„Die Mitglieder des Betriebsrats ... dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden.“ So steht es im Betriebsratsverfassungsgesetz§ 78 (BetrVG).
Das Landgericht Braunschweig hat sich mit seinem Urteil zu den Millionen-Vergütungen an Betriebsräte von Volkswagen über die bestehende Gesetzeslage hinweggesetzt und die Rechtsprechung der betrieblichen Realität untergeordnet.
Das Gericht unter Vorsitz des Richters Bohle Behrendt hatte letzte Woche die vier angeklagten VW-Vorstände – den amtierenden und drei ehemalige Personalvorstände – vom Vorwurf der Untreue nach nur fünf Verhandlungstagen freigesprochen. Die Richter folgten somit der Verteidigung und dem VW-Konzern. Sie gaben der engen Zusammenarbeit der Gewerkschaften und Betriebsräte mit den Vorständen den rechtlichen Segen.
Es ging konkret um Gehälter in einer Gesamthöhe von 5 Millionen Euro in den Jahren 2011 bis 2016. Allein der langjährige VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh erhielt in dieser Zeit über 3 Millionen Euro. Sein Grundgehalt belief sich auf 200.000 Euro, mit Boni brachte er es 2014 auf ein Jahresgehalt von 750.000 Euro.
Die Angeklagten Horst Neumann (Personalvorstand des Gesamtkonzerns von 2005 bis Ende 2015), Karlheinz Blessing (2016 bis 2018) sowie Jochen Schumm (Personalvorstand bei der Kern-Marke VW 2008 bis 2011) und sein Nachfolger Martin Rosik vertraten vor Gericht alle die Meinung, dass die hohen Gehälter an Betriebsräte völlig korrekt sind.
„Ich bin nicht im Ansatz davon ausgegangen, ich könnte Herrn Osterloh und andere unrechtmäßig begünstigen“, sagte etwa Blessing. Osterloh und andere hohe Betriebsräte hätten viel Erfahrung und eine „beachtliche und strategische Qualifikation“. Auch Neumann bestätigte: „Diese Arbeitnehmervertreter verhandeln auf Augenhöhe mit dem Management.“ Man könne sie daher nicht immer weiter auf dem Niveau ihres Einstiegsgehalts bezahlen. Das gelte vor allem für Osterloh: „Wir hätten ihn sicher nicht als Pförtner eingesetzt.“
Der inzwischen 65-jährige Osterloh wurde im Frühjahr für seine enge Zusammenarbeit im Interesse des Konzerns und der Kapitaleigner fürstlich entlohnt. Er erhielt bei der konzerneigenen Nutzfahrzeug-Holding Traton den Posten des Personalchefs und kassiert nun auch eine Jahresvergütung von mindestens 2 Millionen Euro plus sattem Rentenanspruch. Er macht es den angeklagten Personalvorständen gleich. Auch diese vier verdanken der IG Metall ihren Aufstieg zu Einkommensmillionären. Denn die korrupten Mitbestimmungsstrukturen sehen vor, dass die Gewerkschaft die Vergabe der Personalchef- und Arbeitsdirektor-Posten an ihre verdienten Bürokraten bestimmt.
Im Prozess wurde immer wieder über die angeblich hohen Qualifikationen der führenden Betriebsräte gesprochen, die hohe und höchste Gehälter rechtfertigen würden. Die fachliche Kompetenz kann damit nicht gemeint sein. Osterloh hat eine kaufmännische Ausbildung, ein anderer Betriebsratsvorsitzender mit mehreren hunderttausend Euro Jahresgehalt, der ebenfalls Gegenstand des Prozesses vor dem Landgericht war, hatte gar keine Ausbildung.
Die wirklichen „Fähigkeiten“ der Betriebsratsbosse bestehen in ihrer Skrupellosigkeit und ihrem Verrat an den Interessen der Arbeiter, die sie gewählt haben.
Denn wofür zahlen der Volkswagen-Konzern und viele weitere Großkonzerne ihren Betriebsräten Millionen? Dafür, dass sie gegenüber den Belegschaften alle Angriffe auf Arbeitsplätze und -bedingungen, auf Löhne und Gehälter durchsetzen. Dafür, dass Sie mit ihrem in jedem Betrieb weitverzweigten System der Bereichsbetriebsräte und dem der gewerkschaftlichen Vertrauensleute einem Seismografen gleich schon erste Anzeichen von Opposition innerhalb der Belegschaften erkennen, lokalisieren und unterdrücken.
Sollten sie es nicht schaffen, die Opposition schon im Keim zu ersticken, indem sie einzelne Arbeiter unter Druck setzen, veranstalten sie Pseudo-Proteste, spalten die Arbeiter von Standort zu Standort und Land zu Land. Am Ende versuchen sie demoralisierten und frustrierten Arbeitern den Ausverkauf der Belegschaftsinteressen als „Erfolg“ darzustellen, selbst wenn ganze Werke über Sozialpläne, aber „ohne betriebsbedingte Kündigungen“ geschlossen werden.
Die meisten Betriebsräte sind weniger Co-Manager, wie sie sich gerne selbst bezeichnen, sondern Betriebspolizisten, bürokratische Capos. Ihre „Management-Aufgaben“ bestehen darin, die Vorstände und Konzernleitungen zu beraten, wie Rationalisierungsprogramme, Effizienzsteigerung, Profitabilität durch Sozialabbau, Lohneinbußen und Arbeitsplatzabbau in „Zukunftsprogramme“ verpackt und so gestaltet werden, dass jeder Arbeiterwiderstand dagegen unterdrückt werden kann. Dafür sitzen sie in den Aufsichtsräten und Wirtschaftsausschüssen und kassieren satte Tantiemen.
Die herrschende Klasse ist sich dieser Rolle bewusst und bereit, dafür zu zahlen. Nicht nur der VW-Konzern selbst, auch große Teile der Presse haben die hohen Zahlungen an die Betriebsräte verteidigt.
Das Handelsblatt verwies darauf, dass bereits die Anklage der Staatsanwaltschaft auf wackligen Beinen gestanden habe. „Sie bezog sich auf ein bald 50 Jahre altes Betriebsverfassungsgesetz, das auf die Veränderungen aufseiten der Arbeitnehmervertretungen keine Rücksicht nimmt.“ Viele Betriebsräte seien heute an das Management herangerückt. „Und in den Aufsichtsräten sind sie häufig an wesentlichen Beschlüssen beteiligt.“
Auch die Welt aus dem Hause Springer unterstützt das Urteil des Landgerichts. Denn die Braunschweiger Richter „bestätigen damit das deutsche Modell der Mitbestimmung – und die Evolution, die es in den vergangenen Jahren erlebt hat“. Anders als früher würden „selbst in Konzernen, die von krassen Strukturbrüchen getroffen werden“, harte Konfrontationen inzwischen ausbleiben. „Exemplarisch kann man das in der Autoindustrie sehen, wo Tausende Stellen gestrichen und Standorte geschlossen werden, etwa das Reifenwerk von Continental in Aachen“, schreibt die Welt. „Klar gab es dort Demonstrationen, letztlich haben sich Manager und Gewerkschafter aber auf ein vernünftiges Programm geeinigt.“
Das Reifenwerk wird Ende des kommenden Jahres geschlossen.
„Dass bei Volkswagen der im Vergleich noch viel größere Umbau des Unternehmens nahezu geräuschlos abläuft“, kommentiert die Zeitung, sei „auch ein Verdienst der Betriebsräte“.
In der Tat jagte unter der Verantwortung Osterlohs bei VW in den letzten Jahren ein „Zukunftskonzept“ das andere, mit dem Einsparungen vor allem bei den Belegschaften durchgesetzt worden waren. VW-Chef Herbert Diess kündigte letzte Woche vor 120 Managern einen erneuten radikalen Umbau vor allem im Stammwerk in Wolfsburg an. Er warnte, dass die Konkurrenz in der Elektromobilität wie Tesla oder chinesische Hersteller dem deutschen Weltkonzern weit voraus seien. Diess kündigte an, dass nicht nur alte Gebäude abgerissen, neue Produktionshallen gebaut und Abläufe effizienter gemacht werden. Der VW-Chef proklamierte, was Arbeiter wissen: „Es geht am Ende auch um Arbeitsplätze!“
Osterlohs Nachfolgerin, die VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo, wird den vom VW-Chef verlangten „Umbau“ durchsetzen. Das ist ihre Aufgabe.
Der Freispruch des Landgerichts Braunschweigs im Untreue-Prozess gegen VW-Vorstände und die Verteidigung der Millionen-Zahlungen an Betriebsräte macht deutlich, wie wichtig es ist, dass sich Arbeiter – nicht nur bei VW – unabhängig von den Gewerkschaften und ihren Betriebsräten organisieren.
Wenn Neumann nun erklärt, „wir“, also VW, hätten Osterloh niemals als Pförtner eingesetzt, verdeutlicht das nur die inzestiösen Verbindungen innerhalb der großen Konzerne. Neumann hatte bis 1994 in der Wirtschaftsabteilung der IG Metall, anschließend als Arbeitsdirektor und Personalvorstand in der Stahl- und Autoindustrie gearbeitet. 2005 wurde er Nachfolger von VW-Personalchef Peter Hartz, Namensgeber der gleichnamigen „Arbeitsmarktreformen“ und IGM-Funktionär. Der musste damals gehen, weil er Osterlohs Vorgänger im Betriebsrat Klaus Volkert und seine Entourage mit Edel-Prostituierten und Lustreisen bei Laune hielt. Es sind diese Vorstände sowie die Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte in den Aufsichtsräten, die dann über die Gehälter und weiteren Posten der Betriebsräte bestimmen. Die Grenzen zwischen Konzernen und Gewerkschaften sind fließend.
Arbeiter können ihre Interessen nur gegen die Betriebsräte und die dahinterstehenden Gewerkschaften durchsetzen. Denn diese stehen auf der anderen Seite der Barrikade, auf der Seite der Konzerne und ihrer Aktionäre. Wir rufen alle Arbeiter auf – bei VW und darüber hinaus – gemeinsam mit uns die Internationale Allianz der Aktionskomitees aufzubauen, um Kämpfe in verschiedenen Fabriken, Branchen und Ländern in Opposition zur herrschenden Klasse und den Gewerkschaften zu koordinieren.