Weit verbreitete Antikriegsstimmung auf 1. Mai-Demonstrationen

Arbeiter und Jugendliche nutzten die traditionellen Maikundgebungen des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), um gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung und die Gefahr eines Dritten Weltkriegs zu protestieren. Vor allem die gigantische Aufrüstung der Bundeswehr und die Lieferung von Panzern und anderen schweren Waffen an die Ukraine wurden heftig kritisiert.

Auf der Kundgebung in Düsseldorf wurde Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als „Kriegstreiber“ niedergeschrien, in Berlin die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) mit Eiern beworfen.

Weil in zwei Wochen in Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten und stark industrialisierten Bundesland, Landtagswahlen stattfinden, hatte der DGB den Bundeskanzler als Hauptredner in die Landeshauptstadt Düsseldorf geladen. Scholz wollte eine demagogische Rede halten, um den Endspurt des Landtagswahlkampfs einzuleiten.

Er pries den 1. Mai als „Tag der internationalen Solidarität“, um dann zu erklären, der „gemeinsame Kampf für Demokratie, Freiheit und Frieden“ erfordere die uneingeschränkte Unterstützung der Ukraine. Neben Geld und humanitärer Hilfe seien dafür auch Waffenlieferungen notwendig.

Die Stimmung gegen Scholz und den Kriegskurs der Ampelkoalition war auf der Kundgebung von Anfang an feindlich. Während viele DGB-Funktionäre, die als Statisten abkommandiert waren, die Worte des Kanzlers kaum verfolgten, wurden Buh-Rufe und der Ruf „Kriegstreiber“ immer lauter. Auf selbstgemalten Schildern und Transparenten stand: „Atomkrieg – Spinnt ihr???“, „Deeskalieren statt provozieren!“, „Olaf Scholz – nicht mein Kanzler“ und immer wieder „Kriegstreiber!“.

Scholz, der seine Reden normalerweise mit dem Charisma eines Bürovorstehers leise abliest, reagierte wild und aggressiv. Er versuchte, seine Gegner niederzuschreien, und brüllte zurück: „Ich respektiere jeden Pazifismus. Aber es muss einem Bürger der Ukraine zynisch vorkommen, wenn ihm gesagt wird, er solle sich gegen die Putinsche Aggression ohne Waffen verteidigen. Das ist aus der Zeit gefallen.“

Scholz Auftritt in Düsseldorf machte deutlich, dass die Regierung dem wachsenden Druck von unten nicht nachgeben, sondern ihn aggressiv und gewaltsam unterdrücken wird. Die Düsseldorfer Polizei ermittelt inzwischen wegen grober Störung der Versammlung gegen unbekannt. Um die Zwischenrufer zu identifizieren, wertet sie Videoaufzeichnungen aus.

Ähnlich wie in Düsseldorf war die Stimmung auf der zentralen Kundgebung in Berlin. Dort richtete sich die Opposition nicht nur gegen die Bundesregierung, sondern vor allem gegen die Berliner Landesregierung. Sie hat vor wenigen Wochen einen neuen Haushalt verabschiedet und massive Sparmaßnahmen beschlossen. Die Regierung aus SPD, Grünen und Linkspartei senkt den Etat von mehr als 40 Milliarden Euro auf 36,4 in diesem und 35,7 Milliarden im kommenden Jahr. Gespart wird vor allem an dem ohnehin völlig maroden Schulsystem und im Gesundheitsbereich.

Auch ein Wahlkampfauftritt von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Abend zuvor in Ahrensburg bei Hamburg wurde von Demonstranten lautstark gestört. In Schleswig-Holstein finden schon kommenden Sonntag Landtagswahlen statt. Vorwiegend Jugendliche attackierten Baerbock mit Sprechchören und bezeichneten sie als „Kriegstreiberin“. Zuvor war in Lübeck eine Wahlkampfveranstaltung mit Baerbock sicherheitshalber abgesagt worden. Unbekannte hatten dort Buttersäure versprüht.

Der DGB und seine Einzelgewerkschaften stehen uneingeschränkt hinter der Kriegspolitik der Bundesregierung und der Sparpolitik der Länder. Zwei Tage nachdem Bundeskanzler Scholz im Bundestag ein 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramm und Waffenlieferungen an die Ukraine angekündigt hatte, veröffentlichten die IG Metall und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) eine gemeinsame Erklärung, in der sie „mit Nachdruck“ die Sanktionsmaßnahmen gegen Russland unterstützten.

Sie kennen aber auch die wachsende Kriegsopposition in Betrieben und Verwaltungen, im Sozialbereich, in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Kindergärten und Schulen. Ihr dichtes Netz von Vertrauensleuten hält sie darüber auf dem Laufenden.

Sie sehen ihre Aufgabe darin, diese Opposition zu unterdrücken. Deshalb übten sie sich auf den Mai-Kundgebungen in der Quadratur des Kreises. Sie schafften es, in ein und derselben Rede den Frieden zu beschwören und das größte Aufrüstungsprogramm seit Hitler zu unterstützen.

DGB-Chef Reiner Hoffmann sagte auf der Kundgebung am Brandenburger Tor: „In der kommenden Woche begehen wir wieder den 8. Mai. Dieser Tag der Befreiung steht für uns als Symbol für das Ende der Terrorherrschaft der Nazis und der Gräuel des Zweiten Weltkriegs. Nie wieder Krieg! Das ist für uns die zentrale Lehre aus dieser schrecklichen Vergangenheit.“

Der russische Angriff auf die Ukraine, fuhr Hoffmann fort, lasse derart „sicher geglaubte Gewissheiten ins Wanken geraten“. Angesichts der „militärischen Konfrontation Putins“ sei es notwendig, „eine neue gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur der Zukunft“ aufzubauen. „Ohne Frage steht die deutsche Bundesregierung – stehen wir alle – in der Verantwortung, einen substanziellen Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit im Rahmen der EU und der NATO zu leisten.“

„Deshalb bleibt es dabei: Wir sagen Nein zur massiven Aufrüstung!“ behauptete er dann. Die dauerhafte Erhöhung des Rüstungshaushalts auf das Zwei-Prozent-Ziel der NATO sei nicht hinnehmbar. Dieses Geld werde dringend für „Zukunftsinvestitionen in eine gerechte Gestaltung der sozialökologischen Transformation“ gebraucht. Militärische Sicherung dürfe niemals mit sozialer Unsicherheit erkauft werden.

Schließlich machte der DGB-Chef unverhohlen klar, dass die Opposition gegen Krieg mit heftigen Lohnkämpfen zusammenkommen werde und daher alles getan werden müsse, um den Klassenkampf unter Kontrolle zu halten und zu unterdrücken.

Er warnte vor den Auswirkungen der Inflation. Die Energiepreise seien in „schwindelerregende Höhen“ gestiegen und für viele nicht mehr bezahlbar. Die von der Bundesregierung beschlossenen „Energie-Entlastungspakete“ seien notwendig aber nicht ausreichend. Große Tarifkämpfe stünden bevor „für über zehn Millionen Beschäftigte“. Und das unter Bedingungen, wo jeder wisse, dass in diesen Wochen 70 Milliarden Euro Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet werden.

Die DGB-Parole zum diesjährigen 1.Mai lautet: „Zukunft geMAInsam gestalten!“ Dieser Appell zur Gemeinsamkeit richtet sich nicht an die Arbeiterinnen und Arbeiter, sondern an die Unternehmer und die Regierung.

Die Gewerkschaften reagieren auf die wachsende Opposition gegen Krieg und gegen den Abbau von Löhnen, Sozialstandards und Arbeitsplätzen, indem sie enger mit der Regierung zusammenrücken. Alle Gewerkschaftsvertreter, die auf den mehr als 400 Kundgebungen sprachen, beschworen das enge Bündnis mit der Regierung und die intensive Partnerschaft mit Unternehmen und Arbeitgeberverbänden.

Die Gewerkschaften sind untrennbarer Bestandteil der Kriegskoalition. Sie verbreiten die verlogene Kriegspropaganda der Regierung und der Medien, die die Verantwortung für den Krieg ausschließlich Putin zuweisen und die russische Bevölkerung dafür in Geiselhaft nehmen. Den gutverdienenden Bürokraten in den Gewerkschaftszentralen lehnen es ab, sich Putins reaktionärem Einmarsch in die Ukraine auch auf einer prinzipiellen, linken Grundlage zu widersetzen, die sich auch gegen die Nato, den Hauptkriegstreiber, richtet.

Der Aufbau unabhängiger Aktionskomitees gewinnt jetzt große Bedeutung, um den wachsenden Widerstand gegen soziale Angriffe, gegen die Durchseuchung mit Corona und gegen die Gefahr eines Dritten Weltkriegs miteinander zu verbinden und eine globale Gegenoffensive einzuleiten.

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