In der vergangenen Woche haben die Beschäftigten des Mercedes-Benz-Werks in Vitoria, der Hauptstadt des Baskenlandes, nach dem Ende der Sommerferien ihre Arbeit wieder aufgenommen. Ab jetzt gilt ein neuer Tarifvertrag, den die Gewerkschaften im Juni durchgesetzt hatten. Der Vertrag beinhaltet drastische Lohnkürzungen im Gegenzug für eine angebliche Milliardeninvestition in den Standort.
Doch die jüngste Ankündigung von Ford, versprochene Investitionen am Standort Almussafes in Valencia (Süd-Spanien) zu verschieben, setzt auch die Versprechungen von Mercedes in anderes Licht. In Valencia sind 3.000 von insgesamt 6.000 Beschäftigten von Stellenabbau bedroht. Das ist der brutalste Angriff auf die Arbeiter in der 46-jährigen Geschichte des Werks. Die sozialdemokratische General Union of Workers (UGT) peitschte ihn durch, um sicherzustellen, dass das Werk einen brudermörderischen Bieterwettstreit gegen das Ford-Werk in Saarlouis „gewinnt“.
Die von UGT und Ford unterzeichnete „Elektrifizierungs-Vereinbarung“ sieht vor, die Löhne vier Jahre lang einzufrieren. Bei einem aktuellen Verbraucherpreisindex (CPI) von 10,4 Prozent würde dies bis 2026 Reallohnkürzungen von 30 Prozent oder mehr bedeuten. Das bedeutet für jeden Arbeiter tausende Euro weniger. Im Gegenzug zu diesen Kürzungen sollte Almussafes Investitionen erhalten, um die neuen Elektrofahrzeuge für Ford zu produzieren. In der vergangenen Woche gab Ford jedoch bekannt, dass man auf kostenlose öffentliche Gelder für Investitionen in das Werk verzichte, was darauf hindeutet, dass eine Schließung des Werks immer noch im Raum steht.
Die Lektion bei Ford ist klar: Arbeiter können ihre Arbeitsplätze und Löhne nicht durch die Gewerkschaftsbürokratie, die Unternehmensleitung und die spanische PSOE-Podemos-Regierung verteidigen. Der einzige Weg nach vorn besteht darin, die Macht wieder in die Hände der Arbeiter zu legen. Das erfordert einen Bruch mit der Gewerkschaftsbürokratie. Unabhängige Aktionskomitees müssen gebildet werden, um die Kämpfe in ganz Europa gegen die Pläne von Mercedes, Ford und den anderen Automobilherstellern zu vereinen. Sie alle planen eine rücksichtslose Umstrukturierung der Branche auf Kosten von Arbeitsplätzen, Löhnen und Arbeitsbedingungen.
Die Wut auf Mercedes nimmt bereits wieder zu. Mitte letzten Jahres war in Vitoria ein erbitterter Kampf gegen Lohnabschlüsse unterhalb der Inflationsrate ausgebrochen. Doch die UGT-Gewerkschaft und die mit Podemos verbundene Arbeiterkommission (Confederación Sindical de Comisiones Obreras, CCOO) setzten Lohnkürzungen durch.
Fünftausend Mercedes-Beschäftigte traten darauf in einen neuntägigen Streik, der von 95 Prozent der Belegschaft unterstützt wurde. Die Produktion im Werk kam zum Stillstand. Die Beschäftigten weiteten den Streik aus und widersetzten sich damit dem Versuch der Gewerkschaften, ihn auf drei Tage zu beschränken.
Die Arbeiter wehrten sich gegen die Erpressung durch die Mercedes-Benz-Geschäftsführung. Ähnlich wie in vielen anderen Kämpfen der Automobilarbeiter versprach Mercedes einen „Investitionsplan“ in Höhe von 1,2 Milliarden Euro für die Produktion von Elektrofahrzeugen. Im Gegenzug verlangten sie jedoch tiefe Einschnitte bei den Reallöhnen und den Arbeitsbedingungen, obwohl das Unternehmen im vergangenen Jahr 16 Milliarden Euro Nettogewinn verzeichnete.
Wie die anderen Automobilhersteller ist auch Mercedes-Benz entschlossen, den Arbeitern die Hauptlast einer Umstrukturierung der globalen Autoindustrie aufzubürden, die bereits zehntausende Arbeitsplätze weltweit vernichtet hat. Ziel ist es, die Arbeiter zu ausgebeuteten Leiharbeitern zu machen, die dem Management völlig ausgeliefert sind.
Die Mercedes-Führung lancierte eine neue Runde von Angriffen und war zuversichtlich, dass sie sich bei der Durchführung des Angriffs auf die Gewerkschaften verlassen konnte. Seit dem Wirtschaftscrash 2008 haben CCOO und UGT im Betriebsrat mit der Unternehmensleitung zusammengearbeitet, um Samstagnachtschichten, mehr Flexibilität und ein zweistufiges Lohnsystem einzuführen. Mercedes nutzte den Beginn der Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag, um eine neue Runde von Kürzungen zu fordern.
Im Juni, als die Inflation mehr als 10 Prozent erreichte, bot das Unternehmen eine Lohnerhöhung von 2 Prozent für 2022 und 1,8 Prozent pro Jahr bis 2026 an. Außerdem verlangte es eine Verlängerung der Arbeitszeiten durch die Einführung einer sechsten Nachtschicht und mehr Wochenendarbeit.
Diese Forderungen lösten immensen Zorn aus, der die Gewerkschaften CCOO und UGT dazu zwang, einen dreitägigen Streik auszurufen. Bei Protesten in den Straßen von Vitoria und auf Streikposten in der Fabrik skandierten Arbeiter „Nein zur 6. Nacht“, „VPI [Verbraucherpreisindex] ja oder ja“, „[Mercedes-Generaldirektor von Spanien Emilio] Titos, Faulenzer am Sonntag kommst du“ und „UGT und CCOO, ihr seid Ausverkäufer“.
CCOO und UGT unterzeichneten eine Vorvereinbarung mit Mercedes, in der Mercedes die Forderung nach einer sechsten Nachtschicht zurückzog, so dass die Gewerkschaften dies als Sieg darstellen konnten, während die restlichen Kürzungen bestehen blieben.
Die baskischen separatistischen Gewerkschaften ELA, LAB und ESK unterstützten CCOO und UGT ebenfalls bei ihrem Verrat. Sie gaben sich als Kritiker des von CCOO und UGT dominierten Betriebsrats aus und riefen dazu auf, den Streik um einige Tage zu verlängern, während sie sich weigerten, den Kampf auf andere Sektoren auszuweiten. Zuvor hatten sie gezeigt, dass sie, wenn sie den Betriebsrat kontrollieren, die gleiche Rolle wie CCOO und UGT spielen: In einem Vertrag im baskischen Guipúzcoa unterzeichneten sie eine Lohnerhöhung von 4 Prozent – weit unter der Inflationsrate.
Diese Gewerkschaften haben nie versucht, eine gemeinsame Mobilisierung mit anderen Gewerkschaften des Automobilsektors in Spanien oder auf internationaler Ebene zu koordinieren. Im selben Monat drohten die britischen Beschäftigten von VFS Southampton Ltd, die große Fahrzeuge für Ford und Mercedes montieren, wegen eines Lohnstreits mit einem Streik. In den USA streikten die Techniker des Mercedes-Benz-Händlers in San Diego.
In einer Atmosphäre von Desinformation und Einschüchterung – CCOO und UGT verbreiteten auf Twitter die Drohungen der Unternehmensleitung, das Werk zu schließen, wenn keine Zugeständnisse gemacht würden – riefen die Gewerkschaften zur Abstimmung auf. In Anlehnung an die schmutzige Taktik, die die UGT im Februar bei Ford Valencia angewandt hatte, führten sie eine Abstimmung über ihre App durch, ohne den Vertragstext offenzulegen, und lehnten herkömmliche Urabstimmungen ab. Eine Auszählung der Stimmen war somit unmöglich.
Am Ende stimmten 57 Prozent der Arbeiter für den Vertrag, der einen historischen Angriff auf sie darstellt. Die Reallöhne werden gekürzt, indem die Lohnerhöhung für 2022 auf 6 Prozent festgelegt wird – vier Prozentpunkte unter der offiziellen Inflationsrate – und bis 2026 nur noch 2,25 Prozent pro Jahr betragen soll, d.h. 8 Prozentpunkte unter der Inflationsrate. Dies bedeutet für jeden Arbeiter in den kommenden Jahren einen Verlust von tausenden Euro.
Die Abstimmung deutet jedoch auf eine wachsende massenhafte Unzufriedenheit hin. Das „Ja“ wurde von den besser bezahlten Büroangestellten unterstützt, während die Unterstützung für die Vereinbarung am Fließband auf 38 Prozent, in der Lackiererei auf 46 Prozent und in der Endmontage auf 48 Prozent fiel. Die Abstimmung zeigte, dass die Gruppe der Arbeiter, die am meisten unter den Kürzungen zu leiden hat, mit überwältigender Mehrheit dagegen ist.
Der Generalsekretär der CCOO im Baskenland, Loli García, begrüßte das „Ja“ und erklärte: „Wir glauben, dass die erzielte Vereinbarung sehr gut ist, und wir möchten betonen, dass wir vor allem nichts verloren haben, weil es keine regressiven Maßnahmen gibt.“
Während die Arbeiter jetzt bereits unter den Bedingungen des neuen Tarifvertrags arbeiten, hat Mercedes seine Ankündigung, 1,2 Milliarden Euro zu investieren, nicht in die Tat umgesetzt.
Erneut bahnt sich bei Mercedes eine Schlacht an, und die Automobilarbeiter haben mächtige Verbündete: Millionen Autoarbeiter und Milliarden andere Arbeiter auf der ganzen Welt beginnen, sich zu wehren. Die dringende Aufgabe besteht darin, die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees zu entwickeln, um diese Kämpfe zu koordinieren und den Widerstand gegen die Gewerkschaftsbürokratien zu mobilisieren. Die Kämpfe müssen über Unternehmen und nationale Grenzen hinweg im Kampf für den Sozialismus vereinigt werden.