„Zukunft oder Widerstand“ kündigten die IG Metall und ihr Betriebsrat im Vorfeld der Betriebsversammlung am Mittwoch im Ford-Werk in Saarlouis an. Ehrlich gewesen wäre: „Weder Zukunft noch Widerstand“. Denn auf der Betriebsversammlung haben die Ford-Geschäftsleitung, die Gewerkschaft, der Betriebsrat und die zur Unterstützung eingeladene saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) die Abwicklung des Werks besiegelt.
Alle 4.600 Ford-Arbeiter sowie die mindestens 1.500 Beschäftigten des direkt angrenzenden Industrieparks sollen über kurz oder lang ihre Arbeitsplätze verlieren. Um dieses Arbeitsplatzmassaker durchzusetzen, haben sich die Beteiligten ein perfides Vorgehen ausgedacht, das eindeutig die Handschrift der IG Metall trägt.
So wurde den rund 3.000 Beschäftigten auf der Betriebsversammlung vom Betriebsratsvorsitzenden Markus Thal und dem Personaldirektor Rainer Ludwig der Verbleib von 500 bis 700 Arbeitsplätzen nach 2025 versprochen. Der Geschäftsführer des Konzerns in Saarlouis, Martin Sander, schrieb im Anschluss an die Betriebsversammlung an die Beschäftigten: „Auf Grundlage der bisher untersuchten Ideen können wir heute mitteilen, dass wir für die Beschäftigten am Standort Saarlouis 500 bis 700 mögliche Ford Arbeitsplätze identifiziert haben.“ Zusätzlich könnten einige Beschäftigte ins Stammwerk nach Köln wechseln.
Thal nannte das völlig unverbindliche Versprechen von maximal 700 Arbeitsplätzen einen „Schritt in die richtige Richtung“. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist Bestandteil der Stilllegungsstrategie, die Betriebsrat, Ford und Landesregierung in ihrer gemeinsamen „Task Force“ ausgearbeitet haben. Alle Beteiligten weigerten sich bekanntzugeben, wo die möglichen Arbeitsplätze identifiziert wurden. Der Saarländische Rundfunk, der Thal im Anschluss an die Versammlung interviewte, berichtete, dem Betriebsrat sei schon weitgehend klar, „welche Beschäftigten dafür in Frage kommen“.
Dieses Vorgehen – unabhängig davon, ob es diese Arbeitsplätze denn tatsächlich gibt – soll unter allen Beschäftigten die Unsicherheit und Existenz-Angst sowie die letzte vage Hoffnung aufrechterhalten, dass es nach 2025 für einige doch noch weitergehen könnte. Es soll den Widerstand der Belegschaft gegen die Werksschließung verhindern.
Auch wenn noch im Werk die Plakate hängen, auf denen Thal und die IG Metall dem Konzern „Wortbruch“ vorwerfen, wollen sie nun auf der Grundlage einiger Hundert vage versprochener Arbeitsplätze weitermachen. Er erwarte in den kommenden Monaten konkrete Ergebnisse, kündigte Thal an. Der Betriebsrat sei zu konstruktiven Verhandlungen bereit. „Doch wenn das Ergebnis nicht stimmt, werden wir kämpfen. Wir haben den Finger am Abzug.“ Die Belegschaft weiß inzwischen, was von diesen Verlautbarungen zu halten ist. Nichts dergleichen wird geschehen, sie sind Bestandteil des abgekarteten Spiels zwischen Betriebsrat und Konzern. „Kampf“ bedeutet für Thal und seine Betriebsratslakaien, dem Konzern jeden Wunsch von den Lippen abzulesen.
Erst am 12. Dezember ist die nächste Betriebsversammlung geplant. „Bis dahin muss der Kompass für das erste Halbjahr 2023 in die richtige Richtung zeigen“, sagte Thal. Die Belegschaft sollte gewarnt sein, wenn Thal von der „richtigen Richtung“ spricht.
Lässt man alle heiße Luft beiseite, kommt das Vorgehen Thals klar zum Vorschein. Gemeinsam mit der IG Metall will er mit seiner Hinhaltetaktik bis Ende des Jahres die Belegschaft kaltstellen, um in Ruhe vollendete Tatsachen zu schaffen.
Gleichzeitig soll aber auch solange wie möglich voll produziert werden. Ford-Geschäftsführer Sander vermeldete in seiner Botschaft an die Beschäftigten „positive Signale“. In den letzten fast drei Jahren konnte die Produktion wegen fehlender Teile aufgrund der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs nie auf Hochtouren laufen. Nun wachse wieder die Zahl der Bestellungen, seitdem im September die Auftragsbücher für den Focus wieder vollständig geöffnet seien.
Wenn für die meisten Arbeiterinnen und Arbeiter klar wäre, dass es für sie bei Ford keine Perspektive gäbe, würde das nicht nur die Wut und die Kampfbereitschaft erhöhen, sondern auch die Bereitschaft, eine Abfindung zu nehmen und sich nach einem anderen Job umzusehen. Doch auch das soll verhindert werden.
Abfindungen, so Thal, würden ausschließlich im Rahmen eines Sozialtarifvertrags ausgehandelt. Dieser ist das erklärte Ziel des Betriebsrates und der IG Metall. Derzeit stehe die Mannschaft weitgehend zusammen, betonte Thal. Damit meint er, dass er erfolgreich verhindert hat, dass Beschäftigte per Abfindung das Unternehmen verlassen. In diesem Jahr hätten das erst rund 50 Frauen und Männer getan. So kann Ford bis zum bitteren Ende seine Profite einfahren. Derzeit laufen täglich rund 800 Ford Focus vom Band.
Entgegen dem Gerede seitens Thals, der Gewerkschaft und Rehlingers, Ford nicht aus der „Verantwortung“ zu lassen, arbeiten alle umtriebig daran, genau das zu organisieren. In der Task Force, in der alle zusammenarbeiten, sei man „weiter auf der Suche nach potenziellen Investoren“, schrieb Ford-Saarlouis-Chef Sander. „Es gibt bereits Interessenten, die sich das Werk schon angeschaut haben oder dies noch tun werden.“ Ideen für den Standort gäbe es, erklärte der Ford-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Benjamin Gruschka schon zuvor im SR-Interview. Das brauche aber Zeit.
Das Land würde ebenfalls Gespräche mit Investoren führen, „die sich für den hervorragenden Standort und die Fachkräfte hier interessieren“, komplettierte die Ministerpräsidentin. In einem Interview mit dem SR kündigte sie an, Geld aus dem landeseigenen Transformationsfonds für Umschulungen nutzen zu wollen. Zudem verhandelt sie gerade darüber, von Ford bis Ende des Jahres das Werksgelände zu kaufen. Dann wäre Ford einen Großteil seiner „Verantwortung“ los.
„Wir sind heute nur an einem Zwischenschritt eines langen Marathons, um Arbeitsplätze am Standort Saarlouis zu sichern“, erklärte sie nebulös. Das heißt nichts anderes, als das gar nichts geklärt ist – mit Ausnahme der Tatsache, dass Ford das Werk spätestens 2025 schließt.
Dieses Vorgehen der IG Metall und ihrer Betriebsräte ist sattsam bekannt. Bei allen Werksschließungen der letzten Jahre – angefangen bei Ford in Genk, über Opel in Bochum, Continental in Karben bis hin zur drohenden Schließung des Vallourec-Werks in Mülheim – haben sie die Belegschaften hingehalten, hinter deren Rücken mit den Konzernspitzen verhandelt, ein Zugeständnis nach dem anderen durchgesetzt, die angeblich den jeweiligen Standort sichern, um am Schluss die Schließung bekannt zu geben. Meist haben sie davon persönlich profitiert.
Die einzige Möglichkeit, die Arbeitsplätze und das Werk zu verteidigen, ist daher ein von Betriebsrat und Gewerkschaft unabhängiger Kampf. Am Tag der Betriebsversammlung hatte das Ford-Aktionskomitee in einem Statement gewarnt, dass diese vom IGM-Betriebsrat genutzt werden wird, die Schließung zu besiegeln. „Die Aufgabe dieser freigestellten Handlanger des Konzerns ist es, die Schließung durchzusetzen. Dafür werden sie bezahlt“, warnten die Ford-Arbeiter.
Sie verwiesen auf den günstigen Zeitpunkt für einen Kampf zur Verteidigung des Werks angesichts der weltweiten Proteste und Kämpfe, die sich gerade entwickeln und in denen sich überall gewerkschaftsunabhängige Aktionskomitees bildeten. „Ford wird kein einziges Werk schließen können, wenn wir uns international zusammenschließen und den Kampf gemeinsam führen“, schreiben sie.
Dazu müsse jetzt das Aktionskomitee gestärkt werden. Die Kolleginnen und Kollegen im Aktionskomitee schlossen mit dem eindringlichen Appell, sich bei ihnen über WhatsApp zu melden: +491633378340
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