Der finnische Präsident Sauli Niinistö und die Ministerpräsidentin Sanna Martin erklärten am Donnerstag in einer gemeinsamen Stellungnahme, das Land werde der von den USA geführten Nato „unverzüglich“ beitreten. Die Entscheidung beendet mehr als sieben Jahrzehnte formeller Neutralität Finnlands und bedeutet eine massive Verschärfung des Kurses des amerikanischen und europäischen Imperialismus auf einen offenen Krieg gegen Russland.
Durch Finnlands Beitritt wird sich die Grenze Russlands zur Nato mehr als verdoppeln. Das Land verfügt über eine 1.300 Kilometer lange Grenze zu Russland, und die Hauptstadt Helsinki ist nur eine dreieinhalbstündige Zugfahrt von St. Petersburg entfernt. Die für nächste Woche geplante Abstimmung im Parlament, die benötigt wird, um formell einen Antrag auf Beitritt zu stellen, gilt als reine Formalität. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte am Donnerstag, der Beitritt Finnlands zu dem Bündnis werde „glatt und schnell“ vonstatten gehen. Vermutlich wird das benachbarte Schweden danach ebenfalls umgehend der Nato beitreten. Die sozialdemokratische Regierung ist bereits dabei, am Sonntag ihren jahrzehntelangen Widerstand gegen die Nato-Mitgliedschaft aufzugeben. Berichten zufolge wird die Regierung sich schon am nächsten Montag formell dazu äußern.
Russland reagierte auf die Aussicht, dass Nato-Soldaten, Panzer und andere Waffen nur wenige Stunden von seiner zweitgrößten Stadt entfernt stationiert werden könnten, mit der Warnung vor einer deutlichen Verschärfung der Kriegsgefahr. Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte, die Entscheidung sei „definitiv“ eine Bedrohung und warnte, Russland werde mit symmetrischen Maßnahmen reagieren. Der ehemalige Präsident Dmitri Medwedew, ein enger Verbündeter von Wladimir Putin, warnte in einem Telegram-Post, die Nato-Erweiterung an Russlands Grenzen würde „die Wahrscheinlichkeit eines direkten und offenen Konflikts zwischen der Nato und Russland statt ihres ,Stellvertreterkriegs‘ erhöhen... Ein solcher Konflikt birgt immer das Risiko, sich zu einem uneingeschränkten Atomkrieg zu entwickeln, und das wäre für alle ein katastrophales Szenario.“
Das russische Außenministerium erklärte in einer eigenen Stellungnahme, Moskau sähe sich „zu Vergeltungsschritten sowohl militärisch-technischer als auch sonstiger Art gezwungen, um die Bedrohung seiner nationalen Sicherheit zu stoppen“.
Die herrschenden Eliten Finnlands und Schwedens, ihre imperialistischen Herren und die Mainstream-Medien der ganzen Welt behaupten betrügerischerweise, die Entscheidung der skandinavischen Staaten für den Nato-Beitritt sei eine „defensive“ Reaktion auf Russlands „Aggression“ in der Ukraine. Der ehemalige finnische Ministerpräsident Alexander Stubb erklärte, die Nato-Mitgliedschaft sei „beschlossene Sache“ gewesen, seit Russland die Ukraine überfallen hat. Der schwedische Verteidigungsminister Peter Holtqvist, der letzten November noch öffentlich erklärt hatte, Stockholm werde der Nato nicht beitreten, behauptete, der Überfall habe gezeigt, dass Putin „unberechenbar und unzuverlässig“ sei, was Schweden dazu gezwungen habe, seine Position zu überdenken.
Die BBC erklärte: „Wladimir Putins Vorgehen hat ein seit langem bestehendes Gefühl der Stabilität in Nordeuropa zerstört, sodass sich Schweden und Finnland angreifbar fühlen.“
Das ist nichts anderes als eigennützige Propaganda. In Wirklichkeit ist die Nato-Mitgliedschaft von Schweden und Finnland eine massive Provokation, die viel eher in Washington, Berlin und London entschieden wurde als in Helsinki und Stockholm. Nachdem der US-amerikanische, deutsche und britische Imperialismus Russland durch die Nato-Osterweiterung der letzten drei Jahrzehnte und die Zurückweisung aller Versuche des Kremls, Sicherheitsgarantien auszuhandeln, zu einer Invasion in der Ukraine provoziert haben, sind sie jetzt eifrig dabei, eine neue Front in ihrem Kriegskurs zu eröffnen. Ihr Ziel ist es, Russland auf den Status einer Halbkolonie zu degradieren und die Putin-Regierung zu stürzen.
Die herrschenden Eliten in Helsinki und Stockholm haben ihre militärisch-strategischen Beziehungen mit den imperialistischen Mächten in den letzten Jahrzehnten systematisch vertieft. Nachdem sie Mitte der 90er Mitglieder der Nato-„Partnerschaft für den Frieden“ geworden sind – ein wichtiger Mechanismus, der die Ausweitung des US-geführten Militärbündnisses nach Osteuropa erleichterte –, beteiligten sich finnische und schwedische Truppen an mehreren Übungen und Nato-Missionen. Dazu gehörten die neokoloniale Besetzung von Afghanistan und die Luftangriffe schwedischer Saab-Gripen-Kampfflugzeuge während der Zerstörung Libyens durch die imperialistischen Mächte im Jahr 2011.
Dass sie den Antrag auf Nato-Vollmitgliedschaft verzögert haben, lag vor allem an der weit verbreiteten Feindschaft der Bevölkerung beider Länder gegenüber dem aggressiven Militärbündnis. Die hysterische antirussische Kampagne und das Kriegsfieber, welche die Regierungen und die Medien in den USA und Europa nach Putins reaktionärem Überfall auf die Ukraine entfesselt haben, haben zu einer starken Verschiebung in den Meinungsumfragen geführt. Die finnische und schwedische Regierung haben dies benutzt, um Pläne zum Nato-Beitritt umzusetzen, die sie seit langem vorbereitet hatten und für deren Umsetzung sie nur auf einen Vorwand gewartet haben.
Aus Rücksicht auf den noch immer starken Widerstand der arbeitenden Bevölkerung versuchten Niinistö und Marin am Donnerstag, ihre Entscheidung als Akt der „nationalen Verteidigung“ darzustellen und erklärten: „Die Nato-Mitgliedschaft wird die Sicherheit Finnlands stärken. Als Mitglied der Nato würde Finnland das gesamte Verteidigungsbündnis stärken.“
Das ist glatt gelogen. Die Einbindung Finnlands und Schwedens in die Nato wird die ganze Region in ein weiteres Aufmarschgebiet für einen militärischen Konflikt mit Russland verwandeln. Genau wie die imperialistischen Mächte der Ukraine tödliche Waffen im Wert von zweistelligen Milliardenbeträgen liefern, um „Russland das Rückgrat zu brechen“, ohne dabei Rücksicht auf die Zerstörung des Landes zu nehmen, würden auch Finnland und Schweden Frontstaaten und potenzielle Kriegsgebiete werden. Trotzki schrieb dazu kurz vor dem Zweiten Weltkrieg in „Krieg und die Vierte Internationale“: „Gerade an Belgiens Beispiel sehen wir jedoch, wie ganz natürlich die formelle Neutralität ersetzt wird durch ein System imperialistischer Abkommen und wie unvermeidlich ein Krieg um die ,nationale Verteidigung‘ zu einem Annexionsfrieden führt.“ Im Falle Helsinkis würden solche „Annexionen“ zweifellos die zehn Prozent seines Staatsgebiets umfassen, die es 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg an die Sowjetunion verloren hat.
Dass die imperialistischen Mächte die Nato-Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens als Möglichkeit betrachten, eine weitere Front im Kriegskurs gegen Russland zu eröffnen, zeigte der Besuch des britischen Premierministers Boris Johnson in den beiden Ländern und der Abschluss gemeinsamer Sicherheitspakte mit Helsinki und Stockholm. Während einer Pressekonferenz im Landsitz des schwedischen Ministerpräsidenten weigerte sich Johnson, die Stationierung von Atomwaffen zum Schutz der Souveränität von Schweden und Finnland auszuschließen. Johnson erklärte, er würde es „sehr ernsthaft“ in Erwägung ziehen, wenn eines der beiden Länder dies fordern würde. „Wir möchten nachdrücklich sagen, dass Großbritannien im Falle einer Katastrophe oder eines Angriffs auf Schweden dem Land in jeder Form helfen wird, die Schweden fordert.“
Angesichts von Russlands Haltung, den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens nicht zu akzeptieren, hat Johnson Großbritannien faktisch zu einem Krieg mit Russland mit unvorhersehbaren Folgen verpflichtet. Beispielhaft für die Fäulnis der demokratischen Herrschaft in Großbritannien und allen imperialistischen Mächten war die Tatsache, dass im Parlament keine Diskussionen über diese gravierenden Ereignisse stattfanden, geschweige denn in der Bevölkerung.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Marin und die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson letzte Woche auf Schloss Meseberg eingeladen, um die Pläne für die Nato-Mitgliedschaft der beiden Länder fertig auszuarbeiten. Nach dem Treffen erklärte er, die beiden Länder könnten auf die Unterstützung Deutschlands zählen, wenn sie der Nato beitreten wollten.
Das US-Militär wiederum hat das bilaterale Ausbildungs- und Kooperationsprogramm mit dem finnischen Militär in den letzten Jahren ausgeweitet. Mit Schweden tauscht Washington seit Jahrzehnten Geheimdienstinformationen aus.
Während Finnlands lange Grenze zu Russland der Nato die Möglichkeit bietet, Provokationen gegen Russland zu inszenieren und schnell St. Petersburg bedrohen zu können, besetzt Schweden eine strategisch wichtige Position an der Westküste der Ostsee. Die Insel Gotland, wo das schwedische Militär im Kalten Krieg jahrzehntelang eine wichtige Militärpräsenz unterhalten hat, liegt nur 300 Kilometer von der russischen Exklave Kaliningrad entfernt, dem Heimathafen von Moskaus Baltischer Flotte.
Mit ihrem Vorstoß für den Beitritt zur Nato nehmen die finnische und die schwedische Bourgeoisie wieder ihre sklavische Unterwürfigkeit gegenüber den reaktionärsten imperialistischen Kräften ein, die sie während der Kriege der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts innehatten. Unmittelbar nachdem die sowjetische Regierung Finnland zum ersten Mal in der Neuzeit die Unabhängigkeit gewährt hatte, ließ die finnische herrschende Elite mit Hilfe deutscher Truppen im Bürgerkrieg Zehntausende von Arbeitern massakrieren. Danach öffneten sie im Russischen Bürgerkrieg das finnische Staatsgebiet für die Militäroperationen von konterrevolutionären weißen Truppen, die von einer imperialistischen Intervention mit dem Ziel unterstützt wurden, die Sowjetregierung zu stürzen und Russland in eine Kolonie zu verwandeln.
Nach Stalins reaktionärem Überfall auf Finnland im Winterkrieg 1939–40, in dem sich die tiefe Feindschaft der Bürokratie gegenüber dem sozialistischen und internationalistischen Programm zeigte, das die Bolschewiki 1917 an die Macht gebracht hatte, stellte sich die herrschende Elite Finnlands an die Seite Hitler-Deutschlands. Finnische Kräfte beteiligten sich am „Unternehmen Barbarossa“, dem Vernichtungskrieg der Nazis gegen die Sowjetunion, der zum Tod von 27 Millionen Menschen und zum Holocaust führte. Die schwedische herrschende Klasse war den ganzen Krieg über eine der wichtigsten Bezugsquellen Nazi-Deutschlands für Rohstoffe, vor allem für Eisenerz.
Mit der Niederlage Hitler-Deutschlands und dem Beginn des Kalten Krieges zwang die Vergangenheit der herrschenden Eliten Finnlands und Schwedens sie dazu, eine blockfreie Neutralitätspolitik zu übernehmen. Vor allem Finnland musste gemäß dem Friedensvertrag mit der Sowjetunion von 1948 neutral bleiben.
Die Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie und die Wiedereinführung des Kapitalismus änderten die politische und geostrategische Lage grundlegend und gaben der finnischen und schwedischen herrschenden Elite die Chance, direktere Militär- und Sicherheitsbeziehungen mit den imperialistischen Mächten zu entwickeln. Ihre Entscheidung zum Nato-Beitritt stellt eine Beschleunigung dieses Prozesses dar und vergrößert die drohende Gefahr, dass der Krieges zwischen der Nato und Russland in der Ukraine auf andere Länder übergreift und außer Kontrolle gerät.