisten Menschen nun im Homeoffice arbeiteten, wurde es auch schwieriger, in Bürogebäude zu gelangen. Die meisten Arbeiterviertel, in denen man billige Untermietverträge abschließen konnte, waren ebenfalls abgeriegelt worden. Hotels waren einfach zu unerschwinglich.“
Der Arbeiter hatte diesen Beitrag nur geschrieben, um einen bezahlbaren Schlafplatz zu erbitten. Seine Notlage wurde von vielen Lebensmittelzustellern geteilt, die wegen der Lockdowns nicht ihr Einkommen verlieren wollten und sich deshalb entschieden, eher obdachlos zu sein.
Laut einem Interview mit einer anderen Gruppe von Lebensmittelauslieferern mit dem Titel „Food delivery workers trying to get some sleep on cold nights under Covid“ (Lebensmittelzusteller, die unter Corona-Bedingungen versuchen, in kalten Nächten Schlaf zu finden) kampierten die Arbeiter in Bürogebäuden und schliefen auf dem Boden in der Nähe eines Badezimmers, weil es dort die meiste Restwärme gab. Wenn das Wetter kälter wurde, wechselten sie von Bier zu Schnaps, um sich aufzuwärmen. Manchmal kauerten mehrere Arbeiter unter einer einzigen Decke. Obwohl sie ein „Dach“ über dem Kopf hatten, liefen sie ständig Gefahr, ihre Habseligkeiten zu verlieren. Das Interview fasst zusammen: „In dieser kalten Nacht von minus 10 Grad waren ihre einzigen Begleiter Medizin gegen Magenschmerzen, Alkohol und das Schnarchen der anderen Zusteller.“
Trotz der extrem schwierigen Bedingungen, die ihnen durch die Lockdown-Maßnahmen auferlegt wurden, war die Stimmung unter den Arbeitern eine ganz andere als die der bürgerlichen Schichten, die „Freiheit“ forderten. In dem Social-Media-Beitrag, in dem der Zusteller um Hilfe bat, erklärte er: „Wir sind seit Tagen obdachlos, aber wir machen trotzdem jeden Tag einen PCR-Test und befolgen alle Covid-bezogenen Maßnahmen. Wir haben das Wohngebiet verlassen, bevor es abgeriegelt wurde, weil wir unsere einzige Einkommensquelle nicht verlieren wollten.“
Bergarbeiter im Kohlebergbau in Yangquan, Shanxi-Prozinz
Am 28. November veröffentlichte ein Bergarbeiter aus Yangquan, einer Stadt in der kohlereichen Provinz Shanxi im Norden Chinas, einen Beitrag auf Weibo, der mit „HILFE!!!!“ begann. Der Bergarbeiter arbeitete in der Kohlemine Yangquan Nr. 5 der Shanxi LuAn Gruppe, einem der sieben großen Kohlebergbauunternehmen der Provinz. In der Stadt Yangquan wird auch die größte Menge an Anthrazitkohle des Landes gefördert.
Seit dem 18. November, als die Zahl der Infektionen in Yangquan anstieg, mussten einige tausend Arbeiter in Schlafsälen des Bergwerks bleiben, um nicht Gefahr zu laufen, zu Hause unter Quarantäne gestellt zu werden. Auf diese Weise sollte die Produktion am Laufen gehalten werden.
In der Mine gab es keine geeigneten Quarantänemaßnahmen, um positiv getestete Arbeiter zu isolieren. Manchmal wurde einem positiv getesteten Arbeiter ein Schutzanzug ausgehändigt, doch er wurde nicht aus dem Wohnheim verlegt. Mehr als ein Dutzend Arbeiter waren in einem einzigen Schlafsaal eingepfercht, in dem es außer Betten und einem Waschbecken kaum Möbel oder Ausstattung gab. Der Wohnraum war so begrenzt, dass einige Arbeiter auf dem Boden der Dusche schlafen mussten. Dies führte zu einer weiteren Übertragung des Virus unter den Bergarbeitern, von denen viele unter Fieber litten.
Die Lebensbedingungen waren schrecklich. Es herrschte Mangel an Lebensmitteln. Der Bergarbeiter, der den Beitrag verfasste, berichtete, dass „die Lebensmittel, die sie für einen ganzen Tag bekommen konnten, sogar weniger waren als die Menge, die sie normalerweise für eine einzige Mahlzeit zur Verfügung hatten.“ Er postete auch ein Bild von einer Schachtel mit Essen, die ihnen zur Verfügung gestellt wurde und die nur aus Reis, geraspelten Kartoffeln, geraspelten Karotten und „zwei oder drei Stückchen Fleisch“ bestand. Diese Mahlzeit wurde ihnen gegen 18.00 Uhr gebracht und war ihr Mittagessen. Kranke Arbeiter wurden nicht versorgt, da es an Medikamenten mangelte. Einige Arbeiter mit hohem Fieber bekamen nur Instant-Nudelsuppe zu essen. Trotz all dieser harten Bedingungen wurden die Arbeiter an ihrem Arbeitsplatz festgehalten.
Der Arbeiter kommentierte in seinem Beitrag: „Um die Nachfrage nach Kohle im ganzen Land zu befriedigen, verrichten wir Arbeiter täglich risikoreiche Arbeit im Bergbau. Aber wenn die Arbeiter selbst Wärme und Sicherheit am meisten brauchen, woher sollen sie dann Wärme und Unterstützung bekommen?
Yangquan ist eine kleine Stadt, von der die meisten Menschen wahrscheinlich noch nie etwas gehört haben, doch sie beherbergt die größte Produktion von Anthrazitkohle des Landes und versorgt viele Orte im ganzen Land mit Wärme. Bitte denkt nicht nur an uns, wenn euch kalt ist. Wenn wir mit einem strengen Winter konfrontiert sind, brauchen wir andere, die uns ebenfalls mit Wärme versorgen.“
Nachdem sich dieser Beitrag in den sozialen Medien verbreitet hatte, verlegte das Unternehmen schließlich die positiv getesteten Arbeiter in örtliche Krankenhäuser oder in das nahe gelegene Fangcang-Krankenhaus und begann, die in der Mine verbliebenen Arbeiter mit mehr Hilfsgütern zu versorgen.
Was in dieser Kohlemine geschah, ähnelt den Bedingungen, mit denen die Arbeiter in der Foxconn-Fabrik in Zhengzhou, der größten iPhone-Fabrik der Welt, konfrontiert waren. Die Foxconn-Arbeiter wurden in einen ähnlichen „geschlossenen Kreislauf“ gezwungen, ohne dass diejenigen, die an Covid erkrankt waren, wirksam isoliert wurden. Dies führte im Oktober zu einem massenhaften Auszug aus dem Werksgelände und Mitte November zu einem Protest von tausenden überwiegend neu eingestellten Arbeitern, weil sie keine Prämien erhielten, schlechtes Essen bekamen und gezwungen waren, neben positiv getesteten Arbeitern zu arbeiten und zu schlafen. Wie in der Kohlemine ging es der Unternehmensleitung ausschließlich um die Aufrechterhaltung der Produktion und um den Gewinn.
Viele Arbeiter sind durch die Zero-Covid-Politik in große Schwierigkeiten geraten. Für die Zeitarbeiter, bei denen es sich hauptsächlich um Migranten aus ländlichen Gebieten handelt, bedeutet ein Tag in Quarantäne einen Tag ohne Lohn. Und diejenigen, die an Fließbändern arbeiten, sind gezwungen, an ihrem Arbeitsplatz zu bleiben, oft ohne grundlegende Versorgung mit Lebensmitteln und Medizin.
Lebensmittelzusteller, Bergarbeiter, Arbeiter an den Fließbändern von Foxconn und viele andere verstehen jedoch, dass diese Corona-Beschränkungen notwendig sind, um massenhafte Infektionen und Todesfälle zu verhindern. In Beiträgen in den sozialen Medien fordern Arbeiter nicht „Freiheit“ von Zero Covid, sondern Unterkünfte, angemessene Lebensmittel und Maßnahmen, um die Ausbreitung von Infektionen zu verhindern.
Die Notlage ist nicht das Ergebnis der Zero-Covid-Politik selbst. Sie hebt vielmehr die Notwendigkeit hervor, dass Regierung und Unternehmen den Arbeitern einen angemessenen Lebensunterhalt und finanzielle Unterstützung bereitstellen müssen. Arbeiter sollten nicht zwischen fehlenden Mahlzeiten und dem Risiko, sich anzustecken, wählen müssen.
Die Zero-Covid-Politik der chinesischen Regierung hat in den letzten zwei Jahren bewiesen, dass die Ausrottung des Virus möglich ist, aber nur, wenn sie international umgesetzt wird. Angesichts des enormen Drucks auf internationaler Ebene sowie von Teilen der Wirtschaft und der Mittelschicht im eigenen Land verzichtet das Regime nun rasch auf genau die Maßnahmen, die sich bei der Unterdrückung des Virus als wirksam erwiesen haben.
Wenn die Zahl der Infektionen und Todesfälle in die Höhe schießt, wird es unweigerlich die Arbeiterklasse sein, die am härtesten getroffen wird. Unternehmen wie Foxconn, die Kohlebergwerke, sowie zahllose andere Betriebe werden die Lockerung der Corona-Restriktionen als grünes Licht für die Beendigung selbst der begrenzten Maßnahmen betrachten, die bisher gegolten haben, um Infektionen zu verhindern.