Die Folgen der Pandemie und der Sanktionen gegen Russland haben weltweit zu einem explosionsartigen Anstieg der Preise geführt. Während Manager und Reiche weiterhin absahnen, tragen die arbeitende Bevölkerung und die Ärmsten die Kosten der Inflation. Die Folge ist eine Verschärfung des internationalen Klassenkampfs.
In Deutschland ist die jährliche Inflation im März auf 7,3 Prozent gestiegen. Es handelt sich um den höchsten Preisanstieg seit dem Iran-Irak-Krieg 1981. Die Inflation wird vor allem durch den Ukraine-Krieg angefeuert, der die Preise für Gas, Heizöl und Benzin explodieren lässt. Im Februar hatte Inflationsrate noch 5,1 Prozent betragen. In einigen Bundesländern ist sie noch höher. In Nordrhein-Westfalen liegt sie bei 7,8 und in Hessen bei 8,0 Prozent.
Die Zahlen beruhen auf ersten Schätzungen des Statistischen Bundesamts. Ihre genauere Untersuchung zeigt, dass vor allem die Preise für Lebensmittel, Energie und andere Dinge des täglichen Bedarfs weit überproportional angestiegen sind. So verteuerten sich Speisefette und Pflanzenöle um 19,7, Gemüse um 14,2 und Brot um 7 Prozent.
Dazu kommt, dass der Discounter Aldi und andere Lebensmittelketten, die bereits in den letzten Wochen die Preise für wichtige Lebensmittel erhöht hatten, eine neue Runde von Preissteigerungen im zweistelligen Bereich angekündigt und teilweise bereits zum 4. April umgesetzt haben. Butter wird bei Aldi etwa 30 Prozent teurer, bei anderen Lebensmitteln wie Fleisch, Wurst und Milchprodukten beträgt der Anstieg 20 bis 50 Prozent.
Die Preise für Benzin oder Diesel sind auf weit über 2 Euro je Liter gestiegen. Dabei haben auch die Mineralölkonzerne kräftig abgesahnt. Die Tagesschau berichtete vor zwei Wochen, „dass der Überschuss – also die Summe, die die Firmen einstreichen abzüglich Rohölkosten und Steuern – zuletzt massiv gestiegen ist. Während Anfang Februar der Überschuss bei rund 29 Cent je Liter Diesel lag, stieg der Anteil Mitte März auf bis zu 68 Cent.“ Der Bericht stützt sich auf Daten der Markttransparenzstelle für Kraftstoffe des Bundeskartellamts, die vom Portal Benzinpreis.de aufbereitet wurden.
Besonders drastisch war der Preisanstieg beim Heizöl. Hier war der Preis bereits vor Ausbruch des Kriegs in der Ukraine auf Höchststände geklettert, nun hat er sich praktisch verdoppelt. Er lag im März 99,8 Prozent höher als im Vorjahr, im Februar waren es „nur“ 37,7 Prozent gewesen. Benzin und Diesel haben sich um 49,1 Prozent verteuert, Gas für Verbraucher um 30,1 Prozent.
Die drastischen Preiserhöhungen betreffen die arbeitende Bevölkerung und die Ärmsten in der Gesellschaft besonders hart. Reichte es vorher kaum zum Leben, kommen nach den Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Dingen des täglichen Bedarfs und Energie Millionen Arbeiter und ihre Familien nicht mehr über den Monat. Oft verdienen sie nicht genug, um jeden Tag ausreichend Essen auf den Tisch zu stellen.
Die hohen Energiekosten führen dazu, dass Niedrigverdiener, Hartz IV-Empfänger, Rentner, Studierende und Grundeinkommensbezieher ihre Mieten und Nebenkosten nicht mehr bezahlen können und von Obdachlosigkeit bedroht sind. Im Schnitt geben deutsche Haushalte 37 Prozent ihres Nettoeinkommens für Wohnen und Energie aus, bei einem monatlichen Haushaltseinkommen unter 1300 Euro sind es bis zu 50 Prozent.
Die Inflation war bereits vor dem Ukrainekrieg stark angestiegen. Die gewaltigen Summen, mit denen die Bundesregierung und die Europäische Zentralbank die Börsenkurse und die Vermögen der Reichen in schwindelerregende Höhen trieben, während die Arbeitseinkommen sanken und weltweit 20 Millionen Menschenleben der Pandemie geopfert wurden, schlugen in inflationäre Tendenzen um. Die pandemiebedingte Unterbrechung von Lieferketten sowie die Sanktionen gegen Russland haben dies beschleunigt. Die Arbeiterklasse soll jetzt dafür bezahlen.
Eine entscheidende Rolle beim Abwälzen der Kosten auf die Arbeiterklasse spielen die Gewerkschaften. Sie haben bereits in den letzten Jahren Tarifabschlüsse unter der Inflationsrate abgeschlossen, die die Reallöhne senken. Um Arbeitskämpfe für höhere Löhne zu verhindern, haben sie oft eine Laufzeit von mehreren Jahren vereinbart.
Auch jetzt haben die Gewerkschaften sofort reagiert, um einen Inflationsausgleich zu verhindern. In der Chemie- und Pharmaindustrie hat die Gewerkschaft IG BCE die anstehenden Tarifverhandlungen schlichtweg um ein halbes Jahr verschoben. Erst im Oktober sollen die Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag beginnen.
Als „Brückenlösung“ hat die Gewerkschaft mit dem Bundesarbeitgeberverband Chemie eine Einmalzahlung von 1400 Euro vereinbart. Dies entspricht aufs Jahr umgerechnet lediglich einer Erhöhung um 5,3 Prozent und fließt nicht in die Tariflöhne ein, auf deren Basis die nächste Lohnerhöhung erfolgt. „Real büßen die Beschäftigten derzeit kräftig an Einkommen ein,“ kommentiert die Frankfurter Allgemeine.
Laut der Zeitung hat das „Signalwirkung“. Auch andere Tarifparteien könnten so verfahren: „Die Pauschale besänftigt die Mitarbeiter, die aktuell unter hohen Energiepreisen ächzen und sie gibt den Arbeitgebern finanzielle Flexibilität, bürden sie sich doch keine langfristigen Tarifsteigerungen auf.“
Gleichzeitig deutet vieles darauf hin, dass die Inflation noch längst nicht ihren Gipfelpunkt erreicht hat.
Laut einer aktuellen YouGov-Umfrage im Auftrag der Postbank machen sich immer mehr Menschen wegen der hohen Inflation existenzielle Sorgen. Über 15 Prozent der Erwachsenen in Deutschland können nach eigenen Angaben kaum noch ihre Lebenshaltungskosten bestreiten. Bei der Vergleichsumfrage im Januar hatten noch 11 Prozent angegeben, dass die hohe Inflation ihre Existenz bedrohe.
23,6 Prozent der Befragten mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen unter 2500 Euro geben inzwischen an, sie seien wegen gestiegener Preise kaum noch in der Lage, die regelmäßigen Ausgaben zu stemmen. Im Januar waren es noch 17 Prozent gewesen.
„Die Einkommen können mit der allgemeinen Teuerung kaum schritthalten,“ kommentiert Postbank-Chefvolkswirt Marco Bargel. „Während die Löhne und Gehälter im Vorjahresvergleich zuletzt um 3,6 Prozent gestiegen sind, erhöhten sich die Lebenshaltungskosten um 7,3 Prozent. Vom Realeinkommensverlust sind auch Haushalte mit einem mittleren Einkommen betroffen.“
Laut der YouGov-Umfrage sind 53,4 Prozent wegen der steigenden Preise für Waren und Dienstleistungen sehr beunruhigt. Im Januar waren es noch 44 Prozent gewesen, ein Anstieg um fast zehn Prozent innerhalb von drei Monaten. Ökonomen rechnen nicht mit einem Rückgang der Teuerungsraten in den nächsten Monaten. „Auf kurze Sicht könnte die Inflation wegen der hohen Energiepreise von hohem Niveau aus weiter ansteigen,“ sagt Bargel.
61,3 Prozent der Befragten wünschen sich angesichts der steigenden Inflation eine höhere staatliche Unterstützung. Das von der Bundesregierung beschlossene „Entlastungspaket“ reiche nicht aus, um die Folgen der Inflation zu mildern.
Die Ampelkoalition hat beschlossen, die Energiesteuer für drei Monate zu senken, um Benzin und Diesel günstiger zu machen. Berufstätige sollen einmalig 300 Euro Energiezuschuss auf ihr Bruttogehalt und Familien pro Kind einen Bonus von 100 Euro auf den Kinderfreibetrag erhalten. Das ist für die Begünstigten weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein. Millionen Hartz IV-Empfänger, Rentner, Studierende und Arme gehen dagegen so gut wie leer aus.
Auch die Lebensmittel-Tafeln, die arme Menschen mit gespendeten Lebensmitteln unterstützen, geraten an ihre Grenzen. Die Zahl der Menschen, die Unterstützung brauchen, hat sich teilweise verdoppelt. Zu den Opfern der Inflation kommen Flüchtlinge aus der Ukraine hinzu. Gleichzeitig geht die Menge der Lebensmittelspenden zurück, weil Supermärkte weniger Waren abgeben.
Der Spiegel berichtet von einer Studie der Beratungsfirma Deloitte, die mehrere Szenarien der künftigen Entwicklung durchgespielt hat. Sie gelangt zum Schluss, dass der Krieg in der Ukraine bereits jetzt spürbare Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft hat, die nur überschaubar bleiben, falls die Waffen bald ruhen. Es sieht aber nicht nach einem baldigen Kriegsende aus. Die Nato-Mächte tun alles, um den Krieg zu verschärfen.
„Dauerten die Kämpfe in der Ukraine und der Konflikt mit dem Westen bis zum Herbst an, sei nur noch mit 2,3 Prozent Wachstum und mit 5,1 Prozent Inflation zu rechnen. Vor allem anhaltend hohe Energiepreise sowie gestörte Lieferketten würden die wirtschaftliche Erholung von der Coronapandemie bremsen und die Preise treiben,” heißt es in dem zweiten Szenario von Deloitte.
Für den Fall, dass der Krieg bis weit ins Jahr 2023 andauert, rechnet Deloitte nur mit 0,6 Prozent Wirtschaftswachstum und einer Inflation von 8,3 Prozent. Das wäre dann nahe an einer Stagflation. So stark seien die Preise seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gestiegen, so das dritte Szenario.
Die Auswirkungen eines sofortigen Lieferstopps von Gas und Öl aus Russland hat Deloitte nicht berechnet. Sie seien kaum zu modellieren, weil es dazu keine Erfahrungswerte und wenig historische Daten gebe, sagte Deloitte-Chefvolkswirt Alexander Boersch dem Spiegel. Eine Rezession sei aber wahrscheinlich. Dies würde Massenentlassungen und Massenarbeitslosigkeit bedeuten.
In vielen Ländern der Welt hat die Arbeiterklasse mit Massenprotesten und Hungeraufständen auf den explosionsartigen Anstieg der Inflation reagiert, so in Tunesien, dem Sudan, Peru und Sri Lanka. In Sri Lanka ist deshalb die Regierung zurückgetreten. Diese Kämpfe müssen international vereint und mit einer sozialistischen Perspektive bewaffnet werden.