Den rund 2300 Arbeitern der MV Werften droht die Zerschlagung ihres Unternehmens. Die Insolvenzverwalter, die Betriebsräte, die IG Metall und die politisch Verantwortlichen in den Werftstandorten Wismar, Stralsund, Rostock-Warnemünde und Bremerhaven haben dies bereits stillschweigend akzeptiert.
Am 10. Januar hatten die MV Werften Insolvenz angemeldet, zwei Tage später dann auch das Schwester-Unternehmen MV-Werften Fertigmodule. Bei dem Zulieferbetrieb mit 115 Beschäftigten werden die Kabinen für die Schiffe gebaut.
Gestern hat nun auch die Muttergesellschaft Genting Hongkong beim zuständigen Gericht in Bermuda Insolvenz angemeldet. Der Konzern des malaysischen Milliardärs Lim Kok Thay hofft, auf diese Weise seine Schulden loszuwerden und sich zu restrukturieren. Man habe nun „keinen Zugang zu weiterer Liquidität“, verkündete das Unternehmen, Ende Januar dürften die Barmittel aufgebraucht sein. Man hoffe weiter auf „ein Moratorium der Gläubiger“.
Vorausgegangen war die Ablehnung eines Eilantrags des Unternehmens durch das Landgericht Schwerin. Genting hatte die vorgezogene Auszahlung eines für 2024/25 bewilligten Darlehens des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Höhe von 78 Millionen Euro beantragt. Es konnte auch keine Bank mehr finden, die ihm Kredit gab. Selbst eine vereinbarte Liquiditätsreserve von 81 Millionen US-Dollar hielten die Banken zurück.
Während die Banken und Aktionäre ihr Geld zusammenhalten, sollen die Werftarbeiter für die Kosten der Krise aufkommen, in die der Genting-Konzern geraten ist. Anfang letzter Woche war noch nicht einmal sicher, ob die Arbeiter ihre Löhne für Dezember ausgezahlt bekommen. Da das Insolvenzverfahren im März beginnt, werden die Löhne für Dezember, Januar und Februar nun von der Agentur für Arbeit als Insolvenzausfallgeld gezahlt. Danach müssen sich die Schiffbauer nach anderen Jobs umschauen.
Betriebsräte, Insolvenzverwalter und Politik sind hektisch darauf bedacht, für die einzelnen Standorte im Alleingang – und auf Kosten der anderen – Käufer bzw. alternative Wirtschaftsfelder an Land zu ziehen. Als erstes gab der Betriebsrat der zur MV Werft gehörenden Lloyd-Werft in Bremerhaven am Freitag bekannt, er hoffe, dass die Werft mit 300 Arbeitern unabhängig einen Käufer finde. Er sei optimistisch, dass die Lloyd-Werft komplett an einen Investor verkauft werden könne, berichtete Radio Bremen.
Am Sonntag bestätigten dann der vorläufige Insolvenzverwalter der MV Werften, Christoph Morgen, und MV-Werften-Geschäftsführer Carsten Haake gegenüber der dpa diesen Plan. Morgen und der vorläufige Insolvenzverwalter der Lloyd Werft, Per Hendrik Heerma, würden gemeinsam einen Käufer suchen. Dieser werde dann entscheiden, „mit welchen Kräften aus der Betriebsgesellschaft er die Werft weiterführt“.
Haake sagte, schon vor der Insolvenz seien Gespräche über einen Verkauf der Lloyd-Werft mit der Bremerhavener Stahl- und Schiffbaugruppe Rönner geführt worden. Er bestätigte auch ein Interesse von Investoren aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Einen ähnlichen Alleingang erhoffen sich die Betriebsräte in Stralsund. Dort gibt es die Idee, einen maritimen Gewerbepark auf dem Werftgelände zu entwickeln. Oberbürgermeister Alexander Badrow (CDU) sagte, er habe bereits entsprechende Gespräche mit Firmen und Unternehmen aus den Branchen Offshore, Wasserstoff und Schiffsreparaturen geführt. Die Stadt Stralsund möchte laut NDR die Flächen der Stralsunder Werft erwerben.
In Rostock erklärte Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen im Gespräch mit dem NDR, das Gelände der Warnemünder Werft, in der rund 1600 der gut 2000 Beschäftigten ihren Arbeitsplatz verlieren, solle aufgekauft und zu einem „Zukunftscluster für Innovation“ entwickelt werden.
All diese blumigen Versprechungen und Zukunftsvisionen waren von der IG Metall schon in den letzten Jahren benutzt worden, um die Werftarbeiter trotz ständigem Arbeitsplatzabbau ruhigzustellen. Bereits im vergangenen Jahr waren rund 1500 Arbeitsplätze auf den Werften verloren gegangen, wie die IG Metall Küste im Herbst auf Grundlage einer Befragung von Betriebsräten mitteilte.
„Das sind weniger als befürchtet,“ schrieb die Gewerkschaft im Oktober 2021. Die Kurzarbeit habe einen „Kahlschlag“ verhindern können, so Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste.
Da schon abzusehen war, dass dieser Abbau nicht beendet war, forderte die Gewerkschaft ähnlich wie in der Autoindustrie ein Transformationskurzarbeitergeld, das „neben dem Lohnersatz auf Qualifizierungen und Umschulungen setzt“. Auch im Schiffbau bräuchten Beschäftigte und Unternehmen genügend Zeit für einen fairen Wandel, so der IG Metall-Bezirksleiter.
Perspektiven für die Branche sehe die Gewerkschaft „in klimafreundlichen oder klimaneutralen Antrieben, in der Entwicklung und dem Bau von Plattformen und neuen Schiffstypen für die Offshore-Windindustrie und der Produktion und dem Transport von Wasserstoff oder anderen grünen Treibstoffen“, hieß es damals – also genau dem, mit dem nun die vor der Entlassung stehenden MV-Werftarbeiter beruhigt werden.
„Deutschland und Europa müssen hier eine Vorreiterrolle einnehmen und dürfen die Zukunft des Schiffbaus nicht allein China, Korea und anderen asiatischen Staaten überlassen“, sagte Friedrich.
Dieser Nationalismus der Gewerkschaften trägt die Hauptverantwortung für die jetzige Situation. Arbeiter in aller Welt stehen international agierenden Konzernen gegenüber, die sich im Besitz einer superreichen Elite befinden. Doch sie werden von den Gewerkschaften und ihren Betriebsräten gegeneinander ausgespielt und daran gehindert, international zu agieren. Die MV Werften sind ein Paradebeispiel dafür.
Als die Firma Genting des Milliardärs Lim Kok Thay 2016 die MV Werften für 230 Millionen Euro übernahm, rollten ihm Gewerkschaften und Politik den roten Teppich aus. Bund und Land versprachen Bürgschaften von insgesamt 900 Millionen Euro, von denen der größte Teil auch geleistet wurde. Denn Genting kam mit Aufträgen für den Bau von insgesamt zehn Schiffen, darunter Yachten und die Global Dream, das größte je in Deutschland gebaute Kreuzfahrtschiff.
„Es gab damals nicht nur einen Investor, sondern auch eine gute Idee, nämlich Kreuzfahrtschiffe für Asien zu bauen. Es gab einen Markt,“ schwärmt noch heute IGM-Küste-Chef Friedrich. „Ich habe in meinen über 20 Jahren keinen Investor in Ostdeutschland erlebt, der so vorbildlich und verabredungsgemäß in die Standorte investiert hat.“ Etwa zwei Milliarden Euro soll Genting in die Werften investiert haben. Die Zahl der Beschäftigten verdoppelte sich in wenigen Jahren auf etwa 3000.
Die „gute Idee“ des Glücksspiel- und Tourismus-Konzerns Genting bestand darin, die Schiffe für die konzerneigene Reederei selbst zu bauen, um sich am Kreuzfahrtboom im Allgemeinen und an reichen Chinesen im Speziellen eine goldene Nase zu verdienen. Auf den schwimmenden Spielhöllen, die Gentings Kreuzfahrtschiffe in Wirklichkeit sind, konnten Chinas Reiche das Glücksspielverbot umgehen. Doch nun haben die Corona-Pandemie dem Tourismus und die chinesische Regierung mit einem schärferen Vorgehen gegen das Glücksspiel dem Milliardär Kok Thay einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Das ist der Grund, weshalb er kein Interesse mehr an dem bereits zu drei Viertel fertiggestellten Luxus-Liner Global 1 hat. Andere Abnehmer für das 1,5 Milliarden Euro teure Schiff zu finden, ist aktuell schier aussichtslos. Im letzten Jahr gab es weltweit nur einen einzigen Auftrag für ein Kreuzfahrtschiff. Das baut gerade die Meyer Werft in Papenburg für einen japanischen Auftraggeber.
Während die Banken und Reichen zusehen, ihr Geld zu retten, werden die Bundes- und die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern wohl hunderte Millionen verlieren, die sie dem Milliardär nachgeworfen haben, dessen persönliches Vermögen von Forbes zuletzt auf 2,6 Milliarden Dollar geschätzt wurde.
Nun sollen die Werftarbeiter mit ihren Arbeitsplätzen für dieses Schlamassel zahlen. Betriebsräte und IG Metall werden dem Insolvenzverwalter bei der Zerschlagung des Werftenverbunds zur Seite stehen. Erneut werden sie irgendwelche windige Investoren als „Retter in der Not“ preisen.
Wenn die Werftarbeiter zulassen, dass sie gegen ihre Kollegen in Asien, der Welt und selbst untereinander ausgespielt werden, sind ihre Arbeitsplätze nicht zu retten. Deshalb müssen sie sich unabhängig von Betriebsräten und Gewerkschaft organisieren und international zusammenschließen.
Der erste Schritt der Beschäftigten der MV Werften muss ein alle Standorte übergreifendes Aktionskomitee sein, dass die Verteidigung der Arbeitsplätze und der Löhne organisiert. Dazu ist ein internationales und sozialistisches Programm notwendig, das die Interessen der Arbeiter und ihrer Familien über die Gewinn-Interessen von windigen Investoren stellt. Wir rufen die Werftarbeiter auf, mit uns Kontakt aufzunehmen.