Ausverkauf im Sozial- und Erziehungsdienst: Stimmt mit „Nein“!

Die Verdi-Mitglieder im Sozial- und Erziehungsdienst sind aufgefordert, bis Anfang Juni über den Abschluss abzustimmen, den die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeber (VKA) am Mittwoch vereinbart hat. Das Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Bildung ruft alle Beschäftigten in den Kitas und sozialen Einrichtungen auf, mit „Nein“ zu stimmen!

Streikende Kita-Erzieherinnen am 4. Mai in Frankfurt am Main

Dieser Abschluss ist das Papier nicht wert, auf dem er steht. Er kann nur als Ausverkauf des Kampfs bezeichnet werden, den Tausende seit Anfang März um eine Aufwertung des Sozialarbeiter- und Erzieherberufs geführt haben. Er hat eine Laufzeit von fünf Jahren, von Anfang 2022 bis Ende 2026! Damit besteht seine Hauptfunktion darin, die wachsende Streikbewegung in den Kitas und im öffentlichen Dienst abzuwürgen und sie vom Rest der Arbeiterklasse zu isolieren. „Es wird keine weiteren Streiks geben,“ jubelt die GEW in ihrem Kommentar zum neuen Vertrag.

Der Abschluss sieht pauschal zwei Tage mehr Freizeit im Jahr vor; zwei weitere Entlastungstage sind durch Verzicht auf eine neue finanzielle Zulage möglich. Dies in einer Situation des dramatischen Personalmangels, in dem die Beschäftigten „freiwillig“ ständig einspringen, in ihrer Freizeit arbeiten und ihre Gesundheit ruinieren. Bundesweit fehlen in den Kitas über 173.000 Beschäftigte, viele fallen wegen Corona aus, und die Arbeitslast steigt permanent. Wie in Hessen nutzen Landespolitiker die ukrainischen Flüchtlinge aus, um die Zahl der Kinder pro Fachkraft von 25 auf 30 zu erhöhen.

„Mehr braucht mehr!“ war im Warnstreik einer der populärsten Slogans. Die finanzielle Zulage besteht nun darin, dass die Kita-Pädagogen ab dem 1. Juli 2022 einen monatlichen Zuschlag von 130 Euro, die Sozialarbeiter von 180 Euro erhalten – brutto, versteht sich! Das ist im besten Fall ein zusätzlicher Hunderter im Geldbeutel, während die Preise ständig steigen. Hinzu kommt eine längst überfällige Anpassung der Stufenlaufzeiten an den allgemeinen Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD), die jedoch erst in zwei Jahren, ab Oktober 2024, wirksam wird.

Der Tarifvertrag im Sozial- und Erziehungsdienst ist ein Zusatzvertrag zum TVöD, der erst im Dezember 2022 ausläuft und mit einer Lohn-„Erhöhung“ von 1,8 Prozent in diesem Jahr eine effektive Reallohnsenkung bedeutet. Die Inflation ist im April bereits auf 7,4 Prozent gestiegen, gar nicht zu reden von der Teuerung der Benzin-, Energie- und Lebensmittelpreise.

Die Verhandlungen waren am Dienstagabend von Potsdam nach Berlin verlegt worden. Der dort erzielte Abschluss wird auch von der Lehrergewerkschaft GEW und dem Deutschen Beamtenbund dbb übernommen. Er gilt für alle Festangestellten in den Dienststellen der Kommunen und des Bundes (mit Ausnahme von Berlin). In früheren Zeiten wurde er auch in den Einrichtungen privater, kirchlicher oder karitativer Träger übernommen, doch ist dies längst keine Selbstverständlichkeit mehr.

Und was ist mit den vielen NICHT im öffentlichen Dienst Festangestellten, die als Quereinsteiger und „Assistenten“ die gleiche Arbeit machen? Sie werden nach wie vor mit Mindestlöhnen abgespeist.

In einer Situation, in der die Regierung dreistellige Milliardensummen in die Rüstung pumpt und die Aktionäre Höhenflüge an den Börsen verzeichnen, kommt der neue Vertrag einer offenen Verhöhnung, ja einem Fußtritt für die Sozialarbeiter und Erzieher gleich. Er signalisiert ihnen, was für die regierenden Politiker im Vordergrund steht: Nicht die Aufwertung der sozialen Einrichtungen durch mehr Personal, kleinere Gruppen und bessere Bedingungen, damit die Beschäftigten etwas Luft zum Atmen bekommen. Ihre Einrichtungen werden mehr und mehr zu Verwahranstalten degradiert.

In den letzten Wochen sind nicht nur tausende Kita-Beschäftigte und Sozialarbeiter gegen unmögliche Arbeitsbedingungen auf die Straße gegangen, sondern auch Pflegekräfte, Lehrer und Busfahrer haben den Kampf aufgenommen. In NRW führen die Krankenschwestern und -Pfleger an sechs Unikliniken seit Anfang Mai einen unbefristeten Arbeitskampf. Diese Bewegung ist Teil eines weltweiten Aufschwungs von Streiks und Protesten gegen die sozialen Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Kriegs.

Doch die DGB-Gewerkschaften, allen voran Verdi, stehen auf der Seite der Regierungen, die diese Bewegung um jeden Preis eindämmen wollen. Die Ampelkoalition hat sich für eine massive Aufrüstung entschieden, und die Kosten dafür soll die Arbeiterklasse tragen. Die Verdi-Führer Frank Werneke und Christine Behle, die in Potsdam und Berlin die Verhandlungen führten, gehören derselben Regierungspartei, der SPD, an, wie die Verhandlungsführerin auf der Gegenseite, Karin Welge, und teilen deren Politik.

Die Ampelkoalition ist entschlossen, ab dem nächsten Jahr die Schuldenbremse wieder einzusetzen und zur „Schwarzen Null“ zurückzukehren. Die Bevölkerung müsse „Opfer bringen“, forderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) am 27. März im Schloss Bellevue, als er die Sanktionen gegen Russland mit den Worten ankündigte: „Die ganze Wahrheit ist: Viele Härten liegen erst noch vor uns.“ Auf dieser Linie liegt der neue Abschluss, und er zeigt deutlich, wer da Opfer bringen soll.

Das Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Bildung ruft alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst und die ganze Arbeiterklasse auf, diese Klassenlogik zu durchbrechen und sich nicht für eine Kriegspolitik im Interesse der Reichen und Aktionäre verheizen zu lassen, die in einen dritten Weltkrieg münden wird. Schluss mit der „Profite-vor-Leben“-Politik, die allein in Deutschland zu 140.000 unnötigen Corona-Todesfällen geführt hat!

Wir schlagen vor, den DGB-Gewerkschaften das Vertrauen zu entziehen und in jedem Betrieb unabhängige Aktionskomitees zu gründen. Schon heute spielen solche Aktionskomitees eine wichtige Rolle, u.a. in den Arbeitskämpfen in Teilen der US-amerikanischen Autoindustrie, bei Ford in Deutschland und Spanien, in der internationalen ZeroCovid-Bewegung für sichere Schulen und in den Teeplantagen in Sri Lanka.

Als erster Schritt muss der Ausverkauf im Sozial- und Erziehungsdienst entschieden zurückgewiesen werden! Er ist nicht der erste seiner Art. Frank Wernekes Vorgänger an der Spitze von Verdi, Frank Bsirske (Die Grünen), hat vor sieben Jahren einen großen Arbeitskampf um „Aufwertung“ im Sozial- und Erziehungsdienst nach allen Regeln der Kunst abgewürgt und ausverkauft. Entgegen allen Versprechungen hat sich die Situation seit dem Kita-Streik im Jahr 2015 immer weiter verschlechtert. Damit muss nun Schluss sein.

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