Der RBB-Skandal und die Fäulnis der kapitalistischen Gesellschaft

Die Einzelheiten, die im Verlauf des Skandals beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) ans Licht gedrungen sind, ergeben genügend Stoff für eine ganze Staffel zum Thema „Filz, Gier und Selbstbedienungsmentalität“. Selbst ein phantasiebegabter Drehbuchautor hätte Mühe, sich das alles auszudenken.

Patricia Schlesinger [Photo by Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0]

Da ist die inzwischen zurückgetretene und fristlos geschasste RBB-Intendantin Patricia Schlesinger, die sich mitten in der Pandemie das Grundgehalt um 16 Prozent auf 303.000 Euro erhöhen ließ – nicht eingerechnet die „leistungsorientierten Vergütungen“ (Boni) im mittleren fünfstelligen Bereich, die sich 27 Topverdiener des Senders für das Erreichen von Sparzielen heimlich genehmigt hatten.

Aufmerksamkeit erregte auch Schlesingers luxuriöser Lebensstil auf Kosten des Senders: Der Dienstwagen mit Massagesitzen und Chauffeur für 150.000 Euro, der Umbau der Chefetage für 1,4 Millionen Euro und die luxuriösen Abendessen, zu denen sie die Prominenz der Stadt in ihr Haus einlud. Es ist nicht überliefert, welche Musik dabei im Hintergrund lief, aber Brechts Dreigroschenoper wäre sicher passend gewesen.

Zu Gast bei Schlesinger war unter anderen die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik, die mit Winterkabeljau nach peruanischer Art, geschmortem Lamm aus der Eifel, Mangomousse, Birnentarte und confierten Pflaumen beköstigt wurde. Auch der Chef der Universitätsklinik Charité, Heyo Kroemer, war eingeladen. Die Kosten stellte Schlesinger hinterher dem RBB in Rechnung.

Sie rechtfertigte dies ohne jede Scham mit der Begründung, es handle sich um „Hintergrundgespräche mit Multiplikatoren“ mit dem Ziel, „das Netzwerk des RBB zu ergänzen“. Deutlicher kann man den Filz von Mauscheleien und Absprachen von Amtsträgern hinter den Kulissen nicht auf den Punkt bringen.

Da ist der 78-jährige Immobilienunternehmer, der den Begriff „Wolf“ gleich zweimal im Namen führt, über beste Beziehungen in die Berliner Wirtschaft und Politik verfügt und alle Fäden in der Hand hält. Wolf-Dieter Wolf, der im notorisch korrupten Immobiliensektor Westberlins zum vielfachen Millionär aufstieg, war seit 2003 Mitglied und seit 2013 Vorsitzender des Verwaltungsrats des RBB, der für die Kontrolle der Geschäftsführung verantwortlich ist.

In dieser Funktion soll Wolf das Gehalt Schlesingers und anderer Spitzenverdiener des Senders weitgehend im Alleingang bestimmt haben. Gleichzeitig ließ er seine Beziehungen spielen, um Schlesingers Ehemann und anderen Begünstigten zu lukrativen Einkünften zu verhelfen.

Wolf war nämlich auch Vorsitzender des Aufsichtsrats der Messe Berlin, Präsident des Berliner Basketball Verbandes, Präsident einer Golfanlage in Bad Saarow, Vorstandsmitglied weiterer Sportvereine, Aufsichtsratsmitglied der Berliner Bäder-Betriebe, Mitglied des Förderkreises der Berliner Oper und des Berliner Staatsballetts sowie Träger des Bundesverdienstkreuzes und des Verdienstordens des Landes Berlin.

Als Immobilienunternehmer war Wolf in zahlreiche Projekte involviert, die vom Land unterstützt und subventioniert wurden. So garantierte ihm der Senat in den Nullerjahren fünf Jahre lang die Mieteinnahmen für das Bauprojekt Adlershofer Tor. Da das Geschäftszentrum größtenteils leer stand, entstand dem Land Berlin dadurch ein Schaden von 6,8 Millionen Euro.

Schlesingers Ehemann Gerhard Spörl, früher Journalist bei der Zeit und beim Spiegel, erhielt von der Berliner Messe Beraterverträge im Wert von rund 140.000 Euro, als Wolf dort Aufsichtsratsvorsitzender war. Andere Wolf nahestehende Figuren verdienten viel Geld als Berater des RBB beim geplanten Neubau eines Digitalen Medienhauses, dessen geschätzte Kosten sich mittlerweile auf 184 Millionen Euro verdoppelt haben.

Schließlich ist da noch die Vorsitzende des Rundfunkrats, des zweiten Aufsichtsgremiums des RBB, das für die Kontrolle des Programms und die Berufung der Intendanz zuständig ist. Die Theologin Friederike von Kirchbach war 2007 von der Evangelischen Kirche in das Gremium entsandt worden und leitete es seit 2013. Auch sie war mit den Seilschaften an der Spitze des Senders persönlich eng verbunden. In ihrer Eigenschaft als Pfarrerin hatte sie die Personalchefin des RBB, Sylvie Deléglise, und die Juristische Direktorin Susann Lange kirchlich getraut. Auch von Kirchbach ist mittlerweile von ihrem Amt beim RBB zurückgetreten.

Unterschiedliche Reaktionen

Der Skandal beim RBB hat die unterschiedlichsten Reaktionen ausgelöst.

Unter den 3500 festen und freien Mitarbeitern des Senders herrscht Empörung und helle Wut. Viele von ihnen wehren sich seit Jahren gegen Sparmaßnahmen, die die Arbeit zur Hölle und gute Ergebnisse zunehmend schwierig machen. Die freien Mitarbeiter des Senders kämpfen seit Monaten für mehr Geld, andere protestieren gegen die heftigen Sparmaßnahmen und die Einstellung von Sendungen im Vorabendprogramm.

Wer den RBB von innen kennt, weiß, dass die Kultur des Gebens und Nehmens bis tief nach unten reicht. Als der RBB 2003 durch die Fusion des westdeutschen Senders Freies Berlin (SFB) und des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB) entstand, wurden einige Vollamtliche gut versorgt, um der Leitung eine loyale Gefolgschaft zu sichern. Dafür herrschte jahrelang Einstellungsstopp. Viel Arbeit wurde von Freelancern und freien Mitarbeitern erledigt, die keine oder kurz befristete Verträge erhielten. Viele mussten jahrelang klagen, um wenigstens eine gewisse Arbeitsplatzsicherheit zu erlangen.

Auch viele Gebührenzahler sind wütend. Der monatliche Rundfunkbeitrag von 18,36 Euro, den alle Haushalte in Deutschland entrichten müssen, bedeutet für Niedrigverdiener eine erhebliche Belastung. Dass die 8,4 Milliarden Euro, die 2021 auf diese Weise eingenommen wurden, mit vollen Händen verschleudert werden, stößt auf entsprechende Empörung.

Die anderen Sender der ARD versuchen, sich so weit wie möglich vom RBB zu distanzieren. In einem bisher beispiellosen Vorgang sprachen sie der Geschäftsleitung des RBB am Samstag ihr Misstrauen aus. „Wir, die Intendantinnen und Intendanten der ARD, haben kein Vertrauen mehr, dass der geschäftsführenden Leitung des Senders die Aufarbeitung der diversen Vorfälle zügig genug gelingt,“ teilte WDR-Intendant Tom Buhrow mit, der nach dem Rücktritt von Schlesinger den ARD-Vorsitz übernahm.

Buhrow hat allen Grund, in Deckung zu gehen. Dass er selbst über einen Dienstwagen mit Massagesitzen verfügt, wie er kleinlaut zugab, könnte man noch als Bagatelle abtun. Doch sein Gehalt liegt mit 413.000 Euro deutlich über dem von Patricia Schlesinger. Selbst der Bundeskanzler verdient mit einem Grundgehalt von 242.000 Euro und 362.000 Euro inklusive Zulagen deutlich weniger.

Unter den Intendanten der neun ARD-Anstalten lag Schlesinger mit ihrem Grundgehalt von 303.000 Euro lediglich an fünfter Stelle. Boni scheint es bei den anderen Sendern zwar nach bisheriger Kenntnis nicht zu geben, doch es gibt auch noch andere Einnahmequellen. So üben viele Intendanten und Direktoren Aufsichtsratsfunktionen bei Tochterunternehmen aus. Wieviel sie dafür kassieren, wurde bisher weder beim RBB noch bei anderen Anstalten offengelegt.

Die Gegner der öffentlich-rechtlichen Medien wittern eine neue Chance, das verhasste System endlich loszuwerden. „Der Skandal sind nicht die Auswüchse des Systems, der Skandal ist das System selbst,“ schreibt Eric Gujer, der Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, der in Deutschland stets die rechtesten politischen Standpunkte unterstützt. Auch die AfD argumentiert in diese Richtung.

Die Plattform Business Insider, die den Skandal beim RBB aufgedeckt hat, gehört zu 97 Prozent dem Springer-Konzern, einem der mächtigsten privaten Medienimperien. Die restlichen 3 Prozent sind im Besitz von Amazon-Gründer Jeff Bezos.

Im Vergleich zu Springer nehmen sich die korrupten Netzwerke beim RBB eher bescheiden aus. Hartz-IV-Kanzler Gerhard Schröder hatte einst salopp verkündet: „Zum Regieren brauche ich nur Bild, Bams und Glotze.“ Gemeint waren das Boulevard-Hetzblatt aus dem Hause Springer, dessen Sonntagsausgabe Bild am Sonntag und das Fernsehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel war eng mit der Verlagserbin Friede Springer befreundet. Und 2008 diente Bild-Chefredakteur Kai Diekmann Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl bei dessen zweiter Heirat zusammen mit dem Medientycoon Leo Kirch als Trauzeuge.

Öffentliche und private Medien

Letztlich kann man den RBB-Skandal und das Ausmaß an Filz und Korruption, das er ans Licht gebracht hat, nur im größeren gesellschaftlichen Zusammenhang verstehen. Lange Zeit galten die öffentlich-rechtlichen Medien als seriösere und ernsthaftere Alternative zum Privatfernsehen, das in Deutschland erst nach einem Verfassungsgerichtsurteil 1981 zugelassen wurde.

Privatsender wie RTL wurden im Rahmen der von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) verkündeten „geistig-moralischen Wende“ bewusst eingesetzt, um das kulturelle Niveau zu senken und reaktionäre Strömungen zu fördern. „Unsere Politik bezüglich RTL war immer darauf ausgerichtet, eine Anbindung von RTL an das konservative Lager zu sichern beziehungsweise ein Abgleiten nach links zu verhindern,“ schrieb der CSU-Generalsekretär Edmund Stoiber 1988 an seinen Parteivorsitzenden Franz Josef Strauß.

Die „Unabhängigkeit“ der öffentlich-rechtlichen Sender war allerdings schon immer eine Fiktion. Sie wurden von den Landesregierungen und den etablierten Parteien über Gremien wie den Rundfunkrat stets an der kurzen Leine gehalten. Kritische Berichte und Standpunkte waren nur bis zu einer bestimmten Grenze möglich. Trotzdem gelang es immer wieder kritischen Journalisten, sich einen gewissen Freiraum zu verschaffen und viel Unterstützung zu gewinnen.

Das hat sich in den letzten Jahrzehnten gründlich verändert. Die soziale Polarisierung der Gesellschaft, die Konzentration von Reichtum und Vermögen in den Händen der reichsten zehn Prozent und das Zusammenrücken der etablierten Parteien, deren Politik sich kaum mehr voneinander unterscheidet, macht sich auch in den öffentlich-rechtlichen Redaktionen bemerkbar.

Kritische Stimmen sind weitgehend verstummt. Journalisten, die sich damit nicht abfinden, haben kaum mehr eine Chance. Die großen Nachrichtenprogramme, wie Tagesthemen und heute journal, sind zu Propagandasendungen verkommen, die die Kriegshetze der Regierung verbreiten und unerwünschte Nachrichten – wie die imperialistischen Kriegsverbrechen in Jemen, Irak, Afrika und anderswo – ausblenden.

Vor allem die jüngere Generation hat es längst aufgegeben, sich mittels des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu informieren. Daher die hysterische Kampagne zur Kontrolle und Zensur sozialer Medien und die Verbannung prorussischer Medien wie RT und Sputnik aus Kabel und Internet. Den Zuschauern soll jede Möglichkeit genommen werden, sich ein eigenes, kritisches Urteil zu bilden.

Patricia Schlesinger personifiziert die Verwandlung, die mit wohlhabenden Teilen der Mittelklasse stattgefunden hat. Von 1997 bis 2001 hatte sie noch das Fernsehmagazin Panorama moderiert, das wegen seiner kritischen Haltung immer wieder bei den Herrschenden aneckte. Heute ist sie zum Symbol für Filz und Gier geworden. Von ihrer früheren sozialkritischen Haltung ist nichts übriggeblieben, stattdessen herrscht der Neid auf die noch Reicheren, die nicht Hunderttausende, sondern Millionen Euro im Jahr verdienen.

Dieselbe Verwandlung haben die Grünen durchgemacht, die zur führenden Partei des deutschen Militarismus geworden sind und jede soziale Bewegung von unten panisch fürchten.

Die Wiederbelebung kritischer, kulturell hochstehender Medien ist untrennbar mit der Entwicklung einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse gegen das bankrotte kapitalistische System verbunden, das nur noch sozialen und kulturellen Niedergang, Krieg und Diktatur hervorbringt.

Die World Socialist Web Site weist hier den Weg. Obwohl sie nur über einen winzigen Bruchteil der finanziellen Mittel der öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Medien verfügt, ist sie in der Lage, einen hochwertigen und kritischen Journalismus zu liefern, der auf vielen Gebieten – der Pandemie, dem internationalen Klassenkampf, den Ursachen und Hintergründen des Ukrainekriegs – unübertroffen ist.

Sie stützt sich auf die Zusammenarbeit von Sozialisten auf der ganzen Welt, die ein gemeinsames Ziel verfolgen – die arbeitenden Massen mit einem historischen Verständnis der kapitalistischen Krise und ihrer eigenen Aufgaben, d.h. mit einer sozialistischen Perspektive zu bewaffnen.

Wer vom RBB-Skandal und der politischen, kulturellen und moralischen Fäulnis, die er aufdeckt, angewidert ist und einen fortschrittlichen Ausweg sucht, sollte die World Socialist Web Site verfolgen, sie unterstützen und sich der Sozialistischen Gleichheitspartei anschließen.

Loading