Kriegsverbrechen und Kriegsverbrecher

Am Mittwoch beschuldigte US-Präsident Joe Biden den russischen Präsidenten Wladimir Putin, ein Kriegsverbrecher zu sein.

Dieser historisch gewichtete Vorwurf war eine beiläufige Bemerkung. Ein Reporter fragte Biden, ob er Putin für einen Kriegsverbrecher halte, als der Präsident eine gut besuchte Veranstaltung verließ. „Nein“, antwortete Biden und schob sich aus der Kamera. Der Clip wurde geschnitten, Biden kehrte zurück und bat den Reporter, die Frage zu wiederholen. „Oh“, sagte Biden mit einer Handbewegung, „ich halte ihn für einen Kriegsverbrecher.“ In seiner Stimme lag die ganze Ernsthaftigkeit eines Mannes, der es sich anders überlegt hat und Ketchup statt Mayo bestellt.

Die ehemaligen Präsidenten Jimmy Carter, Bill Clinton, Barack Obama und George W. Bush

Bidens Äußerung entsprach der aufrührerischen und provokativen Sprache, mit der Washington den Konflikt mit Russland um die Ukraine wiederholt eskalieren ließ. Die Tatsache, dass Biden für diese Aussage erneut vor die Kamera trat, zeigt, dass er sich bewusst dafür entschieden hat, die Spannungen für Propagandazwecke zu personalisieren und zu verschärfen. Solche Aussagen haben einen unumkehrbaren Charakter.

Der Vorwurf, den Biden erhebt, ist einer der schwerwiegendsten überhaupt. Die gegen den Präsidenten eines Landes erhobene Anklage umfasst nicht nur die Schuld für kriminelle Handlungen während des Konflikts, sondern auch das weitaus größere Verbrechen der Führung eines Angriffskrieges, ein Verbrechen gegen den Frieden. Die Auslösung eines solchen Krieges ist die eigentliche Ursache für das Blutvergießen und die Kriegsverbrechen, die darauf folgen.

Gemessen an diesem strengen Maßstab ist jeder amerikanische Präsident der letzten dreißig Jahre ein Kriegsverbrecher gewesen.

Die Rechtsgrundlagen für diesen Grundsatz beruhen auf den Anklagen wegen Kriegsverbrechen, die in den Nürnberger Prozessen gegen frühere Führer des Nazi-Reiches und in den Tokioter Prozessen gegen frühere Führer des japanischen Kaiserreichs am Ende des Zweiten Weltkriegs erhoben wurden. In den Prozessen wurde der völkerrechtliche Grundsatz aufgestellt, dass die Planung und Durchführung eines Angriffskrieges ein 'Verbrechen gegen den Frieden' darstellt. Dies wurde 1950 in der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen als Grundsatz 6(a) der Nürnberger Prinzipien verankert.

Der Chefankläger des Nürnberger Prozesses von 1946, Robert H. Jackson, schrieb: „Wenn bestimmte Verstöße gegen ein Abkommen ein Verbrechen darstellen, ist dies sowohl der Fall, wenn die Vereinigten Staaten sie begehen als auch wenn Deutschland sie begeht. Wir sind nicht bereit, Maßstäbe für kriminelles Verhalten gegen andere festzulegen, deren Anwendung wir nicht auch gegen uns zulassen würden.“

Die Vereinigten Staaten waren zwar maßgeblich an der Ausarbeitung dieser allgemein verbindlichen internationalen Präzedenzfälle beteiligt, doch hat Washington seither alles getan, um sicherzustellen, dass diese Grundsätze niemals auf sein eigenes Handeln Anwendung finden.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag wurde 1998 mit der Unterzeichnung des Römischen Statuts eingerichtet, um Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression zu verfolgen. Die Vereinigten Staaten haben die Einrichtung dieses Gerichtshofs jahrelang verzögert und behindert und waren eines von sieben Ländern, die sich weigerten, die Charta zu unterzeichnen. Während die Vereinigten Staaten Putin und ihre anderen geopolitischen Feinde der „Kriegsverbrechen“ und sogar des „Völkermords“ beschuldigen, lehnen sie die Autorität des IStGH ab und weigern sich, dessen Zuständigkeit für ihre politische und militärische Führung oder für einen ihrer Kombattanten anzuerkennen.

Washington spricht von einer „regelbasierten internationalen Ordnung“ mit der Stimme eines aufgeblasenen und korrupten Richters, der dem Rest der Welt willkürlich Gesetze auferlegt, die er selbst eklatant verletzt.

Die von den Vereinigten Staaten in den letzten dreißig Jahren geführten Kriege – Irak, Jugoslawien, Afghanistan, erneut Irak, Syrien, Jemen, Libyen – waren nach der Nürnberger Definition allesamt von Kriegsverbrechern angezettelte Angriffskriege. Der Verstoß gegen die Nürnberger Grundsätze wurde 2002 in der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bush-Regierung als offizielle US-Politik festgeschrieben. Sie räumte den Vereinigten Staaten das Recht ein, einseitig militärisch gegen ein anderes Land vorzugehen, ohne glaubwürdige Beweise für eine notwendige Selbstverteidigung vorzulegen.

Washington erklärte, dass es den historisch gewachsenen, aus den blutigen Erfahrungen zweier Weltkriege stammenden Standard, wonach die Drohung eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs notwendig sei, um militärische Maßnahmen zu rechtfertigen, nicht mehr zu erfüllen brauche. Die Behauptung, dass sie die Möglichkeit einer Bedrohung sahen, war ein ausreichender Grund, um eine Invasion zu rechtfertigen. Der Krieg war zum nackten Instrument der Politik geworden.

David North, Vorsitzender der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site, argumentierte 2004 in einer Rede am Trinity College in Dublin: „Die Verkündung der Doktrin des Präventivkriegs im September 2002 und ihre Umsetzung im März 2003 im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg gegen den Irak stehen für nichts Geringeres als den klaren Bruch der Vereinigten Staaten mit den Rechtsgrundsätzen, die gegen die Nazi-Führer in Nürnberg angewandt wurden. Sie bedeuten die Kriminalisierung, im vollen juristischen Sinne des Wortes, der amerikanischen Außenpolitik.“

Mit fabrizierten Behauptungen über nicht existierende Massenvernichtungswaffen und dem universellen Mandat eines „Krieges gegen den Terror“ hat Washington ganze Zivilisationen des Nahen Ostens und Zentralasiens in Schutt und Asche gelegt. Millionen Menschen starben und weitere Millionen wurden aus ihrer Heimat vertrieben.

Jeder dieser Kriege war ein Verbrechen gegen den Frieden. Keines dieser Länder stellte eine Bedrohung für die Vereinigten Staaten dar. Eine lehrbuchmäßigere Definition eines Angriffskrieges als die, die Washington in den letzten dreißig Jahren geführt hat, könnte man sich nicht wünschen.

Das Internationale Tribunal in Nürnberg erklärte 1945: „Der Krieg ist seinem Wesen nach ein Übel. Seine Auswirkungen sind nicht allein auf die kriegführenden Staaten beschränkt, sondern treffen die ganze Welt. Die Entfesselung eines Angriffskrieges ist daher nicht bloß ein internationales Verbrechen; es ist das schwerste internationale Verbrechen, das sich von anderen Kriegsverbrechen nur dadurch unterscheidet, daß es in sich alle Schrecken der anderen Verbrechen einschließt und anhäuft.“

Die Angriffskriege von Clinton, Bush, Obama und Trump enthielten das geballte Übel der Folterungen in Abu Ghraib und Guantanamo, der Drohnenangriffe auf spielende Kinder, von Präzisionsraketen eingeebnete Dörfer und im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge. Bagdad zerfiel unter der Strategie des „Shock and Awe“ vor den unablässigen US-Bombardements; Falludscha brannte durch weißen Phosphor.

Die amerikanischen Massenmedien sind an diesen Verbrechen beteiligt. Sie haben die Behauptungen der Regierung nie in Frage gestellt, sondern ihre Vorwände herausposaunt. Sie schürten in der Öffentlichkeit eine Kriegsbegeisterung. Experten, die heute Putin anprangern, forderten vehement, dass die Vereinigten Staaten Zivilisten bombardieren sollten.

George Will schrieb am 7. April 2004 in der Washington Post: „Regimewechsel, Besatzung, Nationenbildung – das ist ein blutiges Geschäft. Jetzt müssen sich die Amerikaner darauf vorbereiten, die notwendige Gewalt anzuwenden, um die irakischen Stadtmilizen zu entwaffnen oder zu besiegen…“

Thomas Friedman schrieb 1999 in der New York Times über die Bombardierung Serbiens unter Clinton: „In Belgrad sollten die Lichter ausgehen: Jedes Stromnetz, jede Wasserleitung, jede Brücke, jede Straße und jede kriegswichtige Fabrik muss ins Visier genommen werden... [W]ir werden Ihr Land zurückwerfen, indem wir Sie pulverisieren. Sie wollen zurück ins Jahr 1950? Wir können das machen. Sie wollen zurück ins Jahr 1389? Auch das können wir machen.“

Biden bezeichnet Putin inmitten einer neuen Medienhysterie als Kriegsverbrecher. Ohne auf die Handlungen der Vereinigten Staaten einzugehen, ohne einmal Luft zu holen, schleudern die Medien den Zunder für einen immer weiter ausufernden Krieg aus.

Wenn Putin angeklagt werden soll, muss das Kriterium, das auf ihn angewandt wird, auch auf andere Staatsoberhäupter und vor allem auf die amerikanischen Präsidenten angewandt werden.

Hybris und Heuchelei prägen jede Erklärung aus Washington mit einer in der Weltgeschichte vielleicht einmaligen Dreistigkeit. Das US-Imperium, das seine Hände bis zu den Ellbogen in Blut getaucht hat, gestikuliert gegenüber seinen Feinden und schreit nach Kriegsverbrechen.

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