Weit über 100.000 Menschen demonstrierten am Sonntag in Berlin gegen den Krieg in der Ukraine. Viele Teilnehmer waren von dem russischen Angriff geschockt und auf die Demonstration gekommen, um ihrer Sorge über eine Eskalation des Konflikts Ausdruck zu verleihen. Sie trugen ukrainische Fahnen, Friedenszeichen und Regenbogenflaggen.
„Ich bin hier, weil ich zutiefst erschüttert bin, dass so was im 21. Jahrhundert möglich ist“, sagte ein Mitglied der Gruppe „Omas gegen rechts“. Sie sei „irrsinnig wütend, wie viel Geld und Material jetzt für Krieg verschwendet wird, das wir alle jetzt für den Klimaschutz und für die lebenswerte Zukunft brauchen würden“.
Eine andere Teilnehmerin sagte: „Ich bin hier, um mein Bedürfnis nach Frieden kundzutun. Der Krieg muss auf jeden Fall aufhören.“ Eine Sozialarbeiterin erklärte, dass die Waffen niedergelegt werden müssten. »Wir sind alle Menschen und wir sollten das nicht tun. Auf gar keinen Fall. Das bringt nichts. Das haben wir in der Vergangenheit gesehen und es holt uns so wahnsinnig ein. Dass wir daraus nicht gelernt haben, ist unfassbar schade.“
Doch die Demonstration war von Ratlosigkeit und politischer Verwirrung geprägt, die von den Veranstaltern ausgenutzt wurde, um einer aggressiven Politik gegen Russland das Wort zu reden.
Verdi-Chef Frank Werneke erklärte, Deutschland habe die Verantwortung, „die Friedensordnung wieder herzustellen“. Deshalb müsse jetzt mit harten Sanktionen reagiert werden, die nicht wegen der wirtschaftlichen Interessen von Konzernen abgeschwächt werden dürften.
Auch Christoph Bautz, geschäftsführender Vorstand der regierungsnahen Organisation Campact, sprach sich für scharfe Sanktionen aus. Er erklärte den Krieg in der Ukraine zu einem Kampf für „Demokratie“ und „unser freiheitliches Wertesystem“. Da helfe es nicht, allein Fahnen zu schwenken, sondern man müsse in der einzigen Sprache antworten, die Putin verstehe. Deshalb brauche es einen Stopp der Gas- und Ölimporte, auch wenn das bedeute, „die Industrieproduktion herunterzufahren“. Welche Folgern das für Arbeitsplätze und Wohnkosten in Europa hat, thematisierte er nicht.
Die Klimaaktivistin und Grünen-Politikerin Luisa Neubauer blies ins gleiche Horn und forderte eine Abkehr von russischem Gas, mit dem der Krieg finanziert werde. „Waffen allein reichen nicht“, erklärte sie und stellte sich damit auch hinter die Waffenlieferungen der deutschen Regierung an die ukrainische Armee.
Der Aufruf zur Konfrontation mit Russland ging mit dem vollständigen Verschweigen der Hintergründe des Angriffs auf die Ukraine einher. Kein Wort zu den völkerrechtswidrigen Kriegen der Nato oder zur systematischen Umzingelung Russlands. In den Reden – und auch von vielen Teilnehmern – wurde die enorme Gefahr eines dritten Weltkriegs, der durch die Eskalation von Seiten der Nato droht, weitgehend ausgeblendet.
Dabei hatte Bundeskanzler Scholz nur wenige Stunden vor der Demonstration in einer Bundestagsrede angekündigt, dass Deutschland Waffen in die Ukraine liefern, den Truppenaufmarsch an der russischen Grenze verstärken und den deutschen Kriegsetat für 2022 verdreifachen werde.
Die Regierungen in den USA, Deutschland und den anderen Nato-Staaten nutzen den Krieg gegen die Ukraine, um beispiellos aufzurüsten und die Nuklearmacht Russland immer mehr in die Enge zu treiben. Ihr Ziel besteht darin, das Land in koloniale Abhängigkeit zu bringen und sich seine zahlreichen Bodenschätze einzuverleiben.
Nur vor diesem Hintergrund kann der Krieg gegen die Ukraine verstanden werden. Er ist das Produkt der Politik der letzten 30 Jahre, in denen die Nato Russland immer weiter einkreiste und zahllose völkerrechtswidrige Angriffskriege führte, unter anderem, um den russischen Einfluss zurückzudrängen. Nun reagiert die Nato, indem sie Russland mit offenem Krieg droht und Truppen an der russischen Grenze massiert.
Der russische Angriff auf die Ukraine muss vom Standpunkt des internationalen Sozialismus abgelehnt werden. Die Verteufelung Russlands, die auf der Demonstration allgegenwärtig war, dient dagegen dazu, die bisherigen Aggressionen der Nato auszublenden und zukünftige Kriege zu rechtfertigen. Die Logik dieser Politik führt direkt in einen dritten Weltkrieg.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Vertreter der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) verteilten auf der Demonstration am Sonntag einen Aufruf des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI), um die Grundlage für eine echte Antikriegsbewegung zu schaffen, die sich den Kriegstreibern der Nato ebenso entgegenstellt wie dem russischen Einmarsch. In dem Aufruf „Gegen die Invasion der Putin-Regierung in der Ukraine und die Kriegstreiberei von USA und Nato! Für die Einheit der russischen und ukrainischen Arbeiter!“ heißt es:
Ungeachtet der Provokationen und Drohungen der USA und der Nato-Mächte muss der Einmarsch Russlands in die Ukraine von Sozialisten und klassenbewussten Arbeitern abgelehnt werden. Die Katastrophe, die durch die Auflösung der Sowjetunion 1991 in Gang gesetzt wurde, kann nicht auf der Grundlage des russischen Nationalismus abgewendet werden – einer durch und durch reaktionären Ideologie, die den Interessen der von Wladimir Putin vertretenen herrschenden Kapitalistenklasse dient.
Auf dieser Grundlage wird die Kriegspropaganda der Nato aufs Schärfste zurückgewiesen und der historische Kontext des russischen Angriffs aufgezeigt:
Wie immer zeichnen die US-amerikanischen Medien von jedem, dem sie als Feind gegenüberstehen, ein Bild des reinen Bösen. Das erklärt gar nichts. Die gegenwärtige Konfrontation mit Russland ist das Ergebnis einer geopolitischen Strategie, die von den Vereinigten Staaten seit der Auflösung der UdSSR vor 30 Jahren verfolgt wird. Ihr Ziel ist die globale Vorherrschaft der USA, die ihre militärische Macht nutzen, um ihren wirtschaftlichen Niedergang auszugleichen. Dies war der Grund für die zahlreichen und nicht enden wollenden Kriege, die von den USA angezettelt wurden – darunter die Invasion bzw. die Bombardierung des Irak, Somalias, Serbiens, Afghanistans, Libyens und Syriens.
Gestützt auf dieses historische Verständnis des Konflikts, entwickelt das IKVI die einzige Perspektive, mit der ein Weltkrieg verhindert werden kann:
Die Gefahr einer Katastrophe kann nur abgewendet werden, wenn die Arbeiterklasse in den USA und der ganzen Welt auf der Grundlage eines revolutionären sozialistischen Programms handelt. […] Das IKVI fordert die sofortige Beendigung des Krieges. Während wir die Invasion in die Ukraine ablehnen, prangern wir die Politik des US- und Nato-Imperialismus an, dessen Behauptungen, Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen, mit Blut und Heuchelei durchtränkt sind.
Diese Perspektive gewinnt jetzt entscheidende Bedeutung. Gegen die Allparteienkoalition für Aufrüstung und Krieg gegen Russland muss eine echte Anktikriegsbewegung der internationalen Arbeiterklasse entwickelt werden, die sich weder mit den Nato-Aggressoren noch mit dem nationalistischen Putin-Regime gemein macht. Wir rufen alle, die an einer solchen Bewegung teilnehmen wollen, auf, sich jetzt als aktiver Unterstützer zu registrieren.
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