Nachruf für Regina Lohr, Socialist Equality Party (Australien), 1956 – 2022

Mit tiefer Trauer geben wir den Tod von Regina Suzanne Lohr bekannt, die seit 33 Jahren Mitglied der trotzkistischen Bewegung war. Regina starb am 10. Oktober in Coffs Harbour, New South Wales (NSW), nach einem vierjährigen Kampf gegen den Brustkrebs. Sie wurde 66 Jahre alt.

Regina hinterlässt ihren langjährigen Partner und Genossen Ken Mantell sowie ihre vier Geschwister Ingrid, Liane, Robert und Irene.

Regina Lohr

Als Reginas Eltern Robert und Brigitte noch sehr jung waren, war ihr Leben vom Zweiten Weltkrieg bestimmt. Robert wurde 1944 an die Ostfront geschickt, um gegen die Rote Armee zu kämpfen. Er kehrte schwerverwundet nach Deutschland zurück und seine Verletzung führte dazu, dass er ein Bein verlor.

Nach dem Krieg wurde das junge Paar als Sudetendeutsche heimatlos und zog nach Ostdeutschland. Dort machte Robert eine Ausbildung als Elektroingenieur und zog nach Karlsruhe, wo Regina geboren wurde. Karlsruhe war als eine von zahlreichen deutschen Städten 1942 von britischen Jagdbombern stark zerstört worden.

Die Familie wanderte 1964 nach Australien aus und kam am 25. Januar mit der „SS Aurelia“ an. Wie Regina bei der Feier zu ihrem 66. Geburtstag in diesem Jahr erzählte, war die Entscheidung der Familie, Europa auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs zu verlassen, durch die Kubakrise von 1962 motiviert, die die Welt an den Rand eines Atomkriegs brachte.

Regina war sieben Jahre alt, als die Familie in Australien ankam. In den 1960er Jahren war dies eine Welt, die sich stark von Deutschland unterschied.  Regina erzählte, wie die Familie nach ihrer Ankunft die westlichen und südwestlichen Arbeitervororte Sydneys durchstreifte, wo sie die Reihenhäuser aus leichten Faserzementplatten bestaunten. Für die Einwandererfamilie aus Europa wirkten sie wie aus steifer Pappe gebaut.

Die Familie, zu der als letzte Irene, Reginas viertes Geschwisterchen, hinzukam, ließ sich schließlich im südwestlichen Vorort Picnic Point in Sydney nieder, wo die Kinder die Schule besuchten.

Nach der High School arbeitete Regina im öffentlichen Dienst, u. a. beim Commonwealth Employment Service (CES). Aber sie war von der brutalen Behandlung abgestoßen, wenn die Mitarbeiter Bedürftige, die Sozialhilfe beantragten, schlecht behandelten.

Der Wendepunkt in Reginas Leben kam 1989, als sie die damalige Socialist Labour League (SLL) kennenlernte, den Vorläufer der Socialist Equality Party (SEP), und dieser 1990 beitrat.

Dies war eine Zeit großer Verwirrung für Arbeiter auf der ganzen Welt. Die stalinistischen Bürokratien in der ehemaligen Sowjetunion und in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) hatten entschieden, kapitalistische Eigentumsverhältnisse wieder herzustellen. Die UdSSR wurde aufgelöst. Was von den Errungenschaften der Russischen Revolution von 1917 in der Sowjetunion und in den „Pufferstaaten“ noch übrig war, wurde nun aufgegeben.

Dass dies ohne organisierten Massenwiderstand der Arbeiterklasse möglich war, war das Ergebnis des Verrats des Stalinismus und seiner Gefolgsleute in den pablistischen revisionistischen Organisationen, die schon dreißig Jahre zuvor mit dem Trotzkismus gebrochen hatten. Die Parteien des Vereinigten Sekretariats unter Führung von Ernest Mandel hatten das Entstehen der stalinistischen Regime in Osteuropa als Beweis für die fortschrittliche Rolle des Stalinismus gefeiert. Mandels deutsche Mitdenker eilten den verhassten bürokratischen Kräften in Ostdeutschland zu Hilfe und unterstützten die letzte SED-Regierung in der ehemaligen DDR.

Massenversammlung am 4. November 1989 in Berlin

Nur das Internationale Komitee der Vierten Internationale, die trotzkistische Weltbewegung, bekämpfte den Stalinismus von links. Der Bund Sozialistischer Arbeiter (BSA), Vorläufer der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), war die einzige Organisation in Deutschland, die vor den katastrophalen Folgen einer Restauration des Kapitalismus warnte, ohne der SED auch nur die geringsten Zugeständnisse zu machen.

In einem Aufruf, der am 4. November 1989 auf einer Massendemonstration in Berlin verteilt wurde, erklärte der BSA:

Politische Freiheit, demokratische Rechte können nur durch eine politische Revolution erreicht werden, d.h. indem die Arbeiterklasse die herrschende Bürokratie stürzt, aus allen ihren Ämtern und Stellungen vertreibt und ihre eigenen, unabhängigen Organe proletarischer Macht und Demokratie errichtet: Arbeiterräte, die von den Arbeitern in den Fabriken und Wohnvierteln gewählt, ihnen verantwortlich sind und sich allein auf deren Stärke und Mobilisierung stützen.

Es war diese Analyse, auf die Regina so nachdrücklich reagierte. Sie ließ sich nicht von der kapitalistischen Triumphwelle beeinflussen, welche die Lüge nährte, der Zusammenbruch der DDR und die Auflösung der Sowjetunion seien das Ende der Geschichte oder des Sozialismus. Als sie verstanden hatte, dass dies in Wirklichkeit das Ende der nationalistischen Programme und Organisationen war, und dass nur eine Perspektive des sozialistischen Internationalismus eine Antwort auf die wachsende Krise der Arbeiterklasse sein konnte, ließ sie sich nicht mehr beirren.

Regina Lohr spricht zu einer Streikversammlung des öffentlichen Dienstes, Sydney 1997

Regina arbeitete in den Ortsverbänden der SLL, später der SEP mit, die in den Arbeitervororten von Sydney aktiv waren, verkaufte die zweimal wöchentlich erscheinende SLL-Zeitung Workers News und kämpfte nach dem Start der World Socialist Web Site (WSWS) dafür, den Einfluss der Partei unter Arbeitern und jungen Menschen auszuweiten. Dazu gehörte auch der Kampf für die Parteipolitik in der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, sowie die Unterstützung bei Übersetzungen aus dem Deutschen.

Mehrere Jahre lang kümmerte sich Regina um ihre alternden Eltern und arbeitete nach deren Tod in der häuslichen Pflege und dann als Lehrerin für Kinder mit Lernschwierigkeiten. Obwohl sie diese anspruchsvolle Aufgabe hervorragend meisterte, musste sie diese durch die Diagnose Brustkrebs im Jahr 2018 unterbrechen.

Regina begegnete ihrer Diagnose mit der gleichen Unverwüstlichkeit und Entschlossenheit, die auch ihre Rolle in der Partei kennzeichnete. Nach sechs Monaten zermürbender Behandlung wurde ihr 2019 Entwarnung gegeben und sie zog mit Ken nach Coffs Harbour.

Der Aufschub war jedoch nur von kurzer Dauer, denn nur wenige Wochen nach dem Umzug kehrte der Krebs zurück. In den nächsten dreieinhalb Jahren unternahmen Ken und Regina alle erdenklichen Maßnahmen, um die Krankheit zu besiegen. Dazu gehörten wöchentliche Fahrten ins 285 Kilometer nördlich gelegene Tweed Heads, um sich dort behandeln zu lassen, was im Krankenhaus von Coffs Harbour nicht möglich war.

Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie stellte unvorhergesehene Hindernisse für eine sichere und wirksame Behandlung in einem Krankenhaussystem dar, das durch jahrzehntelange Mittelkürzungen beeinträchtigt wurde. Dies zeigte sich im regionalen Gesundheitssystem der mittleren Nordküste von NSW besonders deutlich. Trotz ihres angeschlagenen Gesundheitszustands nahm Regina ihre Krankenhausaufenthalte zum Anlass, jedem, der es hören wollte, die Möglichkeit und Notwendigkeit eines wissenschaftlich fundierten Kampfs zur Ausrottung des Virus zu erläutern.

Die Unterstützung ihrer Freunde, ihrer Schwester Irene und ihrer Genossinnen und Genossen gab Regina enorme Kraft, aber was sie in dieser schwierigen Zeit am Leben hielt, waren ihre Überzeugung und ihr Vertrauen in die Perspektive des sozialistischen Internationalismus. Sie wollte leben, um zum Sieg einer sozialistischen Zukunft für die Menschheit beizutragen.

Die Veröffentlichung der von David North und Joseph Kishore verfassten Neujahrserklärung 2020 mit dem Titel „Das Jahrzehnt der sozialistischen Revolution ist angebrochen“ veranlasste Regina zu der Erklärung: „Ich möchte dabei sein“.

Tragischerweise raubte der Krebs Regina diesen Wunsch. Die SEP und die Arbeiterklasse haben in ihr eine unermüdliche und engagierte Kämpferin für den Trotzkismus verloren, aber ihr Andenken und ihr Vermächtnis werden im Kampf ihrer Genossen und der Arbeiter gegen das kapitalistische System weiterleben.

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