EU-Staaten verhängen wegen der Ukraine-Krise Sanktionen gegen Russland

Die europäischen Regierungen reagieren auf Moskaus Schritt, die Unabhängigkeit von Teilen der Ostukraine anzuerkennen, mit Sanktionen, Drohungen und einer Eskalation der Kriegsoffensive gegen Russland.

Am Montag veröffentlichten der Präsident des Europäischen Rats, Charles Michel, und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, eine offizielle Erklärung, in der sie Russlands „Aggression gegen die Ukraine“ verurteilten.

„Die Entscheidung der Russischen Föderation, die ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk als unabhängig anzuerkennen und russische Truppen in bestimmte Teile der Gebiete zu entsenden, ist rechtswidrig und inakzeptabel. Dies verstößt gegen das Völkerrecht, die territoriale Unversehrtheit und Souveränität der Ukraine sowie die internationalen Verpflichtungen Russlands und führt zu einer weiteren Eskalation der Krise.“

Der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell (links), der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian (zweiter von links), die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (zweite von rechts) und der italienische Außenminister Luigi Di Maio bei einem Treffen im Gebäude des französischen Außenministeriums am 21. Februar 2022 (AP Photo/Michel Euler)

Die Präsidentin und der Präsident begrüßten die „unerschütterliche Geschlossenheit der Mitgliedstaaten und ihre Entschlossenheit, in enger Abstimmung mit internationalen Partnern robust und rasch auf die rechtswidrigen Handlungen Russlands zu reagieren“.

Bei einer außerordentlichen Tagung in Paris verabschiedeten die Außenminister der Europäischen Union ein Paket von Sanktionen gegen Russland. Die Maßnahmen sehen vor, 351 Mitgliedern des russischen Parlaments, die für die Anerkennung der Volksrepubliken Lugansk und Donezk gestimmt hatten, auf die EU-Sanktionsliste zu setzen. Weitere 27 Personen und Unternehmen wurden aufgenommen, weil sie „die territoriale Integrität, Souveränität und Unabhängigkeit“ der Ukraine untergraben.

Abgesehen davon werden der Zugang des russischen Staats zu den Finanzmärkten der EU sowie der Handel mit den abtrünnigen Regionen eingeschränkt. Sämtliche Vermögen von Personen und Unternehmen auf der Sanktionsliste werden innerhalb der EU eingefroren. Zudem dürfen die aufgelisteten Personen nicht mehr in die EU einreisen, und es dürfen keine Geschäfte mit ihnen gemacht werden. Laut dem derzeitigen französischen EU-Ratspräsidenten traten die neuen EU-Sanktionen gegen Russland schon am Mittwoch in Kraft.

Der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, erklärte nach dem Treffen mit den Außenministern: „Dieses Sanktionspaket wurde einstimmig angenommen. Es wird Russland wehtun, sehr wehtun, und wir tun das in enger Zusammenarbeit mit unseren Partnern, den USA, Großbritannien und Kanada, mit denen ich in engem Kontakt stand.“

Von der Leyen begrüßte die Entscheidung der Bundesregierung, die Genehmigung von Nord Stream 2 auf Eis zu legen und erklärte: „Nord Stream 2 muss völlig neu betrachtet werden unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit für ganz Europa.“ Die Krise zeige schließlich, dass Europa noch immer zu stark von russischem Gas abhängig ist.

Wie auch andere europäische Regierungschefs drohte auch von der Leyen mit weiteren Schritten: „[W]enn der Kreml diese Krise weiter eskaliert, dann werden wir nicht zögern, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Die EU steht geschlossen zusammen und ist vorbereitet, zügig zu handeln.“

Offenbar diskutiert die EU auch über Sanktionen gegen den russischen Präsidenten selbst. Borrell erklärte am Dienstagnachmittag nach der außerordentlichen Tagung der EU-Außenminister in Paris, Putin stehe nicht auf der Liste der sanktionierten Personen. Diese Entscheidung sei getroffen worden, um weitere Maßnahmen in Reserve zu haben.

Gleichzeitig verstärkt die EU ihre Unterstützung für das antirussische Regime in der Ukraine und die Nato-Truppenstationierungen in Osteuropa. Am Dienstag kündigten mehrere EU-Staaten Pläne zur Mobilisierung ihrer gemeinsamen Cybersicherheits-Einheit an. Das litauische Verteidigungsministerium twitterte: „Als Reaktion auf die Anfrage der Ukraine aktivieren wir ein von Litauen angeführtes Team für schnelle Reaktionen auf Cyberangriffe, das den ukrainischen Institutionen bei der Bewältigung von zunehmenden Bedrohungen ihrer Cybersicherheit helfen wird.“

Diese EU-Einheit wurde im Jahr 2019 geschaffen und besteht aus Estland, Kroatien, Litauen, Polen und Rumänien.

Die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht besuchte am Dienstag die deutschen Nato-Truppen in Litauen, die in den letzten Tagen um 350 Soldaten und etwa 100 Fahrzeuge und Waffensysteme aufgestockt wurden, und erklärte: „Russland tritt hier als Aggressor auf. Und es ist in dieser Stunde ungewiss, wie weit die russische Seite ihre Aggression treiben wird. ...Wir stehen hier wachsam und wehrhaft. .... Die Diplomatie der letzten Wochen und Monate hat diesen eklatanten Bruch unserer europäischen Friedensordnung leider nicht verhindern können.“

Die Argumente der EU-Regierungschefs für die Eskalation ihrer militärischen Konfrontation mit Russland beruhen auf Lügen und Heuchelei. Vor allem ist es nicht Russland, das eine aggressive globale Militär- und Wirtschaftspolitik verfolgt, sondern es sind die Nato-Mächte. Sie wollen Russland isolieren und zu einer Halbkolonie machen, die völlig den politischen und militärischen Interessen der imperialistischen Nato-Mächte unterworfen ist.

Die derzeitige Krise ist der Höhepunkt der Kriegsoffensive, mit der die imperialistischen Nato-Mächte auf die Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie im Jahr 1991 reagierten. Ohne das militärisch-politische Hindernis, das die Sowjetunion darstellte, griffen die Nato-Mächte den Irak, Jugoslawien, Somalia, Afghanistan, erneut den Irak, Libyen und Syrien an. Diese Kriege führten zur Zerstörung dieser Länder, kosteten Billionen Dollar und Millionen von Menschenleben.

Nachdem Russland im September 2013 Kriegsschiffe aus dem Marinestützpunkt Sewastopol auf der Krim vor die syrische Küste geschickt hatte, um amerikanische, französische und Nato-Kriegsschiffe an Bombenangriffen auf Syrien zu hindern, stellten sich die Nato-Mächte deutlich gegen Russland. Sie unterstützten die Maidan-Proteste und, im Jahr 2014, einen Putsch unter der Führung von ukrainischen Neofaschisten, der ein Nato-Marionettenregime in der Ukraine an die Macht brachte. Die Separatisten in Donezk und Luhansk rebellierten gegen rechtsextreme antirussische Milizen, die das Kiewer Regime geschickt hatte, um russischsprachige Einwohner anzugreifen und zu terrorisieren.

Da die ukrainischen Streitkräfte, allen voran faschistische Einheiten wie das Asow-Bataillon, jetzt Donezk und Lugansk angreifen, ist dieser Konflikt wieder aufgeflammt. Doch die Nato-Mächte verfolgen mittlerweile ein viel umfassenderes Ziel: Sie wollen die diplomatischen Beziehungen mit Russland abbrechen und die Grundlagen für einen Krieg schaffen.

Die französische Tageszeitung Le Monde veröffentlichte einen Leitartikel, in dem sie diejenigen attackierte, die eine deutliche Eskalation der Sanktionen gegen Russland ablehnen: „Sie wollen glauben, dass es sich streng genommen nicht um einen Einmarsch handelt, da Russland faktisch seit 2014 im Donbass anwesend ist. Diese Reaktion ist angesichts der jetzigen Aggression nicht angemessen. Sie legitimiert die Intervention von 2014. Sie berücksichtigt nicht die umfassenden Ambitionen des russischen Präsidenten: eine erneute Aufteilung des europäischen Kontinents in Einflusssphären auf der Grundlage seiner eigenen Kriterien.“

Doch die Macht, die im Jahr 2014 hauptsächlich in der Ukraine interveniert hatte, war nicht Russland, sondern Washington und Berlin. Wenn Le Monde die „Intervention von 2014“ verurteilt, meint sie damit Russlands Hilfe für die Kräfte in Donezk und Luhansk. Dabei behandelt sie das Kiewer Regime aber fälschlicherweise als völlig legal und übergeht, dass es durch einen illegitimen, rechtsextremen Putsch an die Macht gekommen ist.

Basierend auf dieser politischen Entstellung interpretiert Le Monde die russische Intervention in der Ostukraine so provokant wie möglich: als offenen Einmarsch. Daraus zieht sie den Schluss, dass Russlands Bedenken keine Rolle bei der Aufteilung des militärischen Einflusses zwischen den kapitalistischen Mächten in Europa spielen dürfen. In der Praxis bedeutet dies, dass die Nato-Mächte Russlands Einwände gegen die Stationierung von Waffen und Truppen an seinen Grenzen nicht dulden werden.

In dieser Krise überschneiden sich die geopolitischen Ambitionen der Nato-Mächte mit ihren Versuchen, reaktionäre gesundheits- und sozialpolitische Maßnahmen gegen den wachsenden Widerstand ihrer eigenen Arbeiterklasse durchzusetzen.

Im Mittelpunkt des Kriegskurses der EU-Mächte gegen Russland steht eine politische Kampagne mit dem Ziel, die Corona-Pandemie vergessen zu machen. Während sich in Europa jede Woche sechs Millionen Menschen infizieren und mehr als 20.000 sterben, schaffen die Regierungen alle noch verbliebenen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus ab, wie es in Großbritannien bereits umgesetzt wurde. Doch die Pandemie gerät zunehmend aus dem Fokus der Medien, da Regierungsvertreter und Experten darauf bestehen, sie in den Hintergrund zu drängen angesichts der Nato-Kriegsoffensive gegen Russland.

Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, drückte dies am Wochenende besonders krass aus, als er die Beendigung der Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 zu Gunsten einer Konzentration auf den Krieg forderte: „Wir können Weltpolitik nicht einfach verschieben. Sicherheitsanforderungen halten sich nicht an Abstandsregeln.“

Diese Äußerungen verdeutlichen den völligen politischen Bankrott des europäischen Kapitalismus. Der Krieg, der geführt werden muss, ist kein globaler Krieg gegen die Atommacht Russland, sondern der Krieg gegen die Corona-Pandemie. Angesichts der Drohungen der EU gegen Russland ist die wichtigste Aufgabe für Arbeiter in ganz Europa und der Welt der Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung in der Arbeiterklasse.

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