Die Großmächte haben den Wirtschaftskrieg gegen Russland durch eine Reihe von Sanktionen verschärft, die sein Banken- und Finanzsystem lahmlegen und möglicherweise seine Wirtschaft zerstören werden.
Bei einem gemeinsamen Treffen kündigten Vertreter der Europäischen Kommission, Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Großbritanniens, Kanadas und der USA am Samstag an, dass „ausgewählte“ russische Banken vom Bankenkommunikationsnetzwerk SWIFT ausgeschlossen werden. Außerdem wird der russischen Zentralbank der Zugriff auf ihre im Ausland befindlichen Devisenreserven verwehrt.
Durch das Geschäftsverbot für die Zentralbank sind ihre Devisenbestände faktisch eingefroren. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, erklärte zum Schluss des Treffens: „Wir werden [...] Transaktionen der russischen Zentralbank verbieten und all ihre Vermögenswerte einfrieren“.
In der Erklärung zu dem Treffen heißt es, die Maßnahmen würden sicherstellen, dass die betroffenen Banken vom internationalen Finanzsystem getrennt werden und ihre globale Funktionsfähigkeit beeinträchtigt wird.
Italien und Deutschland hatten sich anfangs gegen die neuen Maßnahmen gestellt, da beide Länder in hohem Maße von Erdgaslieferungen abhängig sind. Eine Einigung wurde erst möglich, nachdem beschlossen wurde, dass es keine Sanktionen gegen russische Banken geben wird, die für die Finanzierung von Energielieferungen wichtig sind.
Die USA haben sich zusammen mit Kanada und Großbritannien stark für die SWIFT-Sanktionen eingesetzt, doch ihre Einführung wurde als „zäher Prozess“ beschrieben – nicht zuletzt, weil das Handelsvolumen zwischen der EU und Russland mit 80 Milliarden Euro etwa zehnmal so groß ist wie das zwischen den USA und Russland.
Laut einem Bericht des Wall Street Journal (WSJ) über das Abkommen, der sich auf einen „hochrangigen Vertreter der Biden-Regierung“ stützt, wurde mit einem Auswahlverfahren versucht, die Störungen der Energiemärkte so gering wie möglich zu halten.
Der Vertreter der Biden-Regierung erklärte gegenüber dem WSJ: „Wir kennen den Weg der meisten Energieflüsse, und durch welche Banken sie gehen. Und wenn wir so vorgehen, können wir einfach die Institute auswählen, wo nicht die meisten Energieflüsse stattfinden.“ Zu den nicht sanktionierten Finanzinstituten zählt die Gazprombank, Russlands drittgrößte Bank und ein wichtiger Kanal für Finanztransaktionen im Zusammenhang mit Öl und Gas.
Das WSJ schreibt: „Vertreter der US-Regierung erklärten, dass die Ausnahmen von entscheidender Bedeutung dabei waren, die politische Unterstützung für einen koordinierten und ergänzenden Druck aus zahlreichen Volkswirtschaften zu gewinnen, u.a. von den USA, Großbritannien und den 27 Mitgliedsstaaten der EU.“ Wenn die deutschen Einwände nicht berücksichtigt worden wäre, hätten die Maßnahmen nicht umgesetzt werden können, weil Entscheidungen der EU einstimmig erfolgen müssen.
Auch wenn die für Energietransaktionen zuständigen Banken ausgenommen werden, wird die Entscheidung zu SWIFT die Spannungen verschärfen. Als im Jahr 2014 erwogen wurde, Russland aus dem globalen Bankenkommunikationsnetzwerk auszuschließen, bezeichnete Moskau dies als gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung.
Der französische Finanzminister Bruno Le Maire beschrieb am Freitag den Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-System als „finanzielle Atombombe“.
Die Entscheidung zur Verhängung von Sanktionen gegen die russische Zentralbank soll sie daran hindern, „ihre internationalen Reserven in einer Weise einzusetzen, die die Auswirkungen unserer Maßnahmen beeinträchtigt“, wie es in der gemeinsamen Erklärung heißt.
Russland hat Devisenbestände im Wert von etwa 600 Milliarden Dollar, größtenteils durch den Verkauf von Öl und Gas. Die Einschränkungen für die Zentralbank werden sie daran hindern, einen Teil dieser Reserven zu benutzen, um den Rubel zu stützen und einen vollständigen Zusammenbruch zu verhindern.
Seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine haben Massen von Menschen an den Banken und Geldautomaten Schlange gestanden, um Geld in Rubel und Dollar abzuheben. Sie befürchten einen Zusammenbruch des Rubels, der auf den internationalen Märkten sehr stark an Wert verloren hat.
Um diese Befürchtungen zu zerstreuen, hat die Zentralbank am Sonntag eine Stellungnahme veröffentlicht, laut der sie den Banken Geldmittel zur Verfügung stellen und in unbegrenzter Höhe Kredite gewähren wird. Zudem wird sie die Liste von Sicherheiten ausweiten, die sie für Kredite akzeptieren wird.
In der Erklärung hieß es: „Das russische Bankensystem ist stabil und verfügt über ausreichend Kapitalreserven, um in jeder Situation ohne Einschränkungen zu funktionieren.“ Weiter hieß es, alle Kundeneinlagen seien sicher. Es sei bereits ein System für Inlandszahlungen für den Fall entwickelt worden, dass Russland aus SWIFT ausgeschlossen wird. Dieses werde „in jedem Szenario“ funktionsfähig sein.
Die russische Zentralbank könnte Unterstützung von China anfordern, wo sich 14 Prozent ihrer Devisenbestände befinden. Doch die chinesischen Behörden sind vermutlich vorsichtig damit, Russland offen zu unterstützen, weil sie befürchten, dadurch zum Ziel von Sekundärsanktionen zu werden, die auf Geheiß der USA verhängt werden könnten.
Der Angriff auf das russische Finanzsystem ist eine deutliche Eskalation des globalen Wirtschaftskriegs, den die USA in den letzten Jahren parallel zu ihren Militäraktionen geführt haben, um ihren Gegnern zu schaden.
Sie haben entsprechende Möglichkeiten, weil fast die Hälfte aller globalen Zahlungen in Dollar abgewickelt wird. Die Währung deckt etwa 90 Prozent der Handelsfinanzierung ab. Diese Machtstellung haben die USA bereits gegen den Iran und Venezuela eingesetzt, doch das Vorgehen gegen Russland stellt eine qualitativ neue Ebene der Finanzaggression dar.
Bevor der Angriff auf die russische Zentralbank angekündigt wurde, erklärte Josh Lipsky, der zuvor beim Internationalen Währungsfonds tätig war und heute Direktor des Geoeconomics Center des Atlantic Council ist, es werde ein „außergewöhnlich bedeutender und schädlicher Schritt“ für Russlands Wirtschaft.
Russland ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von etwa 1,7 Billionen Dollar die zwölftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Lipsky erklärte: „Eine Zentralbank eines G20-Staats wurde bisher noch nie Ziel solcher Maßnahmen. Das ist nicht der Iran und auch nicht Venezuela.“
Edward Fishman, ein ehemaliger Vertreter der US-Regierung und heute Mitarbeiter des Center for a New American Security, erklärte gegenüber der Financial Times, der Schritt sei ein „verheerender Schlag“ für die russische Wirtschaft und wichtiger als der Ausschluss aus SWIFT, weil ein „beträchtlicher Teil“ der russischen Devisenbestände „über Nacht unerreichbar“ würde.
Die Kriegskrise wird schwerwiegende Bumerang-Effekte auf die Weltwirtschaft haben. Die Preise für Öl und Gas steigen ebenso wie die Preise für Weizen und andere Getreidesorten sowie für Metalle.
Das Wall Street Journal schrieb unter Berufung auf ein Prognose-Unternehmen, dass ein Anstieg des Ölpreises von derzeit etwa 100 Dollar auf 110 Dollar pro Barrel die jährliche Inflationsrate in den USA auf über zehn Prozent erhöhen würde. Das wäre ein Problem für die amerikanische und andere Zentralbanken, weil die Preissteigerungen das globale Wachstum ausbremsen würden.
Die US-Notenbank (Fed) wollte ihren Basiszinssatz bei ihrem nächsten Treffen Mitte März um 0,25 Prozentpunkte erhöhen. Danach sollten über den Rest des Jahres verteilt bis zu sieben Erhöhungen folgen. Jetzt ist sie jedoch mit einer Situation konfrontiert, in der sie die Zinsen unter Bedingungen einer „Stagflation“ erhöhen müsste, d.h. bei steigenden Preisen und bei einem niedrigen oder sogar sinkenden Wirtschaftswachstum.
Der Chefökonom von JPMorgan, Bruce Kasman, erklärte gegenüber dem Wall Street Journal: „Eine so stark in die Höhe schießende Inflation gab es seit Jahrzehnten nicht mehr.“ Ein anhaltender Schock könnte die Inflation noch weiter antreiben und die Fed vor „einige sehr schwierige Entscheidungen“ stellen.
Neben den unmittelbaren Auswirkungen auf den Aktienmarkt – alle Futures-Indizes der Wall Street gingen am Montagmorgen nach unten, die asiatischen Märkte waren stabil – könnten die Entscheidungen der imperialistischen Großmächte vom Wochenende noch weitere finanzielle Auswirkungen haben.
Globale Investoren, darunter Banken und Hedgefonds sowie andere Finanzinstitute, die auf der Suche nach höheren Erträgen in russische Finanzmärkte investiert haben, werden sicherlich Verluste erleiden.
Laut einer Schätzung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich haben russische Unternehmen bei ausländischen Banken etwa 121 Milliarden Dollar Schulden – davon 14,7 Milliarden bei US-Banken, weitere 25 Milliarden bei französischen und italienischen Banken.
Zu den größten westlichen Inhabern von russischen Staatsanleihen gehören der deutsche Versicherungskonzern Allianz und das US-Investmentunternehmen BlackRock. Diese Riesenkonzerne sind groß genug, um die unmittelbaren Folgen eines Sturms auf den Finanzmärkten zu verkraften. Doch kleinere Firmen können das vielleicht nicht, und sie wurden von der aktuellen Krise völlig unvorbereitet erwischt.
Die Financial Times zitiert den Chef eines dieser Unternehmen, der Ende Januar erklärt hatte, das Gerede über weitere „verheerende“ Sanktionen gegen Russland wirke „ziemlich fiktiv, angesichts der schmerzhaften selbst zugefügten Auswirkungen, die dies für die Weltwirtschaft, und besonders für Westeuropa, haben würde“.
Man sollte nicht vergessen, dass die Pleite des drei Milliarden Dollar schweren Hedgefonds Long Term Capital Management im September 1998 eine Gefahr für das gesamte Finanzsystem der USA darstellte. Der Fonds war stark in Wetten auf den Rubel verwickelt gewesen und musste schließlich von der Zentralbank gerettet werden.