Der folgende Bericht basiert auf Artikeln von Robert Stevens und anderen Mitgliedern der Socialist Equality Party in Großbritannien.
In einer beispiellosen Eskalation des Klassenkampfs hat die Reederei P&O Ferries am Donnerstag, den 17. März, die gesamte, 800-köpfige Besatzung ihrer Fähren fristlos entlassen. Alle Schiffe wurden am Pier vertäut und der gesamte Fährbetrieb kurzerhand eingestellt. Seither nimmt P&O Ferries nach und nach den Betrieb mit neuen Leiharbeitern wieder auf, die zu absoluten Billigstlöhnen schuften müssen.
P&O Ferries ist ein Unternehmen des Container- und Logistikkonzerns DP World mit Sitz in Dubai, Katar. Die Fähren verkehren auf den vier Strecken Dover-Calais, Hull-Rotterdam, Liverpool-Dublin und Cairnryan (Schottland)-Larne (Nordirland). Eine weitere Strecke zwischen Hull und Seebrügge (Belgien) wurde aus Kostengründen im Januar 2021 eingestellt.
P&O Ferries bedient einen Großteil des Passagierverkehrs und etwa 15 Prozent des gesamten Frachtaufkommens in und aus Großbritannien. Vor der Pandemie waren das über 10 Millionen Passagiere pro Jahr. Die Reederei begründet die Entlassungsaktion mit Verlusten in Höhe von rund 250 Millionen Pfund aus den letzten zwei Corona-Jahren.
Allerdings hat das Unternehmen noch während der Pandemie Boni über Hunderte Millionen Pfund an seine Direktoren ausgezahlt. Es hat sich an den Rettungspaketen des britischen Staats bedient, die durch die Steuerzahler finanziert wurden. Der Mutterkonzern DP World gehört einer Investmentgesellschaft des Emirats von Katar und wird von dem Milliardär Sultan Ahmed bin Sulayem geleitet. Für das Geschäftsjahr 2021 hat DP World einen Umsatz von über 10 Milliarden US-Dollar und einen Reingewinn von 896 Millionen US-Dollar (816 Millionen Euro) gemeldet.
Schon am Samstag, zwei Tage nach den Entlassungen, nahmen die P&O-Fähren auf der Strecke Liverpool-Dublin ihre Fahrten wieder auf. P&O soll Ersatzarbeitskräfte aus Indien, den Philippinen und der Ukraine dafür angeheuert haben. Laut Informationen der Gewerkschaft Rail, Maritime and Transport (RMT) sollen philippinische Seeleute dort zu einem Grundlohn von 3,47 US-Dollar (3,15 Euro) pro Stunde arbeiten. Von der Besatzung einer P&O-Fähre in Dover heißt es sogar, dass dort indische Seeleute zu einem Stundenlohn von 2,38 US-Dollar (2,18 Euro) arbeiten. Der britische Mindestlohn beträgt für Arbeiter über 23 Jahren 8,91 Pfund (10,68 Euro).
Am 17. März informierte P&O Ferries die Besatzungen mittels einer Zoom-Videobotschaft von drei Minuten, dass sämtliche Crews mit sofortiger Wirkung entlassen seien, und dass ein Drittunternehmen sie ersetzen würde. Am Pier stand derweil schon Security-Personal in Sturmhauben bereit, ausgerüstet mit Handschellen, um die Schiffe zu entern und die Entlassenen rauszuschmeißen. Wie der Daily Mail berichtete, hatte man den Sicherheitsleuten gesagt, dies sei „ein Job für eine Woche mit einem Stundenlohn von 14,50 Pfund“.
Eine Frau, deren Mann und Sohn ihre Arbeit in Dover auf diese Weise verloren, sagte der Presse: „Als P&O heute Morgen die Fahrten einstellte, warteten die Besatzungen auf den Schiffen, ohne zu wissen, was los war – selbst die Kapitäne wussten es nicht (…) Dann sagte man ihnen, sie hätten fünf Minuten Zeit, ihre Sachen zu packen und vom Schiff zu gehen. Das sind Leute, die jeweils eine ganze Woche arbeiten, und die Hälfte des Jahres ist das Schiff ihr Zuhause. Sie haben persönliche Gegenstände in den Schließfächern, an die sie aber nicht mehr herankamen: Kleidung, Bettzeug, Fotos, etc. Alles wird jetzt ausgeräumt und weggeschmissen, einschließlich der Papiere, die teilweise wichtige Finanzunterlagen enthalten.“
Dies bestätigte ein P&O-Crewmitglied namens Michael gegenüber der WSWS. Michael sagte „Das wird enorme Auswirkungen haben. Ich habe eine Familie zu Hause, Rechnungen zu bezahlen, Schulden zu begleichen, wie jeder andere auch, und alles wird teurer. Diese Schiffe waren unser Zuhause. Wir haben unser halbes Leben auf ihnen verbracht. Wir haben noch persönliche Gegenstände auf den Schiffen (…) Es gibt schon jetzt sehr wenig Arbeit. Wir müssen jetzt kämpfen. Das kann nicht hingenommen werden.“
Als Ersatz für die entlassenen Crews brachte die Reederei kurzfristig angeworbene Leiharbeiter an Bord der Fähren. Ihnen wurde vorher nicht gesagt, was für ein Einsatz das sein würde. Einer der Leiharbeiter, der Australier Mark Canet-Baldwin, der in Hull wohnt, berichtete der BBC darüber. Nach einer „mysteriösen Bustour“ von Glasgow nach Cairnryan wurde ihm und seinen Kollegen erst am P&O-Dock in Schottland klar, worum es ging. Sie weigerten sich und verließen den Hafen, und Mark sagte: „Ich könnte meinen Kindern sonst nicht mehr in die Augen schauen, wenn ich so etwas mitmachen würde.“
Die P&O-Crews verließen die Fähren keineswegs freiwillig. In Dover weigerten sich viele, die Schiffe zu verlassen, und andere blieben am Pier in Gruppen stehen. Arbeiter blockierten die Straße und sprachen mit LKW-Fahrern, die in langen Staus auf eine Überfahrt warteten. Schließlich wurden sie von Security mit Polizeiverstärkung weggedrängt.
In Hull zog der Kapitän der Fähre „Pride of Hull“ die Gangway hoch und weigerte sich erst lange, Security oder Polizisten auf das Schiff zu lassen. Auch im nordirischen Larne setzte sich die ganze Crew zu einem Sit-in hin, ehe die Männer am Ende doch gezwungen wurden, das Schiff zu verlassen.
Ein Crewmitglied der „Pride of Hull“ berichtete später der WSWS, dass man den Seeleuten gedroht habe, sie würden ihre sämtlichen Ansprüche auf jede Art von Abfindung verlieren, wenn sie sich weigerten, von Deck zu gehen. Mehrmals kam es zu Szenen, wie man sie seit den massiven Polizeieinsätzen gegen streikende Bergleute und streikende Drucker im Jahr 1985 in Großbritannien nicht mehr gesehen hat.
Am Freitag, unmittelbar nach den Entlassungen, protestierten hunderte wütender Arbeiter in den Häfen von Dover, Hull, Liverpool und Larne gegen die fristlosen Entlassungen durch P&O. „Beschlagnahmt die Schiffe!“ riefen die Demonstrierenden, und: „Wessen Schiffe? Unsere Schiffe!“ Am Montag und Dienstag gingen die Proteste weiter. Eine Demonstration zog von der Londoner DP Word-Zentrale durch die Stadt vor das Parlament in Westminster.
Zu den Protestaktionen hatten die Gewerkschaften Rail, Maritime and Transport (RMT) und der kleinere Berufsverband Nautilus International, sowie die Labour Party aufgerufen. Die Bürokraten versuchten sofort, die Proteste in ein übles nationalistisches Fahrwasser zu lenken. Sie konzentrierten sich völlig auf die Tatsache, dass ein in Dubai ansässiges Unternehmen britische Arbeiter entlassen habe, um ausländische Arbeitskräfte anzuheuern. Gleichzeitig appellierten sie an die Regierung Johnson, im Interesse der Seefahrernation Großbritannien die Reederei notfalls zu verstaatlichen. Dies wies die Johnson-Regierung sofort als „nicht machbar“ weit von sich.
In Dover trat die lokale Abgeordnete der Konservativen, Natalie Elphicke, vor den Arbeitern auf und stellte sich hinter ein Transparent mit der Aufschrift „Rettet die britischen Fähren“. P&O-Beschäftigte ließen sie nicht zu Wort kommen und skandierten lautstark: „Wir hassen die Tories, wir sind die Tory-Hasser.“ Arbeiter riefen: „Ihr steht auf deren Seite!“, „Ihr steht für fire and rehire“, und „Schämt euch!“
Um die anwesenden Politiker vor der Wut der Arbeiter in Schutz zu nehmen, sprang der RMT-Vorsitzende Mick Lynch in die Bresche und behauptete: „Was wir jetzt brauchen, ist eine Aktion quer durch das politische Spektrum.“ Er erklärte, das rabiate Vorgehen von P&O habe Politiker der Labour Party, der Tories und sogar der Democratic Unionist Party zur Verteidigung der Arbeiter zusammengebracht: „Heute wollen wir diese Einheit unterstützen, egal woher jemand kommt.“
Der Dachverband der britischen Gewerkschaften TUC und die Labour Party stehen uneingeschränkt hinter der nationalistischen Parole: „Rettet die britischen Fähren“. Die Bürokraten jammern bloß, dass das Vorgehen von P&O „nicht die feine englische Art“ sei. Jeremy Corbyn, ehemaliger Labour-Vorsitzender, forderte auf der Londoner Kundgebung die Johnson Regierung auf, den Kampf gegen DP World aufzunehmen. Er prahlte: „Wenn sie es nicht tun wollen, dann werden wir [die Labour Party] das tun.“
Dieser Nationalismus dient lediglich dazu, die Arbeiterklasse zu spalten und in die Sackgasse des Parlamentarismus und der „nationalen Einheit“ zu führen. In der Schifffahrtsindustrie, wo große Teile der Crews aus Indien, den Philippinen und den osteuropäischen Ländern stammen, ist er doppelt reaktionär.
Viele Arbeiter hatten erwartet, dass die Kundgebungen zu einer Blockade des Hafens führen würden. In Dover skandierten sie auf dem Marsch vom Maritime House zu den Docks: „Seize the ships!“ (Beschlagnahmt die Schiffe).
In Hull warf eine P&O-Arbeiterin im Gespräch mit der WSWS die Frage auf: „Wo sind die Streikposten? Wir müssen streiken. Wir brauchen eine Urabstimmung. Alle, die an der Küste arbeiten, müssen mit diesen Besatzungen gemeinsam in den Streik treten. Man muss es ihnen nur sagen.“
Die Gewerkschaftsführer weigerten sich jedoch, irgendwelche Streikaktionen zu organisieren, und vertrösten die Arbeiter auf die Abgeordneten in Westminster. In Dover wurde der Protest vor der P&O-Zentrale für beendet erklärt, und ähnlich war es auch in den anderen Häfen. Obwohl die Reederei mehrfach rechtswidrig handelte, haben weder die große Gewerkschaft RMT noch Nautilus International ihre Mitglieder zum Arbeitskampf aufgerufen.
Der Grund ist, dass nicht nur die Tory-Regierung von Boris Johnson, sondern auch die Labour- und Gewerkschaftsführer mit Reedereien wie P&O und ihrem Mutterkonzern eng zusammenarbeiten. Im Interesse der britischen Wirtschaft unterstützen sie die Schaffung superprofitabler Freihandelszonen, und DP World gilt auf diesem Gebiet als Vorreiter. Im Auftrag der Johnson Regierung ist DP World Betreiber des größten von acht Freihäfen, des Thames Freeport, und Mitglied eines Beratergremiums des Verkehrsministers. In Dubai betreibt der Konzern schon seit 1985 die Jebel Ali Free Zone (Jafza), die heute über 8.000 Unternehmen beherbergt und Milliardengewinne erzielt.
Der gigantische Reichtum, den die Oligarchen der Golfstaaten angehäuft haben, beruht auf der Ausbeutung von Wanderarbeitern, die in Arbeitslagern kaserniert werden und zu miserabelsten Löhnen schuften müssen.
Wie der Fall P&O zeigt, werden solche Bedingungen mehr und mehr auch nach Europa transportiert. Schon längst lassen die Reedereien ihre Schiffe im Ausland registrieren und setzen sich somit über die Arbeitsgesetze und den nationalen Mindestlohn hinweg. P&O Ferries hat seine Schiffe 2019 von Großbritannien auf Länder wie Zypern und die Bahamas umgeflaggt. Und seit letzter Woche zahlt das Unternehmen nun Stundenlöhne, die nur noch ein Viertel oder ein Fünftel des britischen Mindestlohns betragen.
Die Gewerkschaften jammern über diese Zustände, aber sie tragen selbst die Angriffe auf Arbeiter der Fähren- und Schifffahrtsbranche seit Jahren mit. Vor zweieinhalb Jahren, als DP World die P&O Ferries übernahm, war die Gewerkschaft RMT daran beteiligt, dass mindestens 600 Beschäftigte entlassen wurden.
Es ist klar: Um die Arbeitsplätze und Löhne zu verteidigen, können sich die Arbeiter der Fähren nicht auf die nationalistischen und pro-kapitalistischen Gewerkschaften oder irgendeinen Teil der herrschenden Elite stützen. Sie haben es mit einem globalen Unternehmen zu tun, das über enorme Ressourcen verfügt und 50.000 Arbeiter in 40 Ländern weltweit beschäftigt. Sie sind außerdem mit der Staatsmacht konfrontiert, wie schon an den Polizeieinsätzen deutlich wurde.
Die Socialist Equality Party (SEP) hat eine Erklärung herausgegeben, in der sie schreibt: „Die Arbeiter können nicht erfolgreich auf nationaler Ebene gegen Unternehmen kämpfen, deren Aktivitäten auf einer globalen Strategie beruhen. Sie müssen ihre Kämpfe auf das Programm des sozialistischen Internationalismus stützen.“ Die SEP schlägt vor, dass die Seeleute ihre eigenen, von den Gewerkschaften unabhängigen Aktionskomitees aufbauen, um Schiffe und Häfen zu besetzen.
In der arbeitenden Bevölkerung erfahren die entlassenen P&O-Arbeiter breite Sympathie. In den Häfen haben sich Seeleute anderer Reedereien, Hafenarbeiter und Anwohner mit ihren Protesten solidarisiert, und in London nahmen unter anderem auch U-Bahn-Beschäftigte an den Kundgebungen teil.
In Liverpool wies ein Schlepperfahrer von Stenna Lines im Gespräch mit der WSWS darauf hin, dass die Arbeiter im Vereinigten Königreich seit der Amtszeit von Margaret Thatcher immer weiter zurückgedrängt würden, und er forderte wie viele andere auch, diese Entwicklung jetzt umzudrehen und die ganze Arbeiterklasse zu mobilisieren. „Es geht nicht bloß um die Löhne, es geht um die gesamten Arbeitsbedingungen“, sagte er. „Der Angriff auf die Kollegen von P&O geht uns alle an.“