Kramp-Karrenbauer droht Russland mit Nuklearwaffen

Inmitten der Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierungskoalition in Berlin droht die Bundesregierung Russland mit dem Einsatz von Atomwaffen. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk am vergangenen Donnerstag erklärte die amtierende Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU):

Wir müssen Russland gegenüber sehr deutlich machen, dass wir am Ende – und das ist ja auch die Abschreckungsdoktrin – bereit sind, auch solche Mittel [Nuklearwaffen] einzusetzen, damit es vorher abschreckend wirkt und niemand auf die Idee kommt, etwa die Räume über dem Baltikum oder im Schwarzmeer NATO-Partner anzugreifen. Das ist der Kerngedanke der NATO, dieses Bündnisses, und das wird angepasst auf das aktuelle Verhalten Russlands.

Dass Kramp-Karrenbauer ohne mit der Wimper zu zucken vom Einsatz von Nuklearwaffen gegen Russland spricht, gibt einen erschütternden Einblick in die Geisteshaltung auf der höchsten Ebene des deutschen Staates. 80 Jahre nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion und dem Vernichtungskrieg im Osten wird hinter dem Rücken der Bevölkerung über Szenarien diskutiert, die ganz unmittelbar hunderte Millionen Menschenleben gefährden. Auch in der Pandemie geht die herrschende Klasse mit ihrer „Profite vor Leben“-Politik über Leichen.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Generalinspekteur der Bundeswehr Eberhard Zorn (AP Photo/Michael Sohn)

Auf der offiziellen Website des Verteidigungsministeriums heißt es, die Ministerin habe ihre „klaren Worte anlässlich des Treffens der nuklearen Planungsgruppe“ auf dem Treffen der Nato-Verteidigungsminister Ende vergangener Woche gewählt. Kramp-Karrenbauer habe deutlich gemacht, „Deutschland sei und bleibe fest in die Nuklearplanung der Allianz eingebunden. Deutschland stehe zu seinen Verpflichtungen im Bündnis.“

Was das konkret bedeutet, spricht ein Bericht in der Frankfurter Allgemeine Zeitung über das Nato-Treffen aus. „Das könnte etwa heißen, dass mit Atombomben bestückte Bundeswehr-Tornados bei einer bestimmten Konfliktschwelle an die Ostflanke verlegt werden. Darüber wird öffentlich nicht gesprochen, es gehört aber zu den strategischen Überlegungen, wenn die sogenannte Nukleare Planungsgruppe berät, der alle Mitgliedstaaten außer Frankreich angehören.“

Mit anderen Worten: Deutsche Kampfflugzeuge bewaffnet mit in Deutschland lagernden US-Atombomben würden im Konfliktfall an die russische Grenze verlegt und sie würden diese möglicherweise auch abwerfen – mit unabsehbaren Folgen. Ein Atomkrieg zwischen der Nato und Russland würde nicht nur ganz Europa in eine nukleare Wüste verwandeln, sondern das Überleben der gesamten Menschheit in Frage stellen.

Der FAZ-Artikel mit der Überschrift „Verteidigungsplanung der NATO: Die Kunst flexibler Abschreckung“ zeigt detailliert auf, wie aggressiv die Nato die Kriegsvorbereitungen gegen Russland vorantreibt und welche zentrale Rolle Deutschland dabei spielt.

Aktuell werde das im Juni angenommene neue Konzept zur „Verteidigung und Abschreckung im euro-atlantischen Raum“ (DDA) umgesetzt. Der erste Schritt dazu sei der „Saceur’s AOR Strategic Plan“, „ein Plan, der den Einsatzraum (area of responsibility, AOR) des Oberkommandierenden für Europa (Saceur) neu gliedert“. Damit kehre

das Bündnis „zurück zu einer Organisationsstruktur, die es schon im Kalten Krieg gab“. Jedes Korps bekomme „einen genau zugewiesenen Einsatzraum“. Andererseits gehe „es dabei um andere Bedrohungen und die Fähigkeit, flexibel darauf reagieren zu können“.

Die Pläne lesen sich wie eine moderne Form des totalen Kriegs. Ein Operationsplan lege fest, „früh und effektiv“ zu agieren. Dazu wolle die Allianz künftig „alle ihre Hauptquartiere in die Abwehr einbinden“, was „natürlich auch die rasche Mobilisierung und Verlegung von Kampfverbänden“ betreffe. Letztlich gehe „es darum, die Eskalationsdominanz zurückzugewinnen“. Der „heikelste Teil“ davon sei „die Nuklearstrategie“.

Die nächste Bundesregierung wird die Aufgabe haben, diese Kriegspläne umzusetzen. „Der Planungszyklus“ sei, „wie üblich, auf vier Jahre angelegt, was für die neue Bundesregierung bedeutsam ist“, schreibt die FAZ. Darin würden „die künftigen Schwerpunkte und Investitionen festlegt, damit auch die Verteidigungsausgaben“. Es gehe um die Bereitstellung der notwendigen „militärischen Fähigkeiten, die es erst erlauben, Truppen wirklich einzusetzen: Aufklärung, strategischer Lufttransport, digitale Operationsführung, Raketenabwehr.“

Die Pläne für die Umsetzung dieser massiven Kriegs- und Aufrüstungsvorhaben liegen bereits in der Schublade. Im Mai verabschiedete das Verteidigungsministerium die „Eckpunkte für die Zukunft der Bundeswehr“, die das deutsche Militär effektiv auf die Führung großer militärischer Auseinandersetzungen bis hin zum Nuklearkrieg vorbereiten sollen.

Die Bundeswehr müsse „gegen einen gleichwertigen Gegner militärische Operationen im Gefecht der verbundenen Waffen, und zukünftig auch im Gefecht der verbundenen Dimensionen, führen können – im ganzen Spektrum bis hin zum hochintensiven Gefecht,“ heißt es darin. Dafür seien „militärische Fähigkeiten zur Abschreckung in der gesamten Bandbreite, einschließlich der nuklearen Teilhabe, notwendig“.

Zudem müssten die deutschen Streitkräfte „in der Lage sein, der politischen Führung flexible militärische Optionen zur Verfügung zu stellen und lageangepasst in allen Dimensionen handlungsfähige Kräfte und Fähigkeiten bereitzustellen“. Sie müssten „rasch und bruchfrei dimensionsübergreifend agieren und im gesamten Spektrum der Dimensionen zeitgleich bestehen können“. Das „leitende Prinzip“ müsse lauten: „Organisiere dich, wie du kämpfst.“

Es besteht kein Zweifel daran, dass in den momentan stattfindenden Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, FDP und Grünen über die Umsetzung dieser aggressiven außen- und verteidigungspolitischen Agenda diskutiert wird. Wie bei der Regierungsbildung vor vier Jahren finden die Gespräche unter strikter Geheimhaltung statt. Die herrschende Klasse weiß, dass ihre Agenda in der Bevölkerung zutiefst verhasst ist und auf enorme Opposition stößt.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich reagierte sichtlich nervös auf Kramp-Karrenbauers offene Drohungen gegen Russland. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur forderte er sie auf, die Arbeit einer künftigen Bundesregierung nicht zu belasten. Ihre „jüngsten Gedankenspiele ... zum Einsatz von Nuklearwaffen in einem Konflikt mit Russland“ seien „verantwortungslos“. Damit unterscheide sie „sich leider nicht von den ebenso haltlosen Drohungen der russischen Seite“.

Die Aussagen von Mützenich sind in doppelter Hinsicht verlogen. Zum einen weiß er genau, dass nicht Russland, sondern die Nato der Aggressor ist. Seit der Auflösung der Sowjetunion vor 30 Jahren rückt das Militärbündnis systematisch in Richtung russische Grenze vor. Dabei spielt die SPD eine zentrale Rolle. Der amtierende sozialdemokratische Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterstützte als Außenminister 2014 den rechten Putsch in der Ukraine, um in Kiew ein anti-russisches Regime zu installieren und Moskau zu schwächen. Auch die anschließende Entsendung deutscher Kampftruppen nach Osteuropa geschah mit expliziter Unterstützung der SPD, die seit acht Jahren ununterbrochen das Außenministerium führt.

Am Montag verteidigte Regierungssprecher Steffen Seibert Kramp-Karrenbauers Nuklear-Drohungen als folgerichtige Umsetzung der Politik der Großen Koalition. Solange Nuklearwaffen von einigen Staaten als Mittel der militärischen Auseinandersetzung verstanden würden, bestehe „die Notwendigkeit zum Erhalt einer nuklearen Abschreckung im Rahmen der Nato“, erklärte er zynisch. Das stehe „auch so im Koalitionsvertrag“.

Bezeichnenderweise fand in der vergangenen Woche die jährliche Atomwaffen-Übung „Steadfast Noon“ in Italien statt. Beteiligt waren belgische, niederländische, italienische und deutsche Kampfbomber, um die nukleare Teilhabe zu praktizieren – d.h. den Einsatz von Atombomben zu trainieren.

Das Putin-Regime hat den westlichen Kriegsvorbereitungen nichts entgegenzusetzen. Es vertritt die Interessen einer korrupten Oligarchie, die sich an der Restauration des Kapitalismus bereichert hat und die wachsende soziale und politische Opposition der Arbeiterklasse genauso fürchtet wie die imperialistischen Mächte. Auf die Drohungen aus Washington, Brüssel und Berlin reagiert Moskau mit einer Mischung aus diplomatischen und militärischen Manövern, die die Kriegsgefahr weiter erhöhen.

Laut Angaben des russischen Verteidigungsministeriums wurde am 25. Oktober der Verteidigungsattaché der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Russland einbestellt. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa erklärte in einer offiziellen Stellungnahme, man hoffe, „dass es besonnene Menschen in der deutschen Führung gibt, die ihre Verteidigungsministerin von einem rücksichtslosen Wunsch abhalten können, unsere Streitkräfte zu testen“.

Tatsächlich zeigt die aktuelle Entwicklung genauso wie die historische Erfahrung, dass es keine „besonnene“ Fraktion in der deutschen Führung gibt. Ihre Hinwendung zu Militarismus, Faschismus und Krieg hat objektive Gründe, die wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der tiefen Krise des kapitalistischen Systems wurzeln. Es gibt nur einen Weg, diese gefährliche Entwicklung zu stoppen: den Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung, die sich auf die Arbeiterklasse stützt und für den Sturz des Kapitalismus und eine sozialistische Perspektive kämpft.

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