Perspektive

Der Sturm auf das Kapitol und die Verschwörung zur Errichtung einer Diktatur in den Vereinigten Staaten

Am vergangenen Donnerstag kam der Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 erstmalig zu einer öffentlichen Anhörungen zusammen. Eine anerkannte und unbestreitbare Tatsache muss bei jeder Diskussion über den 6. Januar am Anfang stehen: Der Präsident der Vereinigten Staaten, Donald Trump, hat versucht, einen Staatsstreich zu organisieren, die Verfassung zu stürzen und eine personalistische Diktatur zu errichten. Und er ist seinem Ziel sehr nah gekommen.

Der Abgeordnete Bennie Thompson von den Demokraten, der den Vorsitz des Ausschusses innehat, war in seiner Darstellung der Ereignisse sehr direkt: „Der 6. Januar war der Höhepunkt eines Putschversuchs“, sagte Thompson. Der gewaltsame Angriff auf das Kapitol, fügte er hinzu, sei keine zufällige Entwicklung gewesen. „Es war Trumps letzter, verzweifelter Versuch, die Machtübergabe zu verhindern.“

Diese Tatsache ist von enormer Bedeutung. Zur Geschichte der Vereinigten Staaten gehört damit der Versuch eines amtierenden Präsidenten, die Regierung zu stürzen. Ein Ereignis dieser Art hat es in der Neuzeit in keinem fortgeschrittenen kapitalistischen Land gegeben.

Die Anhörungen haben gerade erst begonnen, doch schon allein die Fakten, die am ersten Tag präsentiert wurden, werfen eine Reihe unbeantworteter Fragen auf: Warum gab es so gut wie keinen Widerstand gegen den Angriff auf das Kapitol? Warum wurden drei Stunden lang keine Maßnahmen ergriffen, um ihn zu stoppen? In Anbetracht der Tatsache, dass Trump den Wahlen seit dem Wahltag die Legitimität abgesprochen hatte, stellt sich die Frage, warum, anstatt Vorbereitungen zu treffen, alle Mittel zur Verteidigung des Kapitols faktisch außer Kraft gesetzt wurden? Und was hat die Demokratische Partei in dieser Zeit getan? Warum hat Biden geschwiegen? Und warum hat es 18 Monate gedauert, bis die Anhörungen überhaupt zustande kamen?

Bei der Beantwortung dieser Fragen spielen zwei Aspekte eine entscheidende Rolle.

Erstens kann ein solches Ereignis nur unter sozialen, politischen und klassenbezogenen Gesichtspunkten verstanden werden. Auf einer grundsätzlichen Ebene bedeutet der versuchte Sturz der Regierung, dass ein wesentlicher Teil der amerikanischen herrschenden Klasse bereit war, die Errichtung einer Präsidialdiktatur zu akzeptieren. Dies wird durch die Tatsache untermauert, dass Trumps Vorgehen die überwältigende Unterstützung der republikanischen Partei sowie einen bedeutenden Rückhalt in staatlichen, militärischen und polizeilichen Institutionen auf Bundes-, Landes- und lokaler Ebene genoss.

In den Monaten vor dem 6. Januar verliehen führende Republikaner, darunter der Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, Trumps Behauptungen, die Wahl sei gestohlen worden, einen Anschein von Legitimität. Die Erstürmung des Kapitols war Teil eines Plans, der auch Einsprüche der Republikaner gegen die Wahlmänner beinhaltete, die von den Bundesstaaten ernannt wurden, in denen Biden gewonnen hatte. Noch in den frühen Morgenstunden des 7. Januar, dem Tag nach dem Putschversuch, stimmten zwei Drittel der Republikaner gegen die Bestätigung der Wahlergebnisse.

Trump und seine Mitverschwörer hatten zudem erheblichen Rückhalt im Militär- und Polizeiapparat. Im März 2021 sagte der Kommandeur der Nationalgarde von Washington, William Walker, aus, dass zwischen seiner ersten Anfrage an das oberste Militärkommando bezüglich des Einsatzes von Truppen der Nationalgarde und der endgültigen Genehmigung des Einsatzes drei Stunden und 19 Minuten verstrichen sind.

Zweitens zeigte die schwache Reaktion der Demokratischen Partei auf den Staatsstreich, dass es innerhalb der herrschenden Klasse keinen nennenswerten Rückhalt für die bürgerliche Demokratie gibt. Die Demokraten waren sich über Trumps Pläne, im Amt zu bleiben, ganz eindeutig im Klaren. Im Juni 2020 erklärte Biden, seine „größte Sorge“ bestehe darin, dass „dieser Präsident versuchen wird, die Wahl zu stehlen“.

Doch die Demokraten unternahmen nichts, um gegen den Staatsstreich vorzugehen oder die Öffentlichkeit über die Geschehnisse zu informieren. Am 6. Januar ließ der designierte Präsident Biden mehrere Stunden verstreichen, bevor er überhaupt etwas sagte. Als er schließlich eine Erklärung abgab, richtete er sich in einem verblüffenden Appell an Trump selbst, er möge „vortreten“ und im landesweiten Fernsehen den Aufstand abblasen, den er selbst organisiert hatte.

Die Demokraten trieb und treibt die Angst davor um, dass sie irgendwas tun könnten, wodurch eine breitere Opposition in der Bevölkerung hervorgerufen würde. Während der gesamten Amtszeit der Trump-Regierung beschränkten sich ihre Differenzen mit Trump vor allem auf außenpolitische Fragen und insbesondere auf die Forderung nach aggressiveren Maßnahmen gegen Russland.

Sogar bei den Anhörungen am 6. Januar haben alle Aktionen der Demokraten den typisch trägen und rechten Charakter: die Benennung der Republikanerin Liz Cheney, der Tochter des ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney, als Hauptsprecherin des Ausschusses, die Verherrlichung von Mike Pence, William Barr und anderen Republikanern, usw.

Biden hat in der Zwischenzeit zu den Anhörungen geschwiegen und seit seiner Rede zum Jahrestag vor sechs Monaten kein Wort mehr über den Staatsstreich vom 6. Januar verloren. Laut dem Weißen Haus liegt dies daran, dass Biden die Untersuchung eines versuchten faschistischen Aufstands gegen seine eigene Präsidentschaft nicht „politisieren“ will!

Nach dem, was wir heute wissen, gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass die Demokratische Partei gegen den Staatsstreich mobil gemacht hätte, wäre er erfolgreich gewesen. Sie hätten sich den neuen Gegebenheiten angepasst und allenfalls das Eingreifen des Militärs oder des Obersten Gerichtshofs gefordert, zu dessen Richtern Clarence Thomas gehört, der mit einer der Hauptverschwörerinnen des Putschversuchs verheiratet ist.

Vor fünfzig Jahren wurde die Verwicklung der Nixon-Regierung in den Einbruch in das Hauptquartier der Demokratischen Partei im Watergate-Bürogebäude als schwerwiegend genug angesehen, um umfangreiche Anhörungen und strafrechtliche Ermittlungen einzuleiten, die schließlich zu Nixons Rücktritt als Präsident führten.

Die Ereignisse vom 6. Januar 2020 haben eine andere Qualität: Es handelt sich um den Versuch, die Verfassung zu stürzen und eine Diktatur zu errichten. Doch keiner der Hauptbeteiligten wurde verhaftet. Die Demokratische Partei hat noch nicht einmal erklärt, worin die Ziele der Anhörungen im Kongress bestehen, oder angedeutet, dass sie dazu dienen sollen, eine Anklage oder Strafverfolgung von Trump vorzubereiten. Im Gegenteil ging den Anhörungen die Entscheidung des Justizministeriums voraus, im Fall der beiden Spitzenberater Trumps, Mark Meadows und Dan Scavino, keine Anklage zu erheben.

Die Situation ist äußerst gefährlich. Der Staatsstreich vom 6. Januar entstand aus der endgültigen Krise der amerikanischen Demokratie, die sich über einen langen Zeitraum entwickelt hat und in erster Linie in der extremen Zunahme der sozialen Ungleichheit begründet liegt. Alle Bedingungen, die diese Krise herbeigeführt haben, haben sich indessen nur noch weiter verschärft. Die Anzeichen für eine Wirtschaftskrise und einen wirtschaftlichen Zusammenbruch mehren sich, während die Inflation außer Kontrolle gerät. Zudem breitet sich die Pandemie weiter aus, auch wenn dies vom gesamten politischen Establishment und den Medien ignoriert wird.

Die herrschende Klasse, die im Ausland einen Weltkrieg führt und im Inland mit einer wachsenden Opposition konfrontiert ist, wendet sich diktatorischen Formen der Herrschaft zu. Die Tatsache, dass die amerikanische Demokratie am Rande des Zusammenbruchs steht, ist inzwischen allgemein anerkannt. In der internationalen Presse wird offen über einen möglichen Bürgerkrieg und den Zerfall des Landes diskutiert.

Die Republikanische Partei, die für die rücksichtslosesten Teile der herrschenden Klasse spricht, ist reuelos und aggressiv. Bis heute unterstützen die Republikaner mit überwältigender Mehrheit Trump und bereitet sich darauf vor, bei den Zwischenwahlen im November die Kontrolle über den Kongress zu übernehmen.

Die Demokratische Partei ist weit davon entfernt, Widerstand zu mobiliseren, und tritt für „Einigkeit“ und „überparteiliche“ Toleranz ein. Sie versucht wie immer, die soziale Wut gegen das bestehende System zu verbergen, zu demoralisieren und alles zu tun, um sie in reaktionäre Kanäle zu lenken, vor allem in einen Krieg.

Die Gewerkschaften, die politisch auf die Demokratische Partei ausgerichtet sind, tun alles, um die Opposition in der Arbeiterklasse zu untergraben und zu unterdrücken. Die Organisationen der Pseudolinken, die für die obere Mittelschicht sprechen, sind bemüht, die Arbeiter mit dem Mittel der Identitätspolitik nach Herkunft und Geschlecht zu spalten und zu verwirren. Ein anderer Teil der Pseudolinken hat sich durch seine Bemühungen, die Gefahr des Putsches herunterzuspielen, ihn als unbedeutend darzustellen und sich sogar mit Trump zu solidarisieren, gründlich entlarvt.

Analysiert man die Ereignisse des 6. Januar und die anhaltenden Verschwörung, so ergibt sich, dass der Widerstand gegen die Diktatur und die Verteidigung der elementarsten demokratischen Rechte als Bewegung der Arbeiterklasse entwickelt werden muss. Dies ist keine abstrakte Frage. Anderthalb Jahre nach Trumps Putschversuch gibt es in den USA und international eine wachsende Bewegung von Arbeitern, die durch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie und des Kriegs enorm beschleunigt wurde.

Dieser objektive Prozess muss jedoch zu einer bewussten politischen Bewegung gegen den Kapitalismus und den gesamten politischen Apparat der herrschenden Klasse entwickelt werden. Das bedeutet vor allem, dass die Socialist Equality Party als revolutionäre Führung der Arbeiterklasse aufgebaut werden muss.

Loading