Bundeskanzler Olaf Scholz besuchte am Freitag in Begleitung einer großen Wirtschaftsdelegation Peking, wo er mit Präsident Xi Jinping und Regierungschef Li Keqiang zusammentraf.
Es war die erste Reise eines Regierungschefs der G7 nach China, seit vor drei Jahren die Corona-Pandemie ausbrach und seit Xi seine Macht auf dem Parteitag im Oktober zementierte. Sie stieß sowohl international wie in Deutschland auf heftige Kritik. Selbst aus den Reihen der eigenen Ampel-Koalition wurde der Kanzler angegriffen, insbesondere von den Grünen.
Für Scholz‘ Vorgängerin Angela Merkel waren solche Reisen Routine. In ihrer sechzehnjährigen Amtszeit besuchte die Bundeskanzlerin China insgesamt zwölf Mal, Deutschland und China veranstalteten gemeinsame Regierungskonferenzen, hochrangige chinesische Vertreter kamen regelmäßig nach Deutschland. So reiste Xi Jinping 2014 persönlich nach Duisburg, um im Rahmen der Neue-Seidenstraße-Initiative eine regelmäßige Güterzugverbindung zwischen China und Deutschland in Betrieb zu nehmen.
Doch inzwischen ist China ins Visier der USA und ihrer europäischen Verbündeten geraten. Die USA erhöhen den wirtschaftlichen und militärischen Druck auf die Atommacht und bereiten einen Krieg vor. Die Nationale Sicherheitsstrategie der Biden-Administration bezeichnet die 2020er Jahre als das „entscheidende Jahrzehnt“, in dem die USA den Konflikt mit Russland und China „gewinnen“ würden. Auch die Europäische Union beschreibt China mittlerweile als „strategischen Rivalen“.
Der Krieg gegen Russland in der Ukraine, den die Nato systematisch eskaliert und bis zur militärischen Niederlage Russlands treiben will, dient nicht zuletzt dazu, China eines potentiellen Verbündeten zu berauben. Dass sich China im Ukrainekonflikt hinter Russland stellt, ohne es militärisch zu unterstützen, stößt in Washington und den europäischen Hauptstädten auf helle Empörung. In diesem Zusammenhang steht die Kritik an Scholz‘ Reise.
„Einige Verbündete sind besorgt, dass die Reise dem seit langem bestehenden Bemühen Pekings entgegenkommt, Berlin von den USA zu distanzieren,“ schreibt das amerikanische Wall Street Journal. Die französische Tageszeitung Le Monde kritisiert: „Während die USA planen, sich wirtschaftlich von China abzukoppeln, und die Europäische Union versucht, auf Abstand zu einem Regime zu gehen, dessen Entwicklung besorgniserregend ist, scheint Berlin weiter auf ,business as usual‘ zu setzen.“
Der EU-Kommissar für Industrie und Binnenmarkt Thierry Breton, ein Franzose, warnte Scholz: „Die Zeit der Naivität ist vorbei. Wir müssen wachsam sein.“ Das Verhalten der einzelnen EU-Mitglieder gegenüber China müsse abgestimmt und nicht allein entschieden werden, „wie das China offensichtlich bevorzugt“. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte Scholz vorgeschlagen, zu einem späteren Zeitpunkt gemeinsam nach China zu fliegen, um die europäische Geschlossenheit zu demonstrieren, was Scholz ignorierte.
Auch der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen griff Scholz scharf an. Seine Reise schade Deutschland außenpolitisch, warf er ihm vor, „weil sie Vertrauen bei unseren Partnern kostet. Es stärkt nicht einmal unser Ansehen bei den Chinesen, weil die nur auf Stärke reagieren und Schwäche verachten.“
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mahnte den Kanzler, er müsse Peking deutlich machen, „dass die Frage von fairen Wettbewerbsbedingungen, die Frage von Menschenrechten und die Frage der Anerkennung des internationalen Rechts unsere Grundlage der internationalen Kooperation ist“. Man dürfe sich „nicht mehr von einem Land so fundamental abhängig machen, das unsere Werte nicht teilt, dass wir am Ende erpressbar werden“.
Wie verlogen diese Menschenrechtspropaganda ist, zeigt der Umstand, dass Baerbock sie während einer Reise durch Zentralasien äußerte, wo sie den Regierungen von Kasachstan und Usbekistan den Hof machte. Beide haben in diesem Jahr Proteste blutig niedergeschlagen und Oppositionelle misshandelt und einsperrt, was Baerbock offenbar wenig störte. Sie verfolgte das erklärte Ziel, die beiden Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die über gewaltige Rohstoffvorkommen verfügen, vom Einfluss Russlands und Chinas zu lösen und enger an Deutschland zu binden.
Scholz vertritt mit seiner China-Reise dieselben imperialistischen Interessen wie Baerbock. Anders als die Grünen ist er allerdings der Ansicht, dass sich Deutschland nicht völlig von den USA abhängig machen und zu einem abrupten Bruch der wirtschaftlichen Beziehungen zu China treiben lassen darf. Die Summen, um die es dabei geht, sind enorm.
Bereits der Stopp der Gasimporte aus Russland, gegen den sich Merkel und dann Scholz lange gesträubt hatten, hat verheerende Folgen. Deutschland ist jetzt auf den Import von teurem Flüssiggas, unter anderem aus den USA, angewiesen. Die hohen Energiepreise ruinieren zahlreiche Unternehmen und verschärfen die sozialen Spannungen. Die Bundesregierung hat 200 Milliarden Euro aufgeboten, um die Folgen etwas zu dämpfen. Doch das ist nur eine vorübergehende Maßnahme, die außerdem die Finanzkrise verschärft und zu weiterem Sozialabbau führen wird.
Ein Bruch mit China hätte für die deutsche Wirtschaft, die am Anfang einer Rezession steht, noch schwerere Folgen. Mit 12,4 Prozent der Importe und 7,4 Prozent der Exporte ist China Deutschlands größter Handelspartner. Mehr als eine Million Arbeitsplätze sind direkt und viele weitere indirekt vom Chinahandel abhängig. Außerdem ist China Lieferant von wichtigen Rohstoffen wie Seltenen Erden, von Zwischenprodukten und von Waren für die Energiewende, wie Solarmodulen und Autobatterien.
Die Wirtschaftsdelegation, die Scholz nach Peking begleitete, widerspiegelt die enge wirtschaftliche Verflechtung der beiden Länder. Im Tross des Kanzlers befanden sich die Chefs der Autokonzerne Volkswagen und BMW, die im vergangenen Jahr 40 und 33 Prozent ihrer Autos in China verkauften und dort zahlreiche Werke unterhalten. Auch der Chemiekonzern BASF, der bis 2030 Investitionen von 10 Milliarden Euro in China plant, der Pharmariese Bayer, der Impfstoffhersteller Biontech und der Elektrokonzern Siemens waren vertreten. Siemens erzielte im dritten Quartal 2022 ein Achtel seines Weltumsatzes von 18 Milliarden Euro in China.
Einen offenen Konflikt mit den USA, die China mit immer schärferen Sanktionsmaßnahmen überziehen, kann sich Deutschland aber auch nicht leisten. Das hätte nicht nur ähnlich verheerende wirtschaftliche Folgen wie ein Bruch mit China, die USA würden ihren Einfluss und ihre militärische Macht auch nutzen, um Deutschland in Europa zu isolieren.
Scholz vollführt deshalb einen Drahtseilakt. Er versucht den deutschen Einfluss auf die chinesische Führung zu nutzen, um Druck auf Russland auszuüben. Nach dem Treffen mit Xi Jinping und Li Keqiang Xi erklärte er: „Ich habe Präsident Xi gesagt, dass es wichtig ist, dass China seinen Einfluss auf Russland geltend macht.“ Beide Regierungen seien sich einig, dass russische Drohungen mit Atomwaffen nicht akzeptabel seien.
Xi warnte ebenfalls vor atomaren Drohgebärden und rief zu Friedensgesprächen auf. „Als einflussreiche Staaten müssten China und Deutschland in Zeiten von Wandel und Chaos zusammenarbeiten, um Frieden und Entwicklung zu fördern“, sagte er. Li distanzierte sich deutlicher als bisher vom russischen Vorgehen. „Wir können uns keine weitere Eskalation leisten“, sagte er. „Wir wollen nicht, dass die regionale Stabilität erschüttert wird, dass internationale Produktions- und Lieferketten destabilisiert werden.“
Gleichzeitig bemüht sich Scholz, die wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von China zu lockern, ohne dass es zu einem abrupten Bruch kommt.
Vor seiner Abreise nach China hatte er in einem Gastartikel für die F.A.Z. den Zweck seines Besuchs erläutert. Er schmeichelte China, es werde „künftig eine bedeutende Rolle auf der Weltbühne spielen“ und „ein wichtiger Wirtschafts- und Handelspartner für Deutschland und Europa“ bleiben. Gleichzeitig warf er China unlautere Wirtschaftspraktiken vor und drohte: „Wir werden daher einseitige Abhängigkeiten abbauen, im Sinne einer klugen Diversifizierung.“ Auch bei chinesischen Investitionen in Deutschland werde man darauf achten, „ob ein solches Geschäft riskante Abhängigkeiten schafft oder verstärkt“.
Scholz hat nie Zweifel daran gelassen, dass Deutschland bei einer weiteren Eskalation des Konflikts mit China auf der Seite der USA und ihrer Verbündeten steht.
Bereits in der Ukraine hatte die deutsche Regierung 2014 den rechten Putsch unterstützt, der schließlich zum gegenwärtigen Krieg führte. Gleichzeitig hatte sie versucht, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland aufrechtzuerhalten. Als dies nicht mehr möglich war, wurde sie zum schärfsten Kriegstreiber. Sie benutzte den Krieg als Vorwand, die Militärausgaben zu verdreifachen und massiv aufzurüsten, um wieder zur stärksten Militärmacht Europas zu werden.
Auch China hat die Bundesregierung längst signalisiert, auf welcher Seite sie steht, falls es zum Krieg kommt. Die Bundeswehr beteiligt sich mit Kriegsschiffen und Flugzeugen an Militärmanövern, die sich gegen China richten. Bei seinem Besuch spulte Scholz die üblichen Anschuldigungen und Drohungen ab. Er warnte China vor einem militärischen Eingreifen in Taiwan, das von den USA – ähnlich wie vorher die Ukraine – massiv aufgerüstet wird. Er beschwor die universelle Gültigkeit der Menschenrechte und beschuldigte die chinesische Regierung der Verfolgung muslimischer Minderheiten in Xinjiang. Dies sei „keine Einmischung in innere Angelegenheiten“, behauptete Scholz.