Am Dienstag hat ein eintägiger landesweiter Streik im öffentlichen Dienst Belgien lahmgelegt. Gewerkschaften des belgischen öffentlichen Sektors hatten einen Streik gegen Preisexplosion und Personalmangel und für bessere Arbeitsbedingungen angekündigt. Der Streik in dem 11,5 Millionen Einwohner großen Land umfasste flämisch- und französischsprachige Arbeiter. Er betraf den Zug- und Nahverkehr sowie die Post, Schulen und andere öffentliche Dienste.
Der Streik wurde von mehreren nationalen Gewerkschaften ausgerufen und war seit Wochen in Absprache mit Regierungsvertretern und der Unternehmensleitung geplant worden.
Wie die Nachrichtenagentur Belga berichtete, verkehrte landesweit nur ein Viertel aller Züge, und in Brüssel und der östlichen französischsprachigen Region Wallonien fuhren „nur wenige oder gar keine Busse und Züge“. Besonders betroffen war der lokale und nationale öffentliche Verkehr. In den Provinzen Lüttich, Namur und Luxemburg kam der Zugverkehr vollständig zum Erliegen. In der Hauptstadt Brüssel verkehrte nur eine der vier U-Bahn-Linien der Stadt. In Antwerpen fuhren 55 Prozent der Busse, Straßenbahnen und U-Bahnen.
Die Züge zwischen Maastricht und Lüttich blieben bereits am Montagabend stehen, ebenso wie viele Züge zwischen Roosendaal und Antwerpen. Bei der Verkehrsgesellschaft De Lijn wurden 35 bis 50 Prozent der Abfahrten gestrichen.
Auch internationale Verbindungen wie die Brüssel-Frankfurt-Verbindung der Deutschen Bahn und der Thalys-Zug Paris-Brüssel-Dortmund fielen komplett aus. Die niederländische Presse berichtete, dass während des Streiks kein belgischer Zugverkehr zwischen Belgien und Deutschland sowie nach Maastricht in den Niederlanden und in das Herzogtum Luxemburg stattfand.
Die Eisenbahner widersetzten sich den Mindestdienstanforderungen und anderen rechtlichen Maßnahmen, die von den Arbeitgebern eingeführt wurden, um Streiks zu verhindern oder zu illegalisieren. Arbeiter, die „für den Zugverkehr unerlässlich sind“, mussten laut Belgian Train „spätestens 72 Stunden vor Streikbeginn mitteilen, ob sie sich am Streik beteiligen wollen oder nicht“.
Mindestens 75 Schiffe wurden in den Häfen Flanderns blockiert, da die Streiks den Betrieb der Schleusen stilllegten. Weitere 65 Schiffe wurden an den Schleusen in Diepenbeek, Genk, Hasselt und Wijnegem auf dem Albertkanal zwischen Antwerpen und Lüttich blockiert.
Der öffentliche Rundfunk, die Müllabfuhr, die Verwaltung, die Post und das Bildungswesen waren ebenfalls betroffen. Streiks bei den öffentlich-rechtlichen belgischen Rundfunkanstalten VRT und RTBF führten zu verkürzten Fernsehnachrichten von „maximal zehn Minuten“. Die Müllabfuhr war in der gesamten Region Wallonien und Brüssel nicht im Einsatz.
In Charleroi (Wallonien) versammelten sich Beschäftigte des öffentlichen Dienstes von Charleroi zu einem Marsch vom Gelände der interkommunalen Müllabfuhr Tibi in Richtung Stadtzentrum und erhoben Forderungen nach mehr Kaufkraft sowie mehr Mitteln für öffentliche Dienstleistungen.
Beim belgischen Postunternehmen Bpost wurde die große Mehrheit der Filialen in der Wallonie und 65 Prozent in Brüssel geschlossen. Vier Prozent der Postfilialen wurden in Flandern geschlossen. Auf Twitter teilte die Bpost-Leitung mit, dass der Streik „Auswirkungen auf den Service in den Postämtern, im Kontaktzentrum, bei der Abholung, Bearbeitung und Zustellung von Briefen und Paketen haben“ werde.
Auch Gefängnispersonal schloss sich dem Streik am Dienstag an. „Fast drei Viertel unseres Personals beteiligen sich an dem Aktionstag“, teilte die Gewerkschaft CGSP (General Confederation of the Public Services) gegenüber RTL mit, „an einigen Orten sind es sogar noch mehr“.
Der Streik in Belgien ist Teil einer wachsenden Streikbewegung in ganz Europa und darüber hinaus, die sich gegen den weltweiten Preisanstieg infolge der Covid-19-Pandemie und des Nato-Kriegs gegen Russland richtet. In ihrem Verlauf kam es in der Türkei bereits zu spontanen Streiks in der Industrie und zu Ärztestreiks, sowie zu Massenstreiks von Metallarbeitern und LKW-Fahrern in Spanien. In Italien legte ein eintägiger landesweiter Streik von Bahn- und Nahverkehrsarbeitern, Post- und Textilarbeitern, Zustellern und Fährarbeitern am 20. Mai einen Großteil des Landes lahm.
Die Wut in der europäischen und internationalen Arbeiterklasse wächst. Einem aktuellen Bericht der Belgischen Nationalbank zufolge hat die Inflation in Belgien mit 8,97 Prozent im Mai den höchsten Stand seit 1982 erreicht. Dies ist vor allem auf die steigenden Lebensmittelpreise und die Energieknappheit zurückzuführen, da die Europäische Union (EU) Maßnahmen ergreift, um wichtige Öl- und Gasimporte aus Russland zu stoppen.
Die belgische Regierung vertrat jedoch als Reaktion auf den Streik öffentlich den Standpunkt, dass nichts getan werden kann oder wird, um das Leben und den Lebensstandard der Arbeiter zu schützen. „Die Inflation ist eine Schwierigkeit, mit der sich jeder auseinandersetzen muss“, erklärte der belgische Premierminister Alexander De Croo unverblümt und weigerte sich, neue Maßnahmen gegen die Inflation anzukündigen.
„Unternehmensverbände“, so die Brussels Times, „gingen sogar noch weiter und argumentierten, dass eine Gehaltserhöhung für die Beschäftigten des öffentlichen Sektors das Wirtschaftswachstum des Landes abwürgen würde.“
Während die Streiks in Belgien und in ganz Europa zweifellos die soziale Macht der Arbeiterklasse demonstriert haben, haben sie damit auch ihre größte Schwäche offenbart: den Mangel an internationaler Organisation, Koordination und sozialistischer Perspektive.
Andernfalls treten isolierte eintägige Aktionen, so mächtig sie auch sein mögen, die Initiative nach dem Ende des Streiks an die nationalen Gewerkschaftsbürokratien ab, die eng mit den kapitalistischen Regierungen und Unternehmensleitungen zusammenarbeiten. Ihrer eigenen Kampforganisationen beraubt, werden die Arbeitnehmer erst bei der nächsten eintägigen Aktion wieder mobilisiert, deren Zeitpunkt von den Gewerkschaftsbürokratien und ihren Verbündeten in Staats- und Bankenkreisen bestimmt wird.
Der Bankrott eines solchen nationalen Ansatzes wird besonders deutlich, wenn die Bedrohungen durch Inflation, Pandemie und Krieg einen internationalen, ja globalen Charakter haben.
Belgien ist besonders stark von der Covid-19-Pandemie betroffen, die in Europa 1,8 Millionen und weltweit schätzungsweise 15-20 Millionen Menschenleben gefordert hat. Zu Beginn der Pandemie hat die belgische bürgerliche Presse reaktionäre Aufrufe verbreitet, die Virus-Ausbreitung zuzulassen und durch Masseninfektion und Tod eine „Herdenimmunität“ zu erreichen. Infolgedessen infizierten sich in Belgien 4 Millionen Menschen – d. h. mehr als ein Drittel der Bevölkerung – und offiziell 31.574 Menschen starben. Mit 2.717 Todesfällen pro eine Million Einwohner war dies die zweithöchste Todesrate in Westeuropa nach Italien mit 2.766 Todesfällen pro Million.
Die Europäische Union (EU), die ihren Hauptsitz in Brüssel hat, sorgte während der Pandemie dafür, mithilfe der Europäischen Zentralbank Billionen von Euro in die Rettung von Banken und Unternehmen zu stecken. Während sich die besitzenden Klassen massiv bereicherten, haben die EU und die belgische Bourgeoisie darauf bestanden, dass kein Geld in den Schutz des Lebens und Auskommens der Arbeiter fließt.
Obwohl russische und US-amerikanische Regierungsvertreter davor warnen, dass der militärische Aufmarsch der Nato rapide zu einem globalen Krieg zwischen Nato und Russland eskalieren kann, schickt auch die belgische Regierung Waffen im Wert von dutzenden Millionen Euro an die ukrainischen Streitkräfte und mit ihnen verbündete rechtsextreme nationalistische Milizen.
In den ersten Wochen des Krieges schickte der belgische Staat 5.000 automatische Waffen, 200 Panzerabwehrwaffen und 3.800 Tonnen Treibstoff in die Ukraine. Im April sagte Belgien zu, schwere Artillerie zu schicken, darunter M-109A4BE aus den USA und CAESAR-Haubitzen aus Frankreich. „Für uns ist es wichtig, dass die Ukrainer dieses Material erhalten können, das ist das Wichtigste“, sagte die belgische Verteidigungsministerin Ludivine Dedonder am Mittwoch in einer Sitzung des belgischen Parlaments, in der sie die Lieferung dieser Waffen bestätigte.
Die Inflation und andere Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter werden nicht aufhören, solange die Übergabe öffentlicher Gelder an die Banken und der Krieg der Nato gegen Russland nicht gestoppt werden. Der Kampf muss dem Griff der nationalen Gewerkschaftsbürokratien entrissen und von Aktionskomitees geführt werden, die von Arbeitern selbst aufgebaut werden.
Die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) ist die Organisation, die aufgebaut werden muss, um die Kämpfe der Arbeiter zu koordinieren und eine massenhafte Antikriegsbewegung in der europäischen und internationalen Arbeiterklasse in Gang zu setzen. Nur eine solche Bewegung kann die von den Superreichen vergeudeten öffentlichen Gelder beschlagnahmen und die Politik der Nato stoppen, die einen Weltkrieg heraufbeschwört. Ebenso kann nur eine solche Bewegung, die für den sozialistischen Sturz des kapitalistischen Systems kämpft, die Verarmung der Arbeiter beenden.
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