Vor 36 Jahren, im Februar 1986, versammelten sich Millionen von Filipinos auf der Edsa, der Hauptverkehrsader von Manila, und leisteten offenen Widerstand gegen das brutale Regime von Ferdinand und Imelda Marcos. Mutig stellten sie sich den Panzern und der militärischen Macht der Diktatur entgegen, die erst kurz zuvor das Feuer auf Demonstranten eröffnet hatte. Sie forderten die Einsetzung der demokratisch gewählten Corazon Aquino als Präsidentin und den Sturz des verhassten Marcos-Clans, der das Land vierzehn Jahre lang in einer Militärdiktatur regiert hatte. Ein Teil des Militärs wandte sich vom Präsidenten ab, und Washington entzog ihm seine Unterstützung. Die Marcos-Familie floh aus dem Land. Die Ereignisse auf der Edsa wurden als „People Power“ bekannt und stärkten das Selbstbewusstsein der Massen.
Doch nun, am letzten Montag, wurde Ferdinand Marcos Junior zum Präsidenten der Philippinen gewählt. Er hatte mehr als 12 Millionen Stimmen Vorsprung vor dem Zweitplatzierten. Seine Wahlkampagne war darauf ausgerichtet gewesen, das diktatorische Vermächtnis seiner Eltern zu rehabilitieren und das Kriegsrecht als „goldenes Zeitalter“ der philippinischen Geschichte darzustellen. In seinem Kielwasser schwammen offen faschistische Kräfte, darunter eine Partei, die von ehemaligen Polizeichefs geführt wird und staatlich finanzierte antikommunistische Bürgerwehren aufbauen will. Eine andere, die Duterte-Jugend, ist offen der Hitlerjugend nachempfunden – mit schwarzen Uniformen, roten Armbinden und Faschistengruß – und hat sich der gewaltsamen Unterdrückung mutmaßlicher Kommunisten verschrieben.
Millionen Filipinos – viele stimmten für die liberale Oppositionskandidatin Leni Robredo – betrachten das Wahlergebnis mit einem Gefühl nationaler Schande, gemischt mit Verwirrung: Wie war es möglich, dass das verhasste Erbe des Marcos-Clans offenbar von einer Mehrheit ihrer Landsleute unterstützt wurde?
Der Wahlsieger verkörpert den Einfluss des US-Imperialismus auf die Geschichte des Landes unter Bedingungen der globalen Herrschaftskrise des Kapitalismus.
Die letzten 150 Jahre der philippinischen Geschichte waren eine klare, aber tragische Bestätigung von Leo Trotzkis Theorie der permanenten Revolution. Trotzki hatte nachgewiesen, dass die Bourgeoisie in Ländern mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung nicht mehr in der Lage ist, in einer demokratischen Revolution eine fortschrittliche Rolle zu spielen. Aufgaben einer solchen Revolution sind der Sturz der Kolonialherrschaft, die nationale Einigung und die Lösung der Agrarfrage. Die Kapitalistenklasse, die an die imperialistischen Märkte und die Großgrundbesitzer gebunden ist und der wachsenden Arbeiterklasse feindlich gegenübersteht, wendet sich zwangsläufig gegen die Revolution und verrät die Arbeiter und Bauern. Der Kampf für Demokratie setzt einen Kampf gegen die Kapitalisten voraus, und dieser verlangt sozialistische Maßnahmen. Das Schicksal jeder sozialistischen Revolution schließlich hängt von ihrer Ausdehnung auf internationaler Ebene ab.
In den Philippinen kam es zur ersten demokratischen Revolution in Asien. Sie stürzte die spanische Kolonialherrschaft und begründete die kurzlebige Philippinische Republik – mit einer eigenen Verfassung, weitreichenden Rechten und einer Unabhängigkeitserklärung. Die Kapitalistenklasse wandte sich in verschiedenen Phasen immer wieder gegen diese Revolution, ermordete ihre Führer und verkaufte sie aus – zuerst an die Spanier und dann an die Amerikaner.
In einem brutalen Eroberungskrieg, der über 200.000 Filipinos das Leben kostete, wurde die junge philippinische Republik von den Stiefeln des US-Imperialismus zertrampelt. Die Organe der philippinischen Demokratie, wie das Massenwahlrecht und ein öffentliches Bildungswesen, wurden in diesem Blutbad ausgelöscht. Der amerikanische Imperialismus behauptete, die Filipinos seien nicht reif für die Demokratie und bräuchten die „wohlwollende Assimilation“ der Vereinigten Staaten. Die philippinische Elite schloss schnell Frieden mit ihren neuen Herrschern, während sich die philippinischen Massen in einem Krieg, der bis 1907 andauerte, mit Händen und Füßen dagegen wehrten.
Durch die Revolution und ihre Verteidigung schlugen die demokratischen Traditionen tiefe Wurzeln in den philippinischen Massen, vor allem Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung. Der Geist dieser Traditionen wurde jedoch in keiner Urkunde fixiert. Stattdessen stabilisierten die Amerikaner die Herrschaft ihrer Verbündeten in der philippinischen Elite, indem sie eine Verfassung ausarbeiteten, die die Militärdiktatur gesetzlich verankerte und Geschworenengerichte ausschloss.
Die postkolonialen Philippinen waren ein Land mit zwei Demokratien: der demokratischen Tradition der Massen und den formellen parlamentarischen Institutionen der Elite. Zwischen beiden gab es keinerlei organische, historische Verbindung. Die Tradition der Massen drückte sich in den Bauernaufständen der frühen 1950er Jahre aus, in denen die Huk eine Landreform und eine Lösung des Agrarproblems forderten. Die formellen Institutionen dagegen bildeten den Apparat der Herrschenden, denen es darum ging, ihren Besitz zu bewahren. Die formellen Institutionen wurden von Washington wiederholt stabilisiert, indem es Massenbewegungen niederschlug.
Die Institutionen der formellen Demokratie auf den Philippinen sind nicht aus den großen Kämpfen der Massen hervorgegangen, sondern entstanden im Gegensatz zu ihnen. Die Waren, die in Amerikas Schaufenster der „Demokratie“ in Asien feilgeboten wurden, waren nicht echt.
Als die Bauern von Luzon rebellierten, übernahm Edward Lansdale, Leiter der CIA in Asien, die militärische und auch psychologische Kriegsführung, um den Aufstand niederzuschlagen. Er erkor Ramon Magsaysay zum Kandidaten für das Präsidentenamt und sorgte für seine Wahl. Unter Magsaysay wurde der Bauernaufstand blutig niedergeschlagen.
Die Massen bemühten sich, die Aufgaben der Revolution zu lösen. Die Kapitalistenklasse stellte sich immer wieder auf die Seite des US-Imperialismus und der Großgrundbesitzer. Dabei leistete ihnen der Stalinismus unverzichtbare Dienste. Im Interesse der privilegierten nationalen Bürokratie in Moskau schworen die Vertreter des Stalinismus die kommunistischen Parteien auf der ganzen Welt darauf ein, dass ein Teil der Kapitalistenklasse in der demokratischen Revolution eine fortschrittliche Rolle spielen würde. Daher sei es die Aufgabe der Arbeiter, sich mit diesem Teil der Bourgeoisie zu verbünden. Dieses Programm diente den Stalinisten dazu, im Gegenzug für den Verzicht auf die Unterstützung der Arbeiterklasse bessere Beziehungen zu kapitalistischen Regierungen und günstigere Handelsbeziehungen mit ihnen einzuheimsen. Es war ein fundamentaler Verrat an der Arbeiterklasse.
Das Programm des Stalinismus bildete die Grundlage für die Gründung der Partido Komunista ng Pilipinas (PKP) 1930. Entsprechend der Volksfrontpolitik der Moskauer Bürokratie wies die PKP philippinische Arbeiter und Bauern an, die US-Kolonialherrschaft auf den Philippinen zu unterstützen. Denn Washington sei ein Verbündeter im Kampf gegen den Faschismus. Als US-General MacArthur auf die Philippinen zurückkehrte, übergab die Huk-Bauernarmee, die tapfer gegen die japanische Besatzung gekämpft hatte, auf Weisung der PKP ihre Waffen an das US-Militär. Viele der entwaffneten Bauern wurden festgenommen, nicht wenige wurden hingerichtet und in Massengräbern verscharrt. Die Elite, die mit der japanischen Besatzung kollaboriert hatte, wurde rehabilitiert. Ihre Ländereien wurden den Bauern wieder weggenommen und ihnen zurückgegeben.
Gestützt auf Verfassungsklauseln, die von den USA diktiert worden waren, verhängte Ferdinand Marcos 1971 das Kriegsrecht, um die enorm anschwellenden Kämpfe der Arbeiter und Jugendlichen niederzuschlagen, die die kapitalistische Herrschaft bedrohten. So gut wie alle Teile der philippinischen Bourgeoisie, einschließlich Marcos‘ Gegner, waren sich über die Notwendigkeit einer Diktatur einig. US-Präsident Richard Nixon teilte Marcos im Voraus mit, dass die USA – „bis zum Anschlag“ – die Errichtung einer Militärherrschaft unterstützen würden. Als Marcos das Kriegsrecht ausrief, verdreifachte Washington seine Militärhilfe für die Philippinen.
Der Charakter des von Washington finanzierten und ausgebildeten Kriegsrechtsapparats hat sich in das Gedächtnis der älteren Generation eingebrannt: Vom Militär gefolterte Leichen wurden routinemäßig auf Brachflächen rund um Manila entsorgt. Milliarden von Dollar wurden aus den Staatskassen gestohlen. 70.000 Menschen wurden ohne Haftbefehl festgenommen, Tausende verschwanden – Väter oder Mütter, die eines Tages einfach nicht wieder nach Hause kamen.
Als im Februar 1986 die Massenbewegung People Power den verhassten Tyrannen vertrieb, griff Washington im letzten Moment ein. Die Reagan-Regierung erkannte, dass die USA ihre ehemalige Kolonie verlieren würden, wenn sie sich nicht an der Entfernung von Marcos beteiligten. Reagan ließ Marcos wissen, dass es an der Zeit sei das Land zu verlassen. Die Familie Marcos, deren geraubte Milliarden sicher in Schweizer Banken lagerten, wurde mit einem Hubschrauber aus dem Präsidentenpalast geholt und auf Hawaii komfortabel untergebracht.
Dies war ein Wendepunkt in der philippinischen Geschichte. Es war eine revolutionäre Situation. Noch war nichts gefestigt. Im ganzen Land brachen Massenstreiks aus. Doch die Stalinisten von der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) gingen daran, Illusionen in die Aquino-Regierung zu schüren und die kapitalistische Herrschaft zu stabilisieren. (Die CPP hatte in den 1960er Jahren mit der PKP gebrochen, um der Linie von Mao Zedong zu folgen.) Am 1. Mai 1986 trat Jose Maria Sison, Vorsitzender der CPP, gemeinsam mit Präsidentin Aquino und Fidel Ramos, ihrem obersten Militär und Chefarchitekten des Folterregimes der Marcos-Diktatur, auf einer Bühne vor Tausenden von Arbeitern auf. Ein Orchester spielte dazu die Internationale.
Aquino, Leiterin der größten Zuckerplantage des Landes, hatte nicht die geringste Absicht, eine echte Landreform durchzuführen. Als Anfang 1987 Bauern demonstrierten und eine Landreform forderten, eröffnete das Militär das Feuer auf die Demonstranten und tötete zwanzig Menschen.
Die Wiederherstellung der Institutionen der formellen Demokratie war nicht mit realen Reformen verbunden. Das Land öffnete sich für die ersten Wellen der kapitalistischen Globalisierung. Die Reallöhne sanken. Innerhalb von zehn Jahren mussten Arbeiter eine Beschäftigung im Ausland suchen, um für ihre Familien sorgen zu können. Familien wurden auseinandergerissen, und die Lebensbedingungen verschlechterten sich.
Im Laufe von dreißig Jahren trat die innere Fäulnis der liberalen Demokratie immer deutlicher hervor. Immer wieder stabilisierten die Stalinisten die kapitalistische Herrschaft und schürten Illusionen in die eine oder andere Fraktion der Elite. 2016 unterstützten sie begeistert den Faschisten Rodrigo Duterte und gaben seine vulgäre, unbeständige, brutale Politik als die Politik der Linken aus.
Die Wahl von Ferdinand Marcos Jr. ist der Höhepunkt dieses Prozesses und bringt eindeutig globale Entwicklungen zum Ausdruck. Auf der ganzen Welt ist zu beobachten, wie vor dem Hintergrund einer immensen sozialen Krise rechtsextreme und autoritäre Kräfte anwachsen und der demokratische Liberalismus verrottet.
Das ist ein zusammenhängender globaler Prozess. Die Wahl von Rodrigo Duterte im Mai 2016 ging der von Donald Trump um ein halbes Jahr voraus. Beide Männer legten eine vulgäre Verachtung für die Grundnormen der Demokratie an den Tag und strebten die Position eines Tyrannen an. Ein Jahr vor der Wahl von Marcos Jr. versuchte Trump, sich durch einen faschistischen Putsch an der Macht zu halten. Anfang dieses Jahres erklärte Joe Biden, er sei nicht sicher, ob die Institutionen der amerikanischen Demokratie am Ende des Jahrzehnts noch bestehen würden.
Die Parteien des demokratischen Liberalismus waren für diese Entwicklungen von entscheidender Bedeutung. Wenn offen faschistische Kräfte gegen die Tür der Demokratie schlagen, rollt ihnen der Liberalismus den roten Teppich aus. Es war die Liberale Partei unter ihrer Vorsitzenden Robredo, die Duterte zu einer nationalen Persönlichkeit der philippinischen Politik machte.
Die vergangenen sechs Jahre der Präsidentschaft von Rodrigo Duterte waren Jahre einer brutalen Reaktion, die durch die Ermordung von fast 30.000 armen Filipinos im Namen eines Kriegs gegen Drogen gekennzeichnet waren. Robredo stellte in ihrem Wahlkampf in Aussicht, sie werde Dutertes Drogenpolitik fortsetzen, sich aber nicht ausschließlich auf das Töten konzentrieren. Auch erklärte sie ihre Absicht, die von Duterte geschaffene antikommunistische Task Force weiterzuführen, einen Apparat der mörderischen Kommunistenhatz. Alles in allem versprach sie eine gemäßigte, höflichere Version der repressiven Politik ihres Vorgängers.
Die Demokratische Partei in den Vereinigten Staaten bemüht sich nach Kräften um gute Beziehungen zu den republikanischen Verschwörern, die den faschistischen Putschversuch vom 6. Januar 2021 organisierten. Donald Trump – der Mann, der versucht hat, die amerikanische Demokratie zu stürzen – reist im Land umher und hält Reden, ohne dass die Biden-Regierung einschreitet. Die Demokraten stehen vor einer verheerenden Niederlage bei den Wahlen 2022. Und doch werden sie nichts unternehmen, um Massen von Wählern zu mobilisieren.
Ähnliche Entwicklungen spielen sich in Frankreich, Brasilien, Großbritannien, Indien und Deutschland ab. Treibende Kraft dieses globalen Prozesses ist die fortgeschrittene Krise des Weltkapitalismus. Inflation und Krieg haben die Preise für lebenswichtige Güter in die Höhe getrieben. Über 20 Millionen Menschen sind in der Pandemie gestorben, weil die Regierungen in ihrer Entschlossenheit, die Profitwirtschaft zu verteidigen, keine elementaren Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus verhängt haben. Für einen Großteil der Weltbevölkerung sind die Lebensbedingungen unerträglich geworden.
Um Massenunterstützung zu mobilisieren, müssten diese sozialen Probleme, für die die liberalen Demokraten keine Lösung haben, substantiell angegangen werden. Aber in den Vereinigten Staaten gibt es für diese Leute kein anderes Thema als Identität, Geschlecht und den Krieg in der Ukraine. Auf den Philippinen erfüllt die „saubere Regierung“ diese Ablenkungsfunktion.
Auf dieser Hefe gedeihen die extremen Rechten. Die populistischen Lügen von Marcos, seine Versprechungen einer Rückkehr in ein goldenes Zeitalter, fanden Anklang bei der unteren Mittelschicht und den Armen, die von den Überweisungen arbeitender Familienangehöriger im Ausland abhängig sind. Diese Schichten – Marktverkäufer, kleine Ladenbesitzer – sahen in keinem Kandidaten eine Alternative. Keiner bot eine Lösung für die schrecklichen Zustände, unter denen sie leben müssen. Marcos lieferte ihnen einen Sündenbock, die liberale Demokratie, und einen Ausweg, das Kriegsrecht.
Die liberalen Parteien der kapitalistischen Demokratie haben nichts Fortschrittliches mehr zu bieten. Sie verteidigen nicht einmal mehr die Errungenschaften der Vergangenheit. Gerade wird in den USA das Recht auf Abtreibung abgeschafft; andere Rechte werden bald folgen.
Wir sind Zeugen des Todesröchelns der Demokratie. Sie wurde durch die soziale Ungleichheit derart ausgehöhlt, dass nicht einmal mehr formale Gleichheit möglich ist. Die Wahl von Marcos ist ein Meilenstein in diesem globalen Prozess. Marcos repräsentiert die nackte Herrschaft der Reaktion, stellt eine Diktatur in Aussicht und zieht Faschisten und politischen Abschaum in sein Gefolge.
Die wirkliche Verteidigung demokratischer Rechte setzt ein Programm voraus, das die sozialen Übel angeht, die ihre Grundlagen zersetzen. Der Kampf zur Verteidigung der Demokratie muss zum Kampf für den Sozialismus werden.
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